Wir werden in der Euro-Zone von keiner Inflation bedroht!

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Der vom Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet angekündigte verstärkt monetaristische Kurs der EZB zeugt nach Patrick Artus, Chefökonom der französischen Bankengruppe Ixis, von einem Analysedefizit der EZB-Banker. Zusammenfassung eines in der Pariser Tageszeitung Le Monde vom 18.11.2006 erschienen Artikels („Quand l’inflation ne menace pas“). Übertragen von Gerhard Kilper.

Nach der in Deutschland üblichen Monetarismus-Interpretation erhöht die Zentralbank bei einem von ihr als übermäßig empfundenen Geldmengen- oder Kreditwachstum die Zinsen – um eine drohende Inflation schon im Keim zu ersticken. Der EZB-Präsident Trichet kündigte jetzt in einem am 9. November 2006 in der Financial Times erschienen Artikel an, die EZB wolle – exakt mit dieser monetaristischen Begründung – die Zinsen in der Euro-Zone erhöhen.

Die Europäische Zentralbank begeht damit nach Artus den gleichen Fehler wie die Deutsche Bundesbank in den 1990er-Jahren. Die Bundesbank habe damals bei ihrer Analyse andere wichtige Wirtschaftsindikatoren – Wachstum und Beschäftigung – vollkommen außer Acht gelassen.
Die Begründung Trichets ist nach Artus deswegen von ihrem Ansatz her wenig überzeugend, weil in den Volkswirtschaften der Euro-Zone tatsächlich der Zusammenhang zwischen Geldmengen-/Kreditwachstum und Inflation nur sehr gering ist. Ein starkes Geldmengen- und Kreditwachstum werde sich nur beim relativ starren Angebot der Anlage- und Umlaufvermögens-Objekte in Preissteigerungen niederschlagen (Erhöhungen der Immobilien-Preise bzw. Kurssteigerungen an der Börse), weil das verfügbare Angebot solcher Aktiva kurzfristig nicht erhöht werden könne. Das gelte aber keineswegs für die Preise des flexibler reagierenden Angebots der Masse anderer Güter und Dienstleistungen. Wenn etwa hier verstärkte Kreditgewährung zu Nachfragesteigerungen führe, könne die Zusatznachfrage heutzutage leicht durch mehr Importe abgedeckt werden und ziehe keine Preissteigerungen nach sich.

In der Euro-Zone und in Großbritannien nahm nach Artus seit 1998 die Menge vergebener Kredite stark zu und trieb Immobilienpreise sowie Aktienkurse in die Höhe – jedoch mit nur sehr geringen Auswirkungen auf das Preisniveau insgesamt. Heute, nach fast 9 Jahren permanenter Kredit-/Schulden-Zunahme, betrage die Inflationsrate (ohne Energiepreise) in beiden Wirtschaftszonen lediglich rund 1,5%. Es sei bei dieser Sachlage unverständlich, warum die EZB-Zentralbanker eine Verbindung zwischen Geldmengen- / Kreditwachstum und Inflation herstellten, wenn es in einem so langen Zeitraum diesen Zusammenhang tatsächlich in der EU und in Großbritannien nicht gegeben habe.

Aufgrund der Offenheit internationaler Märkte könne die Geldpolitik der EZB zudem keinen entscheidenden Einfluss auf die international zirkulierende Geld- und Kreditmenge nehmen und wenn Inflations-Tendenzen ein internationales Problem wären, könne dies nur in globaler Abstimmung aller für die Geldpolitik verantwortlichen Geld-Institute angegangen werden.

Der von den EZB-Bankern hergestellte Zusammenhang zwischen Geldmengen-/Kreditwachstum und Inflation, sowie die davon abgeleitete, beabsichtigte Zinserhöhung bergen nach Artus die Gefahr in sich, dass Konjunktur und Wachstum in der Euro-Zone im Jahr 2007 unnötig abgebremst werden, da ein sehr substanzieller Teil des Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone auf kreditfinanzierter Nachfrage der Haushalte beruhe. Sachlich sei die angekündigte Zinserhöhung jedenfalls völlig unnötig, weil die Inflation für die Euro-Zone überhaupt kein Problem darstelle bzw. weil sich die Weltwirtschaft durch den starken Warenexport der Schwellenländer eher in einer ausgesprochen deflationären Phase befinde.

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