Bekanntlich stirbt in kriegerischen Zeiten zuerst die Wahrheit, dann sterben Menschen. Im Atomzeitalter steht gar das Überleben der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel; ähnliche Gefahren gehen von drohenden ökologischen Kipp-Punkten aus. Sicherheit entspringt in einer solchen Welt aus Diplomatie, Abrüstung, Kooperation und aus dem Aufbau einer globalen Friedensarchitektur als Rahmen für den Aufbau einer überlebensfähigen Zivilisation. Doch das Gegenteil wird praktiziert. Von Bernhard Trautvetter.
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Die NATO wirft Russland Des-Information und Fake News als Mittel der psychologischen Kriegsführung vor, die Konrad-Adenauer-Stiftung spricht gar von Russlands Krieg gegen die Wahrheit. Die Wahrheit bleibt allerdings auch schon ohne direkte Kriegsbeteiligung auf der Strecke, wenn NATO-Staaten oder die NATO insgesamt die Eskalation ihrer Rüstungsausgaben mit dem Ukrainekrieg legitimieren, obwohl die NATO schon längst mehr als die Hälfte der Weltrüstungsausgaben zu verantworten hat. Mit ihrer sogenannten „Sicherheitspolitik“ untergraben die Militärs und ihre Lobby den Realitätssinn der Menschen und damit die Lebenstüchtigkeit ihrer Gemeinschaften.
Die grundlegende Desinformation der Propagandisten der Kriegstüchtigkeit ist die Dämonisierung Russlands und das Weißwaschen der NATO.
NATO-Staaten haben seit dem Ende des Kalten Krieges auf vier Kontinenten Krieg geführt, so in Guatemala, im Irak, in Libyen, auf dem Balkan, in Afghanistan und in weiteren Staaten. Doch nun benutzt die NATO die Ukraine, und sie warnt vor der von Russland ausgehenden Gefahr. Quer durch die Kommentar- und „Nachrichten“-Kanäle in den NATO-Staaten tönt es, so auch im Deutschlandfunk am 17.8.2025:
„Putin reagiert, das hat der Gipfel in Anchorage einmal mehr bewiesen, nur auf militärischen Druck. Erst wenn er zu der Einsicht kommt, dass er diesen Krieg verliert, wird er sich bewegen.“
Im Spiegel klang es ähnlich, als der polnische Schriftsteller Twardoch am 29.06.2025 die Behauptung aufstellte, „Russland versteht nur die Sprache der Gewalt.“ Er führt dazu aus, dass in der Ukraine ein Krieg tobt, „in dem die Russen Kriegsverbrechen begehen, so wie sie es immer (!) getan haben.“
Das Gedächtnis der Kriegs-Lobbyisten ist verdammt kurz. Im Zweiten Weltkrieg verlor die Sowjetunion während des faschistischen Feldzuges gegen sie, der nach dem Prinzip der verbrannten Erde im sogenannten „Unternehmen Barbarossa“ verlief, und im Abwehrkampf dagegen circa 27 Millionen Menschen; auch im Ersten Weltkrieg, der ebenfalls nicht von Russland ausging, verlor das Land weit über fünf Millionen Menschen.
Die Militärpropaganda des politischen Westens stellt die NATO als Sheriff dar, der die „regelbasierte Ordnung“ gegen Russland, den Iran und China verteidigt. Nun sind Staaten der NATO angetreten, die Sicherheit der Ukraine zu garantieren:
„Europäer arbeiten an Sicherheitsgarantien für Kiew – auch Einsatz von Schutztruppen wird beraten – Nach dem Ukraine-Gipfel im Weißen Haus sollen nun Details zu Sicherheitsgarantien für das Land ausgearbeitet werden.“
US-Außenminister Marco Rubio berät mögliche Sicherheitsgarantien mit den sogenannten sicherheitspolitischen Beratern der Europäer, womit Staaten der EU und der NATO gemeint sind. Das ‚Sicherheitskonzept‘ umfasst Fragen der Bewaffnung der Ukraine, ihrer Luftverteidigung, eine mögliche militärische Präsenz und ein sogenanntes Monitoring. Welche Staaten dabei welche und wieviele Soldaten in die Ukraine entsenden, soll in dem Konzept ebenfalls geklärt werden.
Die Sicherheit ist im Verständnis der NATO-Staaten und ihrer Partner die vor Russland. Friedenspolitik gibt es demzufolge nur gegen Russland. Denn, so die Friedrich-Ebert-Stiftung, mit „seinem Überfall auf die Ukraine hat Wladimir Putin endgültig die Friedensordnung aufgekündigt, die mit der Charta von Paris für ein neues Europa am Ende des »Kalten Krieges« begründet wurde“.
Diese Position zu teilen, setzt voraus, dass die Aussage ungeprüft übernommen wird. Die Charta von Paris beinhaltet allerdings die Anforderung an die Staaten, eine Friedensordnung aufzubauen, die die Sicherheitsinteressen eines jeden berücksichtigt: Der Text der Charta umfasst unter Punkt ›Sicherheit‹ die Aussage, es gehe darum, „gemeinsam mit neuen Ansätzen für Sicherheit und Zusammenarbeit innerhalb des KSZE-Prozesses“ zu kooperieren. Daran anschließend heißt es in der Charta:
„In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen.“
Daraus schließt die NATO, Russland habe doch zugestimmt, dass jeder Staat frei und souverän über eine eventuelle NATO-Mitgliedschaft entscheiden kann. Das ist insofern eine Manipulation, als die NATO-Lobby die drei Worte ‚in diesem Zusammenhang‘ ausblendet. Der Zusammenhang ist die Friedensordnung der gemeinsamen, weil gegenseitigen Sicherheit. Dagegen steht die NATO-Ostexpansion bis an die Grenze Russlands, da ihre teils atomare militärische Infrastruktur Russlands Sicherheit tangiert. Diese Verletzung der Charta von Paris hindert die Verantwortlichen auf Seiten der NATO nicht, Russland einseitig vorzuwerfen, es habe die Regeln der Charta von Paris verletzt.
Offensichtlich geht es ihnen hier um ihre hinter dem Begriff „Regeln“ verborgenen Interessen. Ähnlich geht die NATO mit dem Budapester Memorandum um, auf dessen Basis die Ukraine die auf ihrem Gebiet lagernden nuklearen Arsenale ins Nachbarland Russland überführte. Auch hier heißt es, Russland habe den Vertrag initial verletzt. Demgegenüber gilt, dass die 1994 in Budapest vereinbarte Sicherheitsordnung in partnerschaftlichen Beziehungen durch die NATO-Ost-Expansion unterminiert wurde. So ergibt sich, dass auch hier das Bild der einseitigen Regelverletzung Russlands einer Überprüfung nicht standhält.
Die Desinformation der NATO-Lobby wird auch an weiteren Texten deutlich. Neben der OSZE-Sicherheitscharta (1999), die das Konzept der gemeinsamen Sicherheit einfordert, sei hier der Vertrag hervorgehoben, auf dessen Grundlage Deutschland in seiner aktuellen Form existiert: Der 2+4-Vertrag der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und der zwei deutschen Staaten schreibt in der Präambel eine Friedensordnung vor, die die Sicherheit „eines jeden“ berücksichtigt. So sind die Worte des damaligen NATO-Generalsekretärs Manfred Wörner zu verstehen:
„Allein die Tatsache, dass wir bereit sind, NATO-Truppen nicht östlich der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren, ist an sich eine feste Sicherheitsgarantie für die Sowjetunion.“
Diese Worte des NATO-Generalsekretärs während der Verhandlungen über die Vereinigung der beiden deutschen Staaten kennzeichnen einen entscheidenden Grund für die Sowjetunion, warum sie diesen Vertrag unterzeichnet hat, und warum in der Folge die Rote Armee aus dem Gebiet der DDR abzog. Die NATO hat mit ihrem Bruch der Versprechungen und des Rechts die Regeln, die sie mit der Militärmacht im Osten Europas vereinbart hat, gebrochen und stellt das in Abrede.
Es stellt keine Legitimation der Invasion Russlands in die Ukraine dar, wenn hier der von der NATO bewusst eingegangene Aufbau der Spannungen im Vorfeld als solcher gekennzeichnet wird. Ein Krieg ist immer ein Verbrechen.
Der letzte US-Botschafter in der Sowjetunion, Jack Matlock, ist neben George F. Kenan, William Burns, Kissinger und anderen Spitzenkräften der US-Politik ein Zeuge dafür, welche unverantwortliche, weil Recht brechende Politik die NATO im Vorfeld des Krieges betrieb; Jack Matlock führte am 9.9.2014 aus:
„Als wir den Kalten Krieg beendet und politisch dabei geholfen haben, Osteuropa zu befreien, war klar, dass wir Russland für ein freies und vereintes Europa einbeziehen müssen. Wir wussten auch, wenn man ein Instrument des Kalten Krieges – die NATO – in dem Moment vorbewegt, wo die Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. Und genau das ist jetzt geschehen. Wenn wir Frieden wollen, dann sollten Russland, die Ukraine und die Länder Ost- und Westeuropas in einer einzigen Sicherheitsgemeinschaft sein.“
Aus alldem ergibt sich: Die NATO-Propaganda und die Hoch-, Atom- und globale Rüstung erweist sich als für das Überleben brandgefährlich. Die NATO-Politik untergräbt, wie wir mehrfach gesehen haben, die Sicherheit, die zu schützen sie vorgibt.
Und als Erstes stirbt in diesem Szenario am Rande des Abgrunds die Wahrheit.
Was die Menschen nicht nur Europas brauchen, das sind Staaten, die sich ohne Abstriche an die UNO-Charta halten. Das höchste Gebot ist in diesem Regelwerk das Friedensgebot.
Titelbild: Michele Ursi / Shutterstock