Bazooka mit eingebauter Ladehemmung

Jens Berger
Ein Artikel von:

Die EZB nennt es „OMT“, die Medien „Bazooka“ – doch was EZB-Chef Mario Draghi gestern der Öffentlichkeit als geldpolitische Maßnahme zur Eindämmung der Eurokrise präsentierte, ist bestenfalls eine Spritzpistole. Auch wenn der mittlerweile komplett isolierte Bundesbank-Chef Jens Weidmann öffentlichkeitswirksam als einziger Vertreter des EZB-Rates gegen das OMT-Programm stimmte, trägt dieses doch deutlich seine Handschrift. Umso mehr erstaunt der Katzenjammer der weidmanntreuen konservativen Leitartikler. Was übrigbleibt, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, der jedoch nicht ausreichen wird, um die Eurozone wieder in ruhige Gewässer zu manövrieren. Von Jens Berger

Das OMT-Programm [PDF – 45 KB] [1] ist mit Sicherheit nicht das „letzte Mittel“ der EZB, wie Stefan Kaiser von SPIEGEL Online unkt. Mit dem OMT-Programm hat die EZB lediglich angekündigt, künftig auf den Finanzmärkten zu intervenieren, wenn die Anleihen bestimmter Eurostaaten zu Preisen gehandelt werden, die auf ein Marktversagen schließen lassen und damit die Refinanzierung dieser Staaten gefährden. Ein solches Programm hatte die EZB unter ihrem Präsidenten Jean Claude Trichet in Form des SMP-Programms [PDF – 800 KB] [2] bereits vor zwei Jahren schon einmal aufgelegt. Draghis OMT-Programm ist jedoch an wesentlich strengere Bedingungen geknüpft und fällt somit in puncto „Feuerkraft“ weit hinter das alte Programm zurück.

Wie bereits beim SMP-Programm ist es der EZB auch beim OMT-Programm nur gestattet, Anleihen am Finanzmarkt, also am Sekundärmarkt, zu kaufen. Die EZB darf somit auch künftig die Staaten nicht direkt finanzieren, ihnen also keine Anleihen abkaufen. Sie darf jedoch privaten Investoren, also vor allem Banken, die entsprechenden Papiere abkaufen, wenn der Marktwert unter ein bestimmtes, nicht offen kommuniziertes, Preisniveau fällt. Dabei hat die EZB keine Limits, sie dürfte also rein theoretisch unbegrenzt von diesem Instrument Gebrauch machen – wobei „unbegrenzt“ hier nicht wörtlich gemeint ist, da die Anzahl der bereits ausgegebenen Anleihen der betreffenden Eurostaaten natürlich begrenzt ist. Der große Unterschied zwischen Trichets SMP und Draghis OMT ist, dass die EZB unter dem SMP-Programm Anleihen von allen Eurostaaten erwerben durfte und unter dem OMT-Programm ausschließlich Anleihen von Staaten kaufen darf, die unter einen der beiden „Euro-Rettungsschirme“ EFSF bzw. ESM geschlüpft sind. Das heißt, die EZB darf momentan weder spanische noch italienische Anleihen über OMT kaufen.

Diese Konditionalität, die direkt aus der Feder der Bundesbank zu stammen scheint, ist die eigentliche Schwachstelle des Programms. Staaten, deren Anleihen von den Banken – meist irrational – an den Finanzmärkten abgestraft werden, können erst dann auf Schützenhilfe durch die EZB hoffen, wenn sie den Gang nach Canossa antreten und mit den involvierten Gremien (Europäische Kommission, EZB und u.U. auch IWF) ein rechtlich bindendes „Reformprogramm“ abstimmen. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass diese „Reformprogramme“ stets im Sinne von Naomi Kleins „Schock-Strategie“ verlaufen und eine Mischung aus Austeritätspolitik und verschiedenen neoliberalen Gesetzen, wie beispielsweise die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, beinhalten. Vergangenheit und Gegenwart haben uns ebenfalls gelehrt, dass ein Staat sich durch diese „Reformprogramme“ nicht sanieren kann, sondern die prozyklische Wirtschafts- und Finanzpolitik die realwirtschaftliche Krise sogar verstärkt. Bevor ein Staat auf die Hilfe der EZB hoffen kann, muss er also seine wirtschafts- und finanzpolitische Souveränität an ein Gremium abgeben, dass dafür bekannt ist, eine Politik durchzudrücken, die dessen langfristige wirtschaftliche Perspektive untergräbt und zudem ganz und gar nicht im Sinne der Allgemeinheit ist.

Italien und Spanien werden daher auch so lange wie möglich zögern, bevor sie das – im wahrsten Sinne des Wortes – vergiftete Hilfsangebot aus Frankfurt annehmen. Für Staaten, die in der Vergangenheit unter die „Rettungsschirme“ gedrängt wurden und bereits heute unter dieser Politik leiden, verspricht das OMT-Programm jedoch eine echte Hilfe. So gaben beispielsweise die Risikoaufschläge für portugiesische Anleihen nach der Vorstellung des OMT-Programms deutlich nach – die zweijährigen Anleihen notieren heute bei 4,61%. Auch wenn das OMT-Programm aufgrund seiner Konditionalität weder Italien noch Spanien direkt hilft, so stellt es doch zumindest eine große Hilfe für Staaten wie Portugal und Irland dar, sich in absehbarer Zeit wieder an den Finanzmärkten refinanzieren zu können. Dies sollte eigentlich die konservativen Politiker und Kommentatoren, die jeden Cent, mit dem Deutschland im Rahmen von EFSF und ESM mehr bürgen muss, kritisieren, zufriedenstellen. Doch weit gefehlt, die Kommentare der bürgerlichen Presse übertreffen sich in ihrem schrillen Zeter und Mordio stattdessen gegenseitig.

In der WELT wird der „Tod der Bundesbank“ verkündet und durch die Stimme eines Goldhändlers den Lesern mitgeteilt, dass der Euro „nun zu einer Art italienischen Lira gemacht [würde]“, Nikolaus Blome spricht in der BILD von einem „Blanko-Scheck für Schulden-Staaten“, fragt rhetorisch, ob „Draghi damit den Euro kaputt [macht]“, prophezeit Inflation und verunsichert ihre Leser, indem sie steif und fest behauptet, Deutschland trage 27% des Risikos der EZB-Interventionen. Marc Beise schreibt in der Süddeutschen, die EZB würde „Missmanagement belohnen“ und am Ende drohten uns „Blasen, Krisen, Inflation“. Etwas subtiler geht da die FAZ zu Werke, die sich darum sorgt, dass nun in Italien die „oft versprochene Lockerung des Kündigungsschutzes“ ausbleibt und sich die „Regierungschefs aus dem Süden [freuen dürfen]“, da sie sich nicht mehr „um Investoren [zu kümmern brauchen]“.

Gegenargumente:

Da fragt man sich, ob die Herren Journalisten überhaupt gelesen und verstanden haben, was die EZB plant. Statt den Leser aufzuklären, wird er lieber generalstabsmäßig verdummt und – was noch schlimmer ist – verängstigt. Wer nur diese Artikel liest, kommt natürlich auch zu den falschen Schlüssen und glaubt, dass die EZB den „Südländern“ direkt Kredit gibt, dass dieser Kredit ohne Bedingungen erteilt wird und schlussendlich die Druckerpresse auf Kosten des braven Michels angeschmissen wird, um zusätzliche Milliarden in den Süden zu pumpen. All dies entspricht jedoch einfach nicht den Tatsachen. Die große Schwäche des OMT-Programms ist nicht dessen zu großer Freiraum für die EZB, sondern dessen destruktive Bedingungen für potentielle Hilfesuchende. Das konservative Deutschland scheint sich mehr und mehr in eine Parallelwelt zu flüchten und die reale Welt nur noch sehr selektiv wahrzunehmen. Dies ist kein gutes Zeichen – weder für Deutschland noch für Europa.


[«1] OMT steht für Outright Monetary Transactions, also „endgültige geldpolitische Käufe bzw. Verkäufe“, die offizielle Übersetzung lautet „geldpolitische Outright-Geschäfte“

[«2] SMP steht für Securities Markets Programme, also „Programm für die Wertpapiermärkte“

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