Hinweise des Tages (2)

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Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute u. a. zu folgenden Themen: Hartz IV: Die Regeln des Bedarfs; Außenminister hielt Vortrag bei FDP-Großspender; Gabriels verhängnisvoller Kurs; Der Ifo in neuen Sphären;
Beschäftigungsbremse Arbeitszeitverlängerung; Leukämie-Zunahme nahe Atommülllager Asse; Kolosseum und Turm von Pisa besetzt; Kriminell? Dann nix wie raus! Fan Gang – Chinas Krieg gegen die Ungleichheit; Uni-Absolventen: Besser unbezahlt als arbeitslos. (KR)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Hartz IV: Die Regeln des Bedarfs
  2. Außenminister hielt Vortrag bei FDP-Großspender
  3. Gabriels verhängnisvoller Kurs
  4. Der Ifo in neuen Sphären
  5. Beschäftigungsbremse Arbeitszeitverlängerung
  6. Beschäftigung in Europa 2010
  7. Ständige Erreichbarkeit macht krank Schlaflos nach Feierabend
  8. Bundeswehrreform setzt Anreize zur Verpflichtung für Auslandseinsätze
  9. Leukämie-Zunahme nahe Atommülllager Asse
  10. Kolosseum und Turm von Pisa besetzt
  11. Irak-Krieg: Geheimpapier belegt deutsche Warnungen an Bush
  12. Kriminell? Dann nix wie raus!
  13. Fan Gang – Chinas Krieg gegen die Ungleichheit
  14. Uni-Absolventen: Besser unbezahlt als arbeitslos

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Hartz IV: Die Regeln des Bedarfs
    Wer wissen möchte, in welcher Gesellschaft er lebt, vertiefe sich in ein ministerielles Schriftstück – den “Referentenentwurf ” zur Neufestlegung der Hartz-IV-Sätze. Das ist ein Text, dessen technokratische Obszönität bloß von seiner Verkommenheit übertroffen wird. Von Kay Sokolowsky.
    Quelle: KONKRET
  2. Außenminister hielt Vortrag bei FDP-Großspender
    Die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) und ihre Tochtergesellschaft “Allfinanz” sind seit Jahren bedeutende Großspender von CDU und FDP. Allein in den Jahren 2000 bis 2009 flossen nach Angaben des Portals parteispenden.unklarheiten.de 1.558.971 Euro an die beiden Parteien, wovon die CDU etwa zwei Drittel erhielt und die Liberalen das übrige Drittel.
    Nun hat die FDP erneut eine Spende von der DVAG erhalten, die insgesamt dritte seit Juli diesen Jahres. Am 9. November gingen 60.000 Euro auf dem FDP-Konto ein, zuvor waren es 65.000 Euro (August) und 75.000 Euro (Juli) gewesen. Vor dem Hintergrund der Großspenden an die Liberalen gerät nun eine DVAG-Veranstaltung vom 23. Februar 2010 ins Blickfeld, zu der das Unternehmen 15.000 ihrer Vermögensberater in die Kölner Lanxess-Arena eingeladen hatte.
    Auf Facebook feiert die DVAG ihren “Vermögensberatertag” begeistert als die “größte nicht-öffentliche Veranstaltung des Jahres”, im Unternehmensblog ist von einer “unschlagbaren” Ansammlung von Ehrengästen die Rede. In der Tat. Zu den versammelten Vermögensberatern sprach die “‘Creme de la Creme’ des deutschen Leistungssports”: Formel 1-Rekordweltmeister Michael Schumacher, Bundestrainer Joachim Löw, dessen Co-Trainer Hansi Flick, Ex-Nationalspieler Stefan Kuntz, Trainer-Ikone Otto Rehhagel, Fechtolympiasiegerin Britta Heidemann und Schimmweltmeister Paul Biedermann – allesamt Werbeträger der Deutschen Vermögensberatung AG. Den prägendsten Eindruck hinterließ allerdings jemand anderes: Guido Westerwelle.
    Quelle: Abgeordnetenwatch-Blog
  3. Gabriels verhängnisvoller Kurs
    Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hält Kurs – leider ist es der alte, wie das heutige (26.11.) Interview mit Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk zeigt.
    Quelle: Blog Wirtschaft und Gesellschaft
  4. Der Ifo in neuen Sphären
    Der Ifo ist auf den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung gestiegen. Wie kann das sein, wenn die realen Einzelhandelsumsätze inklusive Kfz um gut zehn Prozent unter dem Niveau vom Januar 1991 liegen? Wenn die realen Bauaufträge um die Hälfte niedriger sind als im Januar 1994? Wenn sich die Bestellungen im verarbeitenden Gewerbe noch um 15,3 Prozent unter der Vorkrisenspitze bewegen?
    Schon klar, der Ifo reflektiert die Dynamik der Wirtschaft, nicht ihr Niveau. So beläuft sich der Korrelationskoeffizient zwischen dem Klimaindex für das verarbeitende Gewerbe und der Jahresveränderungsrate der Produktion dieses Sektors (gleitender Dreimonatsdurchschnitt) seit 1995 auf 0,83. Es gibt aber noch ein anderes, wenngleich verwandtes Erklärungsmuster: Gewinne gut, Ifo gut. Wählt man als Margenindikator das Verhältnis von Erzeugerpreisen (ohne Energie) und industriellen Lohnstückkosten, dann beträgt der Korrelationskoeffizient zwischen dem Industrie-Ifo und der Jahresveränderungsrate dieser Rentabilitätskennziffer 0,82. Und da die Rentabilität derzeit noch größere Sprünge zum Vorjahr macht als die Produktion, ist die Stimmung so ausgelassen wie kaum je zuvor. – Dass der Erwartungsindex noch mal gestiegen ist, lässt hoffen, obwohl die Industrieauftragskomponente bröckelt. Aber der Ifo ist eben kein Frühindikator, sondern ein Stimmungsindex. Und Frühindikatoren wie jene der OECD sprechen längst eine andere Sprache.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: An alle Journalisten: Pflichtlektüre!

  5. Beschäftigungsbremse Arbeitszeitverlängerung
    Kurzarbeit und andere Formen der Arbeitszeitverkürzung sicherten in Deutschland Millionen Arbeitsplätze in der Wirtschaftskrise 2008/2009. Das ist Vergangenheit: Die Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten bewegen sich schon fast wieder auf Vorkrisenniveau. Grob fahrlässig ist allerdings, warnen die Arbeitszeitforscher des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, wenn Wirtschaftsforschungsinstitute jetzt sogar nach der 45-Stundenwoche rufen.
    Denn weitere Arbeitszeitverlängerungen, so das IAQ, gefährden den Beschäftigungsaufbau im beginnenden Aufschwung.
    Quelle: Institut Arbeit und Qualifikation
  6. Beschäftigung in Europa 2010: Abbau der Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt und Unterstützung junger Menschen beim Berufseinstieg dringend notwendig
    Der heute vorgelegte Bericht „Beschäftigung in Europa 2010“ veranschaulicht, dass die Krise junge Menschen – mit einer überproportional hohen Arbeitslosenquote bei den 15- bis 24-Jährigen von über 30 % in einigen Ländern – besonders hart getroffen hat. Obwohl die Zeichen auf dem EU-Arbeitsmarkt zunehmend auf Stabilisierung stehen und in einigen Mitgliedstaaten erste Anzeichen eines beginnenden Aufschwungs verzeichnet werden, hatte die Krise doch tiefgreifende Auswirkungen auf die Beschäftigung, und die allgemeine Erholung der EU-Wirtschaft steht auf tönernen Füßen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und die gleichzeitig begrenzten Möglichkeiten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden, haben die Gefahr eines Anstiegs der Langzeitarbeitslosigkeit oder eines endgültigen Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt verschärft. Der Bericht zeigt auf, dass bis zu einem klaren Beschäftigungsaufschwung noch einige Zeit vergehen könnte.
    Quelle: European Union
    Quelle2: European Union [PDF – 1.6 MB]

    Anmerkung Orlando Pascheit: Manche Politiker werden vielleicht meinen, dass im Vergleich zum EU-Durchschnitt (20 Prozent) die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland (8,5 Prozent) lobenswert niedrig sei, nur sind 8,5 Prozent immer noch ein Skandal. Der EU-Durchschnitt verbirgt zwar noch Schlimmeres in den baltischen Staaten, Irland und Spanien (42,5 Prozent), aber Vergleiche dieser Art sollten obsolet sein. Das erinnert immer an die Vergleiche ganz schlauer Politiker von chinesischen Löhnen mit deutschen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa sagt aber noch nicht alles: Viele junge Arbeitnehmer finden keine Lehrstelle und müssen sich mit bezahlten Praktika oder befristeten Verträgen abfinden. So sind 40 Prozent nur befristet angestellt, während in der Gesamtbevölkerung dieser Anteil bei 13 Prozent liegt.

  7. Ständige Erreichbarkeit macht krank Schlaflos nach Feierabend
    Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen immer mehr. Eine Studie zeigt jetzt, dass die ständige Erreichbarkeit viele Arbeitnehmer krank macht. Häufiges Anzeichen: Schlafstörungen.
    Quelle: SZ
  8. Bundeswehrreform setzt Anreize zur Verpflichtung für Auslandseinsätze
    Die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli kommenden Jahres wird zur Belastungsprobe für die Universitäten und Fachhochschulen. Zusätzlich zu der Belastung durch doppelte Abiturjahrgänge in Bayern und Niedersachsen werden sich vermehrt junge Menschen direkt nach dem Abitur um einen Studienplatz bewerben. Doch während es an den zivilen Einrichtungen eng wird, sollen die Kapazitäten an den Universitäten der Bundeswehr beibehalten, womöglich sogar ausgebaut werden. Studienplätze würden so zum Lockmittel für den freiwilligen Wehrdienst, den Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) jüngst auf der Bundeswehrtagung in Dresden vorstellte.
    Quelle: Telepolis
  9. Leukämie-Zunahme nahe Atommülllager Asse
    Im Umfeld des maroden Atommülllagers Asse bei Wolfenbüttel ist eine erhöhte Zahl von Leukämie-Fällen festgestellt worden. Schilddrüsenkrebs bei Frauen kommt sogar dreimal so oft vor wie üblich.
    Quelle: Tagesspiegel
  10. Kolosseum und Turm von Pisa besetzt
    Wegen geplanter Kürzungen im Bildungswesen besetzen Studenten das Kolosseum in Rom. Im größten Amphitheater des Altertums, zünden sie rote Nebelkerzen und rufen vor verblüfften Touristen ihre Parolen. Auch in anderen Städten gehen Studenten, Wissenschaftler und Lehrer zu Tausenden auf die Straße.
    Quelle: FR
  11. Irak-Krieg: Geheimpapier belegt deutsche Warnungen an Bush
    Ein dem SPIEGEL vorliegendes Geheimdokument zeigt, wie Kanzler Schröder noch im letzten Moment die USA vom Irak-Krieg abzuhalten suchte. Berlins düstere Prognosen für den Fall eines Angriffs wurden später alle von der Realität bestätigt – und Präsident Bush einer Lüge überführt.
    Der Aufmarsch der US-Truppen gegen den Irak stand damals unmittelbar vor dem Abschluss, und der Berliner Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Klaus Scharioth, flog nach Washington, um US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und hochrangige Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat der USA vielleicht doch noch umzustimmen. Es wurde daraus ein eineinhalbstündiger Schlagabtausch, denn vor allem Rice trug ihre Position “relativ hart und kompromisslos” vor, wie der Vermerk festhielt. Aber auch Scharioth schenkte dem großen Verbündeten nichts. Und so dokumentiert das Papier einen Höhepunkt deutscher Diplomatiegeschichte. Denn in allen wesentlichen Fragen erwiesen sich die an jenem Dienstag vorgebrachten Einwände und Prognosen der Deutschen als berechtigt und zutreffend. Quintessenz der Argumentation Berlins: Die politischen Kosten eines Irak-Kriegs würden “höher als (der) politische Nutzen” sein.
    Während Rice vorhersagte, der Irak werde nach dem Krieg wie Deutschland 1945 die “Chancen zum Wiederaufbau” nutzen, erklärten die Besucher aus Berlin, die rasche Etablierung einer Demokratie in Bagdad sei “nicht (zu) erwarten”. Die Deutschen sahen voraus, dass ausgerechnet Iran von einem Irak-Krieg profitieren könne und zudem eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch einen amerikanischen Angriff erschwert werde. Und sie prophezeiten, der Waffengang werde zu einen “terroristischen ‘backlash'” führen. Es sei wichtig, erklärte Scharioth, “Herzen und Hirne der islamischen Eliten und Jugend zu gewinnen” und mit dem Krieg sei dies “nicht zu erreichen”. Vielmehr bestehe dann die Gefahr eines “Zulaufs zu islamischem Fundamentalismus und Terrorismus” – und so kam es ja auch.
    Quelle: Einestages.Spiegel.de

    Anmerkung Orlando Pascheit: Schade, dass diese Klugheit im Bereich der Wirtschaft- und Sozialpolitik so gänzlich fehlte.

  12. Kriminell? Dann nix wie raus!
    Die Eidgenossen stimmen über eine Initiative der rechtspopulistischen SVP ab. Die seit den Wahlen von 2003 stärkste Partei der Alpenrepublik unter Führung des ehemaligen Justizministers Christoph Blocher verlangt die beschleunigte und vereinfachte “Ausschaffung krimineller Ausländer”. Die Initiative will durchsetzen, dass Ausländer künftig nach einer Verurteilung wegen bestimmter Delikte automatisch das Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren und ohne weitere Einspruchsmöglichkeit oder richterliche Überprüfung umgehend außer Landes geschafft werden. Auch wer “missbräuchlich” Leistungen der Sozialhilfe oder -versicherungen bezieht, muss laut Initiativtext abgeschoben werden. Diese Verschärfung des Ausländerrechts soll nach dem Willen der SVP nicht nur per Gesetz eingeführt, sondern möglichst in der eidgenössischen Verfassung verankert werden.
    Bei einer Annahme der Initiative hätte die Schweiz künftig die schärfsten Bestimmungen in ganz Europa. Zwar sehen die Gesetze fast aller Länder die Möglichkeit vor, straffällig gewordene Ausländer auszuweisen. Doch nur in Deutschland und Großbritannien gibt es Bestimmungen für eine “zwingende Ausweisung” ausländischer Personen, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren (Deutschland) bzw. von einem Jahr (Großbritannien) verurteilt wurden. Doch die britischen Behörden wenden das noch unter Premierminister Tony Blair verabschiedete Gesetz “UK Border Act 2007” bis heute nicht an. In Deutschland verhindert die in ausnahmslos jedem Fall erforderliche richterliche Prüfung, dass die gesetzlich mögliche “zwingende Ausweisung” zu einem Automatismus führt. Ein Richter kann verfügen, dass aus humanitären, völkerrechtlichen oder politischen Gründen auf eine Ausweisung verzichtet wird. Zudem werden in Deutschland in der Regel unter 18-jährige ausländische Straftäter nicht ausgewiesen, weil dies ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wäre. Das deutsche wie das britische Recht sehen zudem ausdrücklich ein Ausschaffungsverbot vor, wenn der Betroffene in seinem Herkunftsland an Leib und Leben gefährdet wäre. Diese Ausnahmen und Vorbehalte soll es in der Schweiz künftig ebenso wenig geben wie die etwa in Frankreich und Belgien geltende Regel, Angehörige der zweiten Ausländergeneration oder Menschen, die bereits 20 Jahre im Land leben, nicht auszuweisen.
    Quelle: TAZ
  13. Fan Gang – Chinas Krieg gegen die Ungleichheit
    Tatsächlich haben nicht alle chinesischen “Haushalte” gleichermaßen vom schnellen BIP-Wachstum profitiert. Einige soziale Gruppen, z. B. Facharbeiter, Ingenieure und Angestellte im Finanzsektor, haben ihre Löhne kräftig steigen sehen. Städter – die über eine offizielle Anmeldung als Bewohner einer Stadt verfügen – konnten ebenfalls einen Einkommenszuwachs verzeichnen, was darauf zurückzuführen ist, dass sie vom staatlichen Bildungssystem und dem sozialen Netz abgedeckt sind. Und als die Unternehmensgewinne stiegen, konnten auch diejenigen, die in irgendeiner Form an den Kapitalgewinnen beteiligt sind, beobachten, dass ihr Einkommen schneller stieg als der nationale Durchschnitt. Bevölkerungsteilen mit weniger Bildung, wie Wanderarbeitern und Landwirten, ist es jedoch wesentlich schlechter ergangen. Erstere verdienen ein Jahresgehalt (einschließlich Lohnnebenleistungen!) von insgesamt 2000 US-Dollar, Letztere verdienen vielleicht die Hälfte davon. Beide Gruppen umfassen zu ungefähr gleichen Teilen Arbeiter mit geringem Einkommen, die 65 bis 70 Prozent der Arbeitskräfte insgesamt ausmachen. Ihr durchschnittliches Einkommen ist gestiegen, allerdings langsamer als die jährliche BIP-Wachstumsrate von 8 bis 10 Prozent der letzten 20 Jahre.
    Dreißig Jahre rapides Wachstum haben lediglich die Hälfte der chinesischen Landwirte (ungefähr 200 Millionen Menschen) im Industrie- oder Dienstleistungssektor untergebracht, wo sich ihre Löhne verdoppelten. Doch mindestens 150 Millionen weitere Landwirte strömen immer noch auf den Arbeitsmarkt und konkurrieren um höher bezahlte Arbeitsplätze. Die alte Generation von Landwirten bleibt vielleicht an Ort und Stelle, aber die jüngeren Generationen werden weiterhin vom Land abwandern und schaffen damit einen scheinbar unerschöpflichen Nachschub an Arbeitskräften, der die Löhne für Arbeiter mit geringer Bildung in allen Industrien und Dienstleistungsbereichen drückt. Daher kann das Einkommen von fast 70 Prozent der Arbeitskräfte nicht so schnell steigen wie ihre Arbeitsproduktivität, und das durchschnittliche Haushaltseinkommen kann somit nicht so schnell zunehmen wie die Wirtschaft als Ganzes. Angesichts Chinas massiven Nachschubs an “überschüssigen Arbeitskräften” wird sich dieser Trend nicht so schnell umkehren. Tatsächlich könnte sich die Lage für ein bis zwei weitere Jahrzehnte verschlechtern, bevor sie sich bessert.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Rest des Artikels von Fan Gang, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Peking und Direktor des Nationalen Wirtschaftsforschungsinstituts Chinas, ist für einen Parteikader schon ganz gut neoliberal. Zitat: “Aus den … den jüngeren Erfahrungen einiger hochentwickelter Industrieländer können wir lernen, dass die Überfrachtung von Sozialprogrammen mit einer zu starken Betonung auf Umverteilung zu großen Haushaltsdefiziten, Schuldenkrisen, Hyperinflation oder einer Kernschmelze des Finanzmarkts führen kann, mit dem Endergebnis, dass die Ungleichheit nicht abnimmt, sondern zunimmt.” Eine wunderschöne Kausalkette: Umverteilung →Haushaltsdefizite →Schuldenkrise →Kernschmelze des Finanzmarkts →Ungleichheit. Vielleicht schlagen da doch der Aufenthalt in Harvard und die vielfältigen Kontakte mit der Weltbank, OECD usw. durch.
    Geradezu bedrückend für den Rest der Welt ist Fan Gangs Einschätzung, dass durch den unerschöpflichen Nachschub an Arbeitskräften deren Einkommen noch ein bis zwei Jahrzehnte unter dem Zuwachs an Produktivität liegen werden. Der Druck der von diesem Arbeitskräftereservoir ausgeht hat nicht nur innerchinesische, sondern globale Auswirkungen. Dazu passt die im neuen Fünf-Jahres-Plan vorgesehene Verlagerung der Industrie von der Küste ins Landesinnere. Sie dient ja nicht nur der Entwicklung dieser Regionen, sondern entspricht auch den Wünschen des Auslandskapitals, dem die Löhne an der Küste bereits zu hoch sind. So will Foxconn zusammen mit einigen der weltweit größten Computerhersteller in der westlichen Stadt Chongqing das womöglich größte Laptop-Produktionszentrum der Welt aufbauen. Auch unterhalb des High-Tech-Bereichs ist unter diesen Umständen ist kaum zu erwarten, dass z.B. die afrikanische Bekleidungsindustrie je wieder auf die Beine kommt.
    Auch die Schlussaussage ist hochproblematisch: “In der Tat stellen fortgesetztes Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen die einzige wirkliche Lösung dar, um Hunderten Millionen von Chinesen dauerhaft aus der Armut zu helfen.” Ist das wirklich so? Natürlich lässt sich gerade am Beispiel China feststellen, dass höhere Wachstumsraten einen positiven Einfluss auf den Rückgang von Armut haben. Allerdings bedeutet dieser Rückgang nicht einen Rückgang von Ungleichheit. Auch hier könnte Fan Gang von den hochentwickelten Industrieländern lernen. Er könnte beispielsweise ganz gut in Deutschland beobachten, wie bei wachsendem BIP die Ungleichheit zugenommen hat. Bei China fragt man sich, wie viel Wachstum es noch benötigt, um seine Ungleichheiten zu beseitigen, wenn bereits über einen langen Zeitraum Wachstumsraten von 8-10 Prozent realisiert wurden.
    Heute gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass zwischen der Ungleichheit in der Verteilung von Vermögen und wirtschaftlichem Wachstum ein negativer Zusammenhang besteht. China verpasst durch Ungleichheit Wachstumschancen. Wer es nicht glaubt, beschäftige sich z.B. mit den empirischen Studien von Persson/Tabellini, Alesina/Rodrik und Birdsall/Londono. – Wenn der chinesische Staat Ungleichheit nicht an der Wurzel bekämpfen will, so sollte er sich zumindest stärker als bisher für öffentliche Investitionen zum Beispiel im Gesundheits-, Bildungsbereich einsetzen, um damit den ärmeren Bevölkerungsschichten die Chance zu eröffnen, eine ihren Fähigkeiten entsprechenden Beruf aufzunehmen zu können. Mit einfachen Wachstumsparolen wird China den Proteste, die es täglich hundertfach gibt und bei uns kaum wahrgenommen werden, auf Dauer nicht begegnen können. Zwar ist die Arbeitslosigkeit mit 4,3 Prozent (2009) relativ niedrig, aber dahinter verbergen sich starke Ungleichgewichte zwischen Stadt und Land, abgesehen davon dass man den amtlichen Zahlen mit größtem Misstrauen begegnen sollte. Die Arbeitslosigkeit unter Uni-Absolventen bildet neben der mit der zunehmenden Ungleichheit einhergehenden Korruption ein Unruhepotential, das leicht eskalieren könnte.
    Dazu passt der Bericht von China Daily, der größten englischsprachigen Tageszeitung Chinas, die sich vollkommen in staatlicher Hand befindet:

  14. Uni-Absolventen: Besser unbezahlt als arbeitslos
    Etwa 18 Prozent aller Universitätsabgänger in China sagten, dass sie bis zu sechs Monate auch ohne Bezahlung arbeiten würden, wie eine Studie des Beijinger Youth Stress Management Service Center am Sonntag zeigte. Ma Xiao, eine 26-jährige Beijingerin, fand eine Stelle als Marketingassistent bei einem Unternehmen in der Vorstadt, nachdem sie sieben Monate auf Jobsuche war. “Ich weiß nicht wie viel sie mir bezahlen, doch es wird auf jeden Fall eine gute Erfahrung. Ich musste meine Erwartungen für einen gut bezahlten Job anpassen, nachdem ich sieben Monate nichts gefunden habe. Jetzt fühle ich mich erleichtert, erzählte sie. Ma beendete letztes Jahr ihren Master in Chemie in Deutschland und kehrte nach China zurück um eine gut bezahlte Arbeit zu finden, da Europas Arbeitsmarkt zu jener Zeit unter der Finanzkrise litt.
    Quelle: german.china.org.cn

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