Pippi statt Logik! – Vom Zauber der Unmündigkeit

Pippi statt Logik! – Vom Zauber der Unmündigkeit

Pippi statt Logik! – Vom Zauber der Unmündigkeit

Leo Ensel
Ein Artikel von Leo Ensel

Wissenschaft und scharfsinniges Denken verlieren weltweit an Ansehen. Der postfaktische Habitus leugnet Fakten schon gar nicht mehr, für ihn gilt das Prinzip, „that facts don‘t matter“. Überall ist eine ‚Logik à la Pippi Langstrumpf‘ auf dem Vormarsch. Von Leo Ensel.

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft
Lass nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken
So hab ich dich schon unbedingt!
(Goethe: Faust I)

Dass ein Mann wie Donald Trump ein, sagen wir es so: recht originelles Verhältnis zur Wahrheit – ganz altmodisch definiert als „Übereinstimmung von Aussage und Factum“ – hat, ist bekannt. Sein selbstermächtigender Umgang mit Zahlen und Fakten – von den Anwesenden bei der ersten Inaugurationsfeier über Hunde und Katzen essende Einwanderer bis zu den von ihm angeblich beendeten Kriegen – ist unüberbietbar. Nicht zuletzt verdankt die Welt, BILD-Leser wie Erkenntnistheoretiker im akademischen Elfenbeinturm, Trumps enger Beraterin Kellyanne Conway den bis dato unbekannten Begriff der „alternativen Fakten“! Zwei Dinge irritieren in diesem Zusammenhang besonders: Dass der mächtigste Mann der Welt sich ungestraft, nein: ohne sich lächerlich zu machen, einen chronischen Umgang mit der Unwahrheit herausnehmen kann und – dass sich immer weniger Menschen groß darüber aufregen.

Aber Trump steht offensichtlich nicht alleine. Ein aktuelles Beispiel aus unserem Lande gefällig?

Heute ist ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Nato: Wir investieren in das Fundament unserer Freiheit, unserer Sicherheit und unseres Wohlstands.“

Dies twitterte Kanzler Merz Ende Juni – unmittelbar nachdem er auf dem denk- und unwürdigen Gipfel in Den Haag Beschlüsse mit auf den Weg gebracht hatte, die genau diese ‚Werte‘ nachhaltig untergraben. – Haben Sie mitbekommen, dass sich hier jemand groß darüber empört hätte?

Sapere aude“ oder: Selbst denken!

Versuchen wir, aus dieser hybriden Schlingerzone von Wahrheit und Lüge heraus wieder Boden unter die Füße zu bekommen, und schauen wir noch einmal, was uns unser Philosoph aus Königsberg vor 240 Jahren mit auf den Weg gegeben hat:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Der unausgesprochene antiaufklärerische Wahlspruch von heute lautet dagegen: „Non sapere aude!“ Habe ‚Mut‘, dich deines eigenen Verstandes nicht zu bedienen!

Ganz im Sinne Mephistos verachtet ein Mann wie Trump Vernunft und Wissenschaft und lässt sich „in Blend- und Zauberwerken von dem Lügengeist bestärken“. Wobei er sich auch noch „great“ vorkommt. Das daraus zwingend folgende Resultat hat der Verführer Fausts bereits unmissverständlich benannt.

Doch, nochmal! Trump steht nicht alleine.

Pippi statt Logik! – Die Lust an der Irrationalität

„Gegen die Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens!“ Dieser Seufzer hallt durch die Jahrtausende der Weltgeschichte. Aber warum verharren immer mehr Menschen so gerne in ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit? Die Antwort Immanuel Kants ist heute so aktuell wie vor fast zweieinhalb Jahrhunderten:

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“

So ist es!

Statt Wissenschaft zu betreiben, statt das Denkvermögen zu schärfen, sich gar der berühmten ‚Anstrengung des Begriffes‘ zu unterziehen, ist es natürlich bequemer, sich wie der US-Präsident eine Privatlogik zurechtzubasteln und zusammen mit den Gesinnungsfreunden der jeweiligen Filterblase wie Pippi Langstrumpf die Welt so zu einer Privatwirklichkeit zurechtzubiegen, widdi-widdi-wie sie einem gefällt! Aber die Zumutungen der Rationalität sind nichts anderes als die Zumutungen der Realität selbst, die sich – störrisch, wie sie nun mal ist – der Pippi-Logik einfach nicht fügen will.

Das bekamen bereits in der Antike Despoten wie der persische Großkönig Xerxes zu spüren, als sich das Meer erfrechte, eine gerade frisch erbaute Brücke über den Hellespont (die Meeresenge am Eingang der Dardanellen) prompt wieder zu zerstören. Worauf der wutschäumende Xerxes – laut Herodot –, sich wie eine wildgewordene Pippi Langstrumpf aufführend, die unbotmäßigen Wellen prompt mit 300 Peitschenhieben bestrafen ließ. (Und, um der stürmischen See Fesseln anzulegen, noch zusätzlich ein paar Fußschellen ins offene Meer versenkte.)

Vom Factum zur Meinung

Am 22. April 2017 fand in mehr als 600 Städten erstmals der internationale „March for Science“ statt, eine Großdemonstration für den Wert von Forschung und Wissenschaft und gegen „alternative Fakten“ bzw. eine „postfaktische Ära“. Dass so ein Marsch – und auch noch weltweit! – überhaupt organisiert werden musste, sagt erschreckend viel über die sogenannte „Geistige Situation der Zeit“ aus.

Die Strategie der Antiaufklärer beginnt immer damit, Fakten und Wahrheiten zu Meinungen zu degradieren. Eine Falschaussage, vulgo: Lüge, hätte demnach dasselbe Recht auf Anerkennung wie die Wahrheit selbst – eine atemberaubende Unterstellung, die unter anderem die gesamte Justiz auf diesem Planeten obsolet machen würde!

Was bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips herauskommt, liegt auf der Hand:

Der Holocaust – wir sind ja tolerant, leben in einer pluralistischen Gesellschaft und achten das Recht auf Meinungsfreiheit! – hat demnach entweder stattgefunden oder auch nicht; zwei mal drei macht vier (Pippi) oder auch sechs (der Mathematiklehrer in der zweiten Klasse); und nicht die Atombombe ist die Waffe, sondern – die Angst davor!

Richtig oder falsch, wahr und unwahr gibt es nicht mehr – gepriesen seien dagegen Pluralismus und Toleranz!

Postfaktisch“

Der „postfaktische“ Habitus geht noch einen Schritt weiter. Er bedeutet nicht einfach nur Lüge – die wäre als „wissentliche Unwahrheit“ immerhin noch eine indirekte Verbeugung vor der Wahrheit –, sondern die schlichte Attitüde, „that facts don‘t matter!“. Fakten werden nicht mehr geleugnet, auch nicht mehr wenigstens, als Meinungen disqualifiziert, in einem Pseudodiskurs attackiert – sie werden schlicht ignoriert! Frei nach dem Motto: Ich interessiere mich nicht für den Klimawandel oder die brandgefährliche Kriegsgefahr in Europa, kann daher fairerweise von diesen erwarten, dass sie sich auch nicht für mich interessieren.

Und auch hier gibt es akademische wie politische Vorläufer. Der Idee, über Fakten – sozusagen „par ordre du mufti“ – beliebig verfügen zu können, entsprach beispielsweise die Logik stalinistischer Politbüros, nach der nicht etwa befohlen wurde, dass ab sofort zwei plus zwei sieben sein sollten – sondern, dass zwei plus zwei schon immer sieben waren! Weshalb diese Staaten konsequenterweise immer rasanter zu „Ländern mit unvorhersagbarer Vergangenheit“ mutierten.

Die vornehmere akademische Variante bildeten Ende des 20. Jahrhunderts wissenschaftstheoretische Moden wie ein radikaler Konstruktivismus, der sich im Extremfall zum Solipsismus (der Vorstellung, dass die Welt ausschließlich im eigenen Bewusstsein existiert) auswuchs, sowie diverse postmoderne Paradigmata, die den Wahrheitsbegriff so massiv attackierten, dass zum Schluss so gut wie nichts mehr von ihm übrig blieb. Den Vogel schossen dabei, mal wieder, besonders eloquente französische Meisterdenker ab, bei denen, wie der Physiker Alan Sokal nachwies, am Ende keiner mehr wusste, ob sie Genialitäten oder schlicht Schwachsinn produziert hatten. Kein Wunder, dass bei so viel „Elegantem Unsinn“ der wissenschaftlichen Scharlatanerie und politischen Rattenfängern jeglicher Couleur Tür und Tor geöffnet wurde! (Leider tauchte das berühmte Kind, das dem Kaiser seine Nacktheit attestiert, in der Öffentlichkeit nie auf.)

Kurz: Von der postmodernen Zertrümmerung des Wahrheitsbegriffes profitieren heute Trump, Reichsbürger, Wunderheiler, Esoteriker und die Eliten in Politik und Medien gleichermaßen.

Geist ist geil!

Aber vielleicht ist unsere Welt ja doch nicht ganz so undurchsichtig, wie es uns als Wissenschaftler getarnte Kurpfuscher mit ihren waghalsigen intellektuellen Salti mortali weismachen wollen. Nicht zuletzt die Naturwissenschaften sprechen – bei allen Risiken und Nebenwirkungen ihrer Anwendung – eine andere Sprache.

Faustregel: Überall, wo scharfsinniges Denken, wo Bildung und Logik, wo „Vernunft und Wissenschaft“ mit welchen Argumenten auch immer verächtlich gemacht oder gar für obsolet erklärt werden, ist etwas faul! Wer uns schlau verdummen will, will uns beherrschen. Wer uns das Selbst-Denken und den Mund verbieten will, beabsichtigt, sich „zu unserem Vormund aufzuwerfen“.

Denn zwei mal drei macht eben nicht vier, und zwei macht auch nicht neune – sondern immer noch acht! Und die Erde ist eine Kugel. „Sondervermögen“ sind Schulden – die man irgendwann begleichen muss. Und Atomsprengköpfe sind keine Phantome oder gar Papiertiger, sondern Geräte, die diesen Planeten für immer unbelebbar machen können! Allen postmodernen Pirouetten zum Trotz. Es wird Zeit, dies nicht nur einer dekadenten, akademisch-verdrehten Intellektuellen-Schickeria wieder zu verklaren.

Als salopp-offensiven Wahlspruch dieser immer notwendiger werdenden ‚Aufklärung 2.0‘ – als das „Sapere aude!“ des 21. Jahrhunderts – schlage ich vor:

Geist ist geil!“

Titelbild: Shutterstock AI / Dieser Inhalt wurde von einem Algorithmus mit künstlicher Intelligenz (KI) erstellt.

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