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Ökonomie

Statistisches Bundesamt: Arbeitskostenvergleich und die Mär von den zu hohen Lohnebenkosten in Deutschland.

Nach dem IW und dem IMK legt nun auch das Statistische Bundesamt einen Arbeitskostenvergleich [PDF – 846 KB] vor. Wir haben zwar schon mehrfach dargelegt, dass für einen Vergleich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Lohnstückkosten viel aussagekräftiger sind, aber immerhin widersprechen die Daten der Wiesbadener Statistiker, sowohl der Legende dass die deutschen Arbeitskosten im internationalen Vergleich zu hoch seien und sie widerlegen auch die Mär von den zu hohen Lohnnebenkosten. Darüber hinaus darf man auch mal fragen, woraus demn die Arbeitgeberpflichtbeiträge alternativ bezahlt werden sollten, wenn nicht dann ausschließlich aus den Löhnen der Arbeitnehmer.

Christoph Butterwegge: Wer über den Reichtum nicht reden will, kann auch keine Lösungsangebote zur steigenden Kinderarmut machen

Laut Kinderschutzbund ist die Zahl armer Kinder seit 2004 um hundert Prozent gestiegen. Insgesamt 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre leben heute auf Sozialhilfeniveau. In Berlin liegt die Quote der in Armut lebenden Kinder bei 37 Prozent. Auch die Bundeskanzlerin konnte sich auf dem Berliner Forum „Deutschland für Kinder“ diesem gesellschaftspolitischen Skandal nicht mehr entziehen. Zu mehr als dem üblichen Statement: „alle Familienförderungsinstrumente auf den Prüfstand stellen“, mochte sich Angela Merkel aber nicht durchringen.
Kinderarmut könne nur durch eine integrale Beschäftigungs-, Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik, die Maßnahmen zur Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen einschließt, beseitigt werden, meint Butterwegge in einem Vortrag, den wir in unserer Rubrik „Andere interessante Beiträge“ dokumentieren.

William Baumol: Die Irrtümer der (Mainstream-)Ökonomen

Der inzwischen über 80jährige Princeton-Professor William J. Baumol, als Wettbewerbs- und Innovationsforscher ein weltbekannter Ökonom und mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen, hat radikal mit einigen Irrtümern seiner neoliberalen (Mainstram-)Kollegen in der Ökonomenzunft abgerechnet. (Siehe William J. Baumol: “Errors in economics and their consequences“ , in Social Research Vol. 72 (2005) No. 1, pp. 1-26) Ein Leser der NachDenkSeiten hat die wesentlichen Aussagen zusammengefasst und übersetzt.

Neoliberale und einige so genannte Linke sind sich einig in der Abwertung keynesianischer Methoden

Christian Girschner nennt seine Kritik eine Kritik von ‚links’ und weist daraufhin, dass Hirsch ähnlich indifferent wie der in den NachDenkSeiten am 23.8. kritisierte Robert Kurz argumentiere.
Ich habe bei der Lektüre des im folgenden wiedergegebenen Textes von Girschner gleich auf der zweiten Seite viel gelernt. Immer wieder werde ich nämlich mit der These konfrontiert, keynesianische Methoden hätten nur zwischen 1967 und 1974 funktioniert. Nach 1975, so hatte der verstorbene Peter Glotz in einer Besprechung von „Die Reformlüge“ ergänzend behauptet, habe es kein Wachstum mehr gegeben. Dass diese fast schon exotischen Behauptungen immer gleich lautend des Wegs kommen, war rätselhaft. Ich fand aber die Quelle dieser Gleichrichtung nicht. Jetzt kenne ich sie. Vielen Dank dem Autor.

Joachim Jahnke: „Armes“ Deutschland, „glücklicheres“ Frankreich

Am 25. August 2006 hat auch das statistische Amt Frankreichs INSEE die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des 2. Quartals veröffentlicht. Der Vergleich ist für Deutschland besonders interessant und zeigt, dass Frankreich wirtschaftlich, aber vor allem sozialpolitisch, auf einem besseren Weg ist. Der Index des dort „salaire mensuel de base” genannten Arbeitseinkommens stieg mit einem realen Plus von fast 1 % (D = minus 3,2 %) gegenüber Vorjahresperiode und schob damit den Konsum privater Haushalte mit 3,1 % Plus (D = minus 0,2 %) vor sich her. Auch die für die Zukunft des Landes und den Arbeitsmarkt entscheidenden Bruttoanlageninvestitionen entwickelten sich mit einem fetten Plus von 4,1 mehr als doppelt so stark (D = 2,0 %), was zu einer besseren Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts insgesamt beitrug. Schließlich ist das Land wesentlich weniger von der sich derzeit eintrübenden weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig als Deutschland. Während im wiedervereinigten Deutschland die Einkommensunterschiede noch nie so groß waren wie heute, öffnet sich in Frankreich die Schere zwischen den Unternehmenseinkommen und denen aus Arbeit nicht.

Mittelmaß regiert uns, eine geistig beschränkte Ideologie beherrscht die öffentliche Debatte.

Wir haben einen Finanzminister, der offenbar keine Ahnung von gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen und obendrein Wahrnehmungsstörungen hat. Er könnte nämlich den Deutschen nicht empfehlen zu sparen, noch dazu beim Urlaub, wenn er begriffen hätte, dass das Hauptproblem unserer Volkswirtschaft die schwache Binnenkonjunktur ist.
Wir haben eine Bundesregierung, die den minimalen Aufschwung dieses Jahres mit einer dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung zu erdrosseln droht.
Wir haben eine Führungselite, die Studien braucht, um zu erkennen, dass Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit seelisch krankmachen. An diesem Beispiel kann man gut erkennen, wie eng der Horizont der herrschenden Ideologie ist.

Die Defizite von Eliten in der Privatwirtschaft

Wir haben sehr aufmerksame Nutzer. Einer, Günter Baigger, schrieb in diesen Tagen eine Mail über die mangelnde Effizienz der Privatwirtschaft, über die Vorherrschaft betriebswirtschaftlichen Denkens und die Geringschätzung der Naturwissenschaften, etc. Ein Fazit:

Meine negativen Befürchtungen über die Zukunft betreffen deshalb nicht mehr nur den Staat, sondern auch und noch mehr die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes. Ich sehe keinen Grund, warum unser Kapitalismus nicht auf die gleiche Weise scheitern kann wie die kommunistische Sowjetunion. Wichtigtuerische und bornierte Funktionäre, welche hier Manager heißen, Misswirtschaft, Bürokratie, Korruption, gefälschte Statistiken, all das haben wir auch in unserer Privatwirtschaft. Das kann dereinst wirklich Konkurrenznachteile gegenüber asiatischen Ländern auslösen.

Stärkstes Wirtschaftswachstum seit fünf Jahren. Ist wirklich ein tragfähiger Aufschwung in Sicht?

Geradezu Begeisterung löste in den elektronischen Medien die heutigen Wachstumszahlen des Statistische Bundesamt aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um 0,9 Prozent (Vorquartal 0,7 Prozent) stieg und das Wachstum kalenderbereinigt gegenüber dem Vorjahresquartal bei 2,4 Prozent lag. Dass Schweden im gleichen Zeitraum 5% und Deutschland beim Wachstum vor Japan und Italien immer noch an drittletzter Stelle liegt, wird natürlich nicht erwähnt. Völlig unter den Tisch fällt die negative Entwicklung der Einkommen, die langfristig stagnierende Binnenkonjunktur, die anhaltende Massenarbeitslosigkeit bei weiter abnehmenden versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und die Tatsache, dass der Außenhandelsüberschuss wesentlich der verhaltenen Lohnentwicklung geschuldet ist. Joachim Jahnke spricht deshalb lieber von einem „Mehrwertsteuer-WM-Quartal“ und schaut auf die nüchternen Zahlen hinter den euphorischen Schlagzeilen.

Telekom, ein typisches Beispiel für eine Shareholder-Value- Unternehmensstrategie: Es geht nur noch um die Steigerung der Dividenden durch Stellenabbau. Die Zufriedenheit der Kunden ist irrelevant.

Die Telekom verlor allein in diesem Jahr eine Million Festnetzkunden. Die Telekom-Aktie stürzte ab. Um das „Vertrauen“ enttäuschter Aktionäre zurückzugewinnen, sollen Besitzer von T-Aktien künftig stärker von der Dividende profitieren. Deshalb denkt Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke über weitere Stellenstreichungen nach. An eine Verbesserung des Angebots und der Kundenbetreuung, um Kunden zurückzugewinnen denkt der Business-School-Absolvent offenbar nicht. Aber gerade am Service der Telekom verzweifeln ihre Kunden.

Christoph Butterwegge: Neoliberalismus und Standortnationalismus – eine Gefahr für die Demokratie

Die tiefe Sinnkrise des Sozialen besteht darin, dass es – quer durch die etablierten Parteien und fast alle gesellschaftlichen Lager – primär als Belastung der Volkswirtschaft und potenzielle Gefährdung ihrer Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten gesehen, aber nicht mehr als eigenständiger Faktor begriffen wird, der mit über die Demokratie, die Humanität und Lebensqualität einer Gesellschaft entscheidet. Das neoliberale Konzept verlangt, jeden Glauben an die autonome Gestaltungsmacht der Wirtschafts- und Sozialpolitik fahren zu lassen. Ökonomismus, Fatalismus und tiefe Resignation hinsichtlich einer Verbesserung des gesellschaftlichen Status quo gehören zu seinen zwangsläufigen Folgen.

Frankfurter Rundschau vom Unternehmenssteuersenkungswahn infiziert.

Im „Thema des Tages“ auf der Seite 2 behandelt die FR vom 8.8.06 die Unternehmenssteuerreform. Was den Lesern dort berichtet wird, könnte man auch in jeder Wirtschaftszeitung nachlesen. Wie selbstverständlich geht der Autor dieser Seite, Markus Sievers, davon aus, dass Steinbrücks Steuerreform im Grunde richtig sei und es eigentlich nur noch Streit über die Ausgestaltung der Senkung von Körperschafts-, Erbschafts-, Abgeltungs- oder über die Besteuerung von Personalgesellschaften gebe und dass nur noch die Höhe der Entlastung problematisch sei.
Die Schlagzeile lautet: „Unternehmer klagen weiter“. Ist in der Redaktion inzwischen vergessen worden, dass Jammern der Gruß der Kaufleute ist?

Jean-Paul Fitoussi: Warum in Europa auf eine makroökonomische, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik verzichtet wird

Fitoussi ist seit 1982 Professor am Institut Institut d’études politiques de Paris (IEP) und seit 1989 Präsident de l’Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE). Er ist Mitglied des Rates für ökonomische Analysen beim französischen Premierminister. Wir geben hier eine Zusammenfassung eines Aufsatzes vom April 2006 als ein Beispiel für die weitaus vielfältigere Diskussion auch innerhalb der etablierten französischen Wirtschaftswissenschaften wieder.
Gerhard Kilper hat den Aufsatz zusammengefasst und übertragen.