22. Juni 1941 – ein Datum, das heute in Deutschland in Vergessenheit geraten ist

22. Juni 1941 – ein Datum, das heute in Deutschland in Vergessenheit geraten ist

22. Juni 1941 – ein Datum, das heute in Deutschland in Vergessenheit geraten ist

Ein Artikel von Tilo Gräser

Vor 82 Jahren begann das „Unternehmen Barbarossa“: Am 22. Juni 1941 hat das faschistische „Großdeutsche Reich“ die Sowjetunion überfallen, vertragsbrüchig, aber dennoch angekündigt. Aber der Überfall hat selbst die Deutschen überrascht, wie Historiker zeigen. Es folgte ein Raub- und Vernichtungskrieg gegen ein Land, den es vorher so nicht gab. Dahinter standen aber auch westliche Interessen, über die heute kaum geredet wird. Von Tilo Gräser.

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Mit insgesamt 3,6 Millionen Soldaten, 3.500 Panzern und 2.700 Flugzeugen überfiel die faschistische deutsche Wehrmacht gemeinsam mit verbündeten Truppen aus Rumänien, Finnland, Ungarn und der Slowakei am 22. Juni 1941 die Sowjetunion. Der vor 82 Jahren als „Unternehmen Barbarossa“ begonnene deutsche Raub- und Vernichtungskrieg sollte nach Vorstellungen der Wehrmachtsgeneräle nur wenige Wochen dauern. Er forderte bis zu seinem offiziellen Ende am 8. Mai 1945 allein auf sowjetischer Seite etwa 27 Millionen Tote.

„Der deutsche Angriff erfolgt, ohne dass zuvor politische und/oder ökonomische Forderungen an die Sowjetunion gestellt worden wären“, schrieb der Historiker Erich Später 2015 in seinem Buch „Der dritte Weltkrieg – Die Ostfront 1941 – 1945“. „Es gab weder ein Ultimatum noch eine Kriegserklärung“, erinnerte er. „Der Überfall wird von der deutschen Propaganda als europäischer Kreuzzug zur Verteidigung der Kultur gegen den jüdischen Bolschewismus gefeiert.“

Breiter Konsens der Eliten

Später wies darauf hin, dass die faschistischen Pläne, die Sowjetunion zu unterwerfen und zu zerschlagen, „auf einem breiten Konsens innerhalb der herrschenden deutschen Eliten“ beruhten. Die deutschen Machteliten in Wirtschaft, Verwaltung und Militär hätten nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik nicht aufgehört, „über eine erneute Offensive nachzudenken“. Vor allem ökonomische und geostrategische Interessen hätten dahinter gestanden, so Später in seinem hochinteressanten Buch.

Das Gebiet der Sowjetunion sei wegen seiner Rohstoffe und Absatzmärkte sowie billigen Arbeitskräfte zum Ziel der deutschen Expansion geworden, bei der es um eine „autarke Großraumwirtschaft“ statt einer stärkeren internationalen Verflechtung gegangen sei. „Mit dem Vormarsch der Deutschen Wehrmacht und SS in der Sowjetunion realisiert sich im gesamten deutschen Machtbereich das radikalste Programm zur vollständigen Vernichtung eines Teils der Menschheit, das jemals erdacht und geplant wurde“, betonte Später.

Hitlers Kriegsankündigung

Einige Historiker erinnern daran, dass der 2. Weltkrieg bereits am 1. September 1939 begann, als das Großdeutsche Reich und die Sowjetunion Polen aufteilten. Oft wird dabei die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs-Vertrages weggelassen. Zuvor hatte Moskau lange Zeit versucht, gemeinsam mit den westlichen Staaten eine kollektive Sicherheitspolitik gegenüber dem faschistischen Deutschland zu gestalten. Das sei spätestens mit dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 gescheitert, wie unter anderem Historikerin Bianka Pietrow-Ennker in dem 2000 veröffentlichten Sammelband „Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion“ feststellte.

Dass der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen das Land im Osten von Beginn an zu den Plänen der deutschen Faschisten gehörte, war lange vorher bekannt. „In seinem Buch ‚Mein Kampf‘ (1. Band 1924) hatte Hitler, für jedermann zu lesen, die programmatische Erklärung abgegeben: ‚Der Kampf gegen die jüdische Weltbolschewisierung erfordert eine klare Einstellung zur Sowjetunion (…) Wir weisen den Blick nach dem Land im Osten (…) Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland denken‘.“ Das schrieb der Historiker Fritz Fischer 1992 in seinem Buch „Hitler war kein Betriebsunfall“.

Fischer erinnerte auch daran, dass der von Hitler benutzte Begriff vom „Lebensraum“ im Osten erstmals 1916 in einer Erklärung der Universität München auftauchte. Er wies ebenso darauf hin, dass Hitler lange Zeit, wenn auch erfolglos, versuchte, Polen als Bündnispartner gegen die Sowjetunion zu gewinnen.

Überraschte Deutsche

Dennoch hat die Morgenmeldung des „Großdeutschen Rundfunks“ am 22. Juni vor 82 Jahren über den Krieg im Osten auch die Masse der Deutschen unvorbereitet getroffen. Das stellte der 2016 verstorbene Historiker Kurt Pätzold in seinem Buch „Der Überfall“ fest. Die Deutschen hätten damals eher mit einem Krieg gegen Großbritannien gerechnet, nicht mit einer neuen Ostfront nach dem Überfall auf Polen.

„Was ihnen nun für ein Krieg bevorstand, ahnten die ‚Volksgenossen‘ am wenigsten, die seit Jahren die faschistischen Propagandabilder vom ‚Bolschewismus‘ und ‚bolschewistischem Judentum‘ eingesogen hatten, die, im September 1939 verschwunden, nun aus den Archiven wieder hervorgeholt wurden. Sie gerieten in einen Krieg ohne geschichtliches Beispiel.“

Pätzold zeigte in seinem letzten Buch, kurz vor seinem Tod erschienen, wie sich die Deutschen kurz vor und nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion verhielten, was sie dachten und wie sie reagierten. Sie hätten sich mehrheitlich in einen Krieg führen lassen, in dem sie nur verlieren konnten: „Das eigene Leben, Verwandte und Freunde, Hab und Gut und gemeinsam das Ansehen, das seine Vorfahren als Nation sich einst erwarb.“ Der Historiker verstand das als Warnung vor der „missbräuchlichen Mobilisierung von Völkern gegen ihre eigenen Interessen“. Das gehöre nicht der Vergangenheit an, nur die Instrumente dafür seien verändert und vermehrt worden.

Betäubender Pakt

Der Überfall traf die Sowjetunion „umso härter, als die Moskauer Führung trotz zuverlässiger Warnungen von innen und außen bis zum letzten Tag auf dem fatalen Fehler beharrte, ihre Truppen im Westen davon abzuhalten, eine wirksame Verteidigung aufzubauen“, stellte der Historiker Dietrich Eichholtz 2011 fest.

„Dass es zwischen uns und dem faschistischen Deutschland zum Krieg kommen würde, unterlag für mich nicht dem geringsten Zweifel“, erinnerte sich der sowjetische Schriftsteller und Kriegsberichterstatter Konstantin Simonow. „Seit dem Jahr 33, seit Reichstagsbrand und Dimitroff-Prozess schien meiner Generation die Auseinandersetzung mit dem Faschismus unvermeidlich“, schrieb der 1915 Geborene in seinem letzten, 1979 verfassten Buch „Aus der Sicht meiner Generation – Gedanken über Stalin“, das 1988 erstmals erscheinen konnte und 1990 auf Deutsch erschien.

Auch der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag habe diese Gewissheit nicht beseitigen können, wenn er auch beruhigte: „Allerdings bestand die Meinung, bis dahin wär’s noch ziemlich weit, der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich und England würde lange dauern, erst danach, irgendwann, würden wir mit dem Faschismus zusammenprallen.“

Folgenschwerer Terror

Das Buch enthält auch einen Text Simonows aus dem Jahr 1965 über die Rolle Stalins im Krieg. Darin widerspricht er der Vorstellung, wenn Stalin auf die frühen Warnungen vor einem deutschen Angriff, unter anderem von Richard Sorge, gehört hätte, hätte der Überfall die Sowjetunion nicht so schwer getroffen und zu den großen Anfangsverlusten geführt. Simonow erinnerte an den Terror, der 1937/38 auch die Rote Armee erfasste und dem zahlreiche erfahrene Kommandeure zum Opfer fielen.

„Ohne das Jahr 37 wären wir im Sommer 41 unstrittig in jeder Hinsicht stärker gewesen“, so der Schriftsteller. Selbst 1940 und 1941 habe der „Wahn der Verdächtigungen und Anschuldigungen“ angehalten und dazu geführt, dass hochrangige Militärs verhaftet und ermordet wurden. Der offizielle Grund: Sie hätten den Gerüchten von angeblichen feindseligen Absichten Deutschlands Glauben geschenkt. Selbst der vorherige Generalstabschef und der Volkskommissar für Rüstung waren zu Kriegsbeginn in Haft, beschrieb Simonow das Klima in der Sowjetunion kurz vor dem faschistischen Überfall.

Der wurde in Moskau in den ersten Stunden als Provokation und nicht als Beginn des Krieges gesehen. Das schrieb Alexander Nekritsch in dem Buch „Genickschuss – Die Rote Armee am 22. Juni 1941“. In dem setzte er sich 1965 mit den Gründen für die militärischen Misserfolge der sowjetischen Armee in der Anfangsphase des Krieges auseinander. Erst am Abend des Tages seien den eigenen Truppen Gegenschläge gegen die einfallende faschistische Wehrmacht befohlen worden.

„Innerhalb von wenigen Stunden hatte das gesamte Leben der UdSSR abrupt eine neue Richtung erhalten“, schrieb Nekritsch über die Folgen des Kriegsbeginns. „Der Krieg war da, ein grausamer und schonungsloser Krieg.“ Viele hätten sich freiwillig zur Roten Armee gemeldet: „Der Wunsch aller fand in der lakonischen Schlagzeile der ‚Prawda‘ vom 23. Juni 1941 seinen Ausdruck: ‚Der Faschismus wird vernichtet werden.‘“

Westliche Interessen

Die massiven, selbstverursachten Fehler der sowjetischen Führung unter Stalin gehören ebenso zur Wahrheit des 22. Juni 1941 wie das Interesse der führenden Kräfte im Westen an dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Bevor sie später mit dem überfallenen Land die Anti-Hitler-Koalition bildeten, hofften sie, dass das auch mit ihrer Hilfe wieder aufgerüstete Deutschland seiner zugedachten Rolle als „Bollwerk gegen den Bolschewismus“ gerecht wird. Auf diese Rolle hatte bereits 1920 der US-amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen hingewiesen.

Allgemein gilt der Versailler Vertrag von 1919 aufgrund seiner Bestimmungen unter anderem gegenüber Deutschland als eine der Ursache für das Aufkommen des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges. In seiner 1920 veröffentlichten Rezension des Buches von John Maynard Keynes „Die ökonomischen Folgen des Friedens“ über den Versailler Vertrag beschrieb Veblen klar, worum es bei dem Vertrag eigentlich ging: Nämlich „das reaktionäre Regime in Deutschland wiederherzustellen und es zu einem Bollwerk gegen den Bolschewismus zu machen“. Dazu seien alle Deutschland betreffenden Bestimmungen so gehalten gewesen, dass sie „den Charakter einer Verhandlungsgrundlage“ gehabt hätten und „je nach Zweckmäßigkeit auf unbestimmte Zeit weiter angepasst werden“ konnten.

Die „zentrale und verbindlichste Bestimmung“ des Vertrages und des Völkerbundes sei „eine uneingestandene Klausel“ gewesen, „durch welche sich die Regierungen der Großmächte zur Unterdrückung Sowjetrusslands zusammentun“. Veblen schrieb, dass diese geheime Klausel „das Pergament war, auf dem der Text geschrieben wurde“. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges hätten das seit 1917 kommunistische Russland als Bedrohung ihres eigenen grundlegenden Systems gesehen. Dieses funktionierte längst auf Grundlage der „Eigentümerschaft in Abwesenheit“, wie Veblen nannte, was wir heute Herrschaft des Finanzkapitals durch Aktien- und Fondsbesitz und andre Formen kennen. Russland hatte der Dominanz der Profittreiberei aus Grundeigentum und Finanzmitteln den Kampf angesagt, die heute wieder den Globus beherrscht.

Interessengeleitete Nachsicht

Veblen machte darauf aufmerksam, dass die nach außen gegen Deutschland streng wirkende Vertragskonstruktion aber in Wirklichkeit von einer „bemerkenswerte Nachsicht“ bestimmt sei, „die auf eine Art von betrügerischer Nachlässigkeit hinausläuft“. Das hätten sich vor allem die britischen Vertreter in Versailles ausgedacht, mit dem Ziel, Deutschland nicht so sehr zu lähmen, „dass das kaiserliche Establishment in seinem Kampf gegen den Bolschewismus im Ausland oder den Radikalismus im Inland wesentlich geschwächt wird“.

Zwar musste der Kaiser gehen, aber die Generäle, Industriellen und Junker, eben das ganze kaiserliche Establishment, blieben weitgehend unbehelligt. Die deutsche Oberschicht sollte verschont bleiben und das Elend der Kriegsfolgen nur die einfachen Deutschen treffen, erkannte Veblen. Der Zorn der Unterschicht sollten dann der Nährboden sein, auf dem die herrschenden Kreise in Deutschland im Sinne ihrer westlichen Gesinnungsgenossen ein reaktionäres, antibolschewistisches Regime errichten konnten. „In ihrem Bestreben, die bestehende politische und wirtschaftliche Ordnung zu sichern – die Welt für eine Demokratie der Investoren sicher zu machen – haben sich die Staatsmänner der Siegermächte auf die Seite der kriegsschuldigen deutschen abwesenden Eigentümer und gegen deren untergebene Bevölkerung gestellt“, urteilte Veblen, Jahre bevor der Faschismus sich in Deutschland breitmachte und 1933 an die Macht gehievt wurde.

Und danach zeigte sich der Westen gegenüber dem deutschen Faschismus weiterhin sehr nachsichtig und ließ ihm fast alles durchgehen, von der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes 1936, über die Annexion der Tschechoslowakei 1938 bis hin zum Überfall auf Polen 1939. Das wird allgemein als Appeasement-Politik aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder gar des Friedens willens gedeutet, hatte aber handfeste ideologische Motive.

Nützlicher Kommunistenfresser

Der Historiker und Gewerkschafter Peter Scherer schrieb dazu 1989 in seinem Buch „Freie Hand im Osten – Ursprünge und Perspektiven des Zweiten Weltkrieges“: „Nicht der Vertreter des deutschen Imperialismus wurde zwischen 1935 und 1938, ja bis 1940 hinein, von Großbritannien und Frankreich hofiert, sondern der Kommunistenfresser und Antibolschewik. Ihm hätten sie ganz Ost- und Südosteuropa ausgeliefert, wenn er sich nur auf diese Rolle des ‚Exterminators‘, des politischen Kammerjägers und Massenmörders hätte beschränken lassen.“ Hitler sei der garantierte Krieg gegen Sowjetrussland gewesen, an dem auch die westlichen Mächte interessiert gewesen seien.

Die Russische Revolution 1917 habe anders als von ihren deutschen Finanziers gedacht „innerhalb weniger Wochen ein Loch in die Landkarte des Imperialismus, das sich so schnell nicht mehr schließen sollte“, gebrannt. Das konnten sie Russland und später der Sowjetunion nie verzeihen. „Die imperialistische Welt sieht sich aus der Basis des europäischen Kontinents heraus in Frage gestellt“, so Scherer über die Folgen. Die Entwicklung der Sowjetunion, mit all ihren Folgen, dazu die chinesische Revolution, das sei selbst für „so überaus kultivierte und sanftmütige Politiker wie den britischen Premier Chamberlain eine fundamentale Bedrohung“ gewesen.

„Es lag nahe, dieser Bedrohung im Maßstab ihrer geographischen Dimension entgegenzuarbeiten: im Osten mit Japan gegen die Revolution in China, im Westen mit Deutschland gegen die Sowjetunion.“ Und so bestätigte 1937 der britische Politiker Edward Frederick Lord Halifax beim Besuch Adolf Hitlers auf dem Obersalzberg, was Veblen 1920 schon voraussagte: Hitler habe dem Kommunismus den Weg nach Westeuropa versperrt, indem er ihn im eigenen Land vernichtete und „dass daher mit Recht Deutschland als Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus angesehen werden könne“.

Westliche Eroberungspläne

Scherer zitierte aus der „New York Herald Tribune“ vom 12. Oktober 1939, die kurz nach dem polnischen Zusammenbruch schrieb: „Die Frage besteht nicht darin, wo die Grenzen Deutschlands, Polens oder der Tschechoslowakei verlaufen. Die Frage besteht darin, wo in Europa die Grenze gegen die Verbreitung des Bolschewismus verläuft.“ Er erinnerte auch daran, dass die Westmächte selbst dann nicht Deutschland angriffen, als die faschistische Wehrmacht am 10. Mai 1940 ihren „Westfeldzug“ begann. Dafür hatten sie zuvor begonnen, Expeditionskorps gegen die Sowjetunion aufzustellen, die im sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1939/40 in Narvik, Petsamo und Murmansk landen sollten. Ebenso wurde in London und Paris geplant, die sowjetischen Erdölgebiete von Baku und Batumi zu bombardieren. Bei den Plänen blieb es aber.

Der Historiker machte auf die zunehmende Rolle des US-Kapitals hinter der britischen Politik aufmerksam und zitierte den späteren US-Präsidenten Harry Truman. Der hatte am 24. Juni 1941, zwei Tage nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion, erklärt: „Sehen wir, dass Deutschland gewinnt, so müssen wir Russland helfen, wird aber Russland gewinnen, so müssen wir Deutschland helfen, und auf diese Weise sollen sich nur möglichst viele totschlagen.“

Der Überfall am 22. Juni vor 82 Jahren war „keine spezifisch deutsche Aktion“, stellte Scherer klar. Briten, Franzosen, Tschechen, Japaner, Amerikaner und 1920 Polen hätten sich schon daran versucht, „das bedrohliche Loch zu stopfen“, dass das kommunistische Russland und dann die UdSSR „in die Landkarte des Imperialismus gerissen hatte“. Hitler habe als „ideeller Gesamtimperialist“ gehandelt, es aber nicht vermocht, „der imperialistischen Führungsmacht Großbritannien ihren Segen zu seinem Kreuzzug abzuringen“ – die auch das Interesse hatte, dass der Konkurrent Deutschland geschwächt wird oder gar untergeht.

Ungelernte Lektionen

Mit Blick auf das Verhalten der Westmächte schrieb Scherer: „Die Zeit nach Barbarossa kam nicht und die Westmächte zogen es endgültig vor, den deutschen Konkurrenten mehr zu fürchten als den Bolschewismus, der ihnen auf Jahre hinaus ein nützlicher Verbündeter sein sollte.“ Zugleich gaben sie ihre antikommunistische Russophobie nicht auf: „Deutschland wurde nach Meinung der US-Regierung und ihres Emissärs Allan Dulles 1943 für ‚Ordnung und Wiederaufbau‘ hinter einem neuen antibolschewistischen ‚sanitären Riegel‘ vorgesehen.“

Wie einst Deutschland soll nun die Ukraine als Bollwerk gegen das heutige, nicht mehr kommunistische Russland dienen, samt Faschisten. Dazu wird sie missbraucht, aufgerüstet und zerstört. Wenn auch der Bolschewismus Geschichte ist, ist Russland immer noch der Feind: Weil es bis heute nicht bereit, sich einfach dem Westen unterzuordnen. Wie damals wird auch dieser Versuch scheitern, den aber viele Menschen auf beiden Seiten mit dem Leben bezahlen. Die Interessen dahinter sind die gleichen wie vor mehr als 100 Jahren beim Ersten Weltkrieg und vor mehr als 80 Jahren beim Zweiten Weltkrieg.

Am 28. Februar 2023 erklärte der US-Generalleutnant Keith Kellogg in einer Anhörung des US-Senats zur Lage in der Ukraine: „Wenn man einen strategischen Gegner besiegen kann und das ohne den Einsatz von US-Truppen, ist das der Gipfel der Professionalität.“ Wenn die Ukrainer in die Lage versetzt werden würden, Russland zu besiegen, wäre ein strategischer Gegner vom Tisch und die USA könnten sich um ihren Hauptgegner China kümmern. Kellogg fügte hinzu: „Wenn wir dabei scheitern, müssen wir vielleicht einen weiteren europäischen Krieg führen, das wäre dann das dritte Mal.“ Die Lektionen der Geschichte sind im Westen anscheinend bis heute nicht gelernt und begriffen worden.

Titelbild: Bundesarchiv

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