Die drei Elemente Antikommunismus, libertäre Wirtschaftspolitik und Kulturkrieg bringen die radikale Rechte in ganz Lateinamerika zusammen. Dies verschafft ihnen einen robusten ideologischen Rahmen, um Teile der Bevölkerung dazu zu bringen, in ihnen die Retter der Hemisphäre zu sehen. Es ist wahrscheinlich, dass sie bis Mitte 2026 die meisten Staaten entlang der Westküste Südamerikas (von Chile bis Kolumbien) regieren werden. Von Vijay Prashad.
Die Ultrarechte in Lateinamerika ist wütend. Jair Bolsonaro aus Brasilien und Javier Milei aus Argentinien wirken stets zornig und sprechen immer laut und aggressiv. Testosteron strömt aus ihren Poren, ein giftiger Schweiß, der sich über die Region ausgebreitet hat.
Es wäre einfach zu sagen, dass dies der Einfluss von Donald Trumps eigener Form des Neofaschismus ist, aber das ist nicht wahr. Diese Rechte hat viel weiter zurückreichende Ursprünge. Sie ist mit der Verteidigung der oligarchischen Familien verbunden, deren Wurzeln in der Kolonialzeit in den Vizekönigreichen von Neuspanien bis Rio de la Plata liegen.
Sicherlich lassen sich diese ultrarechten Männer und Frauen inspirieren von Trumps Aggressivität und vom Amtsantritt Marco Rubios, einem vehementen Verfechter der Ultrarechten in Lateinamerika, als US-Außenminister. Diese Inspiration und Unterstützung sind wichtig, aber nicht der Grund für die Rückkehr der Ultrarechten, einer „wütenden Flut“, die in ganz Lateinamerika anschwillt.
Oberflächlich betrachtet scheint es, als hätte die radikale Rechte einige Niederlagen erlitten. Jair Bolsonaro sitzt wegen seiner Rolle beim gescheiterten Putschversuch vom 8. Januar 2023 (inspiriert von Trumps eigenem vom 6. Januar 2021) für eine sehr lange Zeit im Gefängnis. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Chile gewann die Kandidatin der Kommunistischen Partei, Jeannette Jara, die meisten Stimmen und wird den Mitte-Links-Block am 14. Dezember in die zweite Runde führen.
Trotz aller Versuche, die Regierung Venezuelas zu stürzen, bleibt Präsident Nicolás Maduro an der Macht und hat große Teile der Bevölkerung mobilisiert, um die Bolivarische Revolution gegen jegliche Bedrohungen zu verteidigen. Und Ende Oktober 2025 stimmten die meisten Länder der Welt für eine Resolution der UN-Generalversammlung, die ein Ende der Blockade gegen Kuba fordert.
Diese Indikatoren – von der Inhaftierung Bolsonaros bis zur Abstimmung über Kuba – deuten darauf hin, dass die Ultrarechte ihre Agenda nicht an jedem Ort und auf allen Ebenen vorantreiben kann.
Doch unter der Oberfläche gibt es Anzeichen, dass Lateinamerika nicht das Wiederaufleben der sogenannten „rosaroten Flut” (nach der Wahl von Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 1998[1]) erlebt, sondern das Aufkommen einer „wütenden Flut“, die langsam die Region von Mittelamerika bis zum Südkegel zu überrollen beginnt.
Wahlen in Südamerika
Die erste Runde der chilenischen Präsidentschaftswahlen ergab ein beunruhigendes Ergebnis. Während Jara von der Kommunistischen Partei 26,85 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 85,26 Prozent erhielt, kam José Antonio Kast mit 23,92 Prozent auf den zweiten Platz. Evelyn Matthei von der traditionellen Rechten erzielte 12,5 Prozent, der rechte Kandidat Johannes Kaiser, der einst mit Kast zusammenarbeitete und nun noch weiter rechts steht, 14 Prozent.
Es ist wahrscheinlich, dass Jara einen Teil der Stimmen der Mitte für sich holen wird, jedoch nicht genug, um den Vorsprung der Ultrarechten zu überwinden, die offenbar mindestens mehr als 50 Prozent der Wähler auf ihrer Seite hat.
Der sogenannte Sozialliberale Franco Parisi, der den dritten Platz belegte, unterstützte Kast im Jahr 2021 und wird ihn wahrscheinlich erneut unterstützen.
Das bedeutet, dass in Chile die Präsidentschaft in den Händen eines Mannes der Ultrarechten liegen wird, dessen Vorfahren im deutschen Nationalsozialismus verwurzelt sind (sein Vater war Mitglied der Nazi-Partei, der dank der Fürsprache des Vatikans der Justiz entkam) und der glaubt, dass die Diktatur in Chile von 1973 bis 1990 alles in allem eine gute Idee war.
Nördlich von Chile, in Bolivien, schlug der neue Präsident Rodrigo Paz Pereira, Sohn eines ehemaligen Präsidenten, den rechtsradikalen Jorge Tuto Quiroga (ein Ex-Präsident) in der zweiten Runde der Wahlen, bei der kein Kandidat der Linken antrat – dies, nachdem die Bewegung zum Sozialismus Bolivien von 2006 bis 2025 ununterbrochen regiert hatte. Paz’ eigene Partei hat eine Minderheitsposition im Parlament. Er wird sich daher mit der Libre-Koalition von Quiroga verbünden müssen und wahrscheinlich eine pro-amerikanische Außenpolitik und eine libertäre Wirtschaftspolitik verfolgen.
Peru wird im April seine Wahlen abhalten, wobei der ehemalige Bürgermeister von Lima, Rafael López Aliaga, als Favorit gilt. Er lehnt die Bezeichnung „ultrarechts” ab, verfolgt jedoch alle ihre typischen politischen Ziele. Er ist ein ultrakonservativer Katholik, befürwortet harte Sicherheitsmaßnahmen und tritt für eine libertäre Wirtschaftspolitik ein.
Iván Cepeda aus Kolumbien ist der voraussichtliche Kandidat der Linken bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2026, da Kolumbien keine zweite Amtszeit zulässt (also kann Präsident Gustavo Petro nicht erneut kandidieren). Cepeda wird auf starke Opposition seitens der kolumbianischen Oligarchie stoßen, die das Land wieder unter ihre Herrschaft bringen möchte. Es ist noch zu früh, um zu sagen, gegen wen Cepeda antreten wird, aber es könnte die Journalistin Vicky Dávila sein, deren ultrarechte Opposition gegen Petro in unerwarteten Teilen der kolumbianischen Gesellschaft Anklang findet.
Es ist wahrscheinlich, dass bis Mitte 2026 die meisten Staaten entlang der Westküste Südamerikas (von Chile bis Kolumbien) von der Ultrarechten regiert werden.
Auch wenn Bolsonaro im Gefängnis sitzt, ist seine Partei, die PL (Liberale Partei), der größte Block im brasilianischen Nationalkongress. Es ist wahrscheinlich, dass Lula aufgrund seiner enormen persönlichen Verbundenheit mit den Wählern im nächsten Jahr wieder zum Präsidenten gewählt wird. Der Kandidat der Ultrarechten – entweder Tarcísio de Freitas, der Gouverneur des Bundesstaates São Paulo, oder einer der Bolsonaros (Ehefrau Michelle oder Sohn Flavio) – wird gegen ihn ankämpfen.
Die Liberale Partei wird aber im Senat weiter an Boden gewinnen. Ihre Kontrolle über die Legislative hat die Handlungsfähigkeit der Regierung bereits jetzt stark eingeschränkt (auf der COP30 machte Lulas Vertreter keine Vorschläge zur Bekämpfung der Klimakatastrophe), und ein Sieg im Senat wird ihre Kontrolle über das Land weiter ausbauen.
Gemeinsame Agenda der „wütenden Flut“
Die Politiker der „wütenden Flut“, die derzeit für Aufsehen sorgen, haben vieles gemeinsam. Die meisten von ihnen sind mittlerweile in ihren Fünfzigern: Kast (geb. 1966), Paz (1967), die venezolanische Politikerin María Corina Machado (1967) und Milei (1970). Sie sind in der Zeit nach den Diktaturen in Lateinamerika (die letzte Diktatur endete 1990 in Chile) erwachsen geworden.
Das Jahrzehnt der 1990er-Jahre setzte die wirtschaftliche Stagnation fort, die die 1980er-Jahre geprägt hatte – das verlorene Jahrzehnt (La Década Perdida), das diese Länder mit niedrigen Wachstumsraten und kaum entwickelten Wettbewerbsvorteilen erschütterte und in die Globalisierung zwang.
Es war dieser Kontext, in dem die Politiker der „wütenden Flut” ihre gemeinsame Agenda entwickelten:
- Antikommunismus. Die Ultrarechte in Lateinamerika ist geprägt von einer anti-linken Agenda, die sie aus dem Kalten Krieg übernommen hat, was bedeutet, dass ihre politischen Formationen in der Regel die Ära der von den USA unterstützten Militärdiktaturen befürworten.
Die Ideen der Linken, ob aus der kubanischen Revolution (1959) oder aus der Ära der rosaroten Flut (nach 1998), sind diesen politischen Kräften ein Gräuel; denn sie beinhalten Agrarreform, staatliche Finanzierung für Industrialisierung, staatliche Souveränität und die Wichtigkeit von Gewerkschaften für alle Arbeiter und Bauern.
Der Antikommunismus dieser „wütenden Flut” ist elementar, Muttermilch für die Politiker und wird geschickt eingesetzt, um Teile der Gesellschaft gegen andere aufzubringen.
- Libertäre Wirtschaftspolitik. Die wirtschaftlichen Ideen der „wütenden Flut“ sind geprägt von den chilenischen „Chicago Boys“. Zu ihnen gehörte auch Kasts Bruder Miguel. Er war Vorsitzender der Planungskommission von General Augusto Pinochet, sein Arbeitsminister und sein Zentralbankchef.
Sie orientieren sich direkt an der libertären Österreichischen Schule (Friedrich Hayek, Ludwig von Mises und Murray Rothbard ebenso wie Milton Friedman).
Die Ideen wurden in gut finanzierten Thinktanks wie dem Centro de Estudios Macroeconómicos de Argentina (gegründet 1978) und dem chilenischen Centro de Estudios Públicos (gegründet 1980) entwickelt. Sie vertreten die Überzeugung, dass der Staat eine Gewalt sein sollte, die Arbeitnehmer und Bürger diszipliniert, und dass die Wirtschaft in den Händen privater Interessen sein muss.
Mileis berühmte Possen mit einer Kettensäge verdeutlichen diese Politik, die nicht nur Sozialleistungen streicht (das Werk des Neoliberalismus), sondern auch die Kapazitäten des Staates selbst zerstört.
- Kulturkrieg. Auf der Welle der Anti-Gender-Ideologie und der Anti-Migrations-Rhetorik reitend, konnte die „wütende Flut” konservative evangelikale Christen und ebenfalls große Teile der Arbeiterklasse ansprechen, die durch Veränderungen, die sie als von oben verordnet ansehen, desorientiert sind.
Die Ultrarechte argumentiert, dass die durch die Drogenindustrie verursachte Gewalt in Arbeitervierteln durch den „Liberalismus“ geschürt wird und dass nur harte Gewalt (wie vom Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, vorgeführt) die Lösung sein kann.
Aus diesem Grund wollen sie das Militär und die Polizei stärken und verfassungsrechtliche Beschränkungen für die Anwendung von Gewalt aufheben (am 28. Oktober schickte die Regierung des Bolsonaro-Verbündeten Cláudio Castro in Rio de Janeiro die Polizei in Favelas der Stadt, die im Rahmen der „Operation Eindämmung“ mindestens 121 Menschen tötete).
Es ist hilfreich für die Ultrarechte, dass sie verschiedene Verschwörungstheorien übernommen hat, wie die „Eliten“ angeblich „globalisierte“ Ideen verbreitet hätten, um die „Kultur“ ihrer Nationen zu schädigen und zu zerstören. Dies ist eine lächerliche Idee, die von rechtsradikalen und traditionellen rechten politischen Kräften kommt, die sich für die uneingeschränkte Aufnahme US-amerikanischer Unternehmen in ihre Gesellschaft und Kultur stark machen und die keinen Respekt haben vor der Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, ihre eigenen nationalen und regionalen Kulturwelten aufzubauen.
Aber die „wütende Flut” hat es geschafft, die Vorstellung zu verbreiten, dass sie Kulturkrieger sind, die ihr Erbe gegen die Übel der „Globalisierung” verteidigen. Teil dieses Kulturkriegs ist die Förderung des individuellen Unternehmers als Subjekt der Geschichte und die Herabwürdigung der Notwendigkeit der sozialen Reproduktion.
Es sind diese drei Elemente: Antikommunismus, libertäre Wirtschaftspolitik und Kulturkrieg, die die Ultrarechte in ganz Lateinamerika zusammenbringen. Dies verschafft ihnen einen robusten ideologischen Rahmen, um Teile der Bevölkerung dazu zu bringen, in ihnen die Retter der Hemisphäre zu sehen.
Diese lateinamerikanische Rechte wird von Trump und dem internationalen Netzwerk der spanischen Ultrarechten (dem Foro Madrid, das 2020 von der Fundación Disenso, dem Thinktank der rechtsradikalen Partei Vox, gegründet wurde) unterstützt. Sie wird in großem Umfang von den alten gesellschaftlichen Eliten finanziert, die die traditionelle Rechte nach und nach zugunsten dieser neuen, aggressiven rechtsradikalen Parteien aufgegeben haben.
Krise der Linken
Die Linke muss noch eine angemessene Einschätzung der Entstehung dieser Parteien entwickeln und ist bisher nicht in der Lage gewesen, eine Agenda voranzutreiben, die von Lebendigkeit sprüht.
Eine tiefe ideologische Krise erfasst die Linke, die sich nicht richtig entscheiden kann, ob sie eine Einheitsfront mit der traditionellen Rechten und den Liberalen bilden soll, um sich an Wahlen zu beteiligen, oder ob sie eine Volksfront quer durch die Arbeiterklasse und die Bauernschaft bilden soll, um gesellschaftliche Macht als Voraussetzung für eine aussichtsreiche Wahlkampagne aufzubauen.
Das Beispiel für die erstgenannte Strategie (Wahlbündnis) stammt aus Chile, wo 1988 zunächst die Concertación de Partidos por la Democracia (Concertación) gegründet wurde, um die Parteien der Diktatur und der rechten Opposition von der Macht fernzuhalten. Dann kam die 2021 gegründete Apruebo Dignidad, die Gabriel Boric von der zentristischen Frente Amplio ins Präsidentenamt brachte. Aber außerhalb Chiles gibt es kaum Anzeichen dafür, dass diese Strategie aufgeht.
Letztgenannte ist schwieriger geworden, da die Zahlen der Gewerkschaftsmitglieder eingebrochen sind und die Uberisierung die Arbeiterklasse individualisiert und damit die Arbeiterkultur untergräbt.
Es ist aufschlussreich, dass der ehemalige sozialistische Vizepräsident Boliviens, Álvaro García Linera, nach Norden in Richtung New York City blickte, um sich inspirieren zu lassen. Als Zohran Mamdani die Bürgermeisterwahl gewann, sagte García Linera: „Mamdanis Sieg zeigt, dass die Linke sich zu Mut und einer neuen Zukunft verpflichten muss.“
Es ist schwer, dieser Aussage zu widersprechen, obwohl Mamdanis eigene Agenda hauptsächlich darauf abzielt, die marode Infrastruktur New Yorks zu sanieren, anstatt die Stadt zum Sozialismus zu führen. García Linera erwähnte nicht seine eigene Zeit in Bolivien, als er gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten Evo Morales versuchte, eine sozialistische Alternative aufzubauen.
Die Linke muss mutig sein und eine neue Zukunft zum Ausdruck bringen, aber diese muss aus ihren eigenen Geschichten des Aufbaus von Kämpfen und des Aufbaus des Sozialismus hervorgehen.
Der Beitrag erschien im Original bei Peoples Democracy. Übersetzung aus dem Englischen von Marta Andujo.
Titelbild: Shutterstock AI Generator
[«1] Prashad benutzt den Begriff „wütende Flut“ (angry tide) in Anspielung auf die „rosarote Flut“ (pink tide), wie die Phase der Linksregierungen in Lateinamerika Anfang der 2000er-Jahre gerne in den USA und Westeuropa genannt wurde. Die chavistische Bewegung in Venezuela bezeichnete sich selbst dagegen immer als „marea roja“, rote Flut.





