Die Aushebelung von Grundrechten durch die Übertragung staatlicher Leistungen auf Private im Rahmen der PPP

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In zwei Rechtsgutachten im Auftrag des Innenministeriums, welche die Bundesregierung den Verwaltungen als Orientierungshilfe für Vorhaben der Public Private Partnership anbietet, wird begründet, wie sich der nach dem Grundgesetz zum Schutz der Grundrechte verpflichtete Staat dadurch, dass er die bisher von ihm erbrachte Leistung an private Leistungserbringer überträgt, dieser „Grundrechtswirkung“ (weitgehend) entledigen kann. Die Rechtsposition des jeweiligen Leistungsempfängers richte sich bei einer Privatisierung bisher staatlicher Leistungen nicht mehr auf die Abwehr von (staatlichen) Eingriffen (die nur im Rahmen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts statthaft sind) oder auf Gewährung von (staatlichen) Leistungen, sie wirke also nicht mehr absolut, sondern nur noch wie bei privatrechtlichen Schuldverhältnissen „relativ“ zwischen den (privaten) Vertragspartnern. Im Rahmen dieser privaten Vertragsfreiheit herrscht dann die Freiheit des Fuchses im freien Hühnerstall.
Ein Beitrag von unserem Leser Ulrich Fischbach.

Die „Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung“ des Bundesministeriums des Inneren bietet u.a. Verwaltungsbehörden im Rahmen der Förderung der Public Private Partnership Orientierungshilfe in Form zweier Gutachten an. Der Pfad zu diesen Gutachten lautet: Wirtschaftlichkeit und Recht – Public Private Partnership – Dokumentenliste.

Zwei Zitate aus dem Gutachten, die wiederum aus der Habilitationsschrift des Prof. Kämmerers stammen, zeigen, wie weit bereits 1999 die juristische Denkschmiede der Befürworter des PPP war und in welchem besorgniserregenden Grad die Grundrechte in ihrer Substanz (auf der juristischen Ebene) ausgehebelt werden können und wohl auch sollen:
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„Der Schutz der Grundrechte ist dem Staat unabhängig von den Rechtsbeziehungen der Akteure als Aufgabe zugewiesen; die Grundrechtswirkung ändert sich jedoch in dem Maße, in dem der Staat von der Selbstvornahme bestimmter Handlungen zur Kontrolle der Fremdvornahme gleichartiger Handlungen übergeht. Tätigkeiten, die vor der Privatisierung durch den Staat vorgenommen worden sind, werden danach – auch oder ausschließlich – von Privaten ausgeübt, die als Grundrechtsträger anderen Grundrechtsträgern gegenüberstehen.
*Die zweipolige Grundrechtsbeziehung Staat-Bürger wandelt sich zu jener dreipoligen*, die den Staat, den privaten Leistungserbringer (Privatisierungsadressat) und den privaten Leistungsempfänger umschließt. Hinsichtlich solcher der Privatisierung unterliegender Tätigkeiten tritt der Staat (soweit die Privatisierung reicht) nur mehr als Garant der Grundrechte auf: Er hat mit dem Ziel des Grundrechtsschutzes auf die Rechtsbeziehungen Private einzuwirken.“ (S. 114f, Schuppert)

„*Privatisierung wandelt Grundrechte *überall dort *zu Schutzpflichten*, wo dem Staat durch einen dazwischentretenden Dritten der unmittelbare Zugriff auf Grundrechtspositionen verwehrt ist. Der Leistungsempfänger behält zwar seine aus dem Grundrecht fließende subjektive Rechtsposition, doch ist sie nicht auf Abwehr von Eingriffen (die nur im Rahmen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts statthaft sind) oder auf Gewährung von Leistungen gerichtet, wirkt also nicht mehr absolut. Sie wird relativiert durch die nunmehr ‚kollidierenden‘ Rechte des Privatisierungsbegünstigten, des ‚Providers‘ im Hinblick auf die Leistung. Die Rolle des Staates als Grundrechtsadressaten besteht nicht länger darin, sich Eingriffen zu enthalten oder Leistungen nach Maßgabe der Grundrechte zu verteilen, sondern darin, *für einen fairen* *Ausgleich der ‚kollidierenden‘ Grundrechtspositionen des leistenden und des empfangenden Privaten zu sorgen*.“(S. 116, Schuppert)

Was so in sich schlüssig und plausibel daher kommt, ist in Wirklichkeit haarsträubend. Kämmerer übernimmt unausgesprochen die Relativität der vertraglichen Schuldverhältnisse aus dem Zivilrecht und überträgt sie auf Grundrechte. Die Forderung eines Gläubigers gegenüber dem Schuldner aus dem Vertrag ist ein “relatives Recht”. Die von Kämmerer gebrauchte Bezeichnung “Grundrechtswirkung” reduziert sich somit auf ein relatives Recht zwischen den Vertragsparteien. Jede Vertragspartei ist jedoch ein Grundrechtsträger, der im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Vertragsfreiheit Verträge mit bestimmten Klauseln abschließen kann. Nur wer bestimmt die Klauseln? Professor Wesel der FU Berlin pflegte im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit schmunzelnd das Bild “Der freie Fuchs im freien Hühnerstall” zu gebrauchen. Die 80jährige Rentnerin verhandelt über ihre “Grundrechtswirkung” mit der Allianz AG? Und sollte ihre Grundrechtsposition mit der der Allianz AG kollidieren, wird der Staat ihr beistehen?

p.s.:
Prof. Schuppert ist außerordentlicher Professor an der Hertie School of Governance und Professor für neue Formen von Governance am Wissenschaftszentrum Berlin. Trägerin der Hertie School ist die Gemeinnützige Hertie Stiftung. Im Kuratorium sitzen Dr. h.c. Wolfgang Clement, Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Dr. Michael Endres, ehemal. Vorstand der Deutschen Bank AG. Im Aufsichtsrat sitzen: Endres, Biedenkopf, Wunderlin (ehem. Vorsitzender Harald Quandt-Holding GmbH).

Prof. Schuppert, dessen Gutachten 134 Seiten umfasst, zitiert u.a. aus der Habilitationsschrift des Prof. Kämmerer (Jörn Axel Kämmerer, Privatisierung. Typologie – Determinanten Rechtspraxis – Folgen, Manuskript 1999).
Prof. Dr. Jörn Axel Kämmerer hat einen Lehrstuhl für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School, der ersten privaten Hochschule für Rechtswissenschaft in Deutschland, inne. Unter dem Link Freunde & Förderer finden sich säuberlich aufgegliedert in Partner (z. B. Deutsche Bank AG), Donatoren (z. B. Allen & Overy ), Förderer (z. B. BASF Aktiengesellschaft ) und Freunde (z. B. Alte Leipziger Versicherung a. G. ) diverse juristische und natürliche Personen. Am Ende dieser Liste erfahren Sie, wie man welchen Status erhält:

Partner ab 100.000 € p. a.
Donatoren ab 40.000 € p. a.
Förderer ab 10.000 € p. a.
Freunde ab 1.000 € p. a.

Anmerkung WL: Ein weiteres Beispiel dafür wie an diesen privaten Hochschulen „Wissenschaft“ im Interesse ihrer privaten Geldgeber betrieben wird.