Briefe des Altoberbürgermeisters von Nürnberg, Peter Schönlein, 1. an den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und 2. an den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier

Briefe des Altoberbürgermeisters von Nürnberg, Peter Schönlein, 1. an den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und 2. an den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier

Briefe des Altoberbürgermeisters von Nürnberg, Peter Schönlein, 1. an den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und 2. an den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Wir veröffentlichen heute in der Serie alter, interessanter Dokumente zwei Briefe des früheren Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg, Peter Schönlein, aus dem Jahr 2014. Mit neun Jahren sind diese beiden Dokumente nicht gerade besonders alt. Aber sie wirken im guten Sinne alt, sie kommen aus einer anderen Welt. Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass ein Oberbürgermeister eine solch kluge Mahnung zum Frieden an wichtige, aktive Personen des Zeitgeschehens schickt. Albrecht Müller.

Die Veröffentlichung der beiden Briefe geht auf den Vorschlag des NachDenkSeiten-Lesers Günter Baigger zurück. Von ihm stammen auch die folgenden Informationen über den Autor der Briefe, Peter Schönlein.

Schönlein ist in Nürnberg geboren und aufgewachsen. Er hat klassische Philologie studiert und mit einem Doktortitel abgeschlossen. Er war dann Gymnasiallehrer und wurde schliesslich Oberstudiendirektor an einem Nürnberger Gymnasium.  Er war bereits in den Siebzigerjahren bei der SPD und den Jusos aktiv. Schönlein war dann Oberbürgermeister von Nürnberg von 1987 bis 1996.

NachDenkSeiten-Leser Günter Baigger schreibt weiter: „Im Jahr 2014 kritisierte Schönlein in einem offenen Brief den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck wegen seiner Aufforderung an die Deutschen, wieder vermehrt an Kriegen teilzunehmen. Der Brief fasst die Argumente gegen den Krieg in einer wunderbaren Sprache zusammen.
Dr. Peter Schönlein ist im Jahr 2016 verstorben. Ich habe kurz vor seinem Tod noch mit ihm sprechen können. Er hat mir damals am Telefon mitgeteilt, dass Gauck auf seinen offenen Brief nie geantwortet hat. Dieses Verhalten ist typisch. Wenn eine Meinung geäussert wird, die man nicht widerlegen kann, wird diese Meinung ignoriert. Und heute, angesichts der Pressekonzentration, ist dies eine effiziente Methode, eine Meinung zu unterdrücken.“

Es folgen die beiden Briefe von Dr. Peter Schönlein. Es sind kluge Texte, die wir auch deshalb veröffentlichen, weil sie von NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern bei ihrer Argumentation gegen Kriege als Mittel der Politik verwendet werden können.

  1. Brief an den Bundespräsidenten Joachim Gauck vom 17. Juni 2014

    Widerspruch

    Sehr verehrter Herr Bundespräsident,

    mit großem Respekt vor Ihrem hohen Amte und Ihrem bewundernswerten Einsatz für unser Land muss heute freilich in einem Punkte entschiedener Widerspruch angemeldet werden. Denn Sie verbinden Ihren Wunsch nach mehr Engagement Deutschlands in der Welt mit der Aufforderung, die bisherige Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen aufzugeben.

    Immerhin räumen Sie ein, dass es „früher eine gut begründete Zurückhaltung der Deutschen“ gegeben habe. Heute aber, so argumentieren Sie, sei Deutschland eine solide und verlässliche Demokratie, die gegebenenfalls auch zu Waffengewalt greifen sollte.

    Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Denn die Bundesrepublik Deutschland war – glücklicherweise – auch schon vor 10, vor 20, vor 30 und vor 40 Jahren eine solide Demokratie. Das Einzige, was sich in dieser Hinsicht verändert hat, ist der Umstand, dass die früheren Bundespräsidenten ohne Ausnahme die deutsche Bevölkerung in ihrem Friedenswillen bestätigt und bestärkt haben, während Sie einen Mangel an Bereitschaft zu militärischen Lösungen beklagen. Und da Sie nur zu gut wissen, dass nur eine kleine Minderheit der Deutschen Kriegseinsätze akzeptiert, die nicht der Landesverteidigung dienen, fordern Sie einen Mentalitätswechsel in der deutschen Gesellschaft. Damit erfreuen Sie sicherlich diejenigen in Politik und Medien, die schon seit längerem die Kriegsmüdigkeit der Deutschen tadeln und die Bundeswehr am liebsten als Interventionsarmee im Einsatz sähen.

    Besonders bedenkenswert empfinde ich es dabei, dass Sie die Neuakzentuierung politischer Grundsätze hin zu mehr militärischen Lösungen ausgerechnet in diesem Jahr 2014 fordern, in dem in ganz Europa des Ausbruchs des 1. Weltkrieges gedacht wird und in dem Historiker und Politiker der Frage nachspüren, welche Gesinnung und welche Denkmuster im Vorfeld des Krieges dazu geführt haben, dass Menschen aller Gesellschaftsschichten sich bedenkenlos einer Kriegseuphorie hingegeben haben, die ganz Europa in die Katastrophe führte.

    Sie werden dagegenhalten, dass dies andere Zeiten waren und heutzutage das Kriegführen doch nur edlen Zwecken dienen soll, nämlich dem Sturz von Despoten und dem Schutz der Menschenrechte. Genau das hat der amerikanische Präsident Bush auch für sich in Anspruch genommen, als er den Irak mit Krieg überzogen hat. Das Ergebnis wird uns in diesen Tagen in erschütternder Weise vor Augen geführt. Die USA stehen heute vor einem Scherbenhaufen ihrer Kriegspolitik und haben damit einen weiteren Beleg dafür geliefert, dass der Krieg allenfalls geeignet ist, sich an militärischen Erfolgen zu berauschen, aber nicht dazu dient, einem Land Frieden, Stabilität und Wohlstand zu sichern. Es hätte damals nicht viel gefehlt und Deutschland wäre in diesen Krieg mit hineingezogen worden, wenn uns nicht der Mut und die Standhaftigkeit Gerhard Schröders davor bewahrt hätten. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen – das ist meine Überzeugung – tut Deutschland gut daran, auch in Zukunft Krieg nicht wieder als Mittel der Politik zu begreifen, sondern die gewachsene Verantwortung unseres wirtschaftlich erfolgreichen Landes in noch stärkerem Maße auf politischem und diplomatischem Felde zur Geltung zu bringen.

    Mit besten Grüßen aus Nürnberg, der Stadt des Friedens und der Menschenrechte,

    verbleibe ich
    Ihr Peter Schönlein
    Altoberbürgermeister

  2. Brief an Frank-Walter Steinmeier

    Nürnberger Gesprächskreis FRIEDEN  

    Schreiben an Bundesaußenminister Steinmeier vom 7. Dezember 2014

    Lieber Frank-Walter Steinmeier,

    Martin Burkert hat mir als dem Initiator und Moderator des Nürnberger Gesprächskreises FRIEDEN Deinen jüngsten Namensbeitrag vom 20. November 2014 zukommen lassen, auf den einzugehen mir eine Ehre ist.

    Zunächst rühme ich gerne Dein weltumspannendes Engagement und Deine besonnenen und abwägenden Reden und Auftritte auf allen maßgeblichen Bühnen dieser Welt. Hohe Wertschätzung genießt Du ohnehin bei weiten Teilen der deutschen Bevölkerung. Alle Umfragewerte der letzten Zeit belegen dies ganz unzweifelhaft.

    Und doch prägen, wie Du zutreffend schreibst, Skepsis und Unsicherheit das Lebensgefühl sehr vieler Menschen in Deutschland. Den Grund siehst Du in einer „Fehlwahrnehmung”, der wir Sozialdemokraten unbedingt entgegentreten sollten. Da stellt sich aber doch die Frage, ob nicht das, was Du als „Fehlwahrnehmung” bezeichnest, eine sehr verständliche und nachvollziehbare Reaktion ist auf eine ganze Reihe verstörender Erlebnisse seit Anfang dieses Jahres.

    Das begann mit der Rede des Bundespräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz, in der er von den Bundesbürgern mehr Aufgeschlossenheit für deutsche Militäreinsätze im Ausland forderte. Unmittelbar darauf folgten die Initiativen zur Ausstattung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen. Voll im Gange sind die Bestrebungen, den Parlamentsvorbehalt wenn nicht abzuschaffen, so doch auszuhöhlen und einzuschränken. Einen Schock bewirkte im Sommer die Geschwindigkeit, mit der alle bisherigen Grundsätze über Bord geworfen und die Lieferung deutscher Waffen in ein Krisen- und Kriegsgebiet beschlossen und umgesetzt wurden. Auch die Entsendung deutscher Soldaten in den Nordirak zur Einrichtung von Trainings- und Ausbildungscamps wird in der Bundesregierung mittlerweile ernsthaft in Erwägung gezogen. Dazu passt, dass in diesem Herbst auf dem NATO-Gipfel (auch mit Zustimmung Deutschlands) eine drastische Erhöhung des Rüstungsetats für die nächsten Jahre angepeilt wurde. Die Bundesverteidigungsministerin hat die Erarbeitung eines neuen Weißbuches angekündigt, in dem der Umbau unserer Bundeswehr von einer Landesverteidigungs- in eine Interventionsarmee mit all den damit verbundenen Implikationen auch seine theoretische Grundlage finden soll. Zur Beruhigung der östlichen Mitgliedsstaaten hat die NATO die Aufstellung einer „Schnellen Eingreiftruppe” beschlossen, die an der Ostgrenze der NATO zum Einsatz kommen soll. Deutschland hat sich bereitwillig verpflichtet, das Kernkontingent an Soldaten zu stellen. (Wenn diese Truppe wenigstens als Schild und nicht als Speerspitze bezeichnet würde!) Und soeben hat die große Koalition durchgesetzt, dass nach 13 Jahren Afghanistan-Krieg auf unbestimmte Zeit weiterhin deutsche Soldaten am Hindukusch stationiert sein sollen, wenn jetzt auch „vor allem” zur Beratung und Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte.

    Ich frage Dich: Sieht so ein Friedenspfad aus? Sollen die Menschen in der verstärkten Hinwendung zu militärischen Lösungen einen überzeugenden Weg zur Sicherung des Friedens erkennen? Lieber Frank-Walter Steinmeier, Du weist in Deinem Namensbeitrag mit Recht darauf hin, dass Deutschland ja nicht für sich steht in der Welt, sondern politisch in der EU und militärisch in der NATO eingebunden ist. Deshalb schilderst Du gleich im zweiten Absatz Deines Beitrags all die hohen Erwartungen, die von außen an Deutschland herangetragen werden und die Deutschland in vielerlei Hinsicht unter Druck setzen. Vergeblich wartet man aber auf die Nennung der Erwartungen, die die eigene Bevölkerung in die von ihr gewählte Bundesregierung setzt. Auch diese Erwartungen sind seit Jahren durch Umfragen zweifelsfrei belegt. Sie beinhalten eine entschiedene Ablehnung militärischer Interventionen in anderen Teilen der Welt und den Verbleib bei bewährten friedenspolitischen Positionen, von denen die Bundesrepublik allmählich und Schritt für Schritt abzurücken droht.

    Ich weiß natürlich auch, dass es vor allem bei den kriegswilligeren NATO-Partnern keine Freude auslöst, wenn man sich unter Hinweis auf die politischen Überzeugungen in der deutschen Bevölkerung dem ein oder anderen Ansinnen verweigert, und ich weiß ebenso, dass der Trend in manchen deutschen Medien dahin geht, die Kriegsmüdigkeit im eigenen Land zu beklagen und im Bewußtsein der militärischen Überlegenheit der NATO ein forscheres Vorgehen zu verlangen, aber dieses Land hat wahrhaftig allen Grund, seine historischen Erfahrungen nicht zu verleugnen und allen Macht- und Geltungsansprüchen, die früher oder später zu einer Gefährdung des Friedens führen, eine entschlossene Absage zu erteilen.

    Wie köstlich und kostbar der Frieden ist, sollte uns immer vor Augen stehen und Grundlage allen politischen Handelns sein.

    „Was ist falsch an der deutschen Außenpolitik?”. Mit dieser Frage hast Du, lieber Frank-Walter Steinmeier, Deinen Namensbeitrag eingeleitet und zum Ziel erklärt, „eine breite und selbstkritische Debatte über Ziele, Interessen und Perspektiven deutscher Außenpolitik zu starten”. Nimm bitte die von mir dargelegten Einsichten und Überzeugungen als einen Beitrag dazu.

    In diesem Sinne freue ich mich als Nürnberger Sozialdemokrat schon sehr auf die Begegnung und auf den Diskurs mit Dir bei Deinem Besuch in Nürnberg am 12. Januar 2015.

    Mit den besten Grüßen aus Nürnberg, der Stadt des Friedens und der Menschenrechte

    verbleibe ich bis dahin
    Dein Peter Schönlein
    Altoberbürgermeister der Stadt Nürnberg

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