100% Spitzensteuersatz? Was für eine Schnapsidee!

Jens Berger
Ein Artikel von:

Wenn der Bericht der Mitteldeutschen Zeitung zutreffend ist, hat die Linkspartei die Schnapsidee der Parteivorsitzende Katja Kipping in ihr provisorisches Wahlprogramm aufgenommen, Einkommen ab 500.000 Euro pro Jahr mit einem Steuersatz von 100% zu belegen. Populismus mag ja nicht immer das falsche Mittel sein, um politischen Einfluss zu nehmen. Mit dieser Idee würde die Linkspartei sich jedoch ganz sicher keinen Gefallen tun und ihre anderen Forderungen ohne Not diskreditieren. Von Jens Berger

Ergänzung 4.2.2013: Korrektur zum Artikel „100% Spitzensteuersatz? Was für eine Schnapsidee!“

Will der Staat trotz Schuldenbremse und Fiskalpakt weiterhin seine politische Handlungsfähigkeit behalten, kommt der Gesetzgeber nicht um eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes herum. Diese Erhöhung darf auch gerne deftig ausfallen. Der französische Präsident Hollande hat mit seiner Reichensteuer, die Einkommen ab einer Million Euro mit 75% besteuert, da eine durchaus überlegenswerte Vorlage abgeliefert. Eine Einkommenskappung ab einer bestimmten Summe gehört jedoch ganz sicher nicht zu den Vorschlägen, die das Land weiterbringen. Vor allem wäre eine solche Forderung, zumal von der Linkspartei, eine Steilvorlage für politische Gegner.

Zwei Fußballer, drei Steuersysteme

Was soll ein Spitzensteuersatz von 100% ab 500.000 Euro eigentlich bringen? Jeder Topmanager oder Sportstar wäre schließlich mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er sich bei einer gesetzlichen Einkommenskappung ein höheres Gehalt in seinen Vertrag schreiben ließe. Warum sollte beispielsweise ein Bastian Schweinsteiger, der sich seine Arbeit für den FC Bayern München mit 10 Millionen Euro pro Jahr mehr als fürstlich vergüten lässt, künftig mehr 500.000 Euro pro Jahr verlangen? Er hätte davon keinen Vorteil und auch sein Arbeitgeber hätte nur Nachteile. Im realen Leben würde Schweinsteiger bei einer solchen Steuergesetzgebung wahrscheinlich zu einem ausländischen Verein wechseln, aber selbst wenn man sich einmal für einen Moment vorstellt, er bliebe in Deutschland, würde sein Gehalt auf 500.000 Euro sinken und weder der Fiskus, noch die Gesellschaft hätten auch nur einen einzigen Cent davon.

Das französische Modell zeigt hier seine Vorteile. Der Ballartist Zlatan Ibrahimovic, der bei Paris Saint Germain unter Vertrag steht, gehört zu Einkommensmillionären, die sogar Bastian Schweinsteiger blass aussehen lassen. Sein Gehalt beträgt stolze 14 Millionen Euro – wohlgemerkt netto! Sein Arbeitgeber, der übrigens arabischen Scheichs gehört, zahlt für Ibrahimovic ein Bruttogehalt in Höhe von rund 56 Millionen Euro. Ist dies unanständig? Natürlich. Aber diese Unanständigkeit spült auch sehr viel Geld in den französischen Steuerkassen. Geld, mit dem sich andere Unanständigkeiten am unteren Ende der Einkommens- und Vermögensskala ausgleichen lassen. Ibrahimovic bringt dem französischen Fiskus immerhin jährlich Einnahmen in Höhe von mehr als 42 Millionen Euro. Selbst nach dem reichenfreundlichen deutschen Steuergesetz muss ein Bastian Schweinsteiger – so er keine Steuertricks ausnutzt – jährlich 4,7 Millionen Euro Steuern zahlen. Mit einer Kappungsgrenze bei 500.000 Euro würde Schweinsteiger selbst bei der Fortführung der linearen Progression bis 53%, die das Steuerkonzept der Linkspartei vollkommen zu Recht vorsieht, wohl nicht mehr als 250.000 Euro zahlen. Wäre er dennoch weiterhin beim FC Bayern München unter Vertrag,würde der Verein den Rest seines Gehaltes sicher durch andere Zuwendungen, die nicht der Einkommensteuerpflicht unterliegen, aufstocken. Bei Spitzenmanagern sähe es ähnlich aus. Der Fiskus würde in jedem Fall in die Röhre schauen.

Wo bleibt der Anreiz?

Natürlich gibt es in Deutschland nicht nur Fußballer, Banker und VW-Chefs, sondern auch viele Superreiche, die keine Angestellten sind, sondern wegen unternehmerischer Tätigkeit, Spekulation oder den Zinsen und Dividenden aus ihrem Erbe Millioneneinkommen erzielen. Und hier kommt auch die Anreizfunktion ins Spiel. Welchen Anreiz hätte ein Unternehmer, dessen Einkommen bereits oberhalb der Kappungsgrenze liegt, weitere unternehmerische Risiken einzugehen? Er kann schließlich nichts gewinnen, dafür aber viel verlieren. Beim französischen Modell würde er faktisch ebenfalls sehr hoch besteuert, hätte jedoch auch einen Anreiz, da er immerhin ein Viertel des Gewinns oberhalb des Grenzsatzes für sich behalten darf.

Steilvorlage für den Gegner

Doch ökonomische Argumente sind hier ohnehin fehl am Platz. Die Linke wird – dafür muss man kein Prophet sein – bei den nächsten Bundestagswahlen keine absolute Mehrheit erreichen und daher wird die Kappungsgrenze ohnehin nicht kommen. Die Forderung nach einer Kappungsgrenze ist somit auch kein realistischer programmatischer Vorstoß, sondern eine Wahlkampfforderung, also PR. Es ist ja auch richtig, dass die Linkspartei hin und wieder Forderungen erhebt, die bei kühler Analyse etwas übers Ziel hinausschießen. Die Linkspartei ist ein Sprachrohr für linke Politik und zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört es, SPD und Grüne vor sich herzutreiben. Wenn dies mit Populismus zu erreichen ist, ist der Populismus auch gerechtfertigt. Doch hierbei handelt es sich nicht um Populismus, sondern um PR-Klamauk.

Mit derlei Klamauk erreicht die Linkspartei jedoch genau das Gegenteil. Nicht nur die bürgerlichen Medien, sondern auch SPD und Grüne werden die Linken mit solchen Forderungen im Wahlprogramm als Tagträumer und Politclowns darstellen und es besteht die ganz große Gefahr, dass sich diese Vorwürfe von den Steuerpläne auf weitere politische Forderungen übertragen. „Sie wollen den Hartz-IV-Satz erhöhen? Und womit wollen Sie das bezahlen? Mit einem Steuersatz von 100%?“ Wir wissen doch alle, dass das politische Geschäft, und vor allem die Berichterstattung der Medien, nicht immer fair und vor allem zur Linkspartei häufig sehr unfair ist. Aber muss man dem politischen Gegner dann derartige Steilvorlagen liefern?

Es überrascht nicht, dass Katja Kipping hinter diesem unausgegorenen Vorschlag steht. Die Parteivorsitzende der Linkspartei mag sympathisch, jung und frisch sein – mit ökonomischem Sachverstand ist sie leider nicht gesegnet. Wie müssen sich wohl ihre diesbezüglich wesentlich kompetenteren Parteifreunde Axel Troost und Michael Schlecht vorkommen, wenn sie im Bundestagswahlkampf über die Marktplätze der Republik touren und derlei Unsinn verteidigen müssen? Aber noch ist es ja nicht zu spät. Laut Mitteldeutscher Zeitung handelt es sich hierbei nur „Wahlprogrammentwurf“ und ein Entwurf kann immer noch geändert werden. Hoffen wir, dass dies in diesem Punkt geschieht. Es wäre schade, wenn nicht. Schade für die Linkspartei und vor allem schade für eine Politik, die sich um einen sozialen Ausgleich und ein menschenwürdiges Wirtschafts- und Finanzsystem engagiert.

Ergänzung: Wir wurden von Lesern darauf aufmerksam gemacht, dass der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, die von der Mitteldeutschen Zeitung publizierte Meldung über den 100%-Steuersatz als Ente bezeichnet. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er:

„Die in den Medien zitierte Formulierung ist eine Forderung gegenüber den Unternehmen, die Gehälter ihrer Spitzenleute maximal auf das 40fache des gesellschaftlichen Minimums zu begrenzen. Das wären im Moment etwa 40.000 Euro.“

Auch Katja Kipping rudert zurück und weist den Artikel der Mitteldeutschen Zeitung zurück.

Wenn dem denn so sein sollte, stellen sich hier natürlich weitere Fragen. Wie, wenn nicht über das Steuersystem, will man eine Gehälterkappung durchsetzen? Und bezüglich der Steuereinnahmen muss man sich auch die Frage stellen, warum Gehälter oberhalb von 40.000 Euro pro Monat überhaupt gekappt werden sollen, wenn man sie über eine Reichensteuer i.H.v. 75% genauso gut gesellschaftlich sinnvoll besteuern könnte? Nach Adam Riese bringt es dem Staat mehr, wenn er den über dem Maximum liegenden Satz eines Monatsgehalt von 100.000 Euro mit 75% besteuert, als wenn er Regulierungen durchsetzt, die Gehälter in dieser Größenordnung verbietet. Von Katja Kipping wird die Forderung nach einer 100%-Steuer jedenfalls vorgetragen. Und wenn diese Schnappsidee nicht ihren Weg ins Wahlprogramm findet, ist dies ohne Zweifel eine gute Nachricht.

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