Hinweise des Tages

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Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Versicherer wollen „Rückbau der Sozialsysteme“
    Die Reformüberlegungen der privaten Versicherungsbranche gehen weit über die bislang bekannt gewordenen Pläne zum Umbau der Krankenversicherung hinaus. So schlagen die Autoren des Positionspapiers „Soziale Sicherung 2020: Angebote der deutschen Versicherungswirtschaft“ vor, die gesetzliche Rentenversicherung abzuschaffen und auf eine steuerfinanzierte einheitliche Grundrente für alle umzustellen. Die Pflegeversicherung soll komplett in ein privates, kapitalgedecktes System umgebaut werden; die Arbeitslosenversicherung halten sie für „nicht zwingend“. Der Vorschlag, die gesetzliche und private Krankenversicherung auf ein einheitliches privatwirtschaftliches Prämienmodell umzustellen, stieß auf ein kontroverses Echo.

    Das Positionspapier basiert auf der Annahme, dass der Staat in den kommenden Jahren nicht mehr in der Lage sein wird, die vielfältigen sozialpolitischen Ansprüche und Versprechungen auch zu gewähren. Gründe dafür seien die Folgen des demographischen Wandels, der Globalisierung und die „auf Dauer schwierige Finanzlage der öffentlichen Haushalte“.

    Bei den Bürgern müsse für den Umbau geworben werden, „insbesondere auch für die notwendigen Leistungskürzungen in den staatlichen Systemen und die unvermeidbaren temporären Mehrbelastungen“ für den Umstieg von der Umlagefinanzierung auf eine Kapitaldeckung. Die Kosten dafür werden auf jährlich zweistellige Milliardenbeträge beziffert. Die Zusatzkosten könnten unter anderem dadurch finanziert werden, dass die bisher von den Arbeitgebern anteilig bezahlten Sozialversicherungsbeiträge an die Versicherten ausgezahlt würden.
    Quelle: FAZ

    Dazu:

    Gesetzliche Kassen kritisieren Reformpläne privater Versicherer
    Die Vertreter der Gesetzlichen Krankenversicherer haben sich skeptisch zu den Plänen der Privatkassen geäußert, eine einheitliche Krankenversicherung einzuführen. Sie befürchten eine Zementierung des Zwei-Klassen-Systems – und den Reibach auf Seiten der Privaten.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Am 10. Juni 2008 hatte ich das in der FTD dargestellte Konzept der großen Versicherungskonzerne zur künftigen Krankenversicherung kritisiert. Nun berichtet die FAZ, dass die Pläne der Versicherer noch weit über die Krankenversicherung hinausgehen. Mit den für den Rückbau üblichen Argumenten (Globalisierung, demografischer Wandel, Finanzlage der öffentlichen Haushalte) wird wieder einmal der Rückbau des Sozialstaats begründet. Wir haben auf den NachDenkSeiten schon viele Male begründet, dass diese Argumente falsch und vorgeschoben sind. Es wird auch wieder die falsche Behauptung aufgestellt, dass private Vorsorge effizient sei und spätere Generationen nicht belaste. Siehe dazu auch noch einmal die Darstellung des sog. Mackenroth-Theorems

  2. Die Wahrheit über das Elterngeld
    Mit großen Versprechungen führte Familienministerin von der Leyen das Elterngeld ein. Heute herrscht Ernüchterung: Mütter und Väter bekommen weit weniger Geld als erhofft, oft fehlen ihnen Hunderte Euro. Steuern, Sozialabgaben, Partnermonate – SPIEGEL ONLINE macht den Praxistest.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung: Allmählich kommt auch der Spiegel zu einer kritischeren Einschätzung. Was dennoch viel zu kurz kommt:

    • Bei 32 Prozent aller Eltern wurde das Elterngeld gegenüber dem Erziehungsgeldmodell um sagenhafte 50 Prozent gekürzt!
    • Mindestens (!) 56 Prozent aller Eltern hätten mit dem Erziehungsgeld mehr Fördermittel erhalten! Nur 3 Prozent erhalten eine Maximalförderung.
    • Insgesamt erhalten nur 16,2 Prozent Fördermittel in den vier (!) höchsten Kohorten von 1.000 bis unter 1.250, 1.250 bis unter 1.500, 1.500 bis unter 1.800 und 3 Prozent erhalten 1.800 und mehr, sodass sich der Maximalförderbetrag von 1.800 Euro ohnehin als Werbemasche und Luftnummer entpuppt.

  3. Schlecht für uns
    Der Kaufkraftschwund beginnt den politischen Kredit der Regierenden aufzuzehren. In Frankreich, Italien und Großbritannien mussten die herrschenden Parteien gerade bei kommunalen Wahlen empfindliche Rückschläge hinnehmen. Für die meisten Menschen in diesen Ländern ist das tägliche Leben deutlich härter geworden. In Italien und Spanien gibt man dem Euro die Schuld. Aber auch in Großbritannien hat sich der Warenkorb für den täglichen Bedarf binnen einem Jahr um 15 Prozent verteuert…
    Im Gefolge eines regelrechten “Feldzugs” gegen die Einkommen der Arbeitnehmer – im Namen der “Wettbewerbsfähigkeit” und der Reduzierung von Arbeitskosten – haben auch politische Entscheidungen dazu beigetragen, die Massenkaufkraft einzufrieren oder zu schwächen.

    Wer sich weigert, den Rückgang des Anteils der Arbeitslöhne am Volkseinkommen als wesentliche Ursache für die aktuelle Gefährdung des Lebensstandards zu erkennen, hat flugs allerlei Ersatzrezepturen zur Hand: Noch mehr Supermärkte, um die Konkurrenz im Handel anzuheizen, wie es Nicolas Sarkozy fordert. Oder Aufrufe zu noch mehr Opfern, damit die Masse der Beschäftigten die höheren Lebensmittelpreise und Energiekosten schluckt, ohne höhere Einkommen zu fordern – als Beitrag zum geheiligten Ziel der Inflationsbekämpfung, das die Europäische Zentralbank geradezu obsessiv verfolgt. Womit sie vor allem die Kaufkraft derer bewahrt, die ein arbeitsloses Einkommen beziehen.
    Quelle: Le Monde diplomatique

  4. Bundestagsjuristen halten Riester-Rente für europarechtswidrig
    Wer wegzieht, der verliert sein Geld: Die Riester-Rente funktioniert nur, solange man in Deutschland Steuern zahlt. Das verstößt nach Ansicht von Bundestagsjuristen gegen Europarecht.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Nun auch noch das.

  5. Eine Gefahr für die Bürgerrechte
    Die Regierungen Europas zittern mal wieder vor den Iren. Heute entscheiden die 4 Millionen Einwohner der Insel am Rande Europas per Referendum über den EU-Vertrag von Lissabon. Irland ist das einzige EU-Land, in dem ein Volksentscheid abgehalten wird. Die restlichen 450 Millionen EU-Europäer dürfen nicht abstimmen.Der Vertrag von Lissabon, das geben auch seine Befürworter zu, ist zu 95 Prozent identisch mit der EU-Verfassung. Die aber wurde vor drei Jahren von den Franzosen und Niederländern in Referenden abgelehnt. Deshalb gingen nun die Regierungen in Paris und Den Haag auf Nummer Sicher und verweigerten den Wählern das Votum. Das alleine wäre schon Grund genug, den Vertrag von Lissabon abzulehnen. Aber es gibt noch andere Gründe. Der Vertrag ist keineswegs eine “Aufräumübung”, um verschiedene Punkte aus den alten EU-Verträgen unter einen Hut zu bringen – was uns seine Befürworter weismachen wollen.
    Quelle: taz
  6. Gregor Gysi: Die haben keinen blassen Dunst
    Gregor Gysi in einem ausführlichen Interview zu den neuerlichen Stasi-Vorwürfen gegen ihn, seine Arbeit als Anwalt zwischen den Fronten in der DDR und seine Kritiker im Bundestag. ” Die Gerichte in Berlin und Hamburg haben die Behauptung untersagt, ich sei Stasi-IM gewesen, weil es dafür keine Beweise gibt. Bei 99 % der Bevölkerung würde man das akzeptieren. Bei mir nicht.”
    Quelle: FR
  7. stern-Umfrage: SPD tief gespalten
    Schlechte Nachrichten für SPD-Chef Kurt Beck: In der wöchentlichen Umfrage des stern verharrt die SPD im Rekordtief. Doch es kommt noch schlimmer. In wichtigen Fragen können sich nicht einmal die Mitglieder der SPD selbst auf gemeinsame Positionen einigen. Zudem hat jedes dritte Mitglied bereits über einen Austritt nachgedacht.
    Quelle: stern

    Anmerkung WL: Wir haben es schon öfters geschrieben: der Schröderianer und Forsa-Chef Güllner legt seine Umfragen so an oder interpretiert sie so, dass sie Beck in einem noch schlechteren Licht erscheinen lassen und dass die SPD sich voll hinter den Agenda Kurs Schröders stellen müsse. Für Güllner war es natürlich ein großer Fehler und es verstehe „niemand“, dass die SPD Gesine Schwan als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt nominiert hat, immerhin die Hälfte der befragten Sozialdemokraten halten das jedoch für richtig. Niemand? Woher weiß eigentlich Güllner, dass Steinmeier „inzwischen bei den Mitgliedern (der SPD) als derjenige gesehen wird, der Kurt Beck auch als Vorsitzenden ablösen könnte.“ Offenbar wieder mal ist der Wunsch der Vater der Demoskopie.

    Güllner setzt die Gegner von Andrea Nahles gleich mit den Gegnern einer linkeren SPD. Ist Nahles die linke SPD? Aber immerhin wünschen sich 43% dass ihre Stimme mehr Gewicht erhielte. Was meint eigentlich Güllner mit einem „Wiederaufbauprogramm“ für die SPD? Was hat dazu Güllner anderes zu bieten als den Agenda-Kurs Schröders?
    Leider druckt sogar die Süddeutsche Zeitung Güllner nach nicht ohne Beck gleich noch eins auszuwischen. Die Medienkampagne läuft also wieder.
    Siehe: SZ
    Siehe: Spiegel Online

  8. Hessischer Staatsgerichtshof erklärt Studiengebühren für verfassungskonform
    Mit 6 zu 5 Stimmen hat der hessische Staatsgerichtshof seine Entscheidung zum Studiengebührengesetz heute gefällt. Demnach seien die Gebühren verfassungskonform. Die in Artikel 59 der hessischen Landesverfassung genannte “Unentgeltlichkeit” bedeute keine Gebührenfreiheit des Studiums. Wichtig sei, dass niemand vom Studium ausgeschlossen sei – dies sah das Gericht durch die angebotenen Darlehen in Hessen hinreichend erfüllt. Der denkbar knappen Entscheidung fügte die unterlegene Minderheit von fünf Richtern ein Minderheitsvotum an: Die Herstellung nachträglicher Leistungsfähigkeit durch Studienbeitragsdarlehen sei nicht zulässig, weshalb eine nachträgliche Gebührenzahlung nicht mit der gebotenen Unentgeltlichkeit vereinbar sei.
    Quelle: fzs

    Anmerkung WL: Eine Analyse des Urteils folgt. In einer ersten Bewertung erscheint mit der Spruch ein typisches Beispiel für eine „Oberschichten-Justiz“: Eine Gebühr gilt entgegen dem Wortlaut der hessischen Verfassung als regelmäßig zumutbar, weil man ja ohne weiteres ein Darlehen aufnehmen könne. Es scheint so, als habe die Mehrheit der Richter noch nie etwas von den Befunden gehört, dass gerade Jugendliche aus bildungsferneren Schichten und wo der Schritt an eine Hochschule neu ist, das Risiko eines Studiums subjektiv viel höher eingeschätzt wird, als in Schichten, wo der Verzicht auf ein Studium einen sozialen Abstieg darstellt.

    Die Bereitschaft der unteren Schichten für ein Studium Schulden aufzunehmen und nicht lieber den direkteren Weg in einen Beruf zu wählen ist viel geringer ausgeprägt, als in höheren sozialen Schichten. Das Denken, dass ein Studium eine private Investition in die Zukunft ist, für die man eben ein Bankdarlehen aufnehmen muss, hat sich bei der Mehrheit der Richter durchgesetzt. Dass es ein Bürgerrecht auf Bildung gibt und das Bildung nicht ausschließlich privatnützigen Zwecken dient, scheint abhanden gekommen zu sein.

    Hier noch der Link zum Urteil:
    Staatsgerichtshof [PDF – 380 KB]

  9. “Die Schulen passen nicht mehr”
    Früher mussten sich die Schüler den Schulen anpassen. Heike Solga vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin fordert, dass es endlich andersherum geht: Die Bildungseinrichtungen sollen sich auf die Jugendlichen einstellen. Wir wissen seit der ersten Pisa-Studie, dass die Hauptschulen als Bildungsinstitutionen nicht mehr funktionieren. Insofern sind es weniger die Jugendlichen, die nicht passen, sondern die Schulen, die nicht mehr zu den Jugendlichen passen. Das mehrgliedrige Schulsystem wurde immer damit begründet, dass wir für sehr unterschiedliche Segmente in der Wirtschaft ausbilden. Diese Segmente gibt es so nicht mehr, die Wirtschaft will die Hauptschüler nicht. Die erste Forderung nach Abschaffung der Hauptschule kam ja auch aus der Wirtschaft. Aber auch die Ausbildung muss sich verändern – weil das Ausbildungssystem nicht mehr funktioniert.
    Quelle: taz
  10. Deutschland investiert einen immer kleineren Teil des BIP in Schulen
    Bildungsforscher schlagen Alarm: Die Ausgaben Deutschlands für Bildung wachsen zwar, aber deutlich langsamer als die Wirtschaftskraft-bei der Weiterbildung wird sogar drastisch gekürzt. Das geht aus dem zweiten nationalen Bildungsbericht hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. Mitte der 90er Jahre flossen noch 6,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Bildung – 2006 waren es nur noch 6,2 Prozent. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik damit unter dem OECD-Schnitt, heißt es in dem Bericht, den die Kultusminister am Donnerstag offiziell vorstellen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung: Soviel zum Geschwätz über die Priorität für Bildung.

    Zu guter letzt:
    Wilfried Schmickler über „Minderleister“

    Quelle: Youtube

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