Die Demokratie im Visier

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Laut Umfragen wünschen sich die meisten Deutschen eine sozial ausgewogene und Politik und eine dem Frieden verpflichtetet Außenpolitik. Dennoch gerät die Sozialpolitik in immer bedenklichere Schieflage und ist Deutschland in immer gefährlichere militärische und geostrategische Abenteuer der USA verstrickt. Und obwohl über TTIP und Co. zurzeit viel diskutiert wird, fragt zugleich doch niemand nach den Urhebern dieses Programms, nach ihren Motiven, ihrer „Philosophie“, ihrer Taktik und Strategie. Warum eigentlich? Hierzu sprach Jens Wernicke mit Hermann Ploppa, der in seinem aktuellen Buch aufdeckt, dass neoliberale Schockstrategen und US-Lobbygruppen seit Jahrzehnten daran arbeiten, demokratische Regularien zugunsten der exklusiven Herrschaft einer selbst ernannten Elite zu überwinden.

Herr Ploppa, in ihrem neuen Buch vertreten Sie die These, transatlantische Netzwerke würden heimlich die Demokratie in Deutschland unterwandern. Was genau meinen Sie damit?

Zunächst einmal zum Begriff „transatlantisch“. Man sollte aufhorchen, wenn in der Presse kommuniziert wird, ein bestimmter Politiker wie beispielsweise Helmut Schmidt sei ein „überzeugter Transatlantiker“. Diese von den Medien benutzte Chiffre bedeutet: Der so bezeichnete Politiker ist fest davon überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland nur als fest angeschlossener Juniorpartner der Vereinigten Staaten von Amerika gedeihen kann. Es gibt da gar keine Alternative für Deutschland dazu, im Militärbündnis NATO ein Organ im Körper der Machtarchitektur der USA zu sein. Zudem ist für den Transatlantiker unstrittig, dass die Art, wie in den USA Politik und Wirtschaft organisiert sind, für uns vorbildlich und möglichst eins zu eins bei uns umzusetzen ist.

Die Transatlantiker arbeiten an der Umsetzung dieser Agenda praktisch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie organisieren sich in von der Öffentlichkeit abgeschlossenen Gruppen. Ihr Selbstverständnis ist elitär. Sie sind der Überzeugung, dass das gemeine Volk die Notwendigkeiten der politischen Agenda nicht begreifen kann, und man deswegen in nicht öffentlichen Zirkeln politische Richtlinien erarbeiten muss, die dann über Netzwerke in praktische Politik umgesetzt und über transatlantisch eingestellte Führungskräfte in Medien und Verbänden den Menschen draußen im Lande nahegebracht werden.

Zu diesen elitären diskreten Gruppen gehört etwa die Atlantik-Brücke. Deren langjährige Geschäftsführerin Beate Lindemann hat das Credo dieser selbst ernannten Eliten einmal in die treffenden Worte gefasst: „Man kann mehr erreichen, wenn man nicht in der Öffentlichkeit arbeitet.“ Demokratie ist aber ohne Öffentlichkeit gar nicht möglich. Und diese transatlantischen Elitemenschen wissen das ganz genau. Wissen, dass ihre Agenda, beispielsweise die totale Ökonomisierung Europas durch TTIP, niemals auf demokratischem Wege und öffentliche Abstimmungen durchsetzbar ist. Insofern unterminieren sie eben die Demokratie, wo immer es ihrer Agenda dient und möglich ist.


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Und diese Netzwerke sind sozusagen Vertreter bestimmter Interessen? Wessen Interessen vertreten sie denn – und wie tun sie dies genau?

Um das beantworten zu können, müssen wir zuerst einmal die Genese dieser Netzwerke betrachten. Quasi die „Mutter“ aller transatlantischen Netzwerkgruppen ist der Council on Foreign Relations, kurz CFR. Dieser Rat für Auswärtige Angelegenheiten wurde 1921 in New York gegründet. Zuvor gab es bereits so genannte Runde Tische in Großbritannien und den USA. An denen saßen die reichsten und mächtigsten Männer aus Politik, Wirtschaft und Finanzen. Diese Leute erkannten, dass eine komplexer werdende Welt ohne wissenschaftliche Expertise nicht mehr effizient wirtschaftlich ausgebeutet werden kann. Der Council verstärkte daher die Interessenvertretung der Eliten durch eine wissenschaftlich untermauerte Wissens- und Strategieproduktion im Sinne eben dieser.

So machte er nach dem Ersten Weltkrieg etwa Druck auf die Politik, um die Sowjetunion anzuerkennen. Denn US-Industrielle wollten die immensen Öl- und Manganschätze der Sowjetunion ausbeuten. Den Herren vom CFR schwebte dabei schon damals eine entfesselte Weltwirtschaft ohne Grenzen vor, in der das Handeln der Nationalstaaten sich auf die Garantie der Vertragssicherheit, der sicheren Handelswege und des Schutzes von Privateigentum beschränkt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Vision des entfesselten Welthandels durch die Ordnung von Bretton Woods dann Wirklichkeit. Um die Eliten weltweit möglichst geschmeidig in diese neue Ordnung einzubinden, gründete der CFR seit diesem Zeitpunkt in 170 Staaten „Partnerorganisationen“, Filialen also, die den face to face-Kontakt mit den Eliten der USA sowie eine Anbindung an deren Interessen herstellen. Doch das reichte nicht aus. Die Bilderberger-Gruppe stiftet daher den persönlichen Kontakt zwischen nordamerikanischen und europäischen Eliten. Und die Trilateral Commission verbindet die genannten Eliten mit jenen Ostasiens.

In Deutschland stellt die Atlantik-Brücke Kontakte her zwischen den Eliten der USA und jenen Deutschlands. Und Think Tanks wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie die Stiftung Wissenschaft und Politik produzieren die Strategien, um Deutschland optimal in die Pax Americana einzubauen.

Es geht also vor allem darum, den Interessen des US-amerikanischen Kapitals Geltung zu verschaffen – koste es, was es wolle, sozusagen?

…wenn man sich die aktuelle Ukraine-„Krise“ anschaut, könnte man fast sagen: „koste es, was es wolle“, ja. Nur durch die geduldige Arbeit der oben genannten transatlantischen Netzwerke ist in Politik und Medien Deutschlands schließlich jene Hegemoniestruktur entstanden, in der man ungehemmt die Eskalation eines Konflikts provoziert, die aus deutscher Perspektive schlicht selbstmörderisch ist.

Hier ist es möglich, die deutsche Wirtschaft durch die Sanktionen gegen Russland massiv zu schädigen. Und im Falle, dass die Provokation Russlands Erfolg haben sollte, tragen auch wir Deutschen unmittelbar die Folgen eines Krieges, und nicht die USA. Dass sich Bundespräsident Gauck und Kanzlerin Merkel an diesem Spiel mit dem Feuer beteiligen, vollständig synchronisiert mit den USA, ist nur dadurch erklärlich, dass beide Politiker sowie die politischen Leitfiguren aller im Bundestag vertretenen Parteien fest eingebunden sind in die vorhandenen transatlantischen Netzwerke. Ja, sie verdanken ihre Karriere zum großen Teil eben diesen Netzwerken. Sie haben die „Philosophie“ des Transatlantizismus zutiefst verinnerlicht und wissen gar nicht, dass es ganz reale Alternativen gibt.

Nun, das mag sein. Andererseits gibt es derlei „Netzwerke“ von vielen Eliten mit jeweils anderen und sehe ich hier kein „Alleinstellungsmerkmal“ auf Seiten der USA.

Das ist der Zeitpunkt, an dem wir über die Begriffe „Government“ und „Governance“ sprechen müssen. Das sind zwei unterschiedliche politische Währungen, die in unserer Gesellschaft koexistieren, ohne dass der Unterschied beider in der Öffentlichkeit ausreichend diskutiert würde. Unter Government können wir die repräsentative Demokratie verstehen, die unser politisches System bezeichnet: Öffentlichkeit aller die Allgemeinheit betreffenden Entscheidungsprozesse, Gewaltenteilung, regelmäßiger Austausch der Entscheidungsträger durch Volksentscheid etc. pp. Demgegenüber wird immer öfter von Governance gesprochen. Darunter kann man jene subtile informelle Entscheidungsfindung verstehen, die selbsterklärte Eliten im exklusiven Rahmen treffen, und die durch Stiftungen, Denkfabriken, Medien, Verbandsfunktionäre und Netzwerkpolitiker dann in reale Politik umgesetzt wird.

Und Sie haben natürlich Recht: Neben dem Council on Foreign Affairs in den USA gibt es in Großbritannien eine vergleichbare Instanz, nämlich das Royal Institute of International Affairs, auch kurz: Chatham House genannt. Es wurde schon 1920 gegründet, nachdem der Versuch, für die Eliten der USA und Großbritanniens eine gemeinsame Einrichtung zu schaffen, gescheitert war. Es darf aber bezweifelt werden, dass das britische Pendant eine eigenständige, von den USA deutlich abgesetzte Linie verfolgt. Deutschland hingegen verfügte nie über eine solch elitäre Strategiefabrik wie den CFR. Und Frankreich hat zwar seine ultraelitären Führungsakademien, aber das ist etwas anderes.

Beachtlich ist in diesem Kontext vor allem Russland, denn das ist ein absolutes Trauerspiel: Peter Scholl-Latour hat einmal das russische „Gegenstück“ zum CFR besucht. In einer Dachkammer fand er einen Herrn vor, der sozusagen mit Ärmelschonern vergilbte Dokumente von Motten befreite. Und die Volksrepublik China ist zwar gerade dabei, den Übergang von der Diktatur in die Governance zu vollziehen – tatsächlich verfügen aktuell aber nur die USA über mehr Denkfabriken als die Volksrepublik China und darf in beiden Versionen sehr wohl auch offen und kontrovers diskutiert werden, solange das gewisse „Tabus“ nicht berührt.

Das ist im Falle Chinas die Allmacht der Kommunistischen Partei. Und das ist im Falle der transatlantischen Netzwerke der unumstößliche Grundsatz, dass es zur Herrschaft der Eliten und zum „Betriebssystem“ des US-Finanzkapitalismus keine Alternative geben darf.

Solch ein Eliteclub ist eben kein Politbüro. Kontroverse Meinungen und Vorschläge sind sogar erwünscht. Sie finden neben dem Mainstream marktradikaler Ansichten dort deshalb auch beispielsweise das keynesianische Konzept, also das Konzept eines starken Staates, wie es etwa Paul Krugman vertritt. Krugman ist Mitglied im CFR, in David Rockefellers Group of Thirty, sowie in der Ökonomen-Geheimloge Mont Pelerin Society. Das ist das Salz in der Suppe. Eventuell kann man nämlich rasch auf die Konzepte der Dissidenten zurückgreifen, wenn die vorgegebene Strategie nicht mehr funktioniert. Die Netzwerker sind geschmeidig und recht flexibel.

Als sich in den Fünfziger Jahren etwa die Strategie der Massiven Vergeltung, die der Alpha-Netzwerker John Foster Dulles verkündet hatte, als politische Sackgasse herausstellte, beauftragte der CFR Henry Kissinger, eine neue Strategie zu entwerfen. Heraus kam die Strategie der Flexiblen Antwort.

Machen Sie das doch bitte einmal an einem konkreten Beispiel fest. Welches Interesse steht bspw. hinter TTIP? Und von wem genau geht dieses Interesse aus – und welche Netzwerke und elitären Zirkel arbeiten daran, demselben jenseits demokratischer Regularien zur Geltung bzw. Durchsetzung zu verhelfen?

Wie gesagt: Ziel dieser elitären Kreise war es schon immer, ein optimales Investitionsklima zu schaffen. Der Staat soll so weit wie möglich zurückgefahren werden auf die Funktion, solche günstigen Investitionsbedingungen zu garantieren. Seit dem Bestehen des Council on Foreign Relations wurde in diesem Sinne beharrlich an der sukzessiven Annäherung an dieses Ziel gearbeitet.

Eine wichtige Etappe war dabei die Durchsetzung der Nachkriegsordnung von Bretton Woods im Jahre 1944. Hierdurch war der Welthandel so stark stimuliert, dass multinationale Konzerne in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts bereits mit ihrem Umsatz an das Bruttosozialprodukt kleinerer Staaten heranreichten. Das war die Stunde der Interdependenztheorie. Der CFR stellte fest, dass nationale Grenzen löchrig geworden waren. Multinationale Konzerne und Nichtregierungsorganisationen agierten über Grenzen hinweg. Unter solchen Bedingungen seien Nationalstaaten nur einer von vielen Spielern im globalen Spiel, und müssten sich Entscheidungsbefugnisse in Zukunft mit Konzernen und NGOs teilen. Übernationale Instanzen wie UNO oder die Welthandelsorganisation müssten ordnend in den globalisierten Wildwuchs eingreifen, im Sinne des CFR allerdings.

Mit der weltweiten Durchsetzung des Marktradikalismus wurde diese Tendenz dann auch noch künstlich verstärkt, indem Nationalstaaten planmäßig verarmt und ausgehungert wurden. Die globale Machbalance hat sich in den letzten vierzig Jahren inzwischen dramatisch zu Ungunsten der Nationalstaaten verschoben.

Immer deutlicher wird auch die Tendenz des globalisierten Kapitalismus zur Zentralisierung: Strukturen an der Peripherie werden durch so genannte Freihandelsabkommen zerstört, obwohl sie eigentlich optimal funktionieren. Durch das Freihandelsabkommen NAFTA wurde beispielsweise die mexikanische Landwirtschaft weitgehend zerschlagen. Die mexikanischen Bauern arbeiten jetzt als illegale Billiglohnarbeiter in der US-amerikanischen industriellen Landwirtschaft. Mit dem eingefädelten „Frei“-Handelsabkommen TTIP droht Europa nun dasselbe Schicksal. Die Kräfteverhältnisse zwischen den geeinten USA und dem zerstrittenen Europa lassen keinen anderen Schluss zu. Die USA, die in einer schweren strukturellen Krise stecken, gönnen sich mit TTIP quasi eine Frischzellenkur.

Und diese ist von den transatlantischen Netzwerken schon lange angebahnt worden. Es gab ja bereits einen Vorläufer von TTIP, nämlich das Multilaterale Abkommen über Investitionen, kurz MAI. Und auf Unternehmerseite existiert auch bereits ein Dachverband für TTIP: der Transatlantic Business Council. Unternehmer beiderseits des Atlantiks kämpfen hier für TTIP. Und im European Round Table of Industrialists treffen sich regelmäßig die CEOs, also die obersten Strategen ausgesuchter europäischer Konzerne, um der EU Gesetze vorzugeben, die oftmals eins zu eins umgesetzt werden. So rühmt sich der ERT auf seiner Webseite beispielsweise, die Lissabon-Agenda aus dem Jahre 2000 erdacht und ausformuliert zu haben.

Und als im Frühjahr 2013 Frau Merkel den französischen Präsidenten Francois Hollande und den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso ins Kanzleramt zitierte, saßen dort bereits 15 Herren aus dem European Round Table und hatten eine Wunschliste mitgebracht. Diese wurde sodann von einer regierungsamtlichen französisch-deutschen Arbeitsgruppe eins zu eins abgeschrieben und als Regierungshandeln der Öffentlichkeit präsentiert.

Damit die Abgeordneten des Europaparlaments in Straßburg auch mitgenommen werden auf dem TTIP-Boot, gibt es für diese Klientel das Transatlantic Policy Network. Hier bearbeitet der Bertelsmann-Lobbyist Elmar Brok seine Parlamentskollegen für TTIP. Oder der grüne EU-Abgeordnete Rainer Bütikofer. Oder auch, das wird manche überraschen, der frühere Umweltaktivist Jo Leinen.

Die Vertreter der neuen transatlantischen Governance sind mittlerweile so gestärkt, dass sie ganz ungeniert die Grundelemente einer Demokratie, wie beispielsweise das Gebot der Öffentlichkeit, missachten und wir gemeinen Bürger nur noch durch gezielte Indiskretionen einiger Ministerialbeamter mit Gewissen tröpfchenweise erfahren, was die Meister der Governance mit uns vorhaben.

Und die Interessen hinter TTIP? Gibt es da Namen – oder halten Sie es hier mit dem Elitenforscher Hans-Jürgen Krysmanski, der meint, die uns, wenn überhaupt, präsentierten Namen seien vor allem jene von Hilfsköchen und Tellerwäschern aus der Großküche globaler Interessenpolitik, die weltpolitische Entscheidungsmacht läge jedoch in ganz anderer Hand?

Naja, die Meisterstrategen der transatlantischen Governance haben sich durch ihr Handeln auch ein bisschen ihr eigenes Grab geschaufelt. Denn durch die massive Schwächung des Staates, durch die Deregulierung der Wirtschaft ist eine Dynamik entfesselt worden, die vermutlich auch für die Meisterstrategen nur noch schwer kontrollierbar ist.

Wenn Computerprogramme in Nanosekunden automatisch gigantische Geldmengen verschieben, sind langfristige Strategien in Gefahr. Gleichzeitig hat das deregulierte Wachstum des Militär-Industriellen Komplexes zu einer massiven Destabilisierung ganzer Regionen geführt. Und zur gleichen Zeit sind manche Individuen auf diesem Planeten so reich geworden, dass sie glauben, sie könnten die Probleme dieser Welt nach eigenem Gutdünken im Alleingang lösen. Bill Gates etwa will höchstpersönlich Bevölkerungswachstum und Ozonloch stoppen. Und der superreiche Richard Branson denkt über Geoengineering nach. Diese Entwicklungen sind inzwischen auch den Elite-Netzwerken entglitten.

Zbigniew Brzezinski, Meisterdenker der Trilateral Commission, ging Mitte der Neunziger Jahre davon aus, dass die USA in gar nicht so ferner Zukunft als Hegemonialmacht implodieren, die elitären Netzwerke dann aber immer noch den Globus umspannen würden. Sozusagen intrinsisch motivierte Netzwerker würden den Fortbestand des „Betriebssystems US-Finanzkapitalismus“ auf der ganzen Welt für alle Zeiten festschreiben. Die fleißige Nachahmung der amerikanischen Regierungskunst in China könnte in diese Richtung weisen.

Aber wer wirklich „ganz hinten“ hinter den Kulissen die Richtlinien der Politik bestimmt, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Krysmanski so selten konkrete Namen nennt. Es ist gewiss aber ein Erkenntnisgewinn, die Strategien der elitären Netzwerke für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht zu haben. Hilfsköche wie Kissinger, Nye, Brzezinski oder Lippmann sollte man auf jeden Fall kennen.


„Die rohe Skizze der liberalistischen Gesellschaftstheorie hat gezeigt, wie viele Elemente der totalitären Staatsauffassung in ihr schon angelegt sind. Von der ökonomischen Struktur aus enthüllt sich eine fast lückenlose Kontinuität in der Entwicklung der theoretischen Interpretation der Gesellschaft. Die ökonomischen Grundlagen dieser Entwicklung von der liberalistischen zur totalitären Theorie müssen hier vorausgesetzt werden: sie liegen im wesentlichen alle auf der Linie der Wandlung der kapitalistischen Gesellschaft von dem auf der freien Konkurrenz der selbständigen Einzelunternehmer aufgebauten Handels- und Industriekapitalismus zum modernen Monopolkapitalismus, in dem die veränderten Produktionsverhältnisse (und besonders die großen ‚Einheiten‘ der Kartelle, Trusts etc.) eine alle Machtmittel mobilisierende Staatsgewalt fordern. […]

Die Wendung vom liberalistischen zum total-autoritären Staate vollzieht sich auf dem Boden derselben Gesellschaftsordnung. Im Hinblick auf diese Einheit der ökonomischen Basis läßt sich sagen: es ist der Liberalismus selbst, der den total-autoritären Staat aus sich ‚erzeugt‘: als seine eigene Vollendung auf einer fortgeschrittenen Stufe der Entwicklung. Der total-autoritäre Staat bringt die dem monopolistischen Stadium des Kapitalismus entsprechende Organisation und Theorie der Gesellschaft.“

Herbert Marcuse: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung


Wenn das nun der Sachstand und die „Lage der Welt“ skizziert – was könnten wir dann tun gegen das reale Elend, das auch Ihr Thema ist? Wenn Sie um Rat gefragt würden: Was rieten Sie?

Zum einen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland, aber auch in Österreich, der Schweiz und Skandinavien, ein anderes Wirtschaftssystem haben als in den angloamerikanisch geprägten Ländern.

Während dort praktisch alle Wirtschaftsbereiche privatwirtschaftlich oder über private Stiftungen betrieben werden, war in den kontinentaleuropäischen Ländern lange Zeit klar: Das Profitprinzip hat in den Bereichen Daseinsvorsorge, Grundversorgung, Infrastruktur, Gesundheitswesen, Bildung und öffentliche Sicherheit grundsätzlich nichts zu suchen. Es gab und gibt noch geschützte Bereiche der Geldbeschaffung für die kleinen Leute und den Mittelstand durch Sparkassen. Diese Aufgaben wurden zum einen von öffentlich-rechtlich-staatlichen Einrichtungen und zum anderen von Genossenschaften erfüllt. Nur dort, wo profitorientierte Tätigkeit keinen Schaden anrichten konnte, war diese schon immer zugelassen.

Wir müssen uns positiv hierauf beziehen und den noch unversehrten Bestand bei uns offensiv verteidigen und ausbauen. Genossenschaften sind kein Nischenphänomen. Weltweit arbeiten bereits jetzt über 800 Millionen Menschen in Genossenschaften, Tendenz steigend. Und wir müssen eigene Netzwerke aufbauen, vor allem für den Wissenstransfer von neuen Ideen für eine solidarische Ökonomie. Das Kapital zieht sich aus der Realwirtschaft zurück. Lassen wir es doch einfach rechts liegen und bauen von unten her eine eigene, ganz reale Wirtschaft auf. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann.

Noch ein letztes Wort?

Ich denke, viel liegt in der Psychologie begründet. Die marktradikalen und transatlantischen Seilschaften führen einen medialen Einschüchterungskrieg gegen uns einfache Leute. Dagegen hilft nur, sich von diesen Medien abzukoppeln und konsequent den eigenen Weg der Solidarität zu verfolgen.

Die Weltwirtschaft war schon einmal durch ihre Entfesselung an die Wand gefahren worden, mit großem Leiden für die Bevölkerung. Und der außergewöhnliche US-Präsident Franklin D. Roosevelt sagte in jener niedergeschlagenen Stimmung in seiner Antrittsrede 1933: „Das einzige, wovor wir uns fürchten müssen, ist die Furcht selber!“ Das können, ja, sollten wir uns zu Eigen machen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Hermann Ploppa, Jahrgang 1953, ist Politologe und Publizist. Er hat zahlreiche Artikel über die Eliten der USA veröffentlicht, u.a. über den einflussreichen Council on Foreign Relations. 2009 veröffentlichte Ploppa das Buch „Hitlers Amerikanische Lehrer“, in dem er bislang nicht beachtete Einflüsse US-amerikanischer Stiftungen und Autoren auf den Nationalsozialismus offenlegte. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „Die Macher hinter den Kulissen. Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“ und erschien im nomen-Verlag.


Weiterschauen:

Hermann Ploppa: Transatlantische Netzwerke, Denkfabriken und Eliteclubs

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