Identitätspolitik tötet das Kino

Identitätspolitik tötet das Kino

Identitätspolitik tötet das Kino

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Der Weltkonzern Amazon will die Regeln Hollywoods neu definieren. Die neuen Richtlinien des Tochterunternehmens Amazon Studios verpflichten im Namen von „Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion“ Filmemacher, künftig Schauspieler so zu besetzen, dass „deren Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung und Behinderung“ mit den Figuren, die sie im Film verkörpern, übereinstimmt. Ein Schwuler darf also nur noch von einem schwulen Schauspieler, ein Italiener nur noch von einem Italiener gespielt werden. Dabei ist es doch eigentlich die Kunst des Schauspiels, fremde Charaktere zu verkörpern. Die meisten großen Filme der Vergangenheit hätte es mit diesen Richtlinien nie gegeben, die größten Schauspieler wären wohl heute Kellner oder Taxifahrer, da sie kein Engagement bekommen hätten. Und selbst für die Minderheiten, für die man sich angeblich einsetzen will, bringen solche Richtlinien mehr Nach- als Vorteile. Es wäre besser, Amazon würde sich mal um die Rechte seiner Mitarbeiter einsetzen, als das Medium Film mit dem woken Zeitgeist kaputtzumachen. Von Jens Berger.

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Wer kennt ihn nicht – Marlon Brando als Don Vito Corleone im grandiosen ersten Teil der Filmtrilogie „Der Pate“. Wäre das Kino bereits 1972 derart identitätspolitisch sensibel wie heute, hätte Brando die Rolle des italo-amerikanischen Mafiabosses überhaupt nicht bekommen. Brandos Vorfahren hießen nämlich Brandau und wanderten vor vielen Generationen aus der Oberpfalz nach Nebraska aus. Sizilianisch ist an Brando also nichts. Heute würde man seine oscarprämierte Darstellung wohl als „kulturelle Aneignung“ bezeichnen. Aber heute wäre Marlon Brando wohl ohnehin unbekannt, da er auch nie die Rolle des polnisch-stämmigen Stanley Kowalski in der Verfilmung des Tennessee-Williams-Stücks „Endstation Sehnsucht“ bekommen hätte, die ihm 1948 zum Durchbruch verhalf.

Hätte es die Amazon-Regeln schon früher gegeben, würde wohl auch kaum jemand Tom Hanks kennen. In seinen großen frühen Filmen spielte er schließlich einen Schwulen (Philadelphia) und einen geistig Behinderten (Forrest Gump) – zwei Rollen, die er als heterosexueller Normalbegabter nicht bekommen hätte. Sean Penn hätte nie den Schwulen-Aktivisten Harvey Milk verkörpern dürfen und die beiden heterosexuellen Schauspieler Heath Ledger und Jake Gyllenhaal wären als Besetzung für die beiden Hauptrollen des Schwulen-Liebesfilms „Brokeback Mountain“ ebenfalls nicht in Frage gekommen. Al Pacino hätte nicht den erblindeten Frank Slade in „Der Duft der Frauen“ und Dustin Hoffman nicht den Autisten Raymond Babbitt in „Rainman“ spielen dürfen. All diese großen Schauspielleistungen wären so nicht möglich gewesen, hätte Hollywood sich schon früher den Regeln der Diversität unterworfen.

Ein Film wie Schindlers Liste sähe heute auch anders aus. Der Quäker Ben Kingsley hätte nicht den Juden Itzhak Stern spielen dürfen und der Nordire Liam Neeson sowie der Brite Ralph Fiennes kämen als Darsteller der Deutschen Oskar Schindler und Amon Göth auch nicht in Frage. Auch der 2019 mit so ziemlich allen Filmpreisen der Welt ausgezeichnete Film „Bohemian Rhaposdy“ hätte so nie gedreht werden können. Es ist nun mal gar nicht woke und identitätspolitisch korrekt, wenn ein heterosexueller Amerikaner mit koptisch-ägyptischen Wurzeln wie Rami Malek einen schwulen Briten mit parsisch-indischen Wurzeln wie Freddy Mercury spielt. Ein klarer Verstoß gegen die Amazon-Richtlinien.

Es ist wirklich traurig. Konnten Filmemacher in der Vergangenheit Rollen nach Talent besetzen, wird man künftig wohl auf das Vorsprechen verzichten und sich stattdessen erst einmal die Abstammungsurkunde und ein Attest über die sexuelle Orientierung der Schauspieler anschauen. So was gab es – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen – schon früher; wobei die Frage doch mal interessant wäre, ob Schauspieler, die sich künftig für die Rolle eines Nazis in Amazon-Produktionen bewerben, nicht vielleicht auch einen „Arier-Nachweis“ brauchen. Schließlich sollen Rollen ja nicht entgegen der ethnischen und nationalen Herkunft der zu verkörpernden Figur besetzt werden.

Um die „männliche, weiße Dominanz“ in Filmproduktionen zu verhindern, schreiben die neuen Amazon-Richtlinien zudem vor, dass in jeder Produktion eine relevante Rolle für einen „LGBTQIA+ Menschen“, einen „Menschen mit Behinderung“ und einen Angehörigen von drei „regional unterrepräsentierten Minderheiten“ vorbehalten sein soll – 50 Prozent davon müssen übrigens mit Frauen besetzt sein. Das erinnert eher an die Zusammensetzung einer Boygroup, wo ja auch kein Farbiger, kein Asiat und kein Schwuler fehlen darf, als an eine ernsthafte Filmproduktion.

Na, das kann ja lustig werden, wenn es zum Beispiel um historische Stoffe geht. Wir dürfen uns also schon auf lesbische Latino-Wikingerinnen und schwule schwarze rollstuhlfahrende Herzöge im viktorianischen England freuen. Absurd? Keineswegs. Die Netflix-Produktion „Bridgerton“, die in der britischen Adelsschicht des frühen 19. Jahrhunderts spielt, hat kurzerhand sämtliche Protagonisten „ethnisch korrekt“ besetzt. Nun lernen unsere Kinder also, dass der viktorianische Adel zu erheblichen Teilen afrikanisch-stämmig war. Da werden sich ja die Geschichtslehrer, die diesen Unsinn wieder ausbügeln müssen, freuen. Oder wird nun auch die Geschichte umgeschrieben?

Wozu das Ganze? Um die Schauspieler geht es den Identitäts-Ideologen dabei sicher nicht. Warum hat es denn so lange gedauert, bis sich namhafte Schauspieler zu ihrer Homosexualität bekannt haben? Sie hatten Angst, dass sie nach ihrem Outing auf bestimmte Rollen festgelegt werden. Die Amazon-Richtlinien manifestieren genau das. Schwule Schauspieler werden auf die Rolle des „Quoten-Schwulen“ festgelegt. Und wenn man die Regeln wirklich wörtlich nimmt, werden Schauspieler, die einer der genannten Gruppen angehören, sogar aktiv diskriminiert. Denn wenn Rollen streng nach Ethnie und sexueller Orientierung vergeben werden müssen, dann dürfte auch kein schwuler Latino einen heterosexuellen weißen Charakter spielen. Ein Ian McKellen dürfte nicht mehr Richard III., Jody Foster nicht mehr die Laurel Sommersby spielen dürfen – zwei Rollen, die sich nach der literarischen Vorlage nicht ohne groteske Verrenkungen umschreiben lassen können.

Es geht vielmehr um „Volkspädagogik“. Die Idee – je mehr homosexuelle, farbige oder behinderte Menschen wir in Fernsehen und Film sehen, desto „normaler“ empfinden wir das. Ist das so? Ich finde homosexuelle Lebensformen vollkommen normal, fühle mich jedoch zusehends durch das identitätspolitische Trara genervt und zahlreichen homosexuellen Freunden und Freundinnen von mir geht es genauso. Eine derartige pädagogische Indoktrination ist ohnehin eher aus totalitären Gesellschaften bekannt; und selbst dort ist es zweifelhaft, ob sie wirklich erfolgreich im Sinne der Ideologen funktioniert hat. Je mehr man merkt, dass man indoktriniert wird, desto mehr verwehrt man sich dagegen.

Eine Folge der neuen Richtlinien, die bereits vorhersehbar ist, ist, dass die Qualität der Filme unter ihrer ideologischen Instrumentalisierung leiden wird. Große Werke setzen sich kritisch mit dem Zeitgeist auseinander; vor allem dann, wenn er mit einer ideologischen Meinungsmache einhergeht und totalitäre Züge trägt. Filme nach dem Muster Amazon ähneln in ihrem „künstlerischen“ Anspruch eher den belanglos kitschigen Durchhaltefilmen der UFA, die ja auch – zumindest nach den Maßstäben der damaligen Ideologie – politisch korrekt besetzt wurden. Darüber könnte man ja mal nachdenken.

Eine besondere Ironie hat die gesamte Geschichte natürlich dadurch, dass ausgerechnet Amazon sich nun als Hüter der Diversität und der Gerechtigkeit aufspielt. Das Unternehmen, das wie kaum ein anderes dafür bekannt ist, dass es gar keine Probleme damit hat, dass seine Mitarbeiter – gleich welcher Ethnie oder sexuellen Orientierung – unter prekären Bedingungen schuften müssen. Aber dem schwulen Latino, der bei Amazon in die Flasche pinkeln muss, weil die Taktung seiner Arbeit keine Toilettenpause zulässt, wird sicher total happy sein, wenn nun eine lesbische Farbige den James Bond spielen darf – die Bond-Produktionsfirma MGM wurde jüngst von Amazon Studios übernommen. Schöne neue Welt!

Titelbild: Screenshot – Bridgerton/Netflix

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