Wie viel Ungleichheit schafft Arbeitsplätze? Bei der Zahl der Wohlhabenden ist Deutschland Europameister gleichzeitig nimmt der Anteil der Armen zu.

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Nach einer aktuellen Analyse des „Datamonitors“ hat die Zahl der Wohlhabenden in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Deutschland wird als der attraktivste Markt Europas für Vermögensverwalter und Privatbanken eingestuft. Der neue „Datenreport 2004“ weist aus, dass die Armut in Deutschland zunimmt. Wirtschaftsminister Clement brachte in die Debatte um „Soziale Gerechtigkeit“ „entweder fortdauernde Arbeitslosigkeit…oder mehr gesellschaftliche Ungleichheit“ als Alternative ein. Wie viel Ungleichheit ist also noch nötig um die Arbeitslosigkeit zu senken?

In der Süddeutschen Zeitung vom 23. August 2004 wird über eine Studie des britischen Geldberatungsunternehmens „Datamonitor“ berichtet. Danach stieg der Wert des Geldvermögens – betrachtet werden dabei nur Bargeld, Spareinlagen, Aktien oder Fondsanteile – zwischen 1997 und 2002 jährlich um gut 10 Prozent. Es wird erwartet, dass das Vermögen der Deutschen, die mindestens 50.000 Euro liquide Mittel besitzen weiter deutlich ansteigen wird und 2007 die Schwelle von 1.600 Milliarden Euro überschreiten wird. Das wären 350 Milliarden Euro mehr als 2002.
2007 sollen danach rund 8,6 Millionen Deutsche – also etwas weniger als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung – über ein Finanzvermögen zwischen 50.000 bis 300.000 Euro verfügen. 840.000 Personen besitzen ein Barvermögen von mindestens 300.000 Euro. Bei dieser Kategorie wird ein überdurchschnittliches Wachstum von 9 Prozent pro Jahr erwartet. Allein das von diesen Personen gehaltene Geldvermögen dürfte nach dieser Analyse von 550 Milliarden auf 740 Milliarden Euro ansteigen. Damit belege Deutschland in Europa den absoluten Spitzenplatz.
Das gelte auch für diejenigen Deutschen, die 3 Millionen und mehr an liquiden Mitteln besitzen. Ihre Zahl werde bis 2007 auf 28.000 steigen und am schnellsten von allen Gruppen unter den Wohlhabenden steigen.
Deutschland gilt als der attraktivste Markt Europas für Vermögensverwalter und Privatbanken.

Die ständigen Miesmacher des Standorts Deutschland müssten sich freuen: Endlich haben wir wieder einen Markt, auf dem wir Spitzenreiter sind.

Am selben Tag, an dem diese Meldung in der Süddeutschen stand, stellten das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin den „Datenreport 2004“ vor. (Die Verfasser gehören also gewiss nicht zu den „üblichen Verdächtigen“ wie etwa die Wohlfahrtsverbände oder der Kinderschutzbund, von denen man es ja gewohnt ist, dass sie über die Armut in Deutschland klagen.)
Das Fazit des „Datenreports 2004“ titelt die Frankfurter Rundschau vom 24. August 2004 wie folgt:
„Armut und soziale Schieflage wachsen. Sozialforscher stellen steigende (Armuts-)Quoten schon vor Hartz-Reform fest“. „Alle Indikatoren weisen für 2002 eine Zunahme der Armut gegenüber dem Vorjahr aus“ wird der Report zitiert. Es sei „bemerkenswert, wie viele Indizien auf eine Trendumkehr der Lebensqualität in Deutschland hinweisen“ erklärte einer der Autoren Heinz-Herbert Noll vom Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA).
Die Armutsquote – also der Anteil derjenigen, die weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens aller Deutschen hat – stieg von 9,2 Prozent im Jahre 2000 auf 12,0 Prozent im Jahr 2003, im Osten Deutschlands gar von 8,2 auf 15,5 Prozent. Das ärmste Fünftel der Deutschen hat nur 9,3% des gesamten Einkommens, ein Jahr zuvor waren des noch 9,7 Prozent. Im Kölner-Stadt-Anzeiger vom 24.8. ist nachzulesen, dass fast jeder siebte Bundesbürger im Jahre 2002 mit weniger als rund 660 Euro im Monat auskommen muss.
11 Prozent der Haushalte im Osten sind von Überschuldung bedroht.
Die Autoren weisen darauf hin, dass die eingeleiteten „Reformen“ an den sozialen Sicherungssystemen „die ungleichheitsreduzierende Wirkung“ staatlicher Sozialleistungen weiter vermindern wird.

Zwei Studien – zur gleichen Zeit veröffentlicht – belegen, dass die Ungleichheit in Deutschland deutlich zunimmt. Ein wichtiger Stabilisator unserer Gesellschaft und ein Grundwert der sozialen Marktwirtschaft, nämlich der „soziale Ausgleich“ bröckelt.

Statt durch Hartz den Mangel an Arbeit zu verwalten und die Mehrheit der Arbeitslosen, die jetzt schon zu den Armen gehören, noch ärmer zu machen, signalisiert die zunehmende Einkommensspaltung einen wirklich „notwendigen“ Reformbedarf für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Es wäre dazu noch ein Leichtes beispielsweise über eine andere Reform der Steuerpolitik wieder mehr Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.
Warum wird aber von fast allen im Bundestag vertretenen Parteien gar noch die Senkung des Spitzensteuersatzes geradezu zum Rettungsanker für ein Wachstum der Wirtschaft und damit (vielleicht) für mehr Arbeit hochgejubelt? Der Grund mag wohl darin zu suchen sein, dass im Sinne der Anpassung unseres bisherigen Verständnisses vom Sozialstaat an das individualistische anglo-amerikanische Gesellschaftsmodell in der gesellschaftlichen Ungleichheit geradezu eine katalytische Wirkung für „individuelle als auch für gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten“ gesehen wird. So hat das jedenfalls Wolfgang Clement in Anlehnung an New Labour in einer Rede vor dem „Forum Grundwerte: Gerechtigkeit“ am 26. April 2000 in Berlin gesehen. In seinem Beitrag zur Debatte um eine Neubestimmung des Grundwertes der Sozialen Gerechtigkeit ging er sogar soweit, dass er „entweder fortdauernde Arbeitslosigkeit …oder mehr gesellschaftliche Ungleichheit“ als Alternative in den Raum stellte. In dieser Logik hätten wir um so weniger Arbeitslosigkeit je ungleicher unsere Gesellschaft wird.

Steckt etwa diese Logik der Umverteilung von unten nach oben hinter den Hartz-Gesetzen?

Es wäre die Logik der erzkonservativen „Pferdeäpfel-Spatzen“- Theorie. Sie besagt: Wenn sich die Spatzen von den Pferdeäpfel ernähren können sollen, muss man die Pferde reichlich mit Hafer füttern.

Quelle: Datenreports 2004 » (Link nicht mehr erreichbar 24.03.2006)

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