Die aktuellen Äußerungen von Friedrich Merz, Israel würde im Iran die „Drecksarbeit für uns alle“ erledigen, sind sprachlich und inhaltlich absolut inakzeptabel. Sie stellen eine Form der Schocktherapie dar, eine Überrumpelungsstrategie, eine aggressive Flucht nach vorne. Hinter der Aufregung darüber sollen mutmaßlich die unüberbrückbaren Widersprüche der deutschen Positionen zu Russland einerseits und Israel andererseits versteckt werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Die gleichzeitig vertretenen offiziellen deutschen Positionen zu einerseits Russland/Ukraine und andererseits Israel/Gaza/Iran offenbaren doppelte Standards in einem Maße, dass die politische Heuchelei gar nicht mehr gesteigert werden kann – unter vielen anderen Bereichen bei den Themen Völkerrecht, „unprovozierter Angriffskrieg“ und Desinformation. Die Positionen widersprechen sich in so fundamentaler Weise, dass den beteiligten Meinungsmachern in Medien und Politik bei dem Thema jetzt wohl nur ein Weg offen bleibt: Die totale Flucht nach vorne; der Weg der offensiven und aggressiven verbalen Schocktherapie.
Diesen Weg hat nun auch Friedrich Merz beschritten: Mit seinen Aussagen in einem aktuellen und in vielerlei Hinsicht infamen Interview geht er nicht nur sehr „großzügig“ mit zahlreichen Fakten zum Krieg oder zu den Atomverhandlungen um, er erklärt zusätzlich indirekt das gegenüber Russland gebetsmühlenartig betonte Völkerrecht zum Wunschkonzert, das selektiv beschädigt werden darf.
Die Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz sind (inhaltlich und stilistisch) ein neuer Gipfel der Verrohung in der internationalen Kommunikation. So ein Vorgehen schwächt die internationale Diplomatie zusätzlich massiv. Außerdem: Im Lichte des israelischen Vorgehens in Gaza und Iran und der „solidarischen“ Haltung der deutschen Regierung zu diesen Verbrechen erscheinen die hysterischen Verweise auf „das Völkerrecht“ im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nur noch lächerlich, wie Jens Berger gerade im Artikel „Ich will nie wieder das Wort ‘Völkerrecht’ hören“ beschrieben hat:
„Das sind doppelte Standards in ihrer skurrilsten Form.“
Mit der Sprache eines Mafiabosses
Zusätzlich nutzt Merz nun die völlig unangemessene Sprache eines Mafiabosses und leistet damit einen weiteren Beitrag zu einer (vor allem „von oben“ betriebenen) ganz allgemeinen Verrohung der Sprache. Diese sprachliche Verrohung „von oben“ wirkt prinzipiell, auch weit über das konkrete Thema hinaus.
Immerhin gibt es (auch international) einige Stimmen, die Merz entgegentreten. So äußerte sich etwa der US-amerikanische Spitzendiplomat Robert Malley, einer der Architekten des Atomabkommens mit dem Iran von 2015, laut Medien folgendermaßen zu den Äußerungen des deutschen Kanzlers: Zwar zeigte Malley Verständnis für Israels Sicherheitsbedenken, er kritisierte aber umso mehr die Unterstützung durch westliche Staaten:
„Dass die USA und Europa dieser Logik des Präventivkriegs folgen, ohne die Gefahren oder die eklatanten Verstöße gegen das Völkerrecht zu bedenken, ist schlichtweg erschütternd.“
Auch nach innen, also auf uns Bürger in Deutschland, wirken solche enthemmten Äußerungen wie die von Merz erschütternd – und das ist mutmaßlich eines der Ziele des Vorgehens des Kanzlers: eine massive und totale Überrumpelung. Kritische Bürger sollen vor Empörung oder vor Irritation gar nicht mehr die Nerven haben, die fundamentalen und inakzeptablen Widersprüche in den offiziellen deutschen Positionen zu Ukraine und Iran zu analysieren.
Ich will nie wieder das Wort „Völkerrecht“ hören
Die Panik der Meinungsmacher – Hemmungslose „Hasssprache von oben“
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