Die Folgen des Fernsehens und seiner Kommerzialisierung für Bildung, Wissen und Gewalt

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Eine kurzgefasste Zusammenstellung wichtiger Erkenntnisse – unter anderem des Hirnforschers Manfred Spitzer.

Fernsehen gibt es in Deutschland seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Bis 1984 allerdings öffentlich-rechtlich und mit einer überschaubaren Zahl von Programmen, einer beschränkten Dosis sozusagen.

Seit der Wende von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl wurden Milliarden in die Programmvermehrung und in die Kommerzialisierung gepumpt.

Die Folgen hat der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem Buch „Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft“ beschrieben.

Professor Spitzer hat naturwissenschaftlich belegt, wovor die Planungsabteilung im Bundeskanzleramt schon 1978 gewarnt hat:

Die Dosis des Fernsehens… nahm vor etwa 15 Jahren deutlich zu. Und wir haben in den letzten Jahren einen Anstieg der Aggressivität unter Jugendlichen. Nach kürzlich vom baden-württembergischen Kultusministerium veröffentlichten Angaben wurde in diesem Land von 1997 bis 2003 eine Zunahme aggressiver Verhaltensweisen bei Schülern um über 40% festgestellt.“

Manfred Spitzer:

Die Gewalt in den Medien schadet besonders jungen Kindern unter acht Jahren, da diese noch Schwierigkeiten haben, zwischen Realität und Phantasie zu unterscheiden. Sie hat nachweislich eine ganze Reihe von Auswirkungen bei Kindern: Sie verstärkt Aggressivität und antisoziales Verhalten, verstärkt aber auch Ängste, selbst Opfer von Gewalttaten zu werden. Zudem desensibilisiert Gewalt in den Medien die Jugendlichen gegenüber realer Gewalt und Gewaltopfern. Schließlich führt Gewalt in den Medien zu einem „verstärkten Appetit“ auf mehr Gewalt im Unterhaltungsprogramm aber auch im realen Leben.“

In ihrem Buch über Medienforschung vertreten Ludwig und Pruys (1998) eine weit verbreitete Auffassung zur Notwendigkeit von Gewalt im Fernsehen:

Solange es Literatur und Kunst gibt, haben Künstler die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen ausgelotet … und damit die Diskussion über gesellschaftliche Normen und Werte vorangetrieben“.

Dazu Manfred Spitzer:

Ich bestreite jedoch, dass die Gewalt im Fernsehen das Produkt von Künstlern ist, die damit irgend eine gesellschaftlich sinnvolle Diskussion vorantreiben wollen.

Ich bestreite weiterhin, dass man allen ernstes behaupten kann, die Gewalt in den Medien würde unsere Gesellschaft im Hinblick auf Normen und Werte voranbringen. Es geht bei Gewalt in Bildschirm-Medien vielmehr um handfeste finanzielle Interessen, wie übrigens die genannten Autoren auch an anderer Stelle unumwunden zugeben.“

Manfred Spitzer weiter:

Allein in Deutschland werden in wenigen Jahren jährlich einige 10.000 Menschen durch das Fernsehen sterben. Es gefährdet die Menschenwürde, beeinträchtigt das glückende Leben, und es begünstigt Hass, Aggressivität, Krankheit und Tod. Seine negativen Externalitäten (=Folgen) müssen den möglichen positiven Auswirkungen sowie den Profitgesichtspunkten der Medien-Macher gegenübergestellt werden.“

In einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über „Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen“ wurde genau dieser Zusammenhang festgestellt. Ich zitiere aus einem Beitrag von Prof. Christian Pfeiffer:

Die schulischen Lerninhalte verblassen angesichts der emotionalen Wucht der filmischen Bilder“.

Und

Wer täglich stundenlang fernsieht, hat zudem kaum noch Zeit, die schulischen Hausarbeiten konsequent zu erledigen. Außerdem bewegt er sich zu wenig. Das schädigt nicht nur den Körper sondern auch den Geist.“

Und so hat man in diesen Untersuchungen wachsende Leistungsunterschiede zwischen den Jugendlichen mit besonderer Medienverwahrlosung und den weniger Fernsehabhängigen beobachtet.

Weder das Wissen darüber, dass Fernsehgewalt die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung abbaut, noch das Wissen über die Folgen des hohen Fernsehkonsums für die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft sind neue Erkenntnisse. Die Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes hat schon 1978, also sechs Jahre vor der Programmvermehrung und vor der Kommerzialisierung des Fernsehens, vor diesen Folgen gewarnt; der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat sich diese Warnungen zu Eigen gemacht. Helmut Schmidt hat sich geweigert, öffentliches Geld in diese sich abzeichnende mediale Verwahrlosung zu investieren.
Wir wurden als Kulturpessimisten, Technikfeinde und Investitionshemmnis attackiert.

Dann wurden 1982 die Schleusen geöffnet. Milliarden des Bundeshaushalts und der damaligen Bundespost und späteren Telekom wurden in Verkabelung und Satelliten-Fernsehen investiert. Das waren Milliarden für den Drogenanbau – so könnte man im übertragenen Sinne sagen.
Nichts und niemand hat die politisch Verantwortlichen in Bundesregierung und Bundestag dazu gezwungen. Der Versuch, die eigene Welt selbst und verantwortlich zu gestalten, wäre nicht vergeblich gewesen. Das hat der damalige Bundeskanzler Schmidt bewiesen. Er hat bis zu seinem Abschied im September 1982 der Lobbyarbeit der Medienkonzerne widerstanden. Kanzler Kohl und sein Postminister Schwartz-Schilling haben sich diesen Interessen gebeugt. Zwangsläufig war das nicht. Es sei denn, man unterstellt, die von uns gewählten Politiker hätten sich grundsätzlich der Medienmacht zu beugen. Das mag ja so sein. Aber die Pressionen von Bertelsmann, Kirch und Springer waren und sind keine Sachzwänge. Sie sind deutliche Zeichen für den Niedergang der Demokratie. Das sollte man dann auch so benennen und nicht weiter beschönigen.
Übrigens, das wäre hier noch zu vermerken: die Kommerzialisierung des Fernsehens und des Hörfunks hat sich bei uns nicht allein über den Markt durchgesetzt. Ohne den Einsatz öffentlichen Geldes wäre der Durchbruch, im konkreten Fall der Durchbruch zum geistigen Elend eines großen Segments unserer Gesellschaft, nicht möglich gewesen. Nicht der Markt hat die Betroffenen in Schwierigkeiten gebracht. Das waren private Interessen, die sich einzelner Politiker und Parteien bedient haben, um öffentliches Geld für ihre privaten Interessen einzusetzen. In der Sprache des scheidenden Bundeswirtschafts- und Arbeitsministers: Bertelsmann, Kirch, Springer haben Milliarden abgezockt.
Auch heute hätte man, wenn man sich aus den Klauen der Medienmächtigen befreien würde, genügend Gestaltungsfreiheit. Sie zu nutzen, wäre sogar geboten, würde man ernst nehmen, was man sonst so alles bei Nutzung des Begriffs „Wissensgesellschaft“ so daher schwätzt. Wir könnten den Bildungsstand unseres Volkes und damit die viel zitierten Pisa-Ergebnisse auf einen Schlag verbessern, wenn wir die Kommerzialisierung und den damit verbundenen totalen Griff des Fernsehens nach den Menschen eindämmen würden.

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