Die „Letzte Generation“: Aufstieg und Fall einer Klima-Sekte

Die „Letzte Generation“: Aufstieg und Fall einer Klima-Sekte

Die „Letzte Generation“: Aufstieg und Fall einer Klima-Sekte

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Das Ende war dann doch recht unspektakulär. Am 29. Januar teilte die „Letzte Generation“ (LG) in einer Presseerklärung mit, dass sie künftig keine klebrigen Blockaden mehr auf Straßen durchführen werde. Schon in den vergangenen Monaten war die Gruppe kaum noch mit derartigen Aktionen öffentlich in Erscheinung getreten. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Datum war nicht zufällig gewählt. Exakt zwei Jahre vorher hatten 24 Aktivisten der Gruppe erstmals eine in Deutschland bislang unbekannte Protestform zelebriert. Sie blockierten Straßen nicht nur durch reine physische Präsenz, sondern klebten sich mit schnell härtenden Klebstoffen am Asphalt fest, um eine schnelle Auflösung der Blockaden zu verhindern. Zuvor waren sie vor allem mit einem Hungerstreik im Spreebogenpark im Berliner Regierungsviertel in Erscheinung getreten, der am 30. August 2021 begann und am 25. September beendet wurde. Ziel der Aktion war es, die Spitzenkandidaten der Parteien im Vorfeld der Bundestagswahlen zu öffentlichen Gesprächen und verbindlichen Aussagen über die künftige Klimapolitik zu veranlassen, worauf sich diese natürlich nicht einließen. Auch ihre Hauptforderung – die Einrichtung eines mit legislativen Kompetenzen ausgestatteten „Bürgerrats“ für den Klimaschutz – fand keine Resonanz.

Die LG kam keineswegs aus dem Nichts, sondern war eine Art Ausgründung der bereits seit 2018 zunächst in England und später in vielen europäischen Ländern aktiven Gruppe „Extinction Rebellion“, die sich als eine Art radikaler Flügel der Klimabewegung „Fridays for Future“ positionierte und entsprechend agierte. Eingebunden war und ist die LG in ein internationales Netzwerk namens „A 22“, in dem sich zehn Organisationen aus Europa, den USA, Kanada und Neuseeland zusammengeschlossen haben. Den finanziellen Background lieferte vor allem der US-amerikanische „Climate Emergency Fund“, für dessen Anschubfinanzierung die Öl-Erbin Aileen Getty gesorgt hatte. Dieses Geld ermöglichte auch der LG die schnelle Schaffung professioneller Strukturen, bis hin zur Bezahlung von Voll- und Teilzeitaktivisten in Leitungsebenen.

Was anfangs als eine Art verwirrt-radikalisierte Jugendbewegung wahrgenommen wurde, entpuppte sich bei näherem Hinsehen alsbald als streng hierarchisch organisierte Gruppe mit teilweise sektenähnlichen Strukturen. An der Spitze stehen das dreiköpfige „Kernteam“ und darunter das „Strategieteam“, das grundlegende Entscheidungen trifft und an Arbeitsgemeinschaften wie „Finanzteam“ und „Presseteam“ weitergibt. Eine Ebene darunter agieren regionale Strategieteams, die wiederum die lokalen Aktionsgruppen anleiten. Die Rekrutierung neuer Mitstreiter erfolgte über ein System von Online- und Präsenzschulungen, Fragebögen und persönlichen Gesprächen. Wer dann immer noch entschlossen war und für gefestigt genug befunden wurde, absolvierte eine oder mehrere Trainingseinheiten, bevor es an die Klebefront ging.

Im Besitz der absoluten Wahrheit

Doch der Sektencharakter wird vor allem beim ideologischen Background sichtbar. Man beruft sich auf nicht hinterfragbare „Erkenntnisse der Wissenschaft“, laut denen die Menschheit auf „Kipppunkte“ zusteuere, deren Erreichen einen irreversiblen Selbstzerstörungsmechanismus auslöst, der über Flut-, Dürre- und Hungerkatastrophen in die weitgehende Unbewohnbarkeit des Planeten münden würde. Und daher wähnt man sich als letzte Generation, die diesen Prozess noch aufhalten kann und im Sinne eines universellen Naturrechts auch muss.

Die konkreten Forderungen der LG an die deutsche Politik, an deren Erfüllung sie die mögliche Beendigung ihrer Blockadeaktionen knüpfen wollte, wirken angesichts des prophezeiten nahenden Öko-Armageddons allerdings ziemlich plüschig: Tempo 100 auf allen Autobahnen und dauerhafte Einführung eines 9-Euro-Tickets für den Nahverkehr – also das, was jede x-beliebige Juso-Ortsgruppe ebenfalls fordert.

Es liegt auf der Hand, dass sich genervten Autofahrern auf ihrem durch sanfte Öko-Krieger unterbrochenen Arbeitsweg der unmittelbare Zusammenhang zwischen Flutkatastrophen in Bangladesch, 9-Euro-Ticket und ihrer Zwangspause nicht so richtig erschloss. Auch die Kartoffelbrei-Attacke von zwei LG-Aktivisten gegen ein Bild des französischen Impressionisten Claude Monet im Potsdamer Museum Barberini wirkte kaum aufklärerisch im Sinne des Kampfes gegen den Klimawandel. Doch gerade in den ersten Monaten der LG-Aktionen, für die in den Hochzeiten bundesweit rund 500 Aktivisten einsetzbar waren, gab es in linksliberalen und sogar konservativen Kreisen ein gewisses anerkennendes Grundverständnis.

So erklärte Georg Bätzing, Limburger Bischof und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in einer Predigt: „Man kann zu diesen Leuten und ihren Aktionen stehen, wie man will, aber irgendwie wurden sie aus der Lethargie geweckt, die noch viel zu viele von uns entspannt in die Zukunft blicken lässt.“ Das Lebensgefühl dieser Aktivisten ähnele dem der frühen Christen in der Urkirche, die sich als letzte Generation vor dem Anbruch des Reiches Gottes verstanden hätten, so Bätzing. Und als vor allem Teile der CDU/CSU von einer drohenden „Klima-RAF“ hyperventilierten und ein Verbot der LG als kriminelle Vereinigung forderten, initiierten Schauspieler des Bonner Stadttheaters einen Solidaritätsaufruf mit der LG, den binnen weniger Wochen über 1.200 Kulturschaffende unterzeichneten, darunter der Intendant der Schaubühne Berlin Thomas Ostermeier, der Kabarettist Rainald Grebe und Kathrin Röggla, Vizepräsidentin der Akademie der Künste.

Auch die Justiz reagierte keineswegs einheitlich. Während in Bayern LG-Aktivisten mit mehrwöchiger Präventivhaft und drastischen Strafen rechnen mussten, wurde ein Freiburger Klimaaktivist freigesprochen, der sich an der Blockade einer viel befahrenen Bundesstraße und weiteren Aktionen beteiligt hatte. Das Gericht kam nach mündlicher Verhandlung zu dem Schluss, angesichts des Klimanotfalls, in dem sich Deutschland objektiv betrachtet befinde, sei die Aktion nicht als verwerflich im Sinne des Strafgesetzes anzusehen.

Sogar vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, gab es eine Art demokratisches Gütesiegel. Er halte die Klimaaktivisten nicht für extremistisch, und sie stellten die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht infrage, sagte Haldenwang in einer Gesprächsrunde des SWR. Die „Letzte Generation“ sage im Grunde: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun (…). Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert“.

Die Erweckung der Massen blieb aus

Doch irgendwann war der ganze Hype dann weitgehend vorbei. Die Blockade-Aktionen, die sich hauptsächlich auf Berlin konzentrierten, waren bald nicht mehr als lästige Alltagsnerverei. Die Polizei hatte sich darauf eingestellt und gelernt, die angeklebten Aktivisten schnell und professionell von der Straße zu lösen – handelsübliches Speiseöl erwies sich dabei als äußert effektiv.

Dazu kam ein kleines PR-Desaster, das den Nimbus der Klima-Kämpfer beträchtlich ankratzte. So wurde im Februar 2023 bekannt, dass zwei Aktivisten ihren Gerichtstermin in Bad Cannstadt nicht wahrnehmen konnten, weil sie in den Urlaub nach Thailand geflogen waren, was entsprechende Häme auslöste. Die LG verteidigte die Flugreiselust der Mitglieder: „Sie haben den Flug als Privatleute gebucht, nicht als Klimaschützer. Das muss man auseinanderhalten“, hieß es in einer Erklärung. Insbesondere beeinflusse es auch nicht, „wie richtig oder falsch Forderungen an die Bundesregierung sind“.

Immer mehr Aktivisten wurden im Laufe der Zeit zu Geld- oder Bewährungsstrafen verurteilt, zudem drohen erhebliche Schadensersatzforderungen, etwa für Blockade-Aktionen an Flughäfen. Die angestrebte „Erweckung“ der Massen im Kampf gegen den Klimawandel blieb jedenfalls aus. Im Gegenteil: Die Zahl der aktionsbereiten Unterstützer schrumpfte rapide, wie Lars Werner, Mitglied des LG-Strategieteams, anlässlich der Rückzugserklärung im Spiegel einräumte: „Wären weiter genügend neue Menschen dazugekommen, damit andere sich eine Atempause nehmen können, hätten wir gesagt: Wir gehen diesen Weg genauso weiter“, so Werner.

Aber vor allem hat sich auch die politische Stimmung in Deutschland gedreht. Die Angst vor dem Klimawandel ist auf der Prioritätenlisten der meisten Bürger von ziemlich weit oben nach ganz weit hinten gerutscht. Der Begriff „Klimaschutz“ ist mittlerweile gründlich desavouiert, nicht zuletzt aufgrund des absurden Heizungsgesetzes und allgemein einer Energie- und „Klimaschutzpolitik“, die von den meisten Bürgern vor allem als massive Bedrohung ihrer materiellen Existenz wahrgenommen wird. Und wie man effektiv Autobahnen blockiert und Innenstädte lahmlegt, haben unlängst die Bauern gezeigt – dummerweise mit Anliegen, mit denen die LG eher wenig anfangen kann. Deren letzte, einigermaßen spektakuläre Aktion war die zweimalige Beschädigung des Brandenburger Tors in Berlin durch ein paar Kübel orangener Farbe.

Bei der „Letzten Generation“ wird man künftig jedenfalls kleinere Brötchen backen. Gehorteter Klebstoff wurde in Berlin bereits öffentlich verschenkt. Als gescheitert sieht man sich allerdings keineswegs. In der Rückzugserklärung heißt es über die seit der ersten Klebeaktion vergangenen zwei Jahre: „Wir haben es geschafft, bundesweit in weit über 1.000 Vorträgen über die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufzuklären und haben in ebenso vielen Protesten unseren entschlossenen Widerstand dagegen auf die Straße getragen. Niemand in Politik und Öffentlichkeit konnte diesen Widerstand gegen das Versagen der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren ignorieren, wie tausende Presseartikel und hunderte Gespräche mit Politiker:innen bis hinauf zu Bundes-Minister:innen beweisen“. Es bleibe das Ziel der Letzten Generation, „jene kritische Masse an Menschen auf die Straßen zu mobilisieren, die es braucht, damit dieser Wunsch (nach Rettung des Planeten) auch Realität wird. Denn „wir stehen 2024 als Gesellschaft noch näher am Abgrund als 2022“.

Hauptprotestform sollen künftig nicht näher erläuterte „ungehorsame Versammlungen“ sein. Außerdem werde man verstärkt Politiker und andere Entscheider „öffentlich und vor laufenden Kameras zur Rede stellen“ sowie „verstärkt Orte der fossilen Zerstörung für unseren Protest aufsuchen, so wie es in der Vergangenheit schon bei Protesten an Öl-Pipelines, Flughäfen oder dem Betriebsgelände von RWE der Fall war“. Dazu käme ein „einfacher Appell“ an den „hoch angesehenen“ Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, „öffentlich und ehrlich über die Klimazerstörung und das notwendige Umsteuern zu sprechen. Die Details dieses Appells werden in den kommenden Monaten in Form eines Briefes ausgearbeitet werden.“

Vielleicht wird aus der klandestinen Klima-Sekte auf diesem Wege jetzt eine hundsgewöhnliche NGO, die dann gemeinsam mit Fridays for Future, dem BUND und der Grünen Jugend ab und zu einen sogenannten „Klimastreik“ ausruft und irgendwo demonstriert. Aktuell hat man sich in die „Brandmauer gegen den Faschismus“ eingereiht und für die gleichnamige Aktion am 3. Februar sogar auf eine angeblich für diesen Tag irgendwo geplante „Massenbesetzung“ verzichtet. Denn es seien „ganz besonders die Faschisten, die die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen unwiederbringlich zerstören wollen und das fossile Weiter-so mitten im beginnenden Klimakollaps weiter forcieren“, hieß es zur Begründung.

In der Versenkung verschwinden will man jedenfalls nicht. Seit Ende 2023 ist die Marke „Letzte Generation“ und die dazugehörende bildliche Markendarstellung beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet.

Titelbild: Vincenzo Lullo/shutterstock.com

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