Leserbriefe zu verschiedenen Artikeln
Im Rahmen der Serie alter, interessanter Dokumente veröffentlichte Albrecht Müller in diesem Artikel zwei offene Briefe von Peter Schönlein, die heute aktueller sind denn je: Er plädiert mit eindrücklichen Argumenten gegen Krieg und für Frieden. In diesem Beitrag geht Albrecht Müller der Frage nach, ob Egon Bahr wirklich der Erfinder der Entspannungspolitik gewesen ist, als der er in der Geschichtsschreibung dargestellt wird. Wir danken für die aufschlussreichen Beiträge, die Ala Goldbrunner hier in einer gemischten Leserbriefsammlung für Sie zusammengestellt hat.
Zu „Briefe des Altoberbürgermeisters von Nürnberg, Peter Schönlein“
1. Leserbrief
Lieber Albrecht Müller.
Als langjähriger NDS-Leser (und manchmal -Spender) hab ich mich riesig gefreut über den Bericht über Peter Schönlein. Ich war bis zuletzt Mitstreiter in seinem überparteilichen (!) Arbeitskreis FRIEDEN.
Ebenso wie er hab‘ ich über Martin Burkert, damals MdB, heute EVG-Vorsitzender, 2014 aus Sorge um den Frieden an BAM Walter Steinmeier geschrieben und füge das Schreiben bei:
Brief vom 9. 2. 2014 (!) an Bundesaußenminister Steinmeier
Details
Kategorie: Frieden
Erstellt: 05. Juni 2022
Herrn
Bundesaußenminister Steinmeier
über MdB Martin Burkert
Nürnberg 9.2.2014
Betrifft: Ukraine
Lieber Genosse Steinmeier,
Martin Burkert hat sich bereit erklärt dieses Schreiben an Dich weiter zu leiten, wofür ich sehr dankbar bin.
Mich beunruhigt, dass Politik und Medien in Deutschland agieren, als hätten sie wieder Sehnsucht nach dem kalten Krieg: wer für Russland ist, ist böse, jede Art Gegner Russlands bekommt Unterstützung. Leider gehen Deine Äußerungen in den letzten Tagen in dieselbe Richtung.
Es bleibt doch festzuhalten: Kiew war Jahrhunderte lang Hauptstadt des russischen Reiches und gilt als „die Mutter aller russischen Städte“! Und sowohl Kiew als auch Moskau liegen geografisch in Europa. Was von den neokapitalistischen und nationalistischen Aufständischen zu erwarten ist, ist äußerst ungewiss. Das gewählte Parlament lahm zu legen und zu drohen und auch noch umzusetzen dass, wenn binnen 24 Stunden unsere Forderungen nicht erfüllt werden stürmen wir Regierungsgebäude mit Gewalt, spricht nicht für eine demokratische oder gewaltfreie Grundeinstellung!
Es gab – oder gibt? – für Rechtsstaaten die Regel vom „Gewaltmonopol des Staates“, jetzt feiert man die gewaltbereiten und gewalttätigen Aufständischen gegen eine immerhin gewählte Regierung.
Es gab auch – oder gibt noch? – den völkerrechtlichen Grundsatz von der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten“, sofern sie nicht krass gegen das Völkerrecht oder Menschenrechte verstoßen. Jetzt will Bundespräsident Gauck die Deutschen in die vorderste Front der Einmischer stellen. Das geht so nicht gut.
Ich wünsche mir von einem sozialdemokratischen Außenminister Bedachtsamkeit und Nachdenklichkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Manfred Scholz MdL a.D.
Zu den Parallelen I. und (gefährlich naher) III. Weltkrieg habe ich folgende Zusammenstellung gemacht:
Ich bin als langjähriges SPD-Mitglied sehr froh dass es sie NDS gibt und ich nachdenkenswerte Informationen bekomme.
Mit sonnigen Grüßen aus Nürnberg
Ihr Manfred Scholz
2. Leserbrief
Liebe Freunde der Nachdenkseiten,
ich bin nach Peter Schönleins Tod 2016 sozusagen “digitaler Nachlassverwalter” unseres damaligen Gesprächskreises Frieden Nürnberg (2014 – 2016) geworden.
gespraechskreis-frieden-nuernberg.de/archiv-des-gespraechskreises/
Die Dokumente wurden alle veröffentlicht und können gern zitiert werden.
Die Abschnitte zu “neue Entspannungspolitik” sind veraltet wie so manche gute Initiative und haben keinen direkten Bezug zum Gesprächskreis. Es war ein letzter Versuch, bevor der Gesprächskreis ohne Peter auseinander gelaufen ist.
Mit freundlichem Gruß
Eberhard Schneider
3. Leserbrief
Liebe Redaktion,
alte Briefe oder Aussage Review passieren lassen, ist eine hervorragende Idee von NDS !
Mein Vorschlag die Aussage von Warren Buffet kommentieren.
“There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.”
übersetzt:
„Es herrscht zwar Klassenkampf, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“
In diesem Zusammenhand sehe ich den Ukrainekrieg.
Nicht der Westen gegen Russland oder die USA gegen Russland.
Sondern die reichen “Eliten” des Westens und besonders der USA, gegen den Rest der Welt.
Diese “Eliten2 versuchen ihre Pfründe zu verteidigen, in dem sie wie in “Die einzige Weltmacht” von Professor Zbigniew Brzezinski beschrieben, ihre Hegemoniepolitik erhalten wollen.
Wird die Embargopolitik gegen Russland sowie der Ukraine Krieg scheitern, ist das ein Zeichen, das die Embargopolitik nicht mehr funktioniert.
Langsam scheinen viele Länder begriffen zu haben, das sie sich gegen diese Hegemonie zusammen tun müssen.
Die Bevölkerungen, besonders der westlichen Länder und der USA haben es noch nicht begriffen, wer ihr Feind ist ( Warren Buffet hat es unmißverständlich erklärt ), da hier Dissensmanagement wirkt.
“Dissensmanagement durch Zersetzung und Spaltung”
telepolis.de/features/Dissensmanagement-durch-Zersetzung-und-Spaltung-4241573.html
Ich denke der Krieg wird zu einer deutlich Schätchung der Industrieländer führen, so das sich die neokolonialisierten Drittweltländer befreien können.
So eine Situation hatten wir schon mal am Ende des 2. Weltkrieges.
Der Unterschied, Ende des 2. Weltkrieges und Jahrzehnte danach, hatten die USA und ihre Vasallen über 70 % der Weltindustrieproduktion.
Produkte über Toilettenpapier, Seife, Kosmetik, Unterhaltungselektrik, Autos, Maschinen usw. kamen im wesentlich aus den westlichen Ländern.
Wer deren druck nicht folgte, hatte fast keine Industrieprodukte mehr im Angebot.
Das sahen wir in abgeschwächter Form in Osteuropa.
Das sahen meine Siemens Kollege in besonders starker Form in Libyen, als Gaddafi den Kurs von der USA weg, änderte.
Meine Kollegen sagte mir, das sie tagelang umherfuhren um Toilettenpapier und Seife zu kaufen.
Heute sind 35 % der Weltindustrieproduktion in den BRICS Staaten und etwas weniger in den westlichen Staaten.
Die Prognosen der Analysten für 2050 sind 70 % der Weltindustrieproduktion in den BRICS Staaten.
Davon 21 % in China, 14 % in Indien, während in den USA nur noch 12 % und die EU 9 % Anteil hat.
Die meisten G7 Staaten wie GB, Italien, Frankreich spielen bei den Top 10 der Industrieländer dann keine Rolle mehr.
Daraus schließe ich, das eine Neokolonialisierung vieler Kolonien die sich befreien, heute kaum noch möglich ist.
Grüße
Dieter Gabriel
Zu „Wer länger lebt, prägt die Geschichtsschreibung…”
4. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Müller,
vor ungefähr einem Jahrzehnt habe ich Egon Bahr bei einem Vortrag in München erlebt. Er sagte, er habe den Begriff des Wandels durch Annäherung nicht erfunden. Leider habe ich nach so langer Zeit die genauen Formulierungen nicht mehr in Erinnerung und ich habe auch seine Autobiographie nicht im Regal stehen, aber ich fand den Text eines Vortrags, den er 2012 ebenfalls in Tutzing gehalten hat:
“Bei der Einladung für die Preisverleihung möchte ich einige kleine Präzisionen vornehmen. Vor allem: Ich habe 1963 keine Rede gehalten.
Roland Messner, der damalige Direktor der Akademie hatte den Regierenden Bürgermeister (Willy Brandt) gebeten, seine künftigen Vorstellungen zur Außen- und Sicherheitspolitik im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler in Tutzing darzulegen. Der Ort hatte den Ruf, dass auch politische Gegner respektvoll miteinander umgehen und ein offenes Wort wagen könnten.
Die Rede war das Produkt langer und sorgfältiger Arbeit. Die Manuskripte gingen zwischen Brandt und mir hin und her. Die Rede liest sich auch heute noch hervorragend. Als Messner mich anrief und darum bat, mich auf einen kleinen Diskussionsbeitrag vorzubereiten, war ich ratlos, denn der Kopf war leer.
Schließlich sagte ich zu und hatte den Einfall, einen Punkt aus der Rede Brandts zu nehmen und ihn für die Konsequenzen des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten zu exemplifizieren.
Den Text diktierte ich in einer Stunde herunter.
Darin stand auch ‘Wandel durch Annäherung’ , was meinem Stellvertreter eine gute Überschrift schien.
Das Ganze gab ich Brandt auf dem Fluge nach München zu lesen. Er nickte kommentarlos. Auf das Echo hingegen reagierte er mit Recht unwirsch. Wir waren in unserem Denken dem Bewusstsein der Öffentlichkeit so weit voraus, dass wir zwar seine Rede, aber nicht meine Erläuterung aufregend fanden. Herbert Wehner reagierte: Das ist „bahrer“ Unsinn. Und wenn Brandt nicht ebenso fürsorglich wie mutig seine Hand über mich gehalten hätte, wäre ich wieder Journalist geworden, hätte mehr Geld verdient und weniger Ärger gehabt. (…)”
Quelle: neue-entspannungspolitik.berlin/egon-bahr-ueber-50-jahre-wandel-durch-annaeherung/
Meiner Erinnerung nach entspricht das dem, was er auch in München sagte.
Mit freundlichem Gruß
M. Schaefer
P.S.: Dass Ihre Überschrift voll und ganz zutrifft, konnte man ja exemplarisch an Helmut Schmidt erleben…
5. Leserbrief
Lieber Dr. Müller,
Ihre neue NDS-Parole vom 18. Juli 2023: Wer länger lebt prägt die Geschichtsschreibung erinnert an eine alte: Wer früher stirbt ist länger tot. Und dürfte einsichtig sein. Nur: was der allgemeine Hinweis mit dem von Ihnen aufgemachten Streit ums ius primae noctis um die “ostpolitische” Losung in Westberlin und der Alt-BRD: Wandel durch Annäherung zu tun haben soll erschließt sich mir nicht. Und wenn Ihre Losung richtig wäre – mir graut vor`m Jopiphänomen, was meint: in dieser Welt 2053 108 Jahre alt zu werden: Nein danke. Und auf eine Geschichtsschreibung, die von am längsten gelebt Habenden geprägt wird, kann ich auch gern verzichten …
Besten Gruß,
Ihr Dr. Richard Albrecht
6. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Albrecht Müller,
vielen Dank für Ihren gestrigen Artikel, “Wer länger lebt, prägt die Geschichte” mit dem Link zu Egon Bahrs “Tutzinger Rede” und dem entprechenden Auszug dazu auch aus Willy Brandts Memoiren, den ich ebenfalls mit großem Interesse gelesen habe.
Ja, Sie machen damit auch für mich noch einmal deutlich, welchen Rückfall in die schlichte Barbarei des Faschismus, der Kehrseite des sozialdarwinistischen Kapitalismus, wir zurzeit erleben. Der “Kommunismus” wurde damit zwar erfolgreich besiegt, wie Willy Brandt bereits vorausahnte, als er, sinngemäß und verkürzt von mir wiedergegeben, sagte, dass es vielleicht so sein werde, dass sich bspw. die Sowjetunion noch “kommunistisch” nenne, aber in der Realität längst dem “Wandel durch Handel” unterlegen sei.
Ja, die russische KP bestimmt die Politik eines Putins nicht mehr und auch in China, wo offiziell die “Kommunistische Partei” regiert, herrschen die Prinzipien des “freien Marktes”.
Was mir aber bei der Hervorhebung des “guten Willens” und der Verdienste um eine beginnende Entpannungspolitik sowohl von Willy Brandt, Egon Bahr und auch von John F. Kennedy wie auch dem ebenfalls von den US-Falken ermordeten Hoffnungsträger Robert Kennedy in diesem Zusammenhang fehlt, ist jedoch folgendes:
Die Erwähnung von deren mangelnder Einsicht in die Gefahren der in den USA vorherrschenden Ideologie in Reaktion auf die angeblich größte Gefahr für die Menschheit, die vom “Kommunismus” ausgehe.
Abgesehen davon, dass ich selber jeden seinem Wesen nach undemokratischen “Ismus” ablehne, seit ich als 15-Jährige im Geschichtsunterricht erfuhr, wie “Konstantin, der Große” im 5. Jahrhundert “im Zeichen des Kreuzes gesiegt” hatte,
abgesehen davon wie dankbar ich als damals junge Wählerin Willy Brandt für seinen “Kniefall in Warschau” 1972 war und als er bei seinem Regierungsantritt sagte, “mehr Demokratie wagen” zu wollen, dem aber dann als Konzession an das “amerikanische Brudervolk” leider die Berufsverbote folgten,
vermisse ich in diesem Zusammenhang hier bei Ihnen, sehr geehrter Herr Müller, die Kritik an der damals auch bei diesen Hoffnungsträgern vorherrschende respektlose Einstellung gegenüber “dem Rest der Welt”, die sich in den USA längst als Neokolonialismus zeigte, siehe die bis heute nachzulesenden Äußerungen des außenpoltischen US-Beraters George Kennan in den ’50ern, und sich bei uns in ungeniert vertretenem “Eurozentrismus” äußerte und das nach dem europäischen Kolonialismus und zwar von Charles de Gaulle, über Konrad Adenauer und Willy Brandt hinaus…
Andererseits möchte ich jedoch nicht vergessen, Ihnen und Ihrem Team dafür zu danken, dass Sie Ihren Lesern einen Einblick in die jetzigen Einstellungen und Reaktionen der Vertreter aus der “multipolaren Welt” auf den unsererseits immer noch fortgesetzten Neokolonialismus geben.
Mit nochmaligen Dank
und herzlich-solidarischen Grüßen
Johanna Michel-Brüning
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