Leserbriefe zu „Europäische Gemeinsamkeiten und Perspektiven: Kultur als Basis für Frieden und Prosperität“

Ein Artikel von:

Wolfgang Bittner vertritt hier die These, nach der für die Neuordnung Europas, in der es nicht nur um Ökonomie, Technologie oder Militär gehen könne, eine Beteiligung Russlands unabdingbar sei. Ohne Russland werde es „ein friedliches, prosperierendes Europa nicht geben“. Umso wichtiger sei es, sich auf Gemeinsamkeiten zu besinnen, die die Völker Europas verbinden. Es seien „unendlich viele Möglichkeiten, Brücken zu bauen durch Kultur, die letztlich Grundlage für jede ökonomische oder technische Entwicklung“ seien. Wir haben hierzu interessante Leserbriefe erhalten. Danke dafür. Hier sind die Leserbriefe, die Christian Reimann für Sie zusammengestellt hat.


1. Leserbrief

Lieber Dr. Wolfgang Bittner,

natürlich ist es so, dass der Kultur und Kunst eine über alle Grenzen reichende, verbindende Funktion innewohnt. Doch gehören dazu unbedingt zwei unverzichtbare Faktoren, damit sie wirksam werden kann, nämlich die auf den über Jahrhunderte gewachsenen Traditionen künstlerische aufbauende Qualität und natürlich auch die bildungsbasierte Fähigkeit der Rezipienten, die künstlerische Botschaft verstehen zu können. Leider ist das alles über die Jahre verloren gegangen, einfach kaputt gemacht, weil es jetzt vor allem um Geld bringendes Spektakel geht und nicht mehr um nachvollziehbare Qualitäten. Was heute auf dem Kunstsektor daher kommt, ist von einer solch erschütternden Bedeutungs- und Einfallslosigkeit, dass eine solch notwendige, verbindende Funktion nicht mehr erfüllt wird. Lange schon hat u.a. die Rockefeller Foundation dafür gesorgt, dass die Maßstäbe verschwinden, damit die Kunsthändler und Galeristen auf dem Kunstmarkt mit irgendwelchem spektakulären Sch… Geld en masse verdienen können. In Rostock wird gerade die dortige Kunsthalle von den Hervorbringungen von Udo Lindenberg gefüllt. Zwar setzen seine Lieder wichtige zeitbezogene Akzente, doch seine Likörelle haben rein gar nichts mit einem wie auch gearteten bildkünstlerischen Qualitätsstandard zu tun, sind aber eben von Lindenberg. Trotzdem ist die Ausstellung überlaufen und es wird Geld gemacht mit vielen darauf aufbauenden, gut zu verkaufenden Artikeln, was zeigt, dass sich die Bildung vieler Menschen auf ähnlichem Niveau befindet. Aus meiner Sicht ist es hoffnungslos, weil auch die Jugend zumeist nur am Handy hängt oder sich in der digitalen Welt bewegt, die mit den alten europäischen Kulturtraditionen nicht viel gemein hat. Der traditionslose Amerikanismus, der sich als alternativlos modern gibt und mit großer Wucht als Ausdruck der grenzenlosen Freiheit durch die Welt gespült wird, hat längst die wertvolle Substanz kontaminiert. Kunst soll eben nicht mehr individueller, phantasievoller Spiegel für die die Realitäten des Lebens sein. Wenn ich in die Museen gehe und mir die dort präsentierten zeitgemäßen Kunststücke ansehe, komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Aber auch im Theater ist es so, dass die alten Stücke immer wieder regelrecht modern vergewaltigt werden. Und auf dem Büchermarkt ist es nicht anders. Was da auf den Bestsellerlisten Platz findet, hat leider oft nicht viel mit Literatur zu tun.

Ich weiß nicht, ob im Kunstsektor überhaupt noch etwas zu retten ist.

Winfried Wolk


2. Leserbrief

Geehrte Redaktion,

schaut man in die Kitas, die Schulen oder in den öffentlichen Raum vieler westeuropäischer Städte, wird man feststellen müssen, dass die “Europäische Kultur” längst nicht mehr die dominierende ist. Andere Kulturen und Wertvorstellungen sind inzwischen vorherrschend. Eine gesellschaftliche Basis für Wolfgang Bittners Reflexionen ist somit nicht mehr existent.

Die seit der Antike bekannte Strategie des “divide et impera” wirkt erneut im Sinne der lenkenden Eliten.

Mit freundlichen Grüßen
Gerald Kossner


3. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Bittner,
liebes Team der NDS,
 
unter der Überschrift ein Europa souveräner Staaten insinuieren Sie, dass progressiven Europäern schon seit den achziger Jahren des letzten Jhs. ein vereinigtes Europa der Vaterländer vorschwebte, bevor dieses Projekt, nach der Wiedervereinigung, durch die USA konterkariert wurde. Absurderweise sahen diese sich als Gewinner des kalten Krieges und projizierten eine Bedrohung durch das sich wieder formierende Russland. Ergo überredeten die noch unter Sowjetbesatzung stehenden Staaten, dem westlichen Verteidigungsbündnis unter US-Ägide beizutreten und requirierten unseren Kontinent für ihre militärischen Ambitionen.

Im Gegensatz zu Ihnen bin ich jedoch nicht davon überzeugt, dass eine paneuropäische reine Verteidigungsarmee in einem neutralen Europa per se eine schlechte Idee wäre. Wir müssen lernen uns selbst zu verteidigen und uns keiner Schutzmacht mehr zu unterstellen! Auch das würde ein vereinigtes Europa fördern und Millionen von Arbeitsplätzen in einer neu zu gestaltenden EU schaffen.

Die Frage ist wohl eher, wie wir die Reorganisation Europas realisieren könnten, die sich nicht nur auf eine neue Finanz- und Wirtschaftsordnung, Militär und Technik bezieht, sondern vor allem auch auf den Einschluss Russlands, das seit Jahrhunderten unser guter Nachbar war, bevor die USA es aus Europa hinausdrängte, was natürlich nur möglich war, weil wir keinen Einspruch erhoben! Je mehr sich das kriminelle Verhalten der USA zeigt, desto eher werden wir hoffentlich dagegen aufstehen!

Ihrer Definition zur Entstehung und den Säulen der europäischen Kultur ist wenig hinzuzufügen und ich danke Ihnen für den Hinweis, dass sie einerseits aus der griechischen Philosophie und Humanität und andererseits aus dem römischen Recht und seiner Zivilisation entstanden ist. Zwar erwähnen Sie den christlich-jüdischen Glauben, gehen aber nicht auf das Schisma innerhalb des Christentums ein, nach dem sich Konstantinopel von Rom trennte. Die griechisch-orthodoxen Christen und einige osteuropäische Länder u.a. auch Russland, behielten den ursprünglichen Glauben bei, während die römisch katholische Kirche immer wieder Änderungen ihrer Dogmen vorgenommen hat, was übrigens auch auf die Kunst zutrifft. Der aus Kreta stammende Maler El Greco erklärte spanischen Kollegen die Unterschiede in der Kunstauffassung. In der byzantinischen Kirche dürften die Ikonen keinesfalls verändert werden, während seiner Fortbildung in Rom und Venedig habe er verstanden, dass die Kirche als Mäzen Variationen von Heiligenbildern fördere. Diese kann man in Toledo noch immer bestaunen. Auch in Mitteleuropa war die grenzüberschreitende Verständigung kein Problem. So ist bekannt, dass Albrecht Dürer im Jahre 1520 nach Antwerpen reiste, um einige seiner Werke zu verkaufen. Er schrieb in sein Tagebuch, dass die Verhandlungen in der Umgangssprache geführt worden seien, also dem damaligen Deutsch-Niederländisch, das wohl gegenseitig noch verständlicher war.

Zwar ging die Renaissance von Italien aus, das Thema ist jedoch die Rückbesinnung auf die griechische Antike, was der Kirche missfiel. Auch Autoren wie Dante waren gezwungen Florenz zu verlassen, um sich der päpstlichen Verfolgung zu entziehen. Daraus entwickelte sich die erste Welle der Emanzipation gegen die Kirche, die erst während der französischen Revolution entmachtet wurde. Literarische und philosophische Strömungen, wie die Aufklärung, die Romantik und der Realismus waren ihrem Wesen nach paneuropäisch, die jedes Land zeitversetzt erreichten. Selbst das Thema „Ehefrau als Subjekt“, veranlasste nicht nur Flaubert mit Madame Bouvari, sondern auch Fontane mit Effi Briest und Tolstoi mit Anna Karenina, Romane der Weltliteratur zu schreiben, die letztendlich   zu einer Emanzipation der Frau führten.

Durch die Reconquista und die Vertreibung der Muslime und Juden von der iberischen Halbinsel ist die Hochkultur des al-Andalus zu Unrecht in Misskredit geraten. Nur wenige Europäer wissen, dass der Islam erst als 3. monotheistische Religion gegründet wurde, weil das kollabierende imperium romanum die oströmischen Kolonien einfach vergaß. Durch die Rivalität verschiedener Kalifate kam es zur Abspaltung einer Glaubensgemeinschaft vom Kalifat Baghdad, die 711 Spanien eroberte und dort neue Kalifate u.a. in Cordoba und Granada gründete. Muslimische Institutionen nahmen nur Einfluss auf die Kunst der Architektur, Dichtung und Kalligraphie. Es gibt weder Malerei noch Musik. Aber es gab überkonfessionelle Kontakte und eine ersprießliche Zusammenarbeit.

Bekanntlich wurde 380 unter Kaiser Theodosius I das Christentum zur Staatsreligion erhoben und alle gnostischen Schriften vernichtet. Dazu zählten nicht nur die arianische Bibel des Westgotenbischoffs Wulfila, sondern auch sämtliche Schriften griechischer Philosophen. Glücklicherweise waren einige Exemplare in die großen Bibliotheken von Alexandria und Damaskus gelangt und aus dem Griechischen in Arabisch übersetzt worden. – Der Dominikanermönch Thomas von Aquin versuchte Philosophie mit Religion zu verbinden. Um 1250 unterhielt er einen Briefwechsel mit dem in Spanien lebenden Philosophen Ibn Rushed, latinisiert, Avarroes. Dieser übersetzte ihm die Schriften des Aristoteles aus dem Arabischen in Latein, damit das Projekt des späteren Kirchenlehrers Erfolg hatte.

Um diese Zeit lebte auch der skandalträchtige Friedrich II, Kaiser des hl. röm. Reiches. Dieser verweigerte sich der  durch Papst Innozenz III angeordneten Teilnahme am 5. Kreuzzug nach Jerusalem zwar nicht, aber es blieb der einzige unblutige. Durch Diplomatie und Geschenke zwischen Friedrich und Sultan al-Kamil kam ein dauerhafter Waffenstillstand zustande, der den Pilgern den Zugang zu den heiligen Stätten zustande. Das war aber nur möglich, weil Friedrich multikulturell aufgewachsen war und selbst Arabisch sprach.

Die Linguistik zerlegt Sprachen in ihre Bestandteile. So wie jeder Laut vom anderen unterschieden ist, ergeben erst die einzelnen Einheiten zusammen eine Sprache. Obwohl jede europäische Sprache einzigartig ist, gehört sie zu einer Sprachgruppe, in der sie sich verständigen kann. Germanisten wissen, dass Briten, Dänen und Niederländer einander verstehen. Romanisten, dass Italiener, Franzosen und Spanier sich verstehen. Ebenso wie Slawisten dies von ihren Sprechern wissen. Neben der Muttersprache und überlappender Geschichte der Vaterländer, teilen Europäer die gleiche Kultur und kennen die wichtigsten Werke der bildenden und darstellenden Künste. Das ist eine  gute Basis.

Beste Grüße
Karina Harris


4. Leserbrief

Sehr geehrtes NDS-Team,
 
wieder einmal fühle ich mich “genötigt” Ihnen allen für Ihre aufklärerische Arbeit zu danken sowie auch allen Ihren Autoren, die dazu beitragen. Diesmal möchte ich mich insbesondere für die Beiträge der folgenden Autoren bedanken:

  1. bei Herbert Grießig, der am 22.08. für mich so einleuchtend erklärt hatte, “…wodurch die Ausübung der vollen Souveränität” der BRD Deutschland “behindert” wird und auch noch einmal daran erinnerte, wie der Souverän, die Weltmacht der USA die Vereinbarungen des Völkerrechts unterlaufen…
  2. bei Wolfgang Bittner für die Hervorhebung der historisch-kulturellen Gemeinsamkeiten Europas am 22.08., mit deren leider vernachlässigten Aspekten man den nationalistischen Spaltungstendenzen innerhalb Europas entgegenwirken könnte.
  3. für die Veröffentlichung von Oskar Lafontaines Artikel “Kanzler des Niedergangs” vom 22.08., in dem er in aller Kürze die “Merkmale” und das Schicksal der jeweiligen Bundeskanzler der BRD zusammenfasst und für mich gewissermaßen gleichzeitig den des Niedergangs unseres Anspruchs, ein souveräner Staat in einem gemeinsamen Europa sein zu wollen.
  4. für Florian Warwegs “Cum-Ex-Skandal”: ‘Es kann zweifelsfrei bewiesen werden, dass … Olaf Scholz…gelogen hat'” am 24.08..

Ist er nicht vielleicht das willfährige Opfer des in unserem kapitalistischen System ungenierter denn je gepflegten Lobbyismus?
 
Aber warum tut mir als eingefleischter Linker mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsbedürfnis, für die Willy Brandt, dessen “Kniefall zu Warschau”, der “mehr Demokratie wagen” wollte, ein Hoffnungsträger war, der sich aber anscheinend gezwungen sah, bspw. mit seinem “Berufsverbot” für DKPler Konzessionen zu machen, ein Olaf Scholz in erster Linie nur leid und finde ich es wohlfeil, seine Vergehen als “die in ihm verkörperte Schmach” des aktuell so unübersehbaren Niedergangs unserer Demokratie hinzustellen? –
Wurde nicht der Handlungsrahmen der von uns gewählten Politiker wegen des “Vogelschisses in unserer Geschichte”, wie es Alexander Gauland nannte, von Anfang an eingeschränkt – einerseits von innen, siehe Konrad Adenauer: “Wer kein sauberes Wasser hat, muss das schmutzige nehmen.” – aber vor allen Dingen von außen in der Funktion als “Bollwerk gegen den Kommunismus”? Und musste nicht Helmut Schmidt der US-Außenpolitik noch mehr entgegenkommen, siehe “NATO-Doppelbeschluss”, aber auch sein Umgang mit der “Bader-Meinhof-Bande”, den ungeklärten “Selbstmorden” in Stammheim?
Und hatte die Schröder-Regierung sich nicht in den Jugoslawienkrieg und dann auch in den Afghanistan-Krieg einspannen lassen? Hatte diese SPD nicht neben ihrer “Hartz 4 Agenda” u.a. auch mit der zunehmenden Privatisierung des Gesundheitssystems mit Hilfe von Ulla Schmidt und Karl Lauterbach schon kaputt gespart?
Und litt nicht “unsere Angela Merkel”, die immerhin den Mut hatte, wenn auch vielleicht nur notgedrungen, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen, unter der selben “Knute”, siehe Victoria Nulands geleakten Ausspruchs “Fuck the EU”, an den Sie heute dankenswerterweise noch einmal mit Ihren “Hinweisen”  u.a. des Artikels von “Infosperber” erinnern?
 
Was aber können wir unternehmen, um den US-Riesen mit dem Rücken an der Wand in seine Schranken zu weisen?
Ein Hoffnungsschimmer sind da wohl die “BRICS-Staaten”, deren vorläufige Verhandlungsergebnisse Sie heute ebenfalls veröffentlicht haben.
 
Mit Dank für Ihre Arbeit
und im Voraus für Ihre Aufmerksamkeit
und herzlich-solidarischen Grüßen
 
Johanna Michel-Brüning


Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff.

Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen:

Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.

Rubriken:

Leserbriefe

Schlagwörter:

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!