Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Große Koalition
  2. Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium
  3. OECD: Rentenbericht
  4. Datenreport
  5. Sinkende Inflation als Test der Notenbanken
  6. Managergehälter: Erregung ohne Folgen
  7. Das Comeback der Philosophen
  8. Dumpinglöhne im Briefgeschäft
  9. Interview mit Prof. Heiner Flassbeck – Das Ende der Massenarbeitslosigkeit
  10. Unternehmerische Verantwortung – 160 Seiten Missstände
  11. Babyboom überfordert klammes Frankreich
  12. Finanzplanung im Ländle – Wünschen war gestern
  13. Asyl: Berlin entlarvt die Hardliner
  14. Europa: Wanderungssaldo
  15. Die Diktatur wird gerade privatisiert
  16. Neues Strafrecht in Afghanistan: Menschenrechtler fürchten Wiedereinführung der Steinigung
  17. Die Ausputzer
  18. Volker Pispers: …bis neulich!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Große Koalition
    1. Koalitionsverhandlungen von Union und SPD: Einigung bei Rente und Mindestlohn
      CDU, CSU und SPD sind sich nun bei mehreren Themenkomplexen einig. Ein Rentenpaket ist vereinbart, Vorratsdatenspeicherung und Pkw-Maut sollen kommen. Auch beim Mindestlohn gebe es eine Einigung, verlautet aus Verhandlungskreisen.

      • Beide Seiten sollen sich auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ab 2015 geeinigt haben. Er soll bundesweit auf 8,50 Euro pro Stunde festgesetzt werden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Verhandlungskreisen.
      • Beide Seiten haben sich offenbar auch auf ein Rentenpaket verständigt. Bei der Rente mit 63 soll der abschlagfreie Zugang schrittweise an die Altersgrenze 65 herangeführt werden. Die Kosten für dieses Gesamtpaket waren zuvor mit mehr als 20 Milliarden Euro beziffert worden. Die Union pochte vor allem auf die Mütterrente und die SPD auf die Rente ab 63. Danach sollen die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren und eine Besserstellung älterer Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum 1. Januar 2014 eingeführt werden. Finanziert würden die Kosten der höheren Mütterente in Höhe von etwa 6,5 Milliarden Euro jährlich voraussichtlich aus Beiträgen der Rentenversicherung.
      • Im Laufe des Dienstags verständigten sich die Spitzen von Union und SPD nach Informationen der Süddeutschen Zeitung außerdem darauf, die lange umstrittene Vorratsdatenspeicherung einzuführen und eine EU-Richtlinie umzusetzen. Laut Vertragsentwurf vom Dienstag gab es nun eine Einigung. “Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter erfolgen”, heißt es darin. Ebenfalls zugegriffen werden darf auf die Daten “zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben”. Deutsche Verbindungsdaten dürfen aber nur auf Servern in Deutschland gespeichert werden, nach Möglichkeit höchstens für drei Monate. Die EU-Richtlinie sieht bislang sechs Monate vor.
      • Bei der Pkw-Vignette hätte sich – bliebe es bei diesem Entwurf – CSU-Chef Horst Seehofer durchgesetzt, zumindest auf dem Papier. Demnach will die Koalition einen “angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw erheben”, dies aber unter erschwerten Bedingungen: Zum einen müsse die Vignette mit europäischem Recht in Einklang stehen, zum anderen dürfe “kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet” werden. Ähnliches hatte vorige Woche auch Kanzlerin Angela Merkel gefordert, nur ist beides zugleich schwer zu erreichen: Wenn jeder deutsche Autofahrer von den Kosten einer Vignette entlastet wird, dürfte dies auf Widerstand in Brüssel stoßen.
      • Auch andere Streitfragen waren schon vor Beginn der Schlussrunde ausgeräumt worden. So findet sich ein von der SPD gefordertes Klimaschutzgesetz nicht mehr in dem Vertragsentwurf. Es hätte die deutschen Klimaziele verbindlich festgelegt.

      Quelle: SZ

    2. Wer wird was? Ein kompliziertes Mosaik
      Unter Schwarz-Rot würde Merkel Kanzlerin, Gabriel ihr Vize. Über die Ministerposten dagegen streiten die Verhandler noch. Union und SPD halten sich bedeckt, doch das Ringen um die Ministerämter hat längst begonnen. Strategen aller drei Partner sitzen längst an Ministertableaus, über nichts wird in den Fluren der Parteizentralen lieber geredet als über die Karrierewünsche der Beteiligten. Dieses Interesse ist berechtigt, der Erfolg in einer Koalition hängt auch davon ab, die richtigen Themen – mithin: die strahlkräftigen Jobs – zu besetzen. Die Kanzlerin, der die Verfassung die Richtlinienkompetenz zuschreibt, ist bei den Personalia weniger mächtig, als man denkt. Jede Partei entscheidet selbst über ihre Spitzenposten im Kabinett, entscheidend dabei sind das Gewicht der Interessenten, regionaler Proporz nach Landesverbänden, aber auch die Quotierung nach Mann und Frau. Eine Kabinettsaufstellung gleicht einem Mosaik, das diverse Bedürfnisse und Eitelkeiten befriedigen muss. Zwei Regeln sind wichtig: Weil die Union die Kanzlerin stellt, hat der kleinere Partner – also die SPD – einen Freischuss: Sie darf ein wichtiges Ressort ihrer Wahl beanspruchen. Außerdem gilt eine bundesrepublikanische Tradition. In den vergangenen Jahrzehnten achteten die Regierungspartner darauf, dass bestimmte Ressorts nicht in einer Hand liegen, um Machtkonzentrationen zu vermeiden. Bekam die Union beispielsweise traditionsgemäß das Finanzministerium, so erhielt die FDP das Wirtschaftsressort. Das Innen- wurde durch das Justizministerium gekontert, das Auswärtige Amt durch das Verteidigungsministerium. Es existieren also Spiegelressorts.
      Quelle: taz

      Anmerkung JB: Wer meint, Ministerposten würden auch nur im Ansatz nach Kompetenz vergeben, irrt. Neben dem Parteiproporz spielen auch noch der Regionalproporz die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Parteiflügel und natürlich das Geschlecht eine wichtige Rolle bei der Postenbesetzung. Man darf sich schon auf die eine oder andere skurrile Personalie „freuen“. Im letzten Kabinett war die Personalie „Kristina Schröder“ wohl die skurrilste – nach dem Abtritt von Franz-Josef Jung hatte die hessische CDU einen Blankoscheck im Kabinett. Und da die Quote auch noch erfüllt werden musste, wurde am Tag von Jungs Rücktritt Frau Schröder vereidigt.

    3. Sozialdemokratische Überwachung
      Fest steht: Mit der großen Koalition kommt auch die Vorratsdatenspeicherung. Die Anti-NSA-Sprüche der SPD im Wahlkampf waren Nebelkerzen.
      Union und SPD wollen in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung einführen. Noch ist die Empörung über die gigantische Massenüberwachung des US-Geheimdienstes NSA überall zu spüren, da zeigen die künftigen Regierungsparteien, dass sie daraus so gut wie keine Schlussfolgerungen ziehen wollen. Die Massenspeicherung aller Telefon- und Internet-Verbindungsdaten soll nun in Deutschland zum zweiten Mal beschlossen werden.
      Manche mögen sich vor allem über die SPD wundern, die in den letzten Monaten einen veritablen Anti-Überwachungs-Wahlkampf hingelegt hat. Sigmar Gabriel warf der Kanzlerin sogar einen Bruch ihres Amtseides vor, weil sie die Deutschen nicht genug vor der US-Überwachung geschützt habe.
      Aber offensichtlich ging es nur gegen US-Überwachung und nicht gegen Überwachung an sich. Wenn deutsche Telefon- und Internet-Firmen die Daten ihrer Kunden monatelang für polizeiliche Zwecke vorrätig halten müssen, dann haben die Sozialdemokraten nach wie vor kein Problem damit.
      Wirklich überraschend ist das aber nicht. Die Vorratsdatenspeicherung war von Beginn an auch ein sozialdemokratisches Projekt.
      Quelle: taz
  2. Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium
    […] 54. In diesem Zusammenhang verteidigen einige noch die „Überlauf“-Theorien (trickle-down Theorie), die davon ausgehen, dass jedes vom freien Markt begünstigte Wirtschaftswachstum von sich aus eine größere Gleichheit und soziale Einbindung in der Welt hervorzurufen vermag. Diese Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde, drückt ein undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus, die die wirtschaftliche Macht in Händen halten, wie auch auf die vergötterten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems. Inzwischen warten die Ausgeschlossenen weiter. Um einen Lebensstil vertreten zu können, der die anderen ausschließt, oder um sich für dieses egoistische Ideal begeistern zu können, hat sich eine Globalisierung der Gleichgültigkeit entwickelt. Fast ohne es zu merken, werden wir unfähig, Mitleid zu empfinden gegenüber dem schmerzvollen Aufschrei der anderen, wir weinen nicht mehr angesichts des Dramas der anderen, noch sind wir daran interessiert, uns um sie zu kümmern, als sei all das eine uns fern liegende Verantwortung, die uns nichts angeht. Die Kultur des Wohlstands betäubt uns, und wir verlieren die Ruhe, wenn der Markt etwas anbietet, was wir noch nicht gekauft haben, während alle diese wegen fehlender Möglichkeiten unterdrückten Leben uns wie ein bloßes Schauspiel erscheinen, das uns in keiner Weise erschüttert.
    Quelle: Vatikan

    Anmerkung unseres Lesers A.G.: Was apostolische Schreiben betrifft, bin ich wahrlich kein Experte; aber die Kritik an der herrschenden Wirtschaftsideologie im Schreiben des Papstes Franziskus scheint mir doch auffallend konkret und klar, und daher lohnend für einen Punkt in den Hinweisen des Tages.

    dazu: Franziskus will Kirche komplett reformieren
    In dem 84 Seiten langen Dokument kritisiert der Papst die “Tyrannei des Marktes” und ruft die Kirche, aber auch die Mächtigen der Welt auf, gegen Armut und Ungleichheit zu kämpfen. Das herrschende ökonomische System sei “in der Wurzel ungerecht”, betonte er. “Diese Wirtschaft tötet”, so seine unmissverständliche Einschätzung. Es sei unglaublich, dass niemand sich darüber aufrege, wenn ein alter Mann auf der Straße erfriere, “während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht”.
    Schärfer als man es aus seinen Predigten und Briefen bisher kennt, kritisierte der Pontifex in seinem Mahnruf den Götzendienst am Geld. Er forderte von Politikern, sie müssten ihren Bürgern “eine würdige Arbeit, Bildung und Gesundheitsfürsorge” garantieren.
    Offensive Kapitalismus-Kritik
    Der Papst übte sich in Kapitalismus-Kritik ganz in der Tradition der Befreiungstheologen. Längst gehe es nicht mehr nur um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um eine Kultur der Ausschließung derer aus der Gesellschaft, die nicht genug leisten. “Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die ‘Wegwerfkultur’ eingeführt, die sogar gefördert wird.”
    Heftig protestierte der Papst auch gegen Verschwendung und ungerecht verteilte Mittel: “Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit.”
    Quelle: SPIEGEL Online

  3. OECD: Rentenbericht: Höheres Rentenalter und weniger Rente im gesamten OECD-Raum – Zukünftige Bezüge für Geringverdiener in Deutschland besonders knapp
    Wie sich der Lebensstandard ändert, wenn Menschen von der Arbeit in die Rente wechseln, errechnet die OECD mit so genannten Ersatzraten. Diese Raten geben an, welchen Teil der individuellen Einkünfte Rentner aus der staatlichen oder privaten Kasse erhalten. In Deutschland liegen die Ersatzraten für Personen, die 2012 am Arbeitsmarkt gestartet sind und bis zum gesetzlichen Rentenalter Beiträge zahlen, brutto bei 42 Prozent ihres durchschnittlichen monatlichen Einkommens. Bezieht man Steuern und Abgaben in die Kalkulation ein, kommen zukünftige Rentner je nach Verdienstklasse auf 55 bis 57 Prozent ihres Einkommens. Geringverdiener mit der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens werden in Deutschland netto noch rund 55 Prozent dieser Bezüge erhalten – weniger als in allen anderen OECD-Ländern. Ersatzraten allein geben allerdings nur bedingt darüber Auskunft, ob Menschen im Ruhestand ein würdiges Leben führen können. Der Bericht beschäftigt sich erstmals mit drei weiteren Faktoren, die den Lebensstandard im Alter beeinflussen: Immobilienbesitz, Finanzvermögen und staatliche Leistungen. Vom eigenen Haus oder der eigenen Wohnung profitiert in Deutschland mit 50 Prozent nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Rentner, im OECD-Schnitt sind es 76 Prozent. Das Kapitalvermögen lässt sich aufgrund mangelnder Daten weit weniger gut analysieren. Nach OECD-Berechnungen werden in Deutschland, genau wie im OECD-Schnitt, etwa 17 Prozent des Einkommens der Über-65-Jährigen aus Kapiteleinkünften (etwa privaten Renten und Lebensversicherungen) gespeist.
    Quelle 1: OECD
    Quelle 2: Pensions at a Glance 2013: OECD and G20 Indicators

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon ein wenig seltsam, wenn die Leiterin der OECD-Abteilung für Sozialpolitik, Monika Queisser, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin meint, die die bisherigen Reformen wären richtig, andererseits müssten wir aufpassen, dass die langfristigen Folgen für den sozialen Zusammenhalt und Altersarmut nicht aus dem Blick geraten. In Deutschland zum Beispiel werden die Rentenbezüge für Menschen mit verhältnismäßig kleinem Gehalt gegen Mitte dieses Jahrhunderts so niedrig sein wie in kaum einem anderen OECD-Land.“ Da ist doch ganz offensichtlich etwas schief gelaufen. Dabei geht es nicht nur Menschen mit kleinem Gehalt. Ist es nicht skandalös, dass alle Jungen, die heute zu arbeiten beginnen, am Ende ihres Erwerbslebens im besten Fall 42 Prozent ihres durchschnittlichen Bruttoeinkommens erwarten – in den Niederlanden sind es 89 Prozent. Muss denn für das reiche Deutschland Mexiko mit einem Drittel früheren Einkommens beispielgebend sein? Dabei werden in den Prognosen überhaupt nicht die nachhaltigen Folgen der Krise in den europäischen Peripherieländern oder die Zunahme an gebrochenen Erwerbsbiographien auch in Kerneuropa bzw. Deutschland berücksichtigt. Überhaupt Prognosen, der Datenreport 2013 zeigt auf, dass die Armutsgefährdung bei älteren Deutschen bereits in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Den Aspekt Finanzvermögen hätte man in der Presseerklärung ruhig ganz weglassen können oder sollte dies eine Einladung an diverse Finanzinstitute sein. Die OECD räumt im Bericht selbst ein, dass das Finanzvermögen stark auf das obere Ende der Einkommensverteilung konzentriert sei, und deshalb Auswirkungen auf die Altersarmut begrenzt seien. Und, auch Wohneigentümer können unter Einkommensarmut leiden.

    dazu: Pensions at a Glance 2013 (Renten auf einen Blick 2013)
    Der Bericht enthält vergleichende Indikatoren zu den Rentensystemen der OECD-Länder und großer Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Indien oder Russland.
    Die zwei thematischen Kapitel beschäftigen sich mit den Rentenreformen in der OECD innerhalb der vergangenen vier Jahre und mit der Rolle, die Immobilienbesitz, Finanzvermögen und staatliche Leistungen für Rentner spielen.
    Quelle: OECD

  4. Datenreport
    1. Mehr Jobs, aber auch mehr Armut
      […]Trotz wachsender Beschäftigtenzahl sind heute mehr Menschen von Armut bedroht. 2011 lag der Anteil armutsgefährdeter Personen bei 16,1 % (2007: 15,2 %). Als arm galt 2011, wer weniger als 980 Euro im Monat zur Verfügung hatte. Bei den 55- bis 64-Jährigen stieg das Armutsrisiko innerhalb von vier Jahren deutlich an: von 17,7 % im Jahr 2007 auf 20,5 % im Jahr 2011. Unter den 18- bis 24-Jährigen galten 2011 bereits 20,7 % als armutsgefährdet (2007: 20,2 %). Gleichzeitig hat die dauerhafte Armut zugenommen. Von den im Jahr 2011 armutsgefährdeten Personen waren 40 % bereits in den letzten fünf Jahren arm. 2000 betrug der Anteil der dauerhaft Armen 27 %.
      Die sozial bedingten Unterschiede bei der Gesundheit haben in den letzten 20 Jahren zugenommen. Ein Beispiel: Mehr Frauen und Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe beurteilen heute ihren Gesundheitszustand als “weniger gut” oder “schlecht”. Bei Frauen und Männern, die sehr gut verdienen, ist eine gegenläufige Entwicklung zu sehen. Armut wirkt sich auch unmittelbar auf die Lebenserwartung aus. Die mittlere Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe liegt bei der Geburt fast elf Jahre unter der von Männern der hohen Einkommensgruppe. Bei Frauen beträgt der Unterschied acht Jahre. Das zeigen Daten des Soziooekonomischen Panels.
      Quelle 1: Statistisches Bundesamt
      Quelle 2: Datenreport 2013 [PDF – 12.2 MB]
    2. Datenreport widerlegt die Politik
      Die Behauptung von Angela Merkel, sozial sei, was Arbeit schaffe, lässt sich nach den Ergebnissen des Datenreports 2013 widerlegen. Es kommt eben auch auf die Qualität der Arbeit an und darauf, wie sie verteilt ist. […]
      Die Daten bringen zugleich auch eine Gewissheit ins Wanken, die eher von der Linken formuliert wird: Dass nämlich die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 zu einer rasanten Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse geführt habe, ist offenbar ebenfalls nicht belegbar. Im Gegenteil: Laut Report kam der Anstieg der atypischen Beschäftigung nach mehr als einer Dekade im Jahr 2006 zum Stillstand und ging 2012 erstmals zurück.
      Quelle: Frankfurter Rundschau
    3. Armut in Deutschland – Wehe, es erwischt einen
      Es gibt in Deutschland Anlass zur Sorge. Der Datenreport, den die Statistiker und Sozialexperten vorgelegt haben, zeigt, dass sich die Armut ausgerechnet in Europas stärkster Volkswirtschaft verhärtet. Damit darf sich keine Koalition mehr abfinden.Weltweit wird es bestaunt, das Jobwunder “made in Germany”. Doch nun bestätigt der Sozialbericht des Statistischen Bundesamts quasi offiziell: Der Boom am Arbeitsmarkt hat Schattenseiten. Die künftige Regierung sollte die Analyse deshalb genauso sorgfältig lesen wie das Gutachten der Wirtschaftsweisen, die vor Kurzem noch ein allzu schönes Bild vom Arbeitsmarkt zeichneten.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung
  5. Sinkende Inflation als Test der Notenbanken
    Sinkende Inflationszahlen deuten ein mögliches Risiko einer Deflation an. In den USA ist der Index der Konsumgüterpreise auf den tiefsten Stand seit Jahrzehnten gefallen – abgesehen von den negativen Werten während des Höhepunkts der Finanzkrise. Auch in der Euro-Zone und in Grossbritannien zeigt der Trend nach unten. Wichtige Rohstoff- und Edelmetallpreise sind unter Druck. In dem Prozess der Disinflation, der sich zu einer Deflation ausweiten könnte, hat Japan eine Schlüsselrolle. Die massive monetäre Expansion schwächt die Währung und führt zu sinkenden Preisen von Exportgütern, was andere asiatische Exportländer unter Druck setzt und sie zu Schritten einer Schwächung der eigenen Währung verleiten könnte. Da Notenbanken Deflation mehr als Inflation fürchten, schliessen Marktbeobachter eine weitere monetäre Lockerung nicht aus. Die rasch relativierte Meldung, die Europäische Zentralbank (EZB) prüfe einen Negativzins auf Depositeneinlagen von Banken, ist in Marktkreisen nicht unbeachtet geblieben. Mit dieser Massnahme würde die EZB Banken mit sanftem Druck nahelegen, überschüssige Gelder nicht mehr bei ihr anzulegen, sondern sich stärker auf ihr zentrales Geschäft, die Kreditvergabe, zu konzentrieren. Sollte ein negativer Einlagenzins tatsächlich kommen, sei er nicht vor Abschluss der geplanten Bankenprüfungen und Stresstests zu erwarten, sagt Valentin Marino von der Citigroup. Negative Zinsen seien umstritten und ihre Wirkung unsicher. Die Einlagen sind zwar seit Monaten stetig gefallen, aber beim derzeitigen Stand von 174 Mrd. € würde ein Negativzins von 0,1% die Banken mit 174 Mio. € belasten. Es könnte ein kontraproduktiver Prozess einsetzen, sollten die Banken ihr Deleveraging beschleunigen und die Vergabe von Krediten bremsen. Beobachter weisen auf negative Effekte einschliesslich Störungen der Geld- und Repo-Märkte hin.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Zsolt Darvas und Silvia Merler lassen die üblichen Überlegungen zu Negativzinsen weit hinter sich und stellen zunächst einmal fest, dass eine zentralisierte Geldpolitik für die gesamte Eurozone wird den ökonomischen Realitäten in der Union nicht entspricht. Zwar würde die Wirtschaftslage in Irland, Spanien oder Griechenland negative Zinsen generell rechtfertigen, aber unter Bezugnahme auf die Taylor-Regel kommen sie in ihrer Untersuchung für einzelne Länder zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. In Griechenland wären Zinsen von minus 14 Prozent ökonomisch sinnvoll, in Spanien Sätze von minus 3,6 Prozent und in Portugal minus 4,2 Prozent. Für Länder wie Österreich und Deutschland sei die aktuelle Politik deutlich zu locker. Für Österreich seien Leitzinsen von 3,5 Prozent, für Deutschland sogar vier Prozent angemessen. So bleiben Volkswirtschaften mit einer geschwächten Wirtschaftslage einer relativ straffen Geldpolitik ausgesetzt, während Volkswirtschaften in einer besseren wirtschaftlichen Situation mit einer lockeren Geldpolitik beschenkt werden. Bezüglich der USA, deren Bundesstaaten auch mit solchen Schieflagen konfrontiert würden, seien die Kapazitäten für zwischenstaatliche Anpassungsprozesse, etwa die Arbeitskräftemobilität, viel besser. Zudem verfügen die USA über ein signifikantes bundesstaatliches Budget, um über die Fiskalpolitik Ausgleich zu schaffen. – Interessant ist, dass inzwischen auch die USA, wie aus dem Sitzungsprotokoll der FED in der vergangenen Woche bekannt wurde, über einen negativen Einlagenzins nachdenkt. Die Aufregung bei den führenden US-Banken ist gewaltig. Sie drohen, im Gegenzug für einen negativen Einlagenzinssatz die Einlagen von Unternehmen und Konsumenten ebenfalls mit einem Strafzins zu belasten. Wer’s glaubt!. Fünf US-Topbanken haben nach einem Bericht der Financial Times schon damit gedroht, die Kosten an ihre Kunden weiterzugeben.
    Obiger Artikel verweist auch eine Rede von Larry Summers, der sich fragt, ob einkommensstarke Länder wie die USA in einer Phase der säkularen Stagnation erlebten und deshalb dauerhaft auf eine lockere Geldpolitik angewiesen seien. “Unzureichende Nachfrage sei der Normalzustand dieser Länder geworden, in dem Wachstum und Beschäftigung nur durch fortgesetzte Liquiditätszufuhr und tiefe Zinsen erreichbar seien. Trifft dies zu, steht eine nennenswerte Reorientierung der Geldpolitik nicht bevor.” Die Rede von Summers ist hier zu verfolgen. Hier eine Würdigung der Rede durch Paul Krugman.

  6. Managergehälter: Erregung ohne Folgen
    Mehrmals im Jahr passiert es: In Deutschland bricht eine leidenschaftliche Debatte los, dass Manager viel zu viel verdienen. Doch politisch tut sich nichts. Diese folgenlose Erregungskultur zeigt sich jetzt wieder bei den Vereinbarungen von SPD und Union. Diese sehen nur vor, dass Aktiengesellschaften künftig offenlegen sollen, in welchem Verhältnis die Managergehälter zu den Durchschnittsgehältern stehen. Ironischerweise hat genau Transparenz dazu geführt, dass die Managergehälter gestiegen sind. Denn seit jeder DAX-Chef weiß, was die Kollegen in den anderen Unternehmen erhalten, kann er ebenso hohe Gehälter fordern. Wer die Managergehälter beschneiden will, muss staatliche Vorgaben machen und eindeutige Höchstgrenzen festlegen. Genau hier setzte die Volksabstimmung in der Schweiz an, die am Sonntag gescheitert ist. Die Schweizer Wähler sind also genauso widersprüchlich wie die Deutschen – was die eidgenössische Volksabstimmung so interessant macht für die Debatten hierzulande. Sie war ein offenes Versuchslabor, wie sich eine Mehrheit verführen lässt, gegen die eigenen Interessen zu stimmen. Die Schweizer Wirtschaftsverbände warteten mit drei Schlagwortkategorien auf, die allesamt auf tiefsitzende Ängste und Vorurteile zielten: 1. Managergehälter zu begrenzen, sei eine “sozialistische Idee” oder ein “sozialistisches Abenteuer”. 2. Die Deckelung sei eine “Verstaatlichung des Arbeitsmarktes” und ein “Lohndiktat des Staates”. 3. Wenn die Manager geknebelt würden, würden sich die großen Konzerne aus der Schweiz zurückziehen und ins Ausland abwandern.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ulrike Herrmann entzaubert die Argumente der Schweizer Wirtschaftsverbände lässig. Sie kennt sie zur Genüge aus Deutschland. Andererseits darf man vielleicht hoffen, dass die Politisierung der Schweizer Bevölkerung, vor allem der Jugend, in Sachen sozialer Gerechtigkeit Folgen hat. Die Mindestlohninitiative wird es zeigen. In der “Abzocker”-Initiative haben Gegner allerdings alle Geschütze aufgefahren, um den Abstimmungskampf zu gewinnen.

    Anmerkung unseres Lesers Ch. S.: Die Opposition gegen diese Initiative, also die Wirtschaftsverbände, die eine Zustimmungsrate von anfangs beinahe 75% auf jetzt 41% drücken konnten, hatte eine Werbe- und Manipulationskampagne aufgefahren, die einen als Deutschen sprachlos zurückließ (schon weil wir bei uns ja keine politische Werbung zu konkreten Initiativen kennen). So waren beispielsweise auf allen größeren Plakatwänden Anzeigen geschaltet, die 1:12 als “Lohndiktat vom Staat” verunglimpften. Besonders krass auch die SVP, die auf den sicherlich teuren, animierten Werbetafeln am Zürcher Hauptbahnhof ernsthaft mit Hammer, Sichel und einer roten Faust, die die Schweiz zerschmettert, Werbung machte – und das wochenlang. Auch die besten Stellen in den Medien wurden von der Opposition gegen 1:12 aufgekauft. Gegen eine solche Übermacht hatten die einzelnen Werbeanzeigen, die Sticker und die Mundpropaganda der Jusos keine Chance.

  7. Das Comeback der Philosophen
    Ingenieure und Wirtschaftsfachleute brauche das Land, wird allgemein verkündet. Wer so argumentiert, sollte sich mit den harten Fakten des amerikanischen Arbeitsmarktes beschäftigen. In der Schweiz dürfte sich der Trend ähnlich entwickeln. Gemäss dem führenden ökonomischen Magazin, der «Harvard Business Review», sind seit dem Jahr 2000 in den USA 750’000 Jobs im Informationssektor verloren gegangen. Nur in den klassischen Industriebetrieben war der Aderlass noch grösser. Bei den Hard- und Software-Ingenieuren sind gemäss HBR rund 100’000 Arbeitsplätze verschwunden, im Telecombereich waren es 567’000. Auch in verwandten Bereichen sieht es übel aus: Im Telemarketing betrug der Arbeitsplatzabbau 44 Prozent, bei den Elektroingenieuren 37 Prozent und im Bereich des Desktoppublishing 39 Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass die Bildungspolitik offensichtlich auf dem Holzweg ist. «In Washington geht man davon aus, dass die Studenten wie Maschinen funktionieren müssen», stellt Edward Luce in der «Financial Times» fest.
    Quelle: Tages-Anzeiger

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Titel verdient wohl eher ein Fragezeichen. Die Robotisierung unserer Wirtschaft ist ein ernst zu nehmendes Problem. Ob aber die Geisteswissenschaften oder die Kunst einen Ausgleich für die verlorenen Arbeitsplätze schaffen können, bleibt fraglich. Die oben genannten Wachstumsraten z.B. von Dirigenten und Komponisten gehen statistisch von einem sehr niedrigen Niveau aus.

  8. Dumpinglöhne im Briefgeschäft
    Während die Politik noch über die Einführung eines Mindestlohns streitet, zeigt ein Blick ins umkämpfte Briefgeschäft, welch haarsträubende Zustände auf dem Arbeitsmarkt herrschen. Geringverdiener sortieren Briefe auf dem Küchentisch und fahren sie im Privatauto aus – für einen Stundenlohn von teilweise unter 5 Euro. Auch die Deutsche Post greift auf externe Dienstleister zurück. Ärger mit der Postzustellung, meine Damen und Herren: Briefe, die den Empfänger nicht erreichen, Post, die verspätet ankommt oder an eine falsche Adresse abgeliefert wird? Kennen Sie? Dann sind Sie bei weitem keine Ausnahme. Das Internet ist inzwischen voll von Foren, in denen sich verärgerte Postkunden beschweren. Doch die mangelnde Zuverlässigkeit der Post hat am wenigsten mit den Briefzustellern selbst zu tun! Im Gegenteil: Sie sind die Leidtragenden des inzwischen nur noch profitorientierten Briefgeschäfts und müssen für Dumpinglöhne schuften.
    Quelle: Kontraste
  9. Interview mit Prof. Heiner Flassbeck – Das Ende der Massenarbeitslosigkeit
    Seit Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts haben wir Massenarbeitslosigkeit. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker haben zu diesem Thema in 2007 ein Buch veröffentlicht, Das Ende der Massenarbeitslosigkeit – Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen. Wir haben mit Herrn Flassbeck darüber gesprochen.
    Quelle 1: aristo blog
    Quelle 2: YouTube
  10. Unternehmerische Verantwortung – 160 Seiten Missstände
    Task-Force stellt fest: Die Papenburger Meyer-Werft hat über die prekäre Lage ihrer Werkvertragsarbeiter großzügig hinweggesehen. […]
    Auf 160 Seiten schildert das Expertengremium, beauftragt von der Werft in Abstimmung mit Niedersachsens Wirtschaftsministerium, die prekäre Lage der meist osteuropäischen Arbeitskräfte: Über 12 Stunden hätten sich die Leihkräfte der 21 überprüften Personaldienstleister in der Regel auf der Werft aufgehalten.
    23,55 Stunden-Schichten
    Im Einzelfall sogar bis zu 23,55 Stunden, eingesetzt in Doppelschichten, wie die Task Force schreibt, der Niedersachsens einstiger Justizminister Walter Remmers (CDU), die Meyer-Geschäftsführung, der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall angehören.
    Wie solche Einsätze bezahlt wurden, bleibt unterdessen auch für das Gremium undurchsichtig: Es hatte nur unvollständige Lohnunterlagen vorliegen. Vertraglich festgehalten seien mit den Werkvertragsunternehmen meist die Konditionen der Herkunftsländer.
    Quelle: taz
  11. Babyboom überfordert klammes Frankreich
    Der Babyboom kam nicht von allein. Der Staat gewährte Familien zahlreiche Förderungen, die Familienpolitik gilt als eine der großzügigsten in ganz Europa. Zudem ist die Kinderbetreuung gut ausgebaut. Die Ausgaben für die Familienpolitik – alle Subventionen, Steuererleichterungen für Eltern und staatliche Unterstützung für Wohnraum zusammengenommen – machen beinahe 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus, der höchste Anteil unter den 34
    Industrieländern, die Mitglied in der OECD sind. Im Schnitt liegt der Anteil bei 2,2 Prozent. […]
    Frankreichs Bevölkerungszuwachs stellt den sozialistischen Präsidenten François Hollande vor eine Prüfung, vielleicht die größte seiner Amtszeit. Sein Ziel ist es, das Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Das muss er mit seinem Wahlversprechen vereinen, dass er die jungen Menschen nicht zurücklassen wird. […]
    Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als Frankreichs Sozialsystem. Laut Analysten trägt die hohe soziale Fürsorge des Staates zu der hohen Geburtenrate bei. Doch kann Frankreich weiterhin um einiges mehr als jedes andere westliche Land für sein Sozialsystem ausgeben, wenn dieses doch hauptsächlich auf Schulden aufgebaut ist? […]
    Beim Nachbarn Deutschland schrumpft die Bevölkerung, aber die Wirtschaft wächst
    Quelle: Wall Street Journal

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Werden zu wenige Kinder geboren, ist das Sozialsystem angeblich nicht bezahlbar; werden mehr Kinder geboren, auch nicht… Die Neoliberale Journaille sollte ihre Argumente mal auf Vereinbarkeit mit der Logik überprüfen. Immerhin interessant das offene Eingeständnis, daß Deutschland das Sozialsystem radikal einschränkt.

  12. Finanzplanung im Ländle – Wünschen war gestern
    Die Ministerien in Baden-Württemberg müssen künftig Sparvorschläge machen, um der Schuldenbremse Genüge zu tun.
    Es muss wie Weihnachten gewesen sein: Bisher durften die Ministerien in Baden-Württemberg vor Haushaltsverhandlungen Wünsche anmelden, für die sie gerne Geld ausgeben würden. Damit muss Schluss sein, meint Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
    Damit das Land die gesetzlich vorgeschriebene Nullverschuldung in sieben Jahren schafft, müssen die Fachbereiche erstmals zu den Haushaltsverhandlungen Anfang 2014 statt ihrer Wünsche Vorschläge für Einsparungen abgeben.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Kretschmann exekutiert in neoliberal-konservativer Härte. Und das in einem der beiden reichsten Bundesländer – nur, weil die Rücknahme der vielen Steuergeschenke an Unternehmen und reiche Privatpersonen sakrosankt sind. Wie sieht es dann wohl in den ärmeren Bundesländern aus – Heulen und Zähneklappern?

  13. Asyl: Berlin entlarvt die Hardliner
    Na also, es geht doch: Berlin zeigt, welche Möglichkeiten ein Bundesland hat, Flüchtlinge humaner zu behandeln als anderswo in Deutschland. Formal liegt die Zuständigkeit zwar beim Bund und bei Europa. Aber auch Länder und Kommunen haben kleine Spielräume, die einen großen Unterschied für die Betroffenen ausmachen. Berlin straft damit die Hardliner in anderen Städten Lügen: Die behaupten, solche Spielräume gäbe es nicht. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie bei der Unterkunft für die Flüchtlinge, die seit einem Jahr in Berlin-Kreuzberg campieren: Am Sonntag sind sie in ein ehemaliges Seniorenwohnheim umgezogen. Seit Monaten hatten die Mehrheit der Flüchtlinge aus dem Camp für eine solche menschenwürdige Behandlung gekämpft. – In Berlin passiert also genau das, was der Senat in Hamburg für unmöglich erklärt hat. Auch dort protestiert eine Gruppe von Lampedusa-Flüchtlingen gegen ihre menschenunwürdige Behandlung. Der von der SPD gestellte Senat unter Führung von Olaf Scholz reagierte im Frühjahr mit der Aussage: Nur wenn die Flüchtlinge ihre Identität offenlegen, dürfe die Stadt sich um sie kümmern. Doch geben die Flüchtlinge ihre Identität preis, dann droht ihnen die sofortige Abschiebung. Deshalb beantragen sie auch kein Asyl. Das wiederum führt dazu, dass Hamburg diesen Menschen kein Dach über dem Kopf gibt, nichts zu essen und auch keine Medikamente. SPD-Innensenator Michael Neumann begründet das so: “Rechtsstaatliche Grundsätze sind nicht verhandelbar.” Sein Sprecher ergänzt prompt, es gebe “in der ganzen Welt keinen Rechtsstaat”, in dem jemand staatliche Leistungen erhalte, “der seine Identität nicht preisgibt”.
    Quelle: taz
  14. Europa: Wanderungssaldo
    In keine Region der Welt sind im Zeitraum 2000 bis 2010 so viele Menschen eingewandert wie nach Europa. Der Wanderungssaldo lag nach Angaben des Department of Economic and Social Affairs (UN/DESA) bei 1,88 Millionen Personen pro Jahr in den Jahren 2000 bis 2005 und bei jährlich 1,86 Millionen in den Jahren 2005 bis 2010. Auch für die Jahre bis 2060 nimmt das UN/DESA einen positiven Wanderungssaldo von 930.000 Personen pro Jahr an. Der Wanderungssaldo bezieht sich dabei sowohl auf zu- bzw. abwandernde Personen, die im Ausland geboren sind, als auch auf einheimische Personen, die ihre Heimat verlassen oder in sie zurückkehren. In Europa waren im Zeitraum 2005 bis 2010 Russland und Spanien die beiden Staaten mit dem höchsten positiven Wanderungssaldo (plus 451.000 bzw. 450.000 Personen pro Jahr). Darauf folgten laut UN/DESA Italien (382.000), Großbritannien (168.000) und Frankreich (104.000). Allerdings sind nicht alle europäischen Staaten Einwanderungsländer. Bezogen auf die EU sind die internationalen Wanderungsbewegungen von großer Bedeutung, da sie seit Anfang der 1990er-Jahre zur bedeutendsten Triebkraft des Bevölkerungswachstums geworden sind. Zwischen 2001 und 2011 erhöhte sich der Bevölkerungsstand der EU laut Eurostat um 20,0 Millionen. Davon entfielen 4,1 Millionen auf das natürliche Bevölkerungswachstum und 15,9 Millionen auf den positiven Wanderungssaldo dieser Jahre. Damit hatte die Zuwanderung einen Anteil von 78,0 Prozent am gesamten Bevölkerungswachstum im Zeitraum 2001 bis 2011. Hingegen haben sich in Rumänien, Bulgarien, Litauen, Lettland und Estland beide Faktoren negativ entwickelt und damit zu einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang geführt. In Ungarn, Deutschland und Kroatien wurde der natürliche Bevölkerungsrückgang durch Zuwanderung gedämpft aber nicht kompensiert.
    Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

    Anmerkung Orlando Pascheit: Auch wenn die Verschärfung der Krise in der Eurozone und die grundsätzlich unbefriedigende Situation in der europäischen Peripherie dazu beitragen mag, dass die Zuwanderung nach Deutschland höher als in der Vergangenheit ausfallen mag, zeigt doch der Blick auf den jährlichen Wanderungssaldo, dass Deutschland sich über wenig Zuwanderung viel aufregt.

    Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

  15. Die Diktatur wird gerade privatisiert
    Die neuen Technologien verbinden die Menschen weltweit und haben auch die Organisation von Umstürzen in der arabischen Welt erleichtert. Allerdings sind sie nicht in Händen neutraler Einrichtungen, sondern werden von Unternehmen dazu benutzt, um sämtliche Daten ihrer Nutzer zu sammeln und kommerziell zu verwerten. Wir befinden uns in der Ära der Großdatenverarbeitung, die von McKinsey als die “nächste Grenzregion für Innovation, Wettbewerb und Produktivität” gepriesen wird. Damit werden die Grundsteine einer ökonomischen Total-Überwachung gelegt, an der sich auch Geheimdienste erfreuen. Darüber hat nun der Unternehmer und Publizist Roman Koidl, der kurze Zeit Online-Berater in Peer Steinbrücks Kompetenzteam war, ein Buch geschrieben: Web Attack – Der Staat als Stalker. Herr Koidl, wie sieht das große Stalking durch Big Data aus und was ist das essentielle Problem dabei? ….
    Quelle: Telepolis
  16. Neues Strafrecht in Afghanistan: Menschenrechtler fürchten Wiedereinführung der Steinigung
    Zwölf Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes erwägt die afghanische Regierung nach einem Bericht von Menschenrechtlern die Wiedereinführung von Steinigungen. Eine Arbeitsgruppe im Justizministerium habe die Bestrafung für “moralische Verbrechen” wie außerehelichen Geschlechtsverkehr vorgeschlagen, teilte Human Rights Watch (HRW) mit. Präsident Hamid Karsai müsse den “absolut schockierenden” Vorstoß umgehend ablehnen. Sollte der Vorschlag zum Gesetz werden, müssten internationale Geldgeber ihre Unterstützung stoppen. Die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in New York teilte mit, der Entwurf der entsprechenden Klausel für ein neues Strafgesetzbuch sehe die Todesstrafe durch Steinigung vor, wenn mindestens einer der Sexualpartner durch den Geschlechtsverkehr Ehebruch begehe. Wenn beide unverheiratet seien, solle die Strafe 100 Peitschenhiebe betragen. Die Strafen sollten – wie einst unter dem Taliban-Regime – öffentlich vollstreckt werden. In der nordafghanischen Provinz Baghlan wurde ein junges Pärchen wegen seiner außerehelichen Beziehung vom Vater des Mädchens getötet. Baghlans Polizeisprecher Ahmad Dschawid Bascharat sagte, ein außergerichtlicher Stammesrat habe beschlossen, dass der Junge und das Mädchen sterben müssten. Der Vater des Mädchens habe die beiden erschossen und sei geflohen.
    Quelle: SZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Westen wird deswegen wohl kaum seine Unterstützung für die jetzige Regierung abbrechen. Unterhält er doch auch glänzende Beziehungen zu Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten und verhandelt gegenwärtig mit dem Iran – alles Länder, in denen gesteinigt wird.

    dazu: Saudi-Arabien ist Deutschlands bester Waffenkunde
    Saudi-Arabien war im vergangenen Jahr offenbar Hauptabnehmer deutscher Rüstungsgüter. Das berichtet das ARD-Hauptstadtstudio unter Berufung auf den Rüstungsexportbericht, der am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll. 2012 wurden demnach Waffenexporte im Wert von 1,2 Milliarden Euro in den Golfstaat genehmigt, darunter Rohrwaffenrichtgeräte und Waffenzielgeräte, Ausrüstung zur Sicherung von Grenzen sowie Software für die Steuerung von Flugkörpern. Offiziell wurden die Zahlen zunächst nicht bestätigt.
    Quelle: Spiegel Online

  17. Die Ausputzer
    Das neue Mildtätigenwesen: »Bürgersinn« und »Ehrenamt« sollen den Sozialstaat ersetzen. Die USA und Großbritannien haben es vorgemacht, seit rund 20 Jahren macht Deutschland es nach: Weniger Staat, mehr Markt, weniger Sozialleistungen, dafür mehr »Eigeninitiative« – nach diesem Muster wird die bundesdeutsche Gesellschaft umgekrempelt. Der Preis ist hoch: arm gemachte Kommunen, ein unterfinanziertes Bildungswesen, fehlende Krankenhausinvestitionen und Pflegeinfrastruktur, zu wenig Geld für den öffentlichen Personenverkehr und den Bau bezahlbarer Wohnungen für Mieter, darbende Kultureinrichtungen und ein wachsender Anteil verarmter Menschen. Die ständige Einforderung von »bürgerschaftlichem Engagement«, sprich: Ehrenamt und Gratisarbeit, ist Teil der neoliberalen Transformation der Gesellschaft. Denn nach dem Ende des bisherigen Sozialstaats gibt es viel zu tun: Armenspeisungen, wie man sie in Deutschland zuletzt 1929 kannte, Sponsoring von Kultur und Bildung durch Milliardäre und Stiftungen, wie es die Rockefellers schon lange machen, Betreuung durch »Grüne Damen« und Lesementoren, Arbeit in Kleiderkammern und für Kindermittagstische in sozialen Brennpunkten.
    Quelle: junge Welt

    dazu: Die Macht der Millionäre
    In vielen Städten sind die Kassen leer. Trotzdem müssen sie die Infrastruktur aufrechterhalten. Immer häufiger sind es wohlhabende Bürger und Stiftungen, die diese Aufgabe übernehmen. Die Autorin Gesine Enwaldt zeigt, was es bedeutet, wenn die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Wie mächtig sind die Millionäre? Haben die Volksvertreter in den Rathäusern überhaupt noch etwas zu sagen? Wer bestimmt die Spielregeln in den Städten? Die Autorin begegnet Politikern, deren Macht schwindet und die immer abhängiger werden von privaten Geldspenden der reichen Bürger. Finanzstarke Unternehmer oder Investoren scheinen mittlerweile ein leichtes Spiel mit den mittellosen Ratsherren zu haben. Die Bürgermeister stehen mit dem Rücken zur Wand und gehen aus Geldnot auch riskante Geschäfte ein – in der Hoffnung, Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Kassen wieder zu füllen. Der Film zeigt Menschen in verwahrlosten Wohnkomplexen, die versuchen ihre Würde zu wahren. Und er zeigt Multimillionäre in Luxusvillen, die ihre finanzielle Macht ausspielen.
    Quelle 1: NDR
    Quelle 2: YouTube

  18. Volker Pispers: …bis neulich!
    Volker Pispers will vorerst einen Schlussstrich ziehen unter das Kapitel “Politisches Kabarett im Radio”. Wenn jetzt bei den Koalitionsverhandlungen über Gesundheitspolitik, Rente, Energiewende, doppelte Staatsbürgerschaft, Steuern, Schuldenkrise und Bildungspolitik gestritten wird, bin ich ständig in Versuchung alte Texte rauszukramen, weil ich immer seltener weiß, was ich denn zu all dem noch Neues sagen soll. In vielen Fällen müßte ich in den alten Texten nur ein paar Namen austauschen und alles wäre mal wieder topaktuell. Auch gibt es Personen in der Politik die einfach nicht verschwinden wollen und alle paar Wochen um ein paar verbale Ohrfeigen betteln. Auf manchen Themen und Personen kaue ich schon so lange herum, daß der fade Geschmack übermächtig geworden ist. Die nächsten acht Jahre sollte mal jemand zuständig sein, der nicht schon 16 Jahre Kohl und sieben Jahre Schröder in den Knochen stecken hat.
    Quelle: WDR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man kann nur hoffen, dass Volker Pispers das “Politische Kabarett” nicht generell leid ist. Eine schöpferische Pause sei ihm gegönnt, obschon bei ihm anklingt, dass er die Nase voll hat, von den ewig gleichen Themen und Akteuren. Vielleicht gelingt ihm ja ein anderer Zugang zu diesen ewigen Themen, gerade in ihrer Ewigkeit. Da hat der Künstler ganz andere Möglichkeiten als der einfache, wenn auch durchaus engagierte Aufschreiber/Chronist des bundesrepublikanischen Ablaufs. Übrigens würde ich schon meinen, dass die Republik inklusive der Rolle der Akteure darin sich schleichend und deshalb so gefährlich verändert, zum Schlechteren – ohne die Vergangenheit glorifizieren zu wollen. Denn der Keim des Heutigen liegt im Vergangenen.

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