Polnisches TV: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehrt zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft

Polnisches TV: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehrt zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft

Polnisches TV: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehrt zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft

Ein Artikel von Frank Blenz

Dank unser aller öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender gab es in den Feiertagswochen ein beeindruckendes Nutzererlebnis. Ein MDR-Journalist, gebürtig in Polen und somit Kenner seiner Heimat, schilderte in einer Reportage emotional seine Eindrücke über einen Vorgang in der Medienlandschaft Polens nach der Wahl. Von einem Tag auf den anderen änderten sich dort Stil und Inhalt der Hauptnachrichtensendung. Verständlich war, dass der polnische Journalist in deutschen Diensten Freude äußerte und zukunftsweisende Worte aussprach, die beinah so klangen, als sollten sie auch für unsere Medien und unsere gespaltene Gesellschaft gelten, die dringend einen Weg der Annährung braucht. Ein Kommentar von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Abzuwarten bleibt über eine polnische Medienreform hinaus, ob die neue Regierung letztlich nicht eine ähnlich konservative wie die alte ist, denn mit Blick gen Osten signalisiert der neue Premier Donald Tusk keine Änderung der unversöhnlichen Marschrichtung. Doch zunächst herrscht Hoffnung.

Ein Versprechen

Haben Sie schon mal polnisches Fernsehen (TVP) gesehen? Eine Nachrichtensendung? Im vergangenen Sommer noch wirkte das, als fände eine Art Polit-Unterricht für die gesamte Bevölkerung statt. Die damals all überall herrschende Regierung unter der Fuchtel der PiS hatte wie viele Institutionen auch die Medien im Sack. Nachrichtensprecher klangen so, als gehörten sie der Regierungspartei an. Polens Staatsfernsehen TVP wurde schlicht als Propaganda-Sender missbraucht, Hetze gegen Andersdenkende und Minderheiten inklusive. Man bedenke: Polen ist ein katholisches, ein christliches Land. Vor allem erklangen permanent Lobeshymnen auf die Regierung und ihre Arbeit, während gegen die Opposition heftig ausgeteilt wurde. Dann kam die Wahl, und die regierende PiS wurde nach einiger Verzögerung durch eine Dreier-Koalition unter dem neuen Ministerpräsidenten Donald Tusk abgelöst. Jetzt nach der Wahl wurde als eine erste Maßnahme die Chefetage des TVP ausgetauscht, Standards des unabhängigen Journalismus sollen Einzug halten. Aufhorchen ließ ein Versprechen der Nachrichtenredaktion des TVP, das auch für deutsche Mediennutzer schier wunderbar klingt.

Die neue Nachrichtenredaktion gab ein Versprechen für die Zukunft ab. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehre zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft. Man wolle alle ansprechen, unabhängig von der Weltanschauung, dem Glauben, dem Alter und den persönlichen Interessen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen müsse eine Stimme der Bürger, nicht die der Politiker sein. Unparteilichkeit und Raum für Debatten wurden als Leitwerte genannt. „Es wird keinen Platz für Pöbeleien, Hetze und Ausgrenzung geben“, sagte der neue TVP-Intendant Tomasz Sygut. Stattdessen wolle man die Gemeinschaft stärken: „Wir werden die Menschen einen, nicht spalten.“ Und der Moderator im Studio forderte die Zuschauer zum Schluss auf: „Bitte üben Sie ruhig Kritik! Wir werden darauf hören und wenn nötig nachbessern. Das versprechen wir Ihnen.“

Der polnische Journalist Cezary Bazydło von der deutschen Osteuropa-Redaktion des MDR äußerte im Rahmen seiner Berichterstattung über die Entwicklungen in den Medien seine Hoffnung:

„Als polnischer Bürger hoffe ich, dass diese Versprechen tatsächlich erfüllt werden. Die Polen haben es verdient, und am 15. Oktober haben sie an den Wahlurnen bei einer Rekordbeteiligung gezeigt, dass sie sich ein anderes, demokratisches Polen wünschen. Dazu gehört auch ein unparteiisches öffentlich-rechtliches Fernsehen.“

Vorher war TVP gucken fast wie Folter

Vorher, in den letzten Jahren, erlebte der MDR-Mann Cezary Bazydło wie viele seiner Landsleute den TV-Alltag so:

„TVP zu gucken, das war in den letzten Jahren eine Qual für mich, fast eine Folter. Das Ausmaß der Lügen, Tatsachenverdrehungen, Manipulationen, die Lobhudelei gegenüber der regierenden PiS-Partei, die hasserfüllten Kommentare gegenüber der Opposition, manchmal auch mit triefendem patriotischen Pathos gepaart, waren kaum zu ertragen. TVP guckte ich nur, wenn ich es aus dienstlichen Gründen tun musste – oder wenn es während meiner Polenbesuche irgendwo im Hintergrund zufällig lief.“

Und tatsächlich, beinah pünktlich zu den Feiertagswochen…

„Am 21. Dezember schaltete ich aber freiwillig ein – wie nahezu 4,3 Millionen Polen, von denen viele das Staatsfernsehen wie ich seit Jahren mieden. Die erste Ausgabe der neuen Hauptnachrichtensendung von TVP nach der Übernahme des Senders durch die neue Führung wurde ein Hit – sie zog fast doppelt so viele Zuschauer an wie die alten Nachrichten, die immer mehr Polen nur noch als grobschlächtige PiS-Propaganda wahrnahmen. Umfragen sprechen hier eine klare Sprache – während im Jahr 2012 noch 50 Prozent der Befragten dem Staatsfernsehen TVP vertrauten, hat sich dieser Wert bis zum Ende der PiS-Ära auf nur noch 25 Prozent halbiert.“
(Quelle: MDR)

Demokratischer Medienumbau – erst der Anfang für ein gerechteres, besseres Polen?

Der einstige EU-Ratspräsident Donald Tusk ist nun der neue Premier, er tritt seine dritte Amtszeit an. Tusk führt ein Bündnis aus drei Koalitionspartnern an, Baustellen gibt es viele wie die Medien, den Sozialstaat, die Bildung (ein rückwärtsgewandtes Schulgesetz), ein reaktionäres Abtreibungsgesetz, krasse Regelungen der Migration. Polen hat viele Probleme, eine große Einkommensungleichheit in der Bevölkerung, wenig Toleranz mit Minderheiten, erheblichen Einfluss der Kirche und wenig Kontrolle, undemokratische Institutionen wie Polizei, Kultur, Justiz, ja sogar die Forstbetriebe stehen in der Kritik. Selbst im Verhältnis mit der Ukraine, dem freundschaftlich verbundenen und bislang reich mit polnischen Rüstungsgütern belieferten Nachbarn, zeigen sich Risse. Wochenlang blockierten und blockieren noch immer polnische LKW-Fahrer Grenzübergänge nach Osten wegen unfairer ukrainischer Transportunternehmen und überbordender Getreideexporte des Nachbarn in die EU.

Bei aller Hoffnung der Polen für soziale, gesellschaftliche, wirtschaftliche Wandlungen im eigenen Land: Tusk wird ähnlich wie sein Vorgänger nach außen optisch zwar einen auf europafreundlich machen, dafür ist der Mann aus Sopot bei Gdańsk vor einigen Jahren für „Verdienste um die europäische Integration und um die deutsch-polnische Versöhnung“ mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden. Doch seine unmissverständliche Kompromisslosigkeit (und diplomatische Schwäche) gegenüber dem weiteren Nachbarn Russland, seine sture Treue zur NATO und den USA (Polen ist Teil der Ostflanke des großen Bruders aus Übersee) konterkarieren Worte wie Integration, Verständigung, Versöhnung, Nachbarschaft. Während Polens Eliten also weiter in die Rüstung, in Konfrontation, in vorgeblichen Stolz und Borniertheit investieren (und die Ressourcen der Bürger dazu missbrauchen), fahren Woche für Woche zigtausend polnische Arbeiter als Berufspendler ins westliche Ausland oder als Klein-LKW-Fahrer über europäische Autobahnen, um günstig den Warenumsatz der Marktwirtschaft mit am Laufen zu halten. Auf dass sie das teuer und teurer werdende Leben in der Heimat finanzieren …

Auch die Deutschen verdienten, dass die öffentlich-rechtlichen Medien etwas versprechen

Das Versprechen des neuen TVP-Intendanten Tomasz Sygut an die polnischen Bürger ist kraftvoll und erhellend, kommt man als Deutscher doch sofort darauf, dass es auch und gerade mit unserer bundesrepublikanischen Medienlandschaft als Teil (und Mitverursacher) einer kranken Gesellschaft nicht gut bestellt ist. Nur mal nebenbei, zahlreich sind die Beiträge der NachDenkSeiten über den Zustand der Medien in unserem Land, die belegen, wie gespalten wird, wie ausgegrenzt wird, wie jämmerlich der Zustand der Demokratie ist, wie arrogant die Regierungssprecher den Medien in der Bundespressekonferenz (keine) Auskunft geben. Noch mal das Versprechen aus Polen als Deutscher betrachtet und kommentiert:

„Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehre zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft.“

Tatsächlich sind wir, die Bundesbürger, die Eigentümer und Auftraggeber des ÖRR, die diesen kraftvoll mit Gebühren mitfinanzieren. Zahlreich sind die Beschwerden der Bürger über Programm, Ausgestaltung, Abgehobenheit und Einseitigkeit.

Man wolle alle ansprechen, unabhängig von der Weltanschauung, dem Glauben, dem Alter und den persönlichen Interessen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen müsse eine Stimme der Bürger, nicht die der Politiker sein.

Die Worte „Stimme der Bürger, nicht der Politiker“ gehörten ins Stammbuch der Redaktionen der Nachrichtensender, der Bundespressekonferenz, der „meinungsführenden“ Zeitungen. Nebenbei sollte diese Stimme auch wie die Stimme der Bürger klingen – ohne Hicks und fanatische „Innen“-Formulierungen.

Unparteilichkeit und Raum für Debatten wurden als Leitwerte genannt.

Man stelle sich vor, Sendungen à la Maischberger, Lanz, Hart aber fair und wie sie alle heißen begäben sich engagiert auf den Weg der freien, ergebnisoffenen, toleranten Debattenkultur …

„Es wird keinen Platz für Pöbeleien, Hetze und Ausgrenzung geben“, sagte der neue TVP-Intendant Tomasz Sygut. Stattdessen wolle man die Gemeinschaft stärken: „Wir werden die Menschen einen, nicht spalten.“

Deutschland befindet sich derzeit immer noch in einer Starre der Ausgrenzung, der Diffamierung dem Mainstream missliebiger Menschen und Meinungen, unsere Gesellschaft wird fortgesetzt, vielfältig und infam gespalten.

Der Moderator im Studio forderte die Zuschauer zum Schluss auf: „Bitte üben Sie ruhig Kritik! Wir werden darauf hören und wenn nötig nachbessern. Das versprechen wir Ihnen.“

Man stelle sich vor, Tagesschau-Sprecher formulierten solche Worte …

Abschließend: zaghafte und doch skandalöse Versuche der Normalisierung

Während Polen sich auf den Weg begibt, vielleicht eine bessere, offene, gerechtere Gesellschaft zu werden und dabei immer noch die Eliten im Weg stehen, ist hierzulande hier und da ein wenig politisches Tauwetter im gesellschaftlichen Leben zu beobachten. Beispiel: Sie kennen doch Nena, die berühmte Sängerin, deren Hit und, ja, Friedenslied „99 Luftballons“ bis heute aktuell ist. Diese Nena gilt bis heute als eine der Künstlerinnen, die den Stempel „umstritten“ tragen, aufgedrückt von den selbst ernannten Nichtumstrittenen in den Medien, in der Veranstalterbranche, in der Politik. Auf Nachrichtenseiten wird bis heute so oder so ähnlich über die Sängerin geschrieben:

Die 63-Jährige gilt seit der Corona-Pandemie als umstritten. Damals fiel sie unter anderem durch Äußerungen gegen die Maßnahmen der Bundesregierung und zu Demonstrationen auf. Mehrere ihrer Shows wurden danach abgesagt.

Doch, welch’ Veränderung geschah jetzt: Nena war tatsächlich Gast der ZDF-Sendung Helene Fischer Show. Einerseits wurde dies danach gewohnt boshaft begleitet von Schmährufen und Häme in sozialen und professionellen Medien, andererseits lenkt man nun allmählich ein. Das geschieht, indem Befürworter, die vor Wochen, Monaten kaum öffentlich zitiert worden wären, sich äußern dürfen. Hier war es der Musikmanager Thomas Stein.

„Ein paar Spießer regen sich auf und machen aus einer Kleinigkeit ein Monument. Das ist typisch.“ Frühere Aussagen der Sängerin, wie zum Beispiel die Aufforderung an ihre Fans, sich über die Hygienevorschriften hinwegzusetzen, empfinde er durchaus als „unglücklich“. Aber dennoch sei Nena eine Künstlerin, „die Menschen mit ihrer Musik seit langer Zeit viel Freude macht. Wir können sie doch jetzt nicht einfach auf Jahrzehnte verbannen.“ Weiter sagte er: „Viele Politiker reden auch jeden Tag dummes Zeug. Ein Auftrittsverbot bekommen sie deswegen auch nicht.“
(Quelle: Focus)

„Wir können sie doch jetzt nicht einfach auf Jahrzehnte verbannen“

Ja, Herr Stein und all die anderen, die ehrlich oder widerstrebend erkennen, was derlei Verbannung der vergangenen Jahre bis heute angerichtet hat und weiter anrichtet: Wir können und dürfen keinen Mitbürger aus unserer Gesellschaft verbannen. Politiker, die dummes Zeug reden und tun, sollten indes zurücktreten.

Titelbild: OleksSH/shutterstock.com

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