Rezension von: Patrick Bahners, Die Panikmacher

Jens Berger
Ein Artikel von:

Kaum war der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Amt, erklärte er, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Damit stieß er erwartungsgemäß auf Kritik seitens der Islamverbände und von Vertretern der Opposition, aber auch aus dem eigenen Regierungslager kam Widerspruch: „Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, betonte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Warum hat Friedrich ohne Not die in der Bundesrepublik lebenden Muslime – mehr als drei Millionen Menschen – vor den Kopf gestoßen? Hat er sich wirklich nur im Ton vergriffen, wie die „Frankfurter Rundschau“ vermutet? Von Mark Krieger

Dass ein langjähriger Berufspolitiker wie Friedrich sich über die Wirkung seiner Worte in der Öffentlichkeit nicht im Klaren gewesen sein soll, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, dass er bewusst die grassierenden Ängste und Vorurteile gegenüber dem Islam angesprochen hat. Man muss nicht die einschlägigen Internetseiten der Islamhasser besuchen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie tief das Misstrauen ist, das Muslimen hierzulande entgegen schlägt. Auf der Website des BMI können Bürger/innen Fragen an den Minister zum Thema Integration stellen. Dort fragt zum Beispiel „Wolfgang“: „Im Koran wird zum Mord aufgerufen. … Gehört der Islam und der Koran nicht verboten?“

Wer weiterliest, der staunt nicht schlecht, was die Bürger so alles über den Islam wissen. „Ist es richtig, dass viele Muslime deutsche Transferleistungen als selbstverständliche Abgabe der Ungläubigen ansehen (dschytzia)?“, fragen „Ken und Marco“. Dazu muss man wissen, dass die jyzia die Kopfsteuer war, welche die nicht-muslimischen Minderheiten unter islamischer Herrschaft zu entrichten hatten, als Zeichen ihrer Unterordnung. Seit es auch in der islamischen Welt Nationalstaaten gibt, ist diese Form der diskriminierenden Besteuerung obsolet. Diese vormoderne Praxis mit Transferzahlungen in einem modernen Sozialstaat in einen Zusammenhang zu bringen, verrät eine völlige Unkenntnis der historischen Tatsachen. Wie kommt so etwas in deutsche Köpfe?

Patrick Bahners hat jetzt die so genannte Islamdebatte kritisch analysiert. Der Leiter des FAZ-Feuilletons nimmt die öffentliche Erregung um die Aussage von Bundespräsident Wulff vom 3. Oktober 2010, „der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, zum Anlass, um nach den Motiven der Islamkritiker zu fragen. Man erinnert sich: Dieser Satz Wulffs, laut Bahners „von einer Harmlosigkeit, die das Nichtssagende streifte“, löste eine Diskussion aus, in der dem Bundespräsidenten u.a. von der BILD-Zeitung vorgeworfen wurde, er hofiere den Islam. Dagegen konnten sich Stimmen, die darauf hinwiesen, dass Wulff doch nur das Offensichtliche ausspreche, kaum Gehör verschaffen.

Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Art und Weise, wie der Islam, genauer ausgedrückt: wie Menschen muslimischen Glaubens in den deutschen Massenmedien dargestellt werden. „Fundamentalismus“, „Integrationsverweigerer“, „Terrorismus“ – mit diesen (Kampf-) Begriffen wird Meinung gemacht. Dass die große Mehrheit der Muslime sich längst der deutschen Gesellschaft angepasst hat und hier friedlich leben will, wie Bahners zu Recht hervorhebt, geht dabei unter. Wie die Stimmungsmache funktioniert, zeigt Bahners u.a. am Beispiel einer „Studie“ des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter Leitung von Professor Christian Pfeiffer. Mit der Behauptung, junge Muslime, die sich selbst als religiös bezeichneten, wiesen eine erhöhte Gewaltbereitschaft auf, hatte Pfeiffer für mächtigen Wind im Blätterwald gesorgt. Als dann Internetblogger und einige kritische Journalisten der Untersuchung methodische Mängel und Widersprüche nachwiesen, wurde darüber kaum berichtet. Die Botschaft, die bei Otto Normalzeitungsleser hängen blieb, war: Der Islam ist eine gewalttätige Religion.

Muslime unter Generalverdacht

Ein besonders perfider Aspekt der Islamdebatte ist die Unterstellung, man könne den Muslimen nicht trauen. Um diese Behauptung zu begründen, greifen Islamkritiker auf den Taqiya-Begriff zurück. Dabei handelt es sich um einen Fachausdruck der islamischen Rechtslehre, demzufolge es Muslimen in Situationen höchster Not erlaubt ist, ihren Glauben äußerlich zu verleugnen. Wohlgemerkt, in höchster Not. Aus diesem Spezialbegriff der islamischen Sakraljurisprudenz wird nun ein Generalverdacht abgeleitet: Der Muslim, der sich zum Grundgesetz und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, meint es nicht ernst. Innerlich ist und bleibt er ein Feind dieser Ordnung und ist als solcher zu bekämpfen.

„Die Zerstörung der Alltagsvernunft“ nennt Bahners dieses paranoide Denken. Der türkische Änderungsschneider betreibt sein Geschäft nur zur Tarnung, in Wahrheit verfolgt er das Ziel der Islamisierung Deutschlands. Prominente Islamkritiker wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali oder Ralph Giordano werfen den „Gutmenschen“, die in Integrationsdefiziten muslimischer Zuwanderer in erster Linie ein soziales und wirtschaftliches Problem sehen, Naivität und Defätismus vor. In ihrer Sicht ist der Islam selbst das Problem. In letzter Konsequenz müssten die Muslime ihren Glauben aufgeben, wenn sie in den säkularen Gesellschaften des Westens leben wollten. Am Ende stünde, so Bahners, „ein Spiritualismus der reinen Innerlichkeit“, Kopfgeburt eines fanatischen Rationalismus.

Gegen diese „Logik des Partisanenkampfes“ hält Bahners nüchtern die Aushandlungsprozesse der pluralistischen Gesellschaft und den Kompromisscharakter demokratischer Politik. In der Tradition des angelsächsischen Pragmatismus plädiert er dafür, in strittigen Fragen dem Einzelfall gerecht zu werden, wie etwa in der Debatte um die Kopftuch tragende Lehrerin – welche in typisch deutscher Manier weltanschaulich aufgeladen worden sei. Insoweit ist dem Autor durchaus zu folgen.

Allerdings bleiben bei Bahners die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weitgehend ausgeblendet, unter denen das Phänomen der Islamkritik – besser sollte man von Islamfeindlichkeit sprechen – gedeiht. Es wäre zu fragen, inwieweit die neoliberale Zersetzung des Sozialstaats und die Aufspaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer dazu beitragen, dass Muslime zunehmend stigmatisiert werden. Bahners streift diesen Punkt an einer Stelle, wo er bemerkt, dass die Spielart der Islamkritik à la Sarrazin & Co bei den von sozialen Abstiegsängsten geplagten bürgerlichen Schichten besonders dankbare Abnehmer findet. Auch das unheilige Zusammenspiel von so genannten Experten und den Mainstream-Medien – den Leser/innen der NachDenkSeiten zur Genüge bekannt – findet nur am Rande Erwähnung.
Trotz dieser Einschränkungen bleibt festzuhalten, dass Patrick Bahners ein aufklärerisches Buch geschrieben hat. Wer rationale Argumente der unreflektierten Panikmacherei vorzieht, sollte es lesen.

Patrick Bahners, Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift, C.H. Beck, München 2011, 320 Seiten, ISBN 978-3-406-61645-7, 19,95 Euro.

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