Maximaler femininer Spott auf Schirrmachers „Minimum“

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Eine Leserin der NachDenkSeiten hat für uns eine satirische Rezension zu Schirrmachers demografischem Katastrophengemälde in seinem neuen Bestseller geschrieben.

Schirrmachers “Minimum” – eine Männerphantasie

Von Julia Weiss

Eine Aufmerksamkeitsepidemie hat uns befallen, die Vogelgrippe ist nichts dagegen. Keine toten Tiere sind von den Bäumen gefallen, um uns zu warnen, keine Abwehr- und Impfstoffe konnten auch nur angedacht, geschweige denn angerührt werden, nichts da – von einem Tag auf den anderen hat das Virus die komplette deutsche Presse-Population befallen, hat sich explosionsartig ausgebreitet und lässt uns nun alle auf dieselbe Schlange starren: Mit “Minimum” wurde uns von Frank Schirrmacher ein ganz, ganz großes Geschwätz aufgedrängt. Das über die Geburtenrate. Sie muss rauf, aber ein bisschen hoppla.

Na gut, hier und da und gar nicht mal so wenig wurde auch schon vorher über die geringe Neigungen der Deutschen zum Kinderkriegen gekeckert und gemeckert. Während wir degenerierten Egoistinnen uns herzlich freuen, zu erfahren, dass die Gebärzurückhaltung unserem knappen Nachwuchs schon bald zu einer prima Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt verhelfen soll, lassen die Stützen der Gesellschaft uns immer wieder wissen, wie ungemein wichtig mehr Kinder für unser aller Sozialkassen seien, und mit verschiedenen kleinen Investitionshilfen versucht man, quasi angebotspolitisch, die lahmende inländische Menschenproduktion anzukurbeln. Es hat alles nichts geholfen, es hat allerdings auch nicht so furchtbar gestört. Man nahm die ganze Debatte eher als gesamtgesellschaftliches Grundgegrummel und -genörgele hin, für das man sich interessieren konnte oder auch nicht.

Das hat sich mit Schirrmachers Buch fundamental geändert. Man kommt nicht mehr herum um die Diskussion, man kommt nicht an ihr vorbei, und man kommt über dieses Maximum streng rückwärts gewandter Vorstellungen auch nicht so leicht hinweg. Denn jetzt wird uns massiv gedroht: Wenn ihr nicht auf der Stelle mehr eigene Kinder in diese mit sechs Milliarden Ausländern ( speziell Muslimen!) völlig überbevölkerte Welt setzt, wird “unsere Gemeinschaft”, ja, mehr noch: “unsere Schicksalsgemeinschaft” alsbald den “sozialen Kältetod” sterben.

Während die Untergangsmetaphern von der buchförmigen Kanzel des seit dem “Methusalemkomplott” anerkannten Experten für Demographie & Demagogie unablässig auf uns herabdonnern, versorgt Frank der Hobbybiologe uns mit einem garantiert geschichtsresistenten Heilsversprechen: Es sind die “unauflöslichen Bande der Familie” und die biologische Bestimmung der Frau zu Altruismus und unbegrenzter Operbereitschaft, die wir dringend wiederbeleben müssen, wenn wir der ewigen sozialen “Vergletscherung” entgehen wollen. Am Ende streicht der geniale Sozialarchitekt sein Gedankengebäude mit einer dicken Einschleimschicht der Marke ‘Lobet die Frauen, sie flechten und weben / Soziale Netze ins irdische Leben’ über, damit die Leserin nicht sofort, sondern erst nach 30 Sekunden merkt, dass sie gerade ins gute alte Frauengefängnis hineinkomplimentiert werden soll.

Übersetzt man die Aussagen des Buches in Verantwortlichkeiten, sitzt die Pistole fest auf der weiblichen Brust: ‘Heirate, denn verheiratet zu sein ist gut für die Gesundheit von uns Männern und verlängert unsere Lebenserwartung (deine nicht, aber das muss ich dir ja nicht sagen, deshalb habe ich es in meinem Buch verschwiegen). Bekomme dann umgehend mindestens zwei bestandserhaltende Kinder ( denn unsere Kultur darf auf keinen Fall besiegt werden im Kampf der Geburtenraten mit den fruchtbaren muslimischen Sippen und Völkern), pflege und betreue gleichzeitig oder gleich anschließend und eigenhändig deine alten Eltern und die deines Mannes und deine Freunde ebenfalls, denn dich und nur dich allein hat die Evolution vermittels altruistischer Gene und opferbereiter Hormone ausersehen, die gesamte gesellschaftliche Sozialarbeit zu erledigen ( als optimistischer Neoliberaler habe ich den Sozialstaat bereits komplett abgeschrieben, haha!), und zwar unbedingt unbezahlt, denn sonst wär’s ja kein Opfer und widerspräche deiner weiblichen Natur (vor allem wegen Deines phantastischen Null-Preis-Super-Leistungs-Verhältnisses bist du ja ein absoluter Traum-Ersatz für den Sozialstaat). Sorge weiter und vor allem dafür, dass die deutschen Männer, die heute noch allein laufen und selber pinkeln können (mögen sie nun Frank heißen oder Matthias oder Stefan oder wie auch immer), dereinst zu Hause betreut und gepflegt und auf die Bettpfanne gesetzt werden von hingebungsvoller weiblicher Verwandtschaft, statt im Seniorenstift von bezahlten Fremden die Windeln gewechselt zu kriegen. Solch grenzenlos liebevolle Pflege garantierst du uns, indem du möglichst viele Töchter gebierst, die deine Opfergene geerbt haben und daher das gleiche Scheißleben zu führen bereit sind wie du. Denn du und deine Töchter und Töchterstöchter dürfen noch ein bisschen mehr machen, altes Lastkamel! Nach meiner maßgeblichen Vorstellung sollt ihr nämlich außerdem gern und viel bezahlte Arbeit verrichten. Natürlich nicht gerade gut bezahlte bei der FAZ oder so, denn da wird selbstverständlich vollste und ständigste Verfügbarkeit für den Arbeitgeber gefordert, da kann man nicht einfach mal eben nach Hause flitzen, weil das Balg vom Baum gefallen ist oder die alte Mama gerade an ihrem Husten erstickt – aber sonst, Frauen: Ihr wolltet alles machen, ihr dürft alles machen – ALLES!

Bitteschön, gern geschehen. Euer Frank.’

Wo der Kenner der weiblichen Biologe sich selbst mit der Vögeln-und-nicht-verhüten!-Grippe infiziert hat, ist noch nicht restlos geklärt – vermutlich in den USA, wo man bekanntlich seit langem die fundamentalistische Variante “Pro Life / Lebensschützer” und seit kurzem auch wieder die ganze harte Mutation “gesetzliches Abtreibungsverbot” gezielt einsetzt, um das Problem frei laufender Frauen in den Griff zu kriegen.

Gesichert ist hingegen, dass Schirrmacher anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches engen Kontakt mit seinen Männerfreunden von Spiegel und BILD gehabt hat, wobei wohl nicht die empfohlene Medienhygiene beachtet wurde – kein einziger kritischer Satz ist in Spiegel oder BILD gefallen – , jedenfalls kam dabei die geradezu explosive Pracht-Promotion / Verkaufsförderung* für das Buch in den Leitmedien des neokonservativen Rollback heraus und katapultierte das Buch ratzfatz auf Platz Eins der Bestsellerliste.

Frauen, die im Wartezimmer versehentlich zum Spiegel 10 / 2006 griffen, mussten zwangsläufig hochgehen wie eine Tellermine, denn man hatte dort umsichtigerweise den anerkannten Spiegel-Experten für Ressentiments gegen Frauen unter besonderer Berücksichtigung von Alleinerziehenden, Matthias Matussek, federführend mit dem Thema betraut. Bei BILD bemühte sich gleich der Autor selber um den Massenvertrieb seiner tief in die Steinzeit männlicher Wahnvorstellungen zurückreichenden Gedanken. Ihren multiplen Höhepunkt erlebte die BILD-Serie in dem abschließenden Beitrag “100 Gründe, an diesem Wochenende ein Kind zu machen!”. I gitt.

Ob wir uns nun ekeln oder nicht: Der Coup ist gelungen, infiziert sind wir alle. Und keine zwei Wochen nach Erscheinen des Buches wird auch klar, dass wir es hier nicht nur mit ein paar Männern mit großem Pressemaul und Angst vorm Alleinsein im Alter zu tun haben; die waren nur die Vorgrippe. Nächste Welle: die Vordenker und Regierungsratgeber – vor die Mikrofone tritt keine zwei Wochen nach Erscheinen des Buches Hans-Werner Sinn, neoliberaler Chef des Ifo-Instituts, um uns schon mal die Werkzeuge zu zeigen: Kinderlosen sollen nach seiner Vorstellung in Zukunft massiv die Renten gekürzt werden. Eine koordinierte Kampagne etwa? Na, wer wird denn an so was denken? Alles reiner Zufall!

“Agenda Setting” nennt man diese fortschrittliche Werbe- und PR-Technik, in der der FAZ-Mitherausgeber als großer Meister gilt. Agenda Setting ist die Methode erster Wahl, wenn eine interessierte Partei gezielt Einfluss auf Themenprioritäten und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit nehmen will. Das Partialinteresse (hier: “Wir Gutsituierten brauchen keinen Sozialstaat und die anderen können gefälligst ihre Frauen dafür nehmen”) muss dabei natürlich als allgemeines verpackt werden (hier: Untergangsgeschwafel).

An Tempo und Kosteneffizienz beim Agenda-Setting steckt Frank Schirrmacher sogar die millionenschwere Arbeitgeber-“Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” locker in die Tasche, aber das Ankochrezept bleibt stets dasselbe: Man produziert eigenhändig berichtenswerte “Ereignisse” (hier: einen unschuldig-weißen Sachbuch-Umschlag mit einer gesalzenen Propagandabroschüre drin) und lanciert dann die entsprechenden “In-Sorge-um-unser-Land”-Berichte darüber in den Medien. Tut man das nur ausdauernd genug, hat man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik auf ein Problem gelenkt, das womöglich gar nicht existiert, uns aber erfolgreich von den wirklichen ablenkt.

Eine Frage nämlich geht im Dröhnen der Agenda-Setter und im Widerhall der Medien fast völlig unter: Alle streiten eifrig darüber, wie die Geburtenrate zu steigern wäre und wer schuld daran ist, dass sie hartnäckig unten bleibt, aber höchst selten fragt jemand, ob das überhaupt für uns alle ein wünschenswertes Ziel ist – und nicht vielleicht nur für Leute, die an einem bleibenden Überangebot am Arbeitsmarkt und einem Verschweigen der wahren Probleme der Sozialstaats interessiert sind. Diese Frage wird bestenfalls noch in Medien gestellt, die vom Mainstream der Öffentlichkeit so weit entfernt sind wie Afghanistan vom Meer.[1]

In diesem kollektiven Aufmerksamkeitsdefizit von Ozonlochgröße inmitten der Epidemie dürfte der entscheidende Erfolg von Frank Schirrmacher & Friends liegen. Aber es gibt Hoffnung: Schädlich für die ungerechte Sache könnte es sein, wenn sein Buch ernstlich gelesen wird. Darin steht nämlich summa summarum: Die Legitimität des Sozialstaats haben wir ideologisch ja fast schon in den Abgrund getreten, schicken wir die Gleichberechtigung der Frauen doch gleich hinterher. Das aber scheint mir etwas übermütig. Denn die ansteckendste Idee der Neuzeit ist nun mal die von Gleichheit und Gerechtigkeit. In den anhaltenden Bemühungen der Agenda-Setter, uns das Aushungern des Staates als “Generationengerechtigkeit” zu verkaufen, erkennt man immerhin rhetorische Rücksichtnahme auf dieses lästige Hindernis. Solche Geschicklichkeit aber ist dem Streber nach dem Chefideologenposten der Rechten weitgehend fremd; mit erstaunlicher Unbefangenheit wirft er uns seine alten braunen Kamellen an den Kopf.


[«1] Zum Beispiel: Karl Otto Hondrich und Rabea Kretschmer-Hahn über den “Glücksfall Geburtenrückgang” in EMMA 6 / 2005 und Reinold E. Thiel “Was tun mit den Alten? Wir sind reich genug, das demografische Problem zu lösen” in ‘Welternährung’ 1 / 2006