Buchkritik: Gnadenlose Abrechnung mit der deutschen Wirtschaftspolitik

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Von Achim Truger

Die Zahl kritischer Beiträge zur wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland wächst. Die Zweifel am Radikalreformdogma nehmen langsam aber sicher zu. Nun hat auch Heiner Flassbeck mit “50 einfache Dinge, die Sie über unsere Wirtschaft wissen sollten” ein eigenes Buch vorgelegt.

Heiner Flassbeck ist einer der profiliertesten und zugleich einer der angefeindetsten deutschen Ökonomen. Kein Wunder, schließlich ist der frühere Leiter der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin bekennender Keynesianer und gilt als äußerst streitbar. Zu allem Überfluss war er auch noch Oskar Lafontaines ökonomischer Berater. 1998 begleitete er diesen als Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium. Dort stritt er für makroökonomische Ideen, die die marktradikalen deutschen Ökonomen für äußerst gefährlich hielten. Nach Lafontaines überraschendem Rücktritt schied auch er aus dem Amt aus.

Seit 2000 ist Flassbeck Chef-Ökonom der UN-Handels- und Entwicklungsorganisation (Unctad) in Genf. In die deutsche wirtschaftspolitische Debatte hat er sich seither trotzdem immer wieder mit Vorträgen und Gastbeiträgen in Zeitungen eingemischt.

In seinem neuen Buch läuft der wortgewandte Ökonom zur Höchstform auf. In 50 knappen, gut verständlichen und sehr kurzweiligen Beiträgen, kaum einer ist länger als drei Druckseiten, rechnet Flassbeck gnadenlos ab: Mit der aktuellen deutschen Wirtschaftspolitik, der unsäglichen Reformdebatte und dem Mainstream der ökonomischen Wissenschaft.

Beißender Spott

Dabei geht es so ziemlich allen scheinbaren Gewissheiten des ökonomischen Zeitgeistes an den Kragen. Der These, Konjunkturpolitik sei out, widerspricht Flassbeck ebenso wie der Vorstellung, nur radikale Strukturreformen könnten Deutschland retten. Dabei folgt er einer glasklaren makroökonomischen Logik und nennt einprägsame Beispiele und Bilder. Die Protagonisten “moderner Wirtschaftspolitik” überschüttet er mit beißendem Spott.

Ausgesprochen gelungen ist die Art und Weise, wie er populäre ökonomische Vorurteile seziert und in einfachen, schnellen Schritten ad absurdum führt. Überraschend und damit spannungsfördernd ist der Trick, die Zusammenhänge zwischen scheinbar unverbundenen Dingen herauszuarbeiten – beispielsweise zwischen Klimaschutz und Flächentarifvertrag.

Aber es ist nicht alles kalte makroökonomische Analyse. Flassbeck blickt häufig genug über den rein ökonomischen Tellerrand. Die zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft und die von ihr ausgehenden Gefahren für die Demokratie beunruhigen ihn offenbar zutiefst.

Bei aller Begeisterung sind jedoch auch kritische Bemerkungen angebracht. Zunächst hätte man sich bei einem solchen Buchtitel eine systematischere Aufarbeitung der Materie gewünscht. Die Aneinanderreihung relativ unverbundener Einzelbeiträge mit recht häufigen Wiederholungen macht eine zusammenhängende Lektüre zuweilen etwas anstrengend. Wer konkrete Argumente für die Debatte sucht, wird zudem Tabellen und Grafiken vermissen.

Schließlich stellt sich die Frage nach der Überzeugungskraft von Flassbecks Argumentation bei skeptischen Lesern. Diese werden den zuweilen fast schon aggressiven Stil vermutlich eher als bedrohlich empfinden. Auch werden sie eine tiefer schürfende Auseinandersetzung mit den durchaus vorhandenen theoretischen Fundamenten des Mainstream sowie konkrete wirtschaftspolitische Alternativen vermissen. Flassbeck selbst ist sich dieser Schwächen bewusst und gesteht sie im Vorwort ein.

Flassbecks Werk gebührt zweifellos ein Platz unter den wichtigsten aktuellen Reformbüchern. Wer eine etwas ausführlichere oder systematischere Analyse sucht, ist wohl mit anderen Büchern, zum Beispiel von Peter Bofinger oder Albrecht Müller, besser beraten. Wer dagegen einer analytisch klaren und sprachlich brillanten Demütigung des ökonomischen Zeitgeistes beiwohnen möchte, der sollte Flassbecks Buch auf keinen Fall verpassen.