Bundestagspräsidentin Julia Klöckner wird aktuell von Kritikern ein stilistisch herrisches und politisch parteiisches Verhalten vorgeworfen: Die Politikerin hatte in jüngsten Debatten im Bundestag den oppositionellen Vorwurf der „Lüge“ etwa gegen Kanzler Friedrich Merz scharf gerügt. Bei der Forderung nach sprachlicher Zurückhaltung würde ich Klöckner sogar (prinzipiell) unterstützen. Da sich die Forderung aber nicht an alle Parteien gleichermaßen richtet, wird sie zur politischen Heuchelei. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Nach der Haushaltsdebatte im Bundestag am Dienstag gab es eine Debatte um die Diskussionsleitung durch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), wie Medien berichten. Klöckner hatte nach entsprechenden Vorwürfen von AfD und LINKE gegen die Regierungspolitik im Bundestag gesagt:
„Ich weiß nicht, ob das ein kognitives Problem ganz rechts und links hier im Haus ist. Wir haben hier festgehalten, dass wir uns nicht persönlich herabwürdigen als Lügner und der Lüge bezichtigen. Sie können gerne inhaltlich sich auseinandersetzen. Wer jetzt noch einmal meine Sitzungsleitung infrage stellt und den anderen als Lügner bezeichnet, kassiert einen Ordnungsruf.“
Ein Video von Klöckners Auftritt findet sich in dem oben verlinkten Artikel. Ihr Auftreten wird nun vor allem von konservativer Seite kritisiert, etwa von Stefan Homburg auf X oder von Boris Reitschuster in diesem Artikel – tendenziell als stilistisch gouvernantenhaftes und politisch parteiisches Verhalten.
Zurückhaltung (aller Seiten) in der Sprache wäre gut
Eigentlich bin ich sehr für eine Zurückhaltung in der Sprache und das umso mehr im Parlament: Eine auf den Bühnen der Politik, der Kultur, der großen Privatmedien oder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks praktizierte „Hasssprache“ kann gesellschaftlich verrohender wirken als tausende enthemmter Bürger-Kommentare, wie in diesem Artikel oder in diesem Artikel beschrieben wird.
Darum würde ich der Bundestagspräsidentin auf prinzipieller(!) Ebene eigentlich (tendenziell) recht geben bei ihrer strengen Auslegung der Sprachregelungen im Bundestag. Der Bundestag ist eine andere Bühne als etwa Wahlkampfveranstaltungen, Talkshow-Auftritte oder Kommentare in Medien: Ich finde schon, dass im Parlament eine größere sprachliche Zurückhaltung angebracht wäre als bei den anderen hier genannten Beispielen. Das bezieht sich natürlich nur auf den sprachlichen Stil – inhaltlich darf sprachliche Zurückhaltung keinesfalls in einer Selbstzensur ausarten. Es gibt zudem eindeutige, harte Sprachstile, die nicht unseriös oder verletzend sind.
Der Vorwurf der „Lüge“ geht auch über eine reine Meinungsäußerung hinaus: Es ist unter Umständen die Tatsachenbehauptung, dass jemand (wider besseres Wissen und mit Vorsatz) die Unwahrheit sagt. Diese Aussage muss sehr gut begründet oder – wenn das nicht möglich ist – im Zweifel unterlassen werden. Kann der Vorwurf der Lüge allerdings seriös begründet werden, dann sollte man ihn auch offen und deutlich äußern dürfen – eine Gratwanderung im parlamentarischen Betrieb.
Die doppelten Standards einer „radikalisierten Mitte“
Richtig heuchlerisch wird es, wenn eine „radikalisierte Mitte“ so tut, als seien nur die „Anderen“ radikal, und wenn man sich deshalb mehr Rechte bescheinigt als dem politischen Gegner. Die Abgrenzung der (unter anderem) aus Politikern von CDU-CSU-SPD-GRÜNE bestehenden radikalisierten „Mitte“ gegen die angeblich noch radikaleren „Ränder links und rechts“ muss als Heuchelei bezeichnet werden: Bei den Themen Corona, Zensur, neoliberale Wirtschaftsordnung, Militarisierung oder Verteuerung des Alltags durch einen voraussehbar wirkungslosen Wirtschaftskrieg ist diese „Mitte“ sogar noch erheblich radikaler als die „Ränder“. Diese politische Radikalität wird zum Teil kaschiert durch eine pseudolinke „links-liberale“ Sprache.
Aber die „Radikalität von oben“ wird keineswegs immer kaschiert – immer öfter (etwa während der Corona-Politik oder jetzt beim neuen Militarismus) wird sie mit großer sprachlicher Härte unverblümt gegen politische Gegner entfaltet. Im sprachlichen Umgang mit Andersdenkenden haben sich Teile der radikalen Mitte also als (mindestens) ebenso unseriös und verletzend erwiesen wie ihre Gegenparts. Dazu kommt bei vielen Vertretern dieser Gruppe noch die kritiklose und unsympathische Unterwürfigkeit unter einen dominanten politischen Zeitgeist.
Wenn man der Bundestagspräsidentin also auf prinzipieller Ebene zustimmt, dann müssten die strengen Sprachregelungen im Parlament aber auch in der Praxis gerecht gehandhabt werden. Klöckner muss also nun beweisen, dass sie mit den Ordnungsrufen nicht parteiisch gehandelt hat: indem sie die Abgeordneten rechts und links der „Mitte“ in Zukunft ebenso vor Behauptungen und Beleidigungen in Schutz nimmt wie ihre „eigene“ Gruppe.
Den schulmeisterlichen Stil, den sie dabei bisher an den Tag legt, sollte sie ablegen: Die Abgeordneten sind keine kleinen Kinder.
Titelbild: Screenshot/X