Im reichen Land kein Geld für Geschenke

Im reichen Land kein Geld für Geschenke

Im reichen Land kein Geld für Geschenke

Ein Artikel von Frank Blenz

Weihnachten steht vor der Tür. Sogleich fällt das Stichwort „Geschenke“. Wir Deutschen rennen los, welche zu kaufen. Vor allem zu kaufen, heißt das geläufige Klischee. Als wäre es so einfach. Mehr als ein Drittel der Bundesbürger hat für das Frohe Fest 2022 leider kein oder kaum Geld für Geschenke-Einkäufe für ihre Lieben, konstatieren Umfragen. Und die Not, der Zwang zu Verzicht hat Hochkonjuktur. Nur gut, dass wir ein Land der Dichter und vor allem der Denker sind. Die Ratgeber für das „Schenken trotz leerer Börse“ laufen genau wie die gut situierten Experten zum Thema „Energiesparen“ zu Hochform auf. Geschenkt. In harten Zeiten wie diesen kommt einem die Erinnerung an die eigene Kindheit in den Sinn und interessant fallen die Antworten auf die Nachfrage in der Verwandtschaft und Bekanntschaft aus, wie denn anno dazumal geschenkt wurde – bei knapper Kasse und dennoch großer Zuneigung an die Bescherten. Doch sich an das Schöne in der Not zu erinnern, sollte eine nostalgische Angelegenheit bleiben. Heute aus der Not nicht oder wenig oder wegen akuten Geldmangels improvisiert schenken zu müssen, ist keine Errungenschaft, auf die wir in unserem reichen Land stolz sein könnten. Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kein Geld für Präsente, also selbst welche herstellen

In meiner Familie wurde immer kreativ damit umgegangen, stand wenig Geld für Geschenke zur Verfügung, erfuhr ich in Gesprächen in diesen Tagen rund um den ersten Advent. Und ja, aus eigener Erfahrung kann ich ebenfalls sagen, dass mit wenig finanziellen Mitteln dennoch recht viel an herzlichen Präsenten verschenkt werden kann, lässt man sich mit Fantasie und Hingabe etwas einfallen. Die Fantasie sollte jedoch freiwillig bleiben, nicht aus Mangel gefordert sein, sind wir in unserer familiären Diskussion einig.

Der Blick zurück. Die Puppen für die Mädchen in meiner weitverzweigten Familie, sie erhielten früher halt „neue“ Kleider. Die Mädchen merkten es nicht, alles sah neu und chic aus. Die Kleider wurden schlicht selbst gefertigt und die Freude zur Bescherung war keine kleinere, als wäre die Puppe frisch aus dem Spielzeugladen geordert worden. Fahrräder wurden verschenkt, aufgearbeitete aus zweiter Hand, ebenso ein Roller mit luftbereiften Rädern, der nach fachgemäßer Reparatur mit einem neuen himmelblauen Anstrich versehen bestens zum Erkunden der Umgebung geeignet war. Mit meinem Vater fuhr ich in den Spätsommerwochen dann mit diesem Vehikel in den Wald zum Pilze Sammeln.

Ganz große Augen bekam auch ich einmal, als ich als kleiner Steppke bei einer Bescherung reich (so dachte ich) beschenkt wurde. Unter einem großen Betttuch, welches vom Vater dann voller Theatralik weggezogen wurde, kam ein richtiges Puppentheater zum Vorschein. Ich muss ganz große Augen bekommen haben, als ich das Wunder erblickte. Ja, es war für mich wie ein Wunder. Das Theater war bunt angemalt. Dazu gab es Handpuppen, den Kasper, den Prinzen, die Prinzessin, den Teufel, schöne Kulissen für spannende Geschichten, dazu einen roten Vorhang. Das Theater war für mich sehr schön zu begehen. Ich, der frisch gekürte Puppenspieler, war sehr froh und voller Tatendrang, Theaterstücke zu erfinden. Die Eltern mussten selbstverständlich mein Publikum sein, sie hockten artig vor meiner Bühne. Das Besondere an meinem Theater war, dass die Konstruktion sich als ein angemalter und mit Holzlatten stabilisierter Pappkarton (einer Waschmaschine) entpuppte. In einem Spielzeugladen bei uns in der Kleinstadt, der Laden hieß „Flax und Krümel“, stand auch ein Holztheater, ich sah es durch das Schaufenster. Meines aus Pappe war schöner, fand ich damals an Heiligabend. Ich wusste nicht, dass meine Eltern nicht so „in die Tasche“ konnten.

Auch das gab es: gar nichts

Ein enger Verwandter, der als Kind den 2. Weltkrieg erlebt hat, erinnerte sich an seine Weihnachten nach dem Krieg. Als Flüchtlingskind zunächst in Sachsen-Anhalt mit der Familie untergekommen, waren seine ersten Jahre in Frieden vor allem noch voller Entbehrung und Verzicht geprägt. Die Weihnachtszeit rückte näher, der Advent wurde bescheiden, demütig gefeiert und der endlich aufkommende Heiligabend weckte Hoffnungen, die dann aber schwer enttäuscht wurden. „Wir haben gar nichts bekommen, es waren zu viele Leute, zu wenig zu essen, alles war zu wenig vorhanden. Was habe ich gemacht? Ich habe geheult.“ Vielleicht war es die Erschöpfung der Erwachsenen, ihren Kindern nichts geben zu können. Immerhin wurde der kleine Junge immer mal wieder zu Bauernfamilien zum Essen eingeladen, eine Geste gegenüber den Flüchtlingen aus dem Osten, die schließlich blieben und die deutschen Länder in Ost und West mit aufbauten.

Das Eisenbahnbrett für den Bruder

Als Lehrling erhielt ich ein monatlichen Betrag von 160 Ost-Mark. Ich war sparsam. Ich wollte mir und meinen Lieben gern auch immer mal etwas Gutes tun. So auch zu Weihnachten. Um den Schenkungseffekt zu vergrößern, improvisierte ich. „Groß“ bedeutete mehr „Krawall“, mehr Eindruck, spekulierte ich. Meinem kleinen Bruder wollte ich etwas Besonderes unter den Tannenbaum legen, besser daneben stellen: eine Modelleisenbahn. Wir sagen dazu „Zugbrett“. Wer etwas Ahnung hat, wird fix zusammenrechnen und mir sagen: Junge, das kostet doch mehr als Tausend Märker. Ja und nein, antworte ich. Das ging so: Ich hatte im Keller noch einige Utensilien meiner Eisenbahn, zwei Lokomotiven, mehrere Waggons, Schienen, Weichen, einen Trafo, drei, vier Häuschen. Mit einem Schulkameraden zimmerte ich in dessen väterlicher Werkstatt zwei Holztafeln zu einem „Zugbrett“ zusammen. Dort setzten wir auch das Projekt Eisenbahn-Geschenk in aller Ruhe und Heimlichkeit um. Nach drei Wochen Bastelei war das Brett fertig inklusive Berglandlandschaft und Wald und Tunnel und Bahnhofsgelände und Dorf. Zugegeben, viel Technik und Brimborium gab es nicht. Dem kleinen Bruder war es egal, man kann sich vorstellen, wie überwältigt der war. Ich glaube, ich habe damals vielleicht hundert Mark für alles ausgegeben. Keine 1.000.

Nun rückt Weihnachten heran in Zeiten steigender Armut

Zum Nachdenken bringt einen diese an und für sich besinnliche Zeit auch in Sachen Schenken und Freude Bereiten. Wir Menschen brauchen das, gerade jetzt. Persönliche Dinge kommen, glaube ich, sehr gut an, Kalender mit selbstgeschossenen Fotos, kleine Bastelarbeiten, Zeichnungen, ein Daumenkino vielleicht mit einer simplen Geschichte einer aufgehenden Sonne. Diese, meine Tipps sind aber alle keine, die die bestehende Not mit einer geduldigen Akzeptanz versehen. „Dann sollen sie halt Kuchen essen“, soll einst eine französische Hoheit gesagt haben, als die erfuhr, dass das Volk sich das Brot nicht leisten konnte. Nein, ich schreibe keine Ratschläge für Menschen, die kein oder wenig Geld haben. Ich wünschte, jeder hätte genug, um ein auskömmliches, zufriedenes, gedeihliches Leben führen zu können. Es ist viel darüber zu lesen, dass Menschen am Essen sparen, die Gans nicht auf den Tisch kommt, die Beleuchtung kleiner ausfällt. Die Quote der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, sei zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent gestiegen, berichtete das WSI in seinem veröffentlichten Verteilungsbericht 2022. Trocken wird geschrieben, dass vieles dafür spräche, dass die Corona-Pandemie, die Energiepreisexplosion und die hohe Inflation diese Entwicklung in den Folgejahren weiter verschärft hätten.

Katzenwäsche

Über den Verzicht auf das Duschen, darüber zu reden, muss hier nach dem Geschenke-Thema erwähnt sein dürfen. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so empörend wäre. Ein hochbezahlter Ministerpräsident, immerhin Chef vom Bundesland von „Schaffe, schaffe, Häusle baue“, hat mal wieder einen rausgehauen. Er reiht sich in die Liga der Tippgeber ein, die ihre eigenen Ratschläge gar nicht nötig haben, leben sie ja auf großem Fuß. Dennoch meint der Landesvater losschwadronieren zu müssen. Ganz im Wortsinn von „Gürtel enger schnallen“ geht es bei seiner Werbung für die so genannte „Katzenwäsche“ um die Verwendung des guten alten Waschlappens als Zeichen ökonomischer Klugheit und gesundheitlich empfehlenswerter Reinigung. Nee, nee, nicht täglich duschen, heißt seine Devise, sondern Wasser sparen mit einer Katzenwäsche. Das bringt zudem eine Schonung der Haut, weil eben nicht so viel Nass und soviel Shampoo auf des Bürgers Haut und Haar fließt. Geschenkt! Katzenwäsche landet auf meiner Liste der Flops im Land, wo die guten Zeiten gerade zunichte gemacht werden und der Bundespräsident auf sonstwas außer auf etwas Gutes einschwört.

Aufeinander Zugehen

Fest steht, dass dieses Jahr Weihnachten wegen vieler trauriger, beschämender und vor allem gemachter Umstände kein glanzvolles, kein wirklich friedliches Fest werden wird. Innehalten, ja, friedlich in Familie, ja. Um uns herum aber fliegt uns der ganze Laden gerade um die Ohren. Der größte Wunsch steht ganz oben auf meinem Zettel: Frieden, Reden, Innehalten, aufeinander Zugehen.

Titelbild: tommaso79/shutterstock.com

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