In Paraguay haben Tausende Familien Schwierigkeiten, eine menschenwürdige Wohnung zu finden. Dennoch war es vielen Menschen möglich, durch die Zugehörigkeit zu einer Wohnkooperative Zugang zu einer menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnung zu bekommen. Von Carol Sotelo.
Der Traum von einer eigenen Wohnung in Paraguay erscheint angesichts der hohen Immobilienkosten immer irrealer, wenn man diese mit dem durchschnittlichen Lohn oder dem erwirtschafteten durchschnittlichen Einkommen der werktätigen Bevölkerung vergleicht.
Eine durchschnittliche städtische Familie in Paraguay besteht laut der Ständigen fortlaufenden Haushalts-Umfrage (EPHC) von 2019 aus 4,6 Personen. Fokussieren wir uns auf die Bedürfnisse dieser Gruppe bezüglich des Wohnraums, würden wir nach einer Wohnung mit drei Zimmern, zwei Bädern und mindestens 100 Quadratmetern suchen. [1]
Wenn man eine Schnellsuche auf dem Immobilienportal Info Casas mit diesen Suchkriterien startet, werden Objekte ausgeworfen, deren Preise zwischen 400 und 800 Millionen Guaraní (rund 44.000 bis 88.000 Euro) liegen und sich in der Nähe der Hauptstadt in Städten wie Fernando de la Mora, San Lorenzo oder Villa Elisa befinden. Wenn man die Suche anders ausrichtet, besonders auf die Hauptstadt Asunción, verdoppeln sich die Kosten.
Das Preis-Einkommen-Verhältnis
In einer Kolumne der Tageszeitung 5 Días definiert der Architekt Nicolás Morales Saravia eine ganz nützliche Kennziffer, um die Erschwinglichkeit einer Wohnung zu bestimmen. Er setzt dabei Preis und Einkommen ins Verhältnis.
In Paraguay liegt das Mindest-Lohneinkommen bei 355,57 US-Dollar (entspricht 2.798.309 G – beim Wechselkurs am Tag der Veröffentlichung), und die Durchschnittskosten für eine 100 Quadratmeter – Wohnung in Asuncion liegen bei 170.000 Dollar (1.309.000.000 G). Die Berechnung der Preis-Einkommens-Kennziffer ergibt, dass der Preis bei etwa dem 461-Fachen des Mindesteinkommens liegt. Das ist nach Auffassung des Architekten ein extrem hoher Wert, der die Überbewertung des Immobilieneigentums zeigt.
Die hohen Kosten am Markt sind schon ein großes Handycap. Es gibt aber auch noch andere, wie das Fehlen staatlicher Politiken zur Marktregulierung zugunsten der breiten Bevölkerung und die Prekarisierung der Arbeit. Hinzuzählen können wir auch die Wohnungsprogramme ohne gesellschaftliche Perspektive, die dazu führen, dass der Traum vom eigenen Heim effektiv in immer weitere Ferne rückt. [2]
Ausgrenzende „Lösungen”
Bankkredite für Wohnungen sind auf dem paraguayischen Markt ein sehr populäres Produkt. Jedoch ist es durch die Bürokratie des Prozederes, die Anforderungen an den Kreditnehmer und die hohen Finanzierungskosten für die Mehrheit der Bevölkerung unerreichbar. Die am meisten von solchen Krediten Ausgeschlossenen sind hauptsächlich die unabhängig Beschäftigten, die über keine Sozialversicherung verfügen oder deren Einkünfte von Tag zu Tag minimal sind.
In diesem Kontext werden die staatlichen Programme wie „Meine Wohnung” oder „Che Roga Pora” infrage gestellt, weil sie keine wirkliche Lösung für die Klasse der Werktätigen darstellen.
Außerdem wird ihnen vorgeworfen, einen wenig transparenten Prozess zu betreiben, indem sie sich mit Entwicklern und Prüfern mit fragwürdiger Herkunft zu zusammentun.
In dieser Hinsicht bieten die Wohnkooperativen einen von der gemeinschaftlichen Organisation ausgehenden Lösungsansatz für die Wohnungskrise. Auf diese Weise wird versucht, den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung, die immer noch von den traditionellen Lösungen ausgeschlossen ist, zu erfüllen.
Die Wohnkooperative: eine Lösung mit gemeinschaftlicher Vision
Eine Wohnkooperative ist eine gemeinnützige Vereinigung von Personen, die sich zusammenschließen zur Erreichung des gemeinsamen Ziels der Erlangung eines eigenen, menschenwürdigen Heims mit bestmöglicher Qualität zu erbringbaren Kosten. Diese Kooperativen funktionieren wie die Mehrzahl der Kooperativen, und sie bilden sich aus einer Mitgliederversammlung heraus. Diese Personen treffen die wichtigsten Entscheidungen. Außerdem verfügen sie über einen Verwaltungsrat und einen Aufsichtsrat, verantwortlich für die Kontrolle der Körperschaft.
Victor Pereira kommt von der Fakultät für Architektur, Design und Kunst der Nationaluniversität von Asunción, und seine wissenschaftliche Arbeit dreht sich um die Wohnkooperativen. Er selbst sagt, dass diese sich auf vier philosophische Säulen stützen: das gemeinschaftliche Eigentum an Grund und Boden, die direkte Demokratie, die Selbstverwaltung und die gegenseitige Hilfe.
Victor erklärt dazu, dass bei diesem Modell die in der Kooperative zusammengeschlossenen Personen einen hohen Grad an Eigenverantwortung bei allen ihre Wohnung betreffenden Entscheidungen haben. Das reicht vom Entwurf über die Planung, die Materialien bis hin zum Bauprozess.
„Bei diesem Modell arbeiten die Mitglieder der Kooperative und ein multidisziplinäres technisches Team von Anfang an im sozialen und rechtlichen Bereich und natürlich beim Bau. Mehr noch als die Beteiligung ist für mich der Protagonismus der Menschen, für die diese Wohnungen letztlich bestimmt sind, hervorzuheben, und das ist die hauptsächliche Komponente dieses Modells”, sagt er.
Victor hat eng mit verschiedenen Wohnkooperativen gearbeitet. Dazu sagt er, dass in einigen dieser Kooperativen Arbeitsgruppen organisiert wurden, wo viele der Kooperativemitglieder selbst Bauberufe erlernten, um sich direkter in den Bauprozess einzubringen.
Dadurch – schätzt man – wurden bis zu 15 Prozent des Gesamtbudgets eingespart, weil man weniger Arbeitskräfte anstellen musste. Außerdem ergab sich die Möglichkeit, diese Mittel anderweitig einzusetzen, beispielsweise um die Qualität der Materialien zu verbessern.
Ursprung und Regulierung zu den Wohnkooperativen
Das Wohnungs-Kooperativenwesen entsteht in Uruguay im Jahr 1966. Danach kam es zu Beginn der 2000er-Jahre in unser Land.
In der paraguayischen Gesetzgebung schreibt das Gesetz 2329/03 den administrativen Rahmen der Wohnkooperativen und des Fonds für Wohnkooperativen fest. Beides wird behördenseitig durch das Nationale Institut für Kooperativen (Incoop) reguliert.
Die erste Erfahrung auf lokaler Ebene wurde mit einer Wohnkooperative im Barrio Cooperativo Kuarahy Rese de Aveiro (Itá) gemacht. Dieses Barrio verfügt heute über 300 Wohnungen und löste das Wohnungsproblem für eine große Anzahl von Menschen.
Zulma Rojas, Einwohnerin und Ex-Präsidentin der Cooperativa Kuarahy Rese de Aveiro, bekräftigt, dass die Wohnkooperativen eine wirkliche Lösung für das Wohnungsproblem sind. Das liegt daran, dass die Tatsache, eine Wohnung zu haben, ein Grundrecht ist, das die Türen öffnet zu anderen Rechten wie dem auf Gesundheit und Bildung.
„Die Wohnung ist ein Grundbedürfnis. Ausgehend davon, dass wir über Wohnraum verfügen, können wir an die Gesundheit der Familien und an unsere Ausbildung denken. Dieses Organisationssystem lässt uns wachsen, als Menschen und als Fachleute”, sagt Zulma.
Erfolgsgeschichten: „Auch die Arbeiterklasse kann sich organisieren”
Die Zentrale der Wohnkooperativen der gegenseitigen Hilfe Paraguays (Ccvamp) ist eine Organisation, die das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung durch Selbstverwaltung fördert. Zulma Rojas, die auch selbst eine Zeit lang Präsidentin dieser Einrichtung war, erzählt, dass circa 18 mit der Zentrale assoziierte Kooperativen erfasst sind.
Die 300 Familien umfassende Cooperativa de Viviendas Kuarahy Rese de Aveiro in der Stadt Itá ist die zahlenmäßig Größte. Es gibt aber auch registrierte Kooperativen mit 15 oder 30 Familien in San Juan Bautista, Mariano Roque Alonso, Caccupé, Limpio y el Bañado de Asunción. Insgesamt, so Zulma, leben in diesen Kooperativen zwischen 600 und 800 Familien.
„Unsere Absicht ist es, dieses Modell zu vervielfältigen. Wir wollen, dass andere Paraguayer und Paraguayerinnen auf diese Art und Weise bauen können. Wir wollen beweisen, dass wir Werktätigen uns auch organisieren, unsere gemeinsamen Ressourcen verwalten und das erträumte Dach über dem Kopf erreichen können“, sagt Zulma.
Wenn die Kooperative einmal gegründet ist, wird das (Bau-) Projekt vorgestellt und das Arbeitsteam gebildet. Die Finanzierung kann eine Laufzeit von bis zu 20 Jahren haben, die Raten können von 145.000 bis zu 400.000 G reichen. Sowohl das Budget des Projektes als auch die Finanzierung werden berechnet auf Grundlage des Einkommensdurchschnitts der Personen, die die Kooperative bilden.
Auch die Kollektivität hat ihre Herausforderungen
Zulma sagt, dass es einige Fälle schlechter Verwaltung der Finanzmittel gab. Aber sie betont, dass diese Fälle das Ergebnis dessen sind, was sie die „schlimmen Laster” einer individualistischen Erziehung in unserer Gesellschaft nennt, wo oft die eigenen Interessen über dem Gemeinwohl stehen.
„Viele Leute sagen, dass es undenkbar ist, ein solches Modell in Paraguay zu verwirklichen. Aber diese Kooperativen sind eine Realität. Und auch wenn es diese Art von Problemen gibt, wir sind in der Lage, sie zu lösen und sie zu überwinden“, erklärt sie.
Andere große Problemfelder liegen im fehlenden politischen Willen. Die Wohnkooperativen genießen nicht die gleiche Förderung wie andere Programme des Staates. Und obwohl es ein Gesetz gibt, das diese reguliert, und auch erfolgreiche praktische Beispiele, wissen nicht viele Leute, wie sie funktionieren.
„Wir haben sogar einige Demonstrationen organisiert, um zu erreichen, dass die Projekte, die man uns mit der Ausrede der Fälle schlechter Verwaltung nicht genehmigen wollte, nun endlich starten können. Die Realität ist, dass es der Mehrheit der Regierenden nicht gefällt, wenn wir uns selbst organisieren können, weil damit diese Praxis staatlicher Wohlfahrt beseitigt wird. Das ist die Logik des Systems”, sagt sie.
„Wir schaffen nicht nur Wohnungen, sondern ein würdiges und gemeinschaftliches Leben”
Leidyd Romero erzählt, was mit diesem Projekt im Jahr 2008 begann und Teil der zweiten Etappe der Wohnkooperative von Itá wurde. Zu dieser Zeit wohnte sie zur Miete.
Im Falle von Leidyd gab es zwei vorausgehende Schritte: zuerst die Ableistung der Stunden gegenseitiger Hilfe (beim Bau) und dann den monatlichen Beitrag von 60.000 G im Rahmen der Vorleistung.
„In der ersten Etappe gab es schon fertige Wohnungen. Zu sehen, was für andere Familien schon dabei herausgekommen war, das hat uns geholfen, mehr Motivation und Glauben an das Projekt zu haben. Es war für uns eine gangbare, eine machbare Alternative”, sagt sie.
Leidyd erzählt, dass sie weiterhin monatlich für ihre Wohnung einzahlt, aber nun „mit der kollektiven Sicherheit.”
„Ich betone die Sicherheit, die wir in unserem Barrio haben, die Solidarität und die Selbstverwaltung. Wir schaffen nicht nur Wohnraum, sondern ein würdiges und gemeinschaftliches Leben. Das ist der eigentliche Mehrwert im Vergleich zu anderen Vorschlägen für Sozialwohnungen, wo wir kaum Einfluss auf das Endergebnis haben”.
Sie merkt an, dass es ihre größte Angst war, die erforderlichen Arbeitsleistungen nicht erbringen zu können, weil bei diesem Modell das Mitglied der Kooperative auch direkt zum Bau des Wohnraums beiträgt.
„Wenn das auch am Anfang eine Herausforderung war, kann ich mit Stolz sagen, dass aus diesem Prozess mehrere Frauen als Maurerinnen und Baumeisterinnen hervorgingen. Stell dir vor, außer Häusern wurde die Gleichberechtigung unter den Geschlechtern geschaffen”, betont sie.
Leidyd sagt weiter, dass der Staat die guten Ergebnisse dieser Modelle anerkennen und zu ihrer Förderung, Verwaltung und Erhaltung beitragen sollte. Außerdem meint sie, dass es auch für die Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht für dieses Modell entscheiden, effiziente Lösungen für menschenwürdigen Wohnraum geben muss.
Wohnkooperativen, das Beispiel für einen erfüllbaren Traum
Die Wohnungkooperativen sind mehr als eine Lösung des Wohnproblems. Sie beweisen auch, dass es möglich ist, Gemeinschaften auf der Grundlage kollektiver Organisierung aufzubauen. Ungeachtet der Herausforderungen, wie dem fehlenden politischen Willen, stellt dieses Modell mit dieser Art von Projekten eine effiziente Lösung dar, die heute den Bedürfnissen von Hunderten Familien gerecht wird.
Die Erfahrung von Kooperativen wie der von Kuarahy Rese de Aveiro (Itá) ist der Beweis, dass die werktätige Klasse einen Willen hat. Außerdem zeigt sie die Fähigkeiten zu Organisation, Verwaltung und Management, die notwendig sind, um, wie es Zulma Rojas aufzeigte, Zugang zu einer menschenwürdigen Wohnung zu erlangen.
In einem Land, in dem der Zugang zu einer eigenen Wohnung für viele Menschen zu einem immer ferneren Traum wird, zeigen uns die Wohnkooperativen, dass es möglich ist, durch kollektive Organisierung Grundrechte wie das auf Zugang zu einer menschenwürdigen Wohnung zu erringen.
[«1] Anmerkung zur Übersetzung: Bei Angaben zur Wohnungsgröße werden grundsätzlich nur die Schlafzimmer gezählt; das „Wohnzimmer” – la sala – kommt immer noch hinzu
[«2] Anmerkung zur Übersetzung: Im Text werden die Begriffe vivienda, casa propia zum Teil synomym zur Bezeichnung des „eigenen Heims” im Sinne des selbst genutzten Wohneigentums benutzt
Übersetzung: Camilla Seidelbach, Amerika21
Titelbild: Blick auf die Häuser im Barrio Cooperativo Kuarahy Rese de Aveiro (Itá) – Quelle: LEIDYD ROMERO
Stimmen aus Lateinamerika: Lektionen aus Paraguay
Stimmen aus Lateinamerika: „Es gibt immer eine progressive Lösung”
Deutsche Wirtschaft fordert besseren Zugriff auf Bodenschätze und Fachkräfte in Lateinamerika
Stimmen aus Lateinamerika: Die Einmischung der USA geht unvermindert weiter