Die Reaktionen auf den Mord an Charlie Kirk – und ihre Bedeutung für uns.
Gestern machte die Nachricht vom Attentat auf den US-amerikanischen rechtskonservativen Aktivisten und Podcaster Charlie Kirk die Runde. Der 31-jährige Trump-Unterstützer, der in den USA extrem bekannt war, starb nach dem Schuss aus einer Entfernung von ca. 180 Metern, die seine Halsschlagader traf. Ein Video der Tat in Orem, Utah, das auf Social Media kursierte, zeigt deutlich den schrecklichen Moment. Charlie Kirk sitzt entspannt, plötzlich der Einschlag und er sackt blutüberströmt in sich zusammen. Die Reaktionen kochen seitdem hoch und zeigen die immer tiefer werdende Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft, die in Deutschland auch wächst. Was können wir gegen diese Radikalisierung der Atmosphäre tun? Ein Kommentar von Maike Gosch.
Der Schuss fiel gerade in dem Moment, als Charlie Kirk mit Studierenden über Massenerschießungen in den USA diskutierte. Die Veranstaltung fand im Rahmen von Kirks ‘American Comeback Tour’ an der Utah Valley University unter dem Motto ‚Prove Me Wrong‘ statt. Kirk war einer der prominentesten Stimmen der amerikanischen „Rechten“ (man kann die Begriffe „links“ und „rechts“ eigentlich nur noch in Anführungszeichen setzen, da sie so sehr verzerrt und instrumentalisiert werden und ihre Bedeutung dabei fast vollständig verloren gegangen ist) und ein engagierter Verfechter des Waffenrechts. Er wies Forderungen nach strengeren Gesetzen selbst nach Massenschießereien zurück. Kirk hinterlässt seine Frau und zwei Kinder. Der Täter ist bisher noch nicht gefasst.
Republikaner, MAGA (Make America Great Again)-Anhänger und Kirk-Fans trauerten und viele machten die politische Linke in den USA für den Mord verantwortlich, so wie Elon Musk, der auf X schrieb, „The Left is the party of murder“ („Die Linke ist die Partei des Mordes“), und sich damit auch auf den Mordanschlag auf Präsident Trump und den Mord an Brian Thomson, dem Geschäftsführer von United Healthcare, bezog.
Demokraten, Liberale, „Linke“ und Kritiker des Waffenrechts feierten teilweise den Mord, insbesondere auf der Plattform Bluesky. Andere zitierten die Aussagen von Charlie Kirk zu der Debatte um ein strengeres Waffenrecht in den USA, „Es lohnt sich, leider jedes Jahr einige Todesfälle durch Schusswaffen in Kauf zu nehmen, damit wir das 2nd Amendment (Anm. d. Red.: der zweite Zusatzartikel zur US-Verfassung, der das Recht auf Waffenbesitz garantiert) haben können“, als Kommentar zu seinem Tod.
Natürlich machten auch viele Spekulationen die Runde, so wie die, dass Charlie Kirk von Israel oder israel-nahen Kräften ermordet wurde, weil er in letzter Zeit die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Bezug auf Kritik an Israel kritisiert hatte. Andere vermuteten eine Aktion des Tiefen Staates, um Aufruhr zu stiften, um wiederum mit repressiven staatlichen Maßnahmen reagieren zu können. Der investigative Journalist Max Blumenthal machte auf den Tweet eines Neokonservativen aufmerksam, der in Reaktion auf den Mord zu einem politischen und geheimdienstlichen Kampf gegen die „Linke“ im Stil von COINTELPRO aufrief (COINTELPRO war eine geheime Kampagne des FBI zur Unterdrückung linker politischer Bewegungen in den USA, oft mit illegalen und manipulativen Methoden).
Pro-palästinensische Aktivisten beklagten die Doppelmoral, die sie darin sahen, dass der Mord an Kirk so starke Empathie und so großes Interesse bei den US-Amerikanern hervorruft, während die täglichen Nachrichten von ermordeten Palästinensern seit fast 2 Jahren von ihnen weitgehend ignoriert, achselzuckend hingenommen oder sogar befürwortet werden. Viele Kritiker von Kirk auf der „Linken“ erklären ihre Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit (wenn nicht sogar Freude) in Reaktion auf seinen Tod mit der – von ihnen so empfundenen – Empathielosigkeit Kirks gegenüber den Toten von Massenerschießungen an Schulen.
Die Reaktionen auf den Mord an Charlie Kirk auf beiden Extremen des politischen Spektrums zeigen, wie extrem aufgeheizt die öffentliche Stimmung durch die brutale Tat ist. Wie ein Funke, der in Zunder fällt, scheint sie einen Flächenbrand in der politischen Landschaft auszulösen oder besser die bestehenden Brände zu verstärken. Bei kulturellen Themen, wie auch bei innenpolitischen und geopolitischen Themen, haben wir inzwischen einen Grad an Wut, Verzweiflung, Angst und Verhärtung erreicht, der gefährlich ist. Charlie Kirk nahm in diesem Spannungsfeld eine interessante Position ein: Einerseits versuchte er durch seine Diskussionsveranstaltungen, Debatten zwischen auch gegensätzlichen Positionen zu ermöglichen, gleichzeitig verstärkte er aber auch selbst durch seine eigenen Positionen und seine Rhetorik die Spaltung.
Politische Morde sind sowohl Symptome einer eskalierenden gesellschaftlichen Stimmung, als auch Katalysatoren für eine weitere Entwicklung hin zu mehr Gewalt und bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Deswegen häufte sich natürlich auch von offiziellen Stellen und Politikern der Aufruf zu Mäßigung und Gewaltlosigkeit nach dem Anschlag (zu Recht).
In Deutschland sind wir bisher – zum Glück – noch nicht in der Phase der politischen Morde (wenn es denn einer war) angekommen. Aber die Spaltung besteht genauso und das öffentliche Klima ist extrem aufgeheizt und verhärtet. Das Interessante ist, dass sich die „verfeindeten“ Parteien in diesen Konflikten – ohne es zu wollen oder zu bemerken – so oft ähnlich werden, je wütender und aufgebrachter sie sind. Keine Empathie für Palästinenser, keine Empathie für die Opfer von Massenerschießungen auf der einen Seite, dann aber auch keine Empathie für den Tod von Charlie Kirk und seine Hinterbliebenen.
Es ist schwer, wütend zu sein und politisch zu kämpfen, und gleichzeitig Verständnis und Liebe für den Gegner/das Gegenüber zu behalten. Das ist evolutionsgeschichtlich plausibel – in einem physischen Kampf alle Energie auf Sieg oder Vernichtung zu richten und nicht auf die Versöhnung. Deswegen findet ab einem gewissen Maß an Aufregung und Wut auch ein Ausschalten von Empathie statt. Dies ist aber ein sehr gefährlicher Zustand für die Gesellschaft – und er ist zudem hochgradig manipulierbar. Dies ist eine der (vielen) psychologischen Achillesfersen von Menschen: Willst du Menschen gegeneinander aufhetzen, willst du sie damit von ganz anderen Machtkämpfen oder Interessenkonflikten (sozialen, wirtschaftlichen, politischen) ablenken, willst du durch Gräuelpropaganda Menschen in einen Blutrausch peitschen und kriegswillig machen, dann schaffe genau solche Situationen, setze sie solchen Schilderungen und Bildern aus, wie denen vom schrecklichen Mord an Charlie Kirk.
Und auch wenn dieser Mord nicht zum Zweck einer solchen Manipulation der Öffentlichkeit und einer Anheizung der Bürgerkriegsstimmung in den USA geschehen ist, sondern nur das Ergebnis eines Kulturkampfes oder eines psychologisch gestörten Einzeltäters, so ist es dennoch wichtig, die eigenen Emotionen kontrollieren zu lernen. Nicht nur aus politischen oder sozialen Gründen. Sondern auch für uns selbst. Wir werden sonst zu dem, was wir überwinden wollen, wir werden sonst genau zu dem, was wir hassen. Siehe die Kritiker von Kirk, die so entsetzt über seine Härte, Kälte und Empathielosigkeit gegenüber Afroamerikanern, Arabern und Muslims und anderen waren, aber dann selbst bei seinem Tod genau diese Haltung an den Tag legen. Und diese Härte, die Kälte und der Zynismus der „Linken“ entsetzt wieder die „rechten“ Fans von Kirk und schürt deren Hass auf „Linke“.
Wie in einem unendlichen Spiegelkabinett verstärkt sich so alles Negative und reflektiert sich gegenseitig.
Und diese Entwicklung ist auch dann riskant, sollte es sich bei dem Mord an Charlie Kirk tatsächlich zum Beispiel um einen Anschlag Israels gehandelt haben. Denn auch in solch einer Situation ist die Beibehaltung der Fähigkeit zu intellektueller Analyse und strategischer Handlung wichtig.
Was kann man also tun – in diesen aufgeheizten Zeiten? Tief durchatmen. Nicht sofort reagieren. Die Komplexität von Menschen und Situationen erkennen. Sehen, dass jeder Mensch eine große Spannbreite hat – in verschiedenen Kontexten und emotionalen Zuständen zum Besten und zum Schlechtesten fähig ist. Sich selbst beobachten und bemerken, wenn man abrutscht in Hass und Menschenfeindlichkeit, wenn einem die Empathie verloren geht, weil man gerade „rot“ sieht. Es geht um inneren und äußeren Frieden. Der Extremismus ist nicht nur außerhalb von uns, sondern auch in uns.
Martin Luther King Jr., der auch einem politischen Mord zum Opfer fiel, formulierte es so:
„Darkness cannot drive out darkness; only light can do that. Hate cannot drive out hate; only love can do that.“
„Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur das Licht tun. Hass kann den Hass nicht vertreiben, das kann nur die Liebe.“
Titelbild: Maxim Elramsisy / Shutterstock