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Rezensionen

Rezension: Inside Steuerfahndung

Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt, dass in Deutschland jedes Jahr 30 Milliarden Euro Steuern in betrügerischer Absicht hinterzogen werden. Einem Heer von 86.000 Steuerberatern stehen gerade einmal 2.600 Steuerfahnder entgegen. Jeder dieser Steuerfahnder erwirtschaftet im Schnitt jedes Jahr eine Million Euro für den Fiskus. Wer nun denkt, dass die Steuerfahndung, die gleichzeitig Verbrechen bekämpft und dem Staat Milliardeneinahmen verschafft, politische Protektion genießen würde, der irrt. Im Gegenteil – wie die Hessische Steuerfahnder-Affäre zeigt, wendet sich der Staat manchmal sogar mit allen nur denkbaren Mitteln gegen erfolgreiche Staatsdiener, die der Macht zu nahe kommen. Frank Wehrheim war einer dieser Frankfurter Steuerfahnder, die der Macht zu nahe gekommen sind. Sein Buch „Inside Steuerfahndung“ ist zugleich ein anekdotenreicher und erschreckender Einblick in das weitgehend unbekannte Feld der Steuerfahndung sowie in die hessische Steuerfahnder-Affäre, es ist gleichzeitig auch eine Abrechnung mit der Politik. Von Jens Berger

Rezension: Norbert Blüm, Ehrliche Arbeit – Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier

Nein, Norbert Blüm ist nicht so eitel, dass er eine Biografie geschrieben hat, wie es gestandene oder weniger gestandene Politiker üblicherweise tun, er hat mit seinem Buch „Ehrliche Arbeit“ vielmehr ein biografisches Vermächtnis verfasst. Der 76-Jährige hat die Mühen und Widerstände des Schreibens eines dicken Buches überwunden und sich dabei selbst gefunden.
„Widerstände überwinden und sich selbst finden“, dass ist für Blüm auch der Kern der Definition von „ehrlicher Arbeit“. Und die neue soziale Frage ist für ihn die „Rehabilitation der ehrlichen Arbeit“. (315). Der Kapitalismus werde daran zugrunde gehen, dass er Arbeiter und ihre Arbeit nicht würdigt. (80) Wolfgang Lieb

Rezension: Wolfgang Hetzer, „Finanzmafia – Wie Banken und Banditen unsere Demokratie gefährden“

Wolfgang Hetzer, seit 2002 Leiter der Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel, geht in seinem neuen Buch der Frage nach, „ob die internationalen Finanzmärkte zum Tummelplatz einer besonderen Art der Organisierten Kriminalität geworden sind, die es in einem Milieu höchster krimineller Energie, exquisiter fachlicher Qualifikation und korruptiver Verflechtung geschafft hat, die Zusammenhänge zwischen Arbeit, Leistung und Erfolg als Grundlage einer bürgerlichen Gesellschaft und einer rechtsstaatlichen Kultur in einer jahrelangen hemmungslosen und selbstsüchtigen Bereicherungsorgie zu zerstören“. (S.12) Als Jurist und entsprechend seiner Profession als „Betrugsbekämpfer“ beschäftigt er sich vor allem auch mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der Finanzkrise. Wolfgang Lieb

Rezension von: Patrick Bahners, Die Panikmacher

Kaum war der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Amt, erklärte er, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Damit stieß er erwartungsgemäß auf Kritik seitens der Islamverbände und von Vertretern der Opposition, aber auch aus dem eigenen Regierungslager kam Widerspruch: „Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, betonte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Warum hat Friedrich ohne Not die in der Bundesrepublik lebenden Muslime – mehr als drei Millionen Menschen – vor den Kopf gestoßen? Hat er sich wirklich nur im Ton vergriffen, wie die „Frankfurter Rundschau“ vermutet? Von Mark Krieger

Rezension: Fritz J Raddatz: Tagebücher 1982-2001

Auf über 900 Seiten stellt Raddatz sich und sein Universum in einem Zeitrahmen von neunzehn Jahren vor: Seine Weggefährten, Mitstreiter, Berufskollegen, Freunde und Nicht-Freunde; seine Aktivitäten, Reisen, Aufenthalte; seine Recherchen, Publikationen; sein Schaffen. Dabei schälen sich bestimmte Muster heraus: immer wiederkehrende Erfahrungen, Verhaltensdispositionen und Situationen, die für sein Leben typisch zu sein scheinen. Auf diese Muster möchte ich mich beim Besprechen der Tagebücher konzentrieren. Von Petra Frerichs

Heiner Flassbeck zur aktuellen Eurokrise und zur Marktwirtschaft des 21. Jahrunderts

Für Heiner Flassbeck gibt es nur eine zielführende Lösung der Eurokrise: „Kurzfristig sind die Zinsdifferenzen durch eine gemeinsame, von allen EWU-Ländern getragene Euroanleihe zu beseitigen, und es muss verhindert werden, dass die angeschlagenen Defizitländer durch ein kontraproduktives Kaputtsparen der öffentlichen Haushalte in eine weitere Rezession abgleiten. Gleichzeitig muss den Finanzspekulanten das Handwerk gelegt werden.“ Und: „Will man den Euro – und mit ihm das ganze europäische Projekt – retten, gibt es mittel- und langfristig nur einen einzigen Ausweg: Die Wettbewerbsfähigkeit der Länder mit Auslandsschulden muss wiederhergestellt werden und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte müssen beseitigt werden. Das kann innerhalb der EWU nur durch eine Umkehr der Lohnstückkostenpfade erreicht werden: Deutschland braucht stärker steigende Lohnstückkosten als die EWU-Partner, die Südeuropäer dagegen unterdurchschnittliche.“ (S. 214f.) So lautet das Resümee in Flassbecks neuem Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“. Wolfgang Lieb

Pascal Beucker/Anja Krüger:»Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis«

Shocking News: In der Politik wird gelogen. Ungefähr das denkt man beim Titel des Buches von Pascal Beucker und Anja Krüger „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“, das vor einigen Wochen im Knaur-Verlag erschienen ist. Der Titel täuscht jedoch: Die AutorInnen befassen sich mit den großen Politikfeldern und analysieren die getroffenen Entscheidungen und politischen Ideologien an Hand der Interessenlage der handelnden Akteure. Eine Rezension von Klemens Himpele.

Rezension: Klaus Dörre/Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Universität

Eine interessante Studie legten die beiden Soziologen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vor. Sie untersuchten die Gretchenfrage, ob die „unternehmerische Hochschule“ tatsächlich unternehmerisch erfolgreich ist.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Das Konzept der unternehmerischen Universität „mag geeignet sein, das Personalmangement an den Hochschulen zu verbessern und die Ressourcenverteilung transparenter zu gestalten. Doch angesichts der chronischen Unterfinanzierung des Hochschulsystems und aufgrund nicht intendierter Effekte für kollektive Arbeitsprozesse, die Innovation überhaupt erst ermöglichen, kann eine allzu nahtlose Umsetzung des Leitbildes der unternehmerischen Universität alte Innovationsblockaden verstärken oder ganz neue erzeugen.“ (S. 137) Von Wolfgang Lieb

Was ist zu regeln, damit der den Märkten gesetzte Rahmen wieder stimmt? Zu Heiner Flassbeck’s neuem Buch

In den Reihen der Nationalökonomen tummeln sich heute fast nur noch schräge Vögel. Dieses Urteil ist hart, aber die Realität ist genau so hart. Wir haben es mit einer großen Zahl von gleichgerichteten Ökonomen voller Lücken und Vorurteilen zu tun. Nahezu alle aus der gleichen Schule. Das treibt den Nationalökonomen Heiner Flassbeck genauso um wie uns. Darüber schreibt er in seinem neuen Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“. Vor allem beschreibt er, was zu tun wäre, um die Rahmendaten wieder so zu setzen, dass die so genannte Marktwirtschaft einigermaßen zum Wohle aller und nicht nur einiger weniger funktioniert. Albrecht Müller.

Rezension: Ulrike Herrmann: Hurra, wir dürfen zahlen

Die schwarz-gelbe Bundesregierung war für die Mittelschicht ein absehbar schlechtes Geschäft – und trotzdem hat diese Schicht, die noch immer die weitaus meisten Wahlberechtigten stellt, die „Koalition der Mitte“ an die Macht gewählt. Wie ist das zu erklären?
Ulrike Herrmann macht in ihrem Buch „Hurra wir dürfen zahlen“ einen interessanten Versuch diesen „Selbstbetrug der Mittelschicht“ zu erklären. Wolfgang Lieb

Rezension zu: Götz Eisenberg „ …… damit mich kein Mensch mehr vergisst! Warum Amok und Gewalt kein Zufall sind.“

Über das Phänomen Amok ist immer noch wenig bekannt. Dabei häufen sich seit den 90er Jahren die Fälle von Amokläufen an Schulen und in anderen Bereichen der Gesellschaft. Warum verüben Menschen, die es mit sich und der Welt nicht länger aushalten, derartige Verzweiflungstaten, deren Spezifikum darin besteht, nicht nur sich selbst, sondern noch möglichst viele Andere mit ins Verderben zu reißen? Wir neigen dazu, derartige Gewaltexzesse als Wahnsinnstat eines Einzelnen abzutun, als etwas Unvorstellbares, Außergewöhnliches und letztlich Unerklärliches.
Der Gefängnispsychologe und Sozialwissenschaftler Götz Eisenberg weist uns darauf hin, dass Amokläufer und Gewalttäter keineswegs „Wesen von einem fremden Stern“ sind, sondern meist aus der sog. Mitte der Gesellschaft stammen. Von Joke Frerichs

Rezension: Mythen der Krise – Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden, und der Kampf um die Deutungshoheit der Ursachen ist in vollem Gang. Die Nachdenkseiten haben bereits oft auf verschiedene Legenden hingewiesen, die um das Thema Finanzkrise gesponnen werden. Der Kampf um die Deutungshoheit folgt einem klaren Kalkül: Wer soll die Kosten der Krise tragen? Aus diesem Anlass haben der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) und ATTAC Österreich das Buch „Mythen der Krise. Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash“ herausgegeben, das Katharina Muhr für die Nachdenkseiten rezensiert hat.

Rezension: Dieter Wellershoff: Der Himmel ist kein Ort

Wellershoff erweist sich in deren gradliniger Darstellung als ein Meister im Umgang mit ambivalenten Stimmungen und Gefühlen in einer Zeit, in der Gewissheiten einer sinnstiftenden Ordnung mehr und mehr verloren gehen. Ein lesenswerter, nachdenklich stimmender Roman, der Fragen aufwirft, die viele Menschen bewegen dürften. Wellershoff ist einer von ihnen. Von Joke Frerichs

Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert, München (Beck Verlag) 2008, 382 S.

Die Generation von Menschen, die man als „alte Kämpfer“ bezeichnen möchte, die gegen ein Zwangsregime wie die Franco-Diktatur aufbegehrten, gar eine KZ-Haft überlebten und darüber auch noch in literarischer Form geschrieben haben, stirbt aus. Umso verdienstvoller ist es, wenn die Historikerin und Journalistin Franziska Augstein mit einem der schillerndsten von ihnen, dem spanischen Autor Jorge Semprún, über mehrere Jahre hinweg Gespräche geführt und diese zu einem Buch gebündelt hat, das Zeitgeschichte und Biographie vereint. Von Petra Frerichs*