Selbstgleichschaltung auf allen Kanälen

Selbstgleichschaltung auf allen Kanälen

Selbstgleichschaltung auf allen Kanälen

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Kennen Sie das? Sie schalten im Auto das Radio ein, haben keine Lust auf den üblichen Dudelpop und schalten die sogenannten Infosender durch. Auf Deutschlandfunk „debattieren“ hauseigene Journalisten mit mir namentlich nicht bekannten Gästen aus der Welt der Thinktanks und der Wissenschaft; wobei heute ja nicht mehr immer klar ist, wo das Eine aufhört und das Andere anfängt. Man ist sich einig. Israel müsse jetzt im Gaza-Streifen ein Exempel in einem so noch nicht gekannten Ausmaß statuieren. Der Begriff „Völkerrecht“ kommt in dem Gespräch gar nicht vor. Klar, Israel ist ja nicht „Putin“. Zwischentöne oder gar Gegenstimmen gibt es nicht. Mir wird es zu viel. Ich schalte um. Ein kleines Essay von Jens Berger.

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Auf NDR Info unterhalten sich derweil drei hauseigene Journalisten über den Labour-Parteitag. Toll sei der gewesen. Labour sei endlich in der Mitte angekommen und habe die alten linken Kräfte marginalisiert. Das wurde auch Zeit. Dieser „Burgfrieden“ sei jedoch gefährdet, da die Partei ja unter Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn ein „echtes Antisemitismusproblem“ gehabt habe. Zu den Hintergründen der Kampagne gegen Corbyn erfährt man von den drei Journalisten nichts. Man ist sich einig. Zwischentöne oder gar Gegenstimmen gibt es nicht. Mir wird es zu viel. Dann doch lieber Dudelpop.

Es ist zum Heulen. Egal ob in der Zeitung, im Radio oder im Fernsehen – die Debatten wirken wie gleichgeschaltet. Und es wird immer schlimmer. Das fing mit Corona an, setzte sich über den Krieg in der Ukraine fort und scheint nun beim Nahostkonflikt einen neuen Höhepunkt zu erreichen. In den üblichen Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen war es bei „kontroversen Debatten“ ja immer so, dass vier Gäste samt Talkmaster gemeinsam verbal auf den ein- oder besser vorgeladenen „Andersdenkenden“ einprügelten. Heute gibt es noch nicht mal Andersdenkende unter den Gästen. Zwischentöne und Widersprüche sind unerwünschter denn je.

Als ich vor rund zwanzig Jahren als Quereinsteiger mit dem Journalismus anfing, war ich ein Überzeugungstäter. Als kritischer Ökonom regte ich mich fürchterlich über die manipulative neoliberale Schlagrichtung in den Medien auf, die in Sendungen wie Sabine Christiansen damals ihren Höhepunkt hatte. Rückblickend war sogar Christansen ausgewogen – zumindest im Vergleich zu dem, was einem heute bei ihren Nachfolgern wie Anne Will, Markus Lanz oder Maybrit Illner so geboten wird. Die Gleichschaltung hat ein groteskes Maß erreicht.

Gleichschaltung? Das ist doch Nazi-Vokabular. Bei diesem Vorwurf heißt es dann immer, es sei unanständig, solche Vergleiche aufzustellen. Schließlich lebten wir ja in einer Demokratie und niemand schreibe den Journalisten vor, was sie zu denken und zu schreiben hätten. Zumindest Letzteres ist richtig, macht die Sache aber auch nicht besser.

Wann kamen denn beispielsweise in der letzten Woche zum Nahostkonflikt oder zum Krieg in der Ukraine kritische Stimmen zu Wort? Alle großen Medien wirken wie gleichgeschaltet. Und da ist er wieder, dieser „böse“ Begriff aus dem Dritten Reich. Doch bevor man seinen Pawlow’schen Reflexen freien Lauf lässt, sollte man vielleicht erst einmal erörtern, wie genau die Gleichschaltung damals aus Lesersicht empfunden wurde. Dazu hat der große Publizist Sebastian Haffner in seinem empfehlenswerten Buch „Von Bismarck zu Hitler“ einige bemerkenswerte Sätze geschrieben.

„Goebbels verbot die bürgerlichen Zeitungen nicht. Verboten waren alle früheren sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen. Man kann nicht einmal sagen, dass er die bürgerlichen Zeitungen so richtig nazifizierte. […] Sie schrieben auch, wie sie immer geschrieben hatten und sie sollten auch so schreiben. Es gab im Dritten Reich durchaus eine Art Pressevielfalt. Wer die Frankfurter Zeitung las, der bekam die Dinge in einem ganz anderen Ton und Stil dargestellt, als jemand, der den völkischen Beobachter las und auch der unterschied sich von den nationalsozialistischen Kampfblättern. Der Zeitungsleser hatte durchaus die Wahl, die Dinge so dargestellt zu sehen, wie er es sich wünschte“.
aus Sebastian Haffner – Von Bismarck zu Hitler

Gleichschaltung und Pressevielfalt waren also selbst im Dritten Reich kein Widerspruch. Und auch heute liest sich ein Kommentar in der FAZ ganz anders als ein Leitartikel in der taz. Die verschiedenen Gäste der TV-Talkshows bringen die immer gleiche Linie ebenfalls durchaus mit verschiedenen Artikulationen vor. Und kritisch ist man in seinem eigenen Selbstverständnis ja auch. Wenn es beispielsweise um Waffenlieferungen in die Ukraine geht, positioniert man sich gerne äußerst regierungskritisch – man sagt, die Regierung tue zu wenig, und fordert mehr Waffen. So seltsam sich das anhört, im modernen Selbstverständnis des real existierenden Journalismus ist das Kritik. Den Vorwurf von außen, man sei zu unkritisch, lässt man daher nicht gelten.

Der größte Unterschied zum Medienwesen im Dritten Reich ist jedoch, dass heute kein Kollege mehr „von oben“ gezwungen werden muss, irgendetwas zu schreiben, an das er nicht glaubt. Man glaubt heute, was man schreibt. Da ist kein Zwang nötig. Politik und Medien befinden sich in einer toxischen Rückkoppelung. In den entscheidenden Punkten ist man einer Meinung und kaum wer wagt es, aus diesem harmonischen Einheitskonzert mit gespielten Dispütchen auszuscheren.

Und dabei steigert man sich selbst immer weiter in die Eskalationsspirale. Wir sind die Guten, und wer das anders sieht, ist ein Feind des Guten. Russland, China … wir müssen unsere Werte gegen diese Feinde verteidigen; noch defensiv, aber wahrscheinlich bald auch offensiv. Vielleicht sollte man dazu einmal Sebastian Haffner lesen. Wie es so weit kommen konnte, dass Teile des deutschen Volkes sich vor etwas mehr als 80 Jahren einen Krieg geradezu herbeigesehnt haben, beschreibt er in „Von Bismarck zu Hitler“ sehr anschaulich. Wie viele andere Historiker schreibt auch Haffner dabei den Journalisten einen großen Teil der Verantwortung zu.

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Titelbild: Suradech Prapairat/shutterstock.com

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