Die Regierung von Javier Milei hat in der Abgeordnetenkammer in Argentinien eine doppelte Niederlage erlitten. Mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln überstimmte die Opposition die von Präsident Milei eingelegten Vetos zur Pädiatrie- und Universitätsfinanzierung. Zu beiden Themen gingen über Wochen regelmäßig Tausende Argentinier auf die Straße, um gegen die Pläne der Regierung zu protestieren. Von Stephan Hollensteiner.
Die Ablehnung von Mileis Veto war eindeutig und parteienübergreifend: Das Gesetz zur Bundesfinanzierung des Hospital Garrahan, einer Kindernotfallklinik in der Hauptstadt, wurde mit 181 Ja-Stimmen, 60 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen.
Zugleich wurde das von Milei vorgelegte Gesetz zur „Aktualisierung” der Universitätsausgaben mit 174 zu 67 Stimmen abgelehnt. Die darin vorgesehenen Budget- und Gehaltsanpassungen sehen die Rektoren, Gremien und Studierende unisono als unzureichend an.
Das deutliche Ergebnis war auch deshalb überraschend, weil die Regierung Milei bis kurz zuvor versucht hatte, einige Abgeordnete zu beeinflussen. So wurde bekannt, dass die Nordost-Provinz Misiones kurzfristig Zuweisungen von vier Milliarden Pesos (circa 2,3 Millionen Euro) erhalten hatte. Dennoch stimmten deren Abgeordnete gegen Milei, ebenso wie die Vertreter der nördlichen Provinz Salta. Deren Gouverneur hatte in sozialen Medien zum Widerspruch gegen Milei aufgerufen. Er sagte, es gehe um „die Zukunft junger Menschen” und „die Tausenden Kinder und Familien, die im Garrahan-Krankenhaus Fürsorge gefunden haben”.
Die Gouverneure der vor Kurzem entstandenen Koalition der „Vereinigten Provinzen”, die unter anderem die wirtschaftlich starken Provinzen Córdoba und Santa Fe umfasst, hatten zur „stolzen Verteidigung der öffentlichen Universitäten” aufgerufen und sich gegen Milei positioniert.
Zur parlamentarischen Niederlage der Regierung trug nach Ansicht von Beobachtern auch eine zeitgleich abgehaltene Massendemonstration zur Verteidigung der öffentlichen Universitäten bei. Die dritte „Marcha Federal”, organisiert von Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen sowie Vereinigungen von Studierenden und Dozenten, brachte erneut Zehntausende auf die Straße. Trotz starken Polizeiaufgebots sammelten sie sich am Ende auf der Plaza del Congreso und verfolgten die Parlamentsdebatte auf Großbildschirmen.
Als die Anzeigetafel der Abstimmung grün aufleuchtete und Parlamentspräsident Martín Menem die Ablehnung von Mileis Vorschlägen bekannt gab, brach bei Rektoren, Dozenten, Studenten und Gewerkschaftsmitgliedern kollektiver Jubel in Rufen, Sprüngen, Applaus, Umarmungen und Freudentränen aus.
Der Erfolg der dritten bundesweiten Protestaktion unter Milei, der Marcha Federal, könnte für die Opposition eine Wende im Konflikt mit der Regierung markieren. Seit ihrer Amtsübernahme setzt die Regierung die staatlichen Universitäten finanziell so stark unter Druck wie noch nie seit dem Ende der Diktatur mit Budgetverlusten von über 30 Prozent, Dozentengehältern unterhalb der Armutsgrenze, 90 gestoppten Infrastrukturprojekten und Stipendien, die kaum die Fahrtkosten decken.
„Wir werden nicht die Generation sein, die die öffentliche Universität sterben lässt. Denn Tausende Jugendliche kommen zu uns, und ihre Familien bringen Opfer”, sagte Franco Bartolacci, Rektor der Nationaluniversität von Rosario und Vizepräsident des Nationalen Interuniversitären Rates (CIN). „Es ging darum, ob der Föderalismus existiert oder verschwindet”, erklärte der Gewerkschaftsführer Oscar Alpa. „Wir müssen weitermachen, es geht um den Haushalt 2026″, fügte er hinzu.
Der CIN hat errechnet, dass auch der Gesetzentwurf für das Jahr 2026 die Verluste fortschreibt. Die von Milei für die Universitäten angekündigten 4,8 Billionen Pesos liegen nämlich deutlich unter den benötigten 7,3 Billionen.
Zwar will der Staatspräsident daran festhalten, „alles abzureißen”. Der von der Opposition errungene Teilerfolg gegen die Sparmaßnahmen stellt laut Beobachtern jedoch einen Moment „größter politischer Schwäche” der Regierung dar. Diese wird aktuell von den sich in den „Provincias Unidas” verbündenden Gouverneuren, den erstarkten Peronisten und einer anhaltend mobilisierten Öffentlichkeit in die Zange genommen. Mileis deutliche Niederlage bei den jüngsten Parlamentswahlen in der Provinz Buenos Aires hat die internen Konflikte der Regierung weiter offengelegt.
Die von der Parlamentsopposition bekräftigten Gesetzesentwürfe gehen nun an den Senat. Mit 59 zu neun Stimmen hat das Oberhaus letzte Woche ein anderes Veto des Präsidenten abgelehnt. Es ging dabei um das Gesetz zur Verteilung der Bundeszuwendungen „Aportes del Tesoro Nacional” (ATN) an die Provinzen, das die Gouverneure unisono eingebracht hatten. Milei wollte es blockieren. Nun ist wieder die Abgeordnetenkammer an der Reihe, wo das Gesetz im August angenommen worden war. Diese Mehrheit lag aber unter der erforderlichen Zweidrittelquote, um Vetos zu überstimmen.
Der Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: Mattia Fossati / Shutterstock
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