Kategorie:
Europäische Union

„David gegen Goliath“ – das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten soll den reichen Ländern neue Märkte eröffnen

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit laufen die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (AKP-Staaten) zu den Economic Partnership Agreements (EPAs). Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird mit wohlklingenden Begründungen wie etwa der “Beseitigung der Armut”, der „Förderung nachhaltiger Entwicklung“, der „Förderung der Menschenrechte“ und der „Förderung der Demokratie” propagiert. Ein Beitrag von Christine Wicht.

Christine Wicht: Die Europäische Union, von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer Militärunion

Der EU-Verfassungsvertrag (im folgenden EVV) ist Geschichte. Doch die inhaltliche Substanz des EVV soll erhalten bleiben. Zu diesem Zweck hat der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 21. und 22. Juni 2007 in Brüssel beschlossen, dass die Bestimmungen des EVV, soweit sie gegenüber den schon bestehenden Verträgen neu waren, mittels eines so genannten Reformvertrages in diese eingearbeitet werden sollen. Das Verfassungskonzept, das darin bestand, alle bestehenden Verträge aufzuheben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung “Verfassung” zu ersetzen, wurde aufgegeben. Des Weiteren wurde beschlossen, dass die Außen- und Militärpolitik „Gegenstand besonderer Verfahrensweisen“ sein soll. Damit ist davon auszugehen, dass derjenige Teil des aufgegebenen EVV, der sich mit der Außen- und Militärpolitik befasste, nun in die bestehenden Verträge aufgenommen werden soll. Die Kritik an der Ausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union richtete sich in der Vergangenheit vorwiegend gegen die militärischen Kampfeinsätze und gegen die Verpflichtung zur Aufrüstung. Es zeichnet sich die Entwicklung ab, dass die Europäische Union, die ursprünglich ein wirtschaftlicher Zusammenschluss europäischer Staaten war, darauf abzielt, eine Militärunion zu werden. Im folgenden Text werden anhand der Artikel des aufgegebenen EVV die Inhalte analysiert und die Bedeutung und die Folgen, die sich daraus ergeben, beschrieben:

EU-Verfassung, Reformvertrag, EU-Grundlagenvertrag, Vertrag über die Grundlagen der Europäischen Union – das Brüsseler Vertragslabyrinth

Der Entwurf über eine Verfassung von Europa, den der Konvent erarbeitet hat, ist obsolet, das Ziel alle bestehenden EU-Verträge durch einen einheitlichen Text zu ersetzen, wurde nach der Ablehnung durch die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zunächst aufgegeben. Am 21./22. Juni tagte der Europäische Rat in Brüssel. Als Ergebnis der Tagung wurden Schlussfolgerungen zu Reformen der EU-Verfassung veröffentlicht, die wiederum bis zum EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober 2007 in Lissabon im Detail ausgearbeitet und über die anschließend die Staats und Regierungschefs abstimmen sollen. Der “Reformvertrag”, auch EU-Grundlagenvertrag genannt, soll nun an die Stelle des Vertrags über eine Verfassung für Europa treten. Der Reformvertrag ist keine endgültige Fassung, er gibt das Mandat für die am 23. Juli beginnende Regierungskonferenz. Diese soll den konkreten Text erarbeiten, der dann auf dem EU-Gipfel im Oktober in Lissabon beschlossen werden soll. Spätestens zu den Europawahlen im Jahr 2009 soll das neue Vertragswerk Rechtsgültigkeit erlangen.Verhandlungsgrundlage ist die Substanz des Verfassungsvertrags und nicht der bisher noch gültige Vertrag von Nizza. Die Bürger der EU können diesem Vertragslabyrinth schon lange nicht mehr folgen, ob unsere Politiker bei diesem Vertragsirrgarten noch durchblicken, ist zu bezweifeln. Christine Wicht

EU-Verfassung jetzt eben ohne Volksabstimmungen

Was war der Kern des Problems auf dem EU-Gipfel? Nach dem Scheitern der europäischen Verfassung durch die ablehnenden Referenden der Franzosen und der Niederländer musste ein Weg gefunden werden, die Krise und den Stillstand mit einem neuen Verfahren zu überwinden. Die Ziele des Verfassungsvertrages sollen jetzt unter einer neuen Überschrift „Reformvertrag“ und unter Umgehung von Volksabstimmungen weiter verfolgt werden. Hinter den öffentlich hochgespielten Konflikten und den dabei gefundenen Kompromissen ist die Tatsache verdeckt geblieben, dass die 27 EU-Staaten in Brüssel ein Mandat für eine Regierungskonferenz erteilt haben, die den dann nicht mehr Verfassung genannten (etwas ausgedünnten) Vertrag unter portugiesischem Vorsitz nun im Eiltempo aushandeln soll, so dass er auf dem Oktobergipfel beschlossen werden kann – und zwar nur von den Regierungschefs und ohne weitere Volksabstimmungen. Das eigentliche Ergebnis des Gipfels lautet: „Die EU-Verfassung ist tot. Lang lebe die EU-Verfassung!“ Wolfgang Lieb.

Eurobarometer zeigt für D.: Ruin des Vertrauens in Zukunft und soziale Sicherungssysteme

Vom Eurobarometer “Social Reality” hat z.B. der Spiegel nur berichtet, dass die Deutschen sich bei der Arbeit überfordert fühlen. Wesentlich Interessanteres ist dort allerdings zu finden, wenn man sich genau ansieht, wie die Deutschen ihre gegenwärtige Situation und die Zukunft einschätzen. Die Befragung fand statt, bevor „Bild“ den Boom ausgerufen hat, aber prinzipiell wird sich durch diese Kampagne nicht viel geändert haben. Die Deutschen sind verunsichert wie kaum ein anderes Volk. Michael Buckup, Mitarbeiter beim Eurobarometer der Europäischen Kommission hat für die NachDenkSeiten die Umfrage ausgewertet und dazu eine PowerPoint Präsentation vorgelegt. Sie ist hilfreich zur Information und für alle unsre Leser, die selbst schreiben oder reden müssen.

Europapolitiker wie Ochsen am Nasenring: „Durch Schuldenabbau Spielräume für den demografischen Wandel schaffen“

„Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in Europa ist erforderlich, um den Herausforderungen zu begegnen, die durch den demografischen Wandel auf die europäischen Gesellschaften zukommen. Darin waren sich die Teilnehmer der Konferenz der Finanzausschussvorsitzenden der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Parlamente der EU-Beitrittskandidaten am Montagmittag einig.“ So lautet der Einführungssatz einer Mitteilung des Pressedienstes des Deutschen Bundestages. Sparzwang wegen des demografischen Wandels, an dieser Logik ist nun alles falsch, was nur falsch sein kann. Und über derartigen Unsinn, sind sich alle europäischen Parlamentarier „einig“. Armes Europa! Wolfgang Lieb.

Angela Merkel möchte den Verfassungsprozess bis 2009 abgeschlossen haben. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat 10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag aufgestellt.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac sieht in der jetzigen Form der Europäischen Union eine ernsthafte Bedrohung für demokratische Errungenschaften, Grundrechte, soziale Sicherheit, Geschlechtergleichstellung und ökologische Nachhaltigkeit. Zudem leide die Union an einem Mangel an Demokratie, Legitimität und Transparenz und beruhe auf einer Reihe von Verträgen, die den Mitgliedsstaaten und der ganzen Welt eine neoliberale Politik aufdrängen. Der vorgeschlagene Verfassungsvertrag stelle keine Verfassung im strengen Sinn dar, sondern es handele sich um eine Zusammenfügung und Weiterentwicklung früherer Verträge und Rechtsnormen. Das Netzwerk hat in länderübergreifender Zusammenarbeit 10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag erarbeitet und das Ergebnis [PDF – 84 KB] am 11. März veröffentlicht. Christine Wicht referiert.

Wettbewerb und Rechtsordnung

Die Wettbewerbspolitik der Europäischen Kommission habe sich in den letzten Jahren vom Leitbild der Ordoliberalen in Richtung der neoliberalen Anhänger von Milton Friedman bewegt. Es werde nicht mehr eine Rahmensetzung für den Wettbewerb durch einen starken Staat verlangt, staatliche Eingriffe sollten vielmehr so weit wie möglich abgebaut werden. Öffentliche Unternehmen sollten nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zulässig sein.
Eine derart von der wirtschaftlichen Macht abstrahierte Wettbewerbspolitik verliere nicht nur an Legitimität, sondern könne auch in einen Widerspruch zu kollidierenden Verfassungsgrundsätzen der Gleichheit und der Solidarität geraten, die sich u. a. im Gleichheitssatz und im Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes niederschlagen, vor allem auch in der Koalitionsfreiheit.
Wenn eine neue europäische Verfassung verabschiedet werden sollte, müsste auch der Koalitionsfreiheit und dem Sozialstaatsprinzip unmittelbare Geltung in allen Mitgliedstaaten zuerkannt werden. Dies wären Bollwerke, die einer Verabsolutierung des Wettbewerbs entgegenstehen. Eine Abschiedsvorlesung von Bernhard Nagel.

Wie sozial ist Europa? Im Vergleich zur Wirtschafts- und Währungsunion hinkt die Sozialunion abgeschlagen hinterher.

Bundeskanzlerin Merkel und Arbeits-und Sozialminister Franz Müntefering wollen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um für eine „soziales Europa“ einzutreten. Da trifft es sich, dass in einer von der Hans-Böckler-Stiftung und der Public Relations Agentur „berlinpolis“ herausgegebenen Studie eine Übersicht über die soziale Lage in der EU angeboten wird.
Wir wollen niemand zumuten, die Studie zu lesen, denn die ausgewählten Indikatoren entsprechen vielfach dem gängigen ideologischen Vorurteil, dass das Bismarcksche und das skandinavische Wohlfahrtsstaatsmodell von außen unter den „Reformdruck vor allem durch die wirtschaftliche Globalisierung“ und im Innern unter den Druck „durch liberale Kritik, Arbeitslosigkeit sowie demographische Schrumpfungs- und Alterungsprozesse“ gerieten.
Aber immerhin kommt selbst diese wirtschaftsliberal eingefärbte Studie zum Ergebnis, dass für die Schaffung einer Europäischen Sozialunion im Gegensatz zu den Aktivitäten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit noch ein immenser Handlungsbedarf bestehe. Der Begriff der „sozialen Kohäsion“ sei „bisher weitgehend ohne verbindlichen Inhalt“ geblieben.

Gibt es ein „europäisches Sozialmodell“? Kann es ein Gegenmodell in einer neoliberal globalisierten Wirtschaft sein?

Nachdem der Europäische Verfassungsvertrag durch das Nein der Franzosen und Niederländer vor allem deshalb gescheitert ist, weil in diesen Ländern das dem Vertrag zugrunde liegende ökonomische Leitbild und seine konkreten Auswirkungen von einer Mehrheit abgelehnt worden ist, stellt sich die Frage, ob ein stärker sozial ausgerichtetes Modell eine neue identitätstiftende Perspektive für eine politische Einigung Europas bieten könnte. Dazu wäre es notwendig, dass zunächst einmal eine Verständigung darüber herbeigeführt würde, welches unter den recht unterschiedlichen nationalen Sozialmodellen denn gemeint ist und welches Modell sich zu einem gemeinsamen europäischen entwickeln könnte. Dazu ist in letzter Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen; Volker Bahl hat sich mit ihnen auseinandergesetzt.

Jürgen Habermas sieht die EU in einer Lähmungsstarre.

In einer wenig beachteten Rede anlässlich der Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises für das politische Buch 2005 äußerte sich der Philosoph und Sozialwissenschaftler äußerst besorgt über den Zustand und die Entwicklung der Europäischen Union: „Wenn es nicht gelingt, bis zur nächsten Europawahl im Jahre 2009 die polarisierende Frage nach der Finalité, dem Worumwillen der europäischen Einigung zum Gegenstand eines europaweiten Referendums zu machen, ist die Zukunft der Europäischen Union im Sinne der neoliberalen Orthodoxie entschieden.“ Es ist schon denkwürdig, dass das Scheitern des EU-Verfassungsvertrages bei uns keine intensive Debatte um den weiteren politischen Einigungsprozess ausgelöst hat. Das dürfte auch daran liegen, dass eine mächtige Wirtschaftslobby an einem politisch gestaltenden Europa gar nicht interessiert ist, weil sie mit der wirtschaftsliberalen Lissabon-Strategie ihre Interessen im Sinne der neoliberalen Orthodoxie gegenüber den einzelnen Nationalstaaten viel reibungsloser politisch durchzusetzen vermag. Da der Alarmruf von Jürgen Habermas weitgehend ungehört blieb, wollen wir diese Passage aus seiner Rede dokumentieren.