Die globale Wirtschaftselite

Ein Artikel von Jens Wernicke
Michael Hartmann

Alle reden über die globale Macht der Eliten. Über die globale Elite und wie ihr Einfluss die Demokratie zunehmend infrage stellt. In ihrem Interesse liegen Kriege, liegt die Plünderung Afrikas, liegen Sozialabbau, TTIP, CETA und Co. Doch wer ist diese „globale Elite“ eigentlich und wie rekrutiert sie sich? Bedeutet globale Elite, dass Gegenwehr auf nationaler Ebene gar nicht mehr möglich ist? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit dem Elitensoziologen Michael Hartmann, dem wir die Entlarvung des Mythos von der „Leistungsgesellschaft“ verdanken und der bereits vor Jahren darauf hinwies, dass Demokratie vor allem das sei, „was die Eliten darunter verstehen”.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Hartmann, gerade erschien Ihr Buch „Die globale Wirtschaftselite“, mit dem Sie sich wieder einmal pointiert in eine laufende Debatte einmischen. Diesmal mit der These, die globale Wirtschaftselite gäbe es gar nicht, eine internationale Kapitalistenklasse sei Fiktion. Wie kam es zu dem Buch? Was war ihr handlungsleitendes Motiv?

Der Ausgangspunkt liegt schon fast 20 Jahre zurück. Damals hat mich immer geärgert, wenn die Topmanager ihre rasant steigenden Einkommen mit der internationalen Konkurrenz um die Topleute begründet haben. Ich wusste, dass das nicht stimmt, und habe es dann in mehreren empirischen Studien nachgewiesen, zunächst nur für die jeweils 100 führenden deutschen, britischen und französischen Großunternehmen, dann auch für die 100 größten US-amerikanischen, japanischen und chinesischen.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Fragestellung für mich etwas verändert. Es stehen nicht mehr die enormen Gehälter im Vordergrund, sondern die Aussage der meisten Politiker, man könne gegen die globale Wirtschaftselite keine nationale Politik mehr machen und müsse die Steuern für die großen Unternehmen und die Reichen daher senken. Auch das fand ich falsch und wollte nachweisen, dass es diese globale Elite nicht gibt und man auf nationaler Ebene mehr Handlungsspielräume, gerade in der Steuerpolitik, hat, als immer vorgegeben wird.

Außerdem wären die Chancen auf gesellschaftliche Veränderungen im positiven Sinne minimal, gäbe es diese globale Elite wirklich. Denn eine wirkliche Gegenkraft auf globaler oder auch nur europäischer Ebene ist nicht erkennbar. Deshalb hat mich immer gewundert, warum ein Teil der Linken diese These geteilt hat. Letztlich führt sie in der heutigen Zeit zu politischer Passivität.

Das kann man schön am Beispiel Wolfgang Streecks sehen. Streeck, der um die Jahrtausendwende noch einer der intellektuellen Wegbereiter der Agenda 2010 war, ist in den letzten Jahren zu einem radikalen Kritiker des Kapitalismus geworden. Das hat, anders als damals, allerdings keine praktischen Konsequenzen. Er schwelgt in seinen aktuellen Veröffentlichungen vielmehr eher in Endzeitszenarien, weil man seiner Meinung nach gegen die, wie er sie nennt, plutonomischen Eliten nichts unternehmen könne; denn deren Reichtum sei nicht mehr an nationale Territorien gebunden und sie könnten daher verbrannte Erde hinterlassen.

Sein Beispiel sind die russischen Milliardäre, die vorzugsweise in der Schweiz, Großbritannien oder den USA leben würden. Das Beispiel ist allerdings falsch. Die russischen Milliardäre sind sehr wohl an das russische Territorium gebunden; denn dort liegt die Basis fast all ihrer Geschäfte. Daher leben sie auch fast alle in Russland, nämlich 43 der 45 reichsten Russen. Sie leben sogar ganz überwiegend in einer einzigen Stadt, in Moskau, weil dort die für sie entscheidenden Kontakte zur russischen Regierung am besten gepflegt werden können.

Was genau ist nun ihr Befund? Sie wollen doch sicher nicht sagen, dass es „die Eliten“ nicht gäbe, dank deren Engagement die Sozialsysteme der westlichen Welt seit vielen Jahren massiv unter Beschuss geraten sind und die Armut allerorten steigt?

Die Eliten existieren natürlich, aber eben auf nationaler Ebene. Was den Angriff auf die Sozialsysteme oder die steuerliche Begünstigung von Großkonzernen und Reichen angeht, waren und sind sich die Eliten aus den westeuropäischen Ländern und Nordamerika auch weitgehend einig. Die Ursache dafür liegt aber nicht in Absprachen untereinander und in einem koordinierten Vorgehen. Sie ist vielmehr in erster Linie in den veränderten politischen Kräfteverhältnissen in den einzelnen Ländern zu suchen.

In Großbritannien und den USA hat dieser Prozess aufgrund der jeweils spezifischen Bedingungen schon in den 1980er Jahren unter Thatcher und Reagan begonnen. Nach dem Untergang des Ostblocks hat er dann in den 1990ern auch die meisten kontinentaleuropäischen Staaten erfasst. Die Gewerkschaften haben massiv an Einfluss verloren und gleichzeitig hat die Logik des freien Marktes als optimalem Mechanismus zur Schaffung von Wohlstand sich fast überall in den Eliten durchgesetzt.

Der Sieg des neoliberalen Denkens ist zwar von interessierten Kreisen vorbereitet worden, er verdankt seinen Erfolg aber dem Niedergang all jener Kräfte, die für die dominierende Rolle des Keynesianismus in den meisten westlichen Staaten nach 1945 gesorgt haben. Nach dem 2. Weltkrieg waren die herrschenden Klassen in diesen Ländern diskreditiert, die Gewerkschaften und die klassischen sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Parteien in Westeuropa waren dagegen außergewöhnlich stark und die Existenz des Ostblocks zwang die Herrschenden zu Zugeständnissen. All das hat sich seit den 1980er Jahren Stück für Stück geändert.

Was finden Sie an der These von der globalen Elite falsch?

Die Vorstellung von einer global agierenden, einheitlichen Elite suggeriert, dass es so etwas wie ein Lenkungszentrum für diese Politik gibt oder zumindest eine globale Elite, die einheitliche Interessen verfolgt und zu diesem Zweck klare Abmachungen treffen kann. Das stimmt aber nicht. Wenn man sich die wirtschaftlichen Eliten dieser Welt anschaut, wird schnell klar, dass die für eine solch einheitliche Elite oder auch kapitalistische Klasse, wie sie oft genannt wird, erforderlichen Voraussetzungen nicht existieren.

Im Falle der Wirtschaftselite spielt der begriffliche Unterschied zwischen Elite und Klasse keine Rolle, weil die Elite hier den Kern der Klasse ausmacht. Nimmt man die Klassentheorien von Marx oder Bourdieu ernst, so setzen real vorhandene und handlungsfähige Klassen voraus, dass es ein relativ hohes Maß an klasseninterner Mobilität gibt. Nur so kann sich eine Klasse wirklich herausbilden. Marx zeigt das sehr deutlich am Beispiel des entstehenden Bürgertums und der französischen Kleinbauern auf.

Legt man diesen Maßstab an die Topmanager der 1.000 größten Unternehmen der Welt und an die gut 1.000 reichsten Personen der Welt an, zeigt sich, dass von einer solchen, in diesem Fall grenzüberschreitenden Mobilität nicht die Rede sein kann. Neun von zehn Vorstandschefs leben und arbeiten in ihrem Heimatland. Bei den Aufsichtsratsvorsitzenden liegt der Prozentsatz sogar noch höher und von den 1.041 reichsten Milliardären leben gerade einmal 90 außerhalb ihres Heimatlandes. Dass fast vier von fünf Topmanagern in ihrem Leben nicht einmal mehr als sechs Monate am Stück im Ausland gelebt haben, rundet das Bild ab.

Auch die Vorstellung, dass die berühmten Business Schools wie die Harvard Business School, die London School of Economics oder das INSEAD die Brutstätten einer globalen Elite darstellen, hat mit der Realität nichts gemein. Gerade einmal ein Prozent der Topmanager war auf einer der zwei letztgenannten und von den 20, die in Harvard ihren MBA gemacht haben, waren nur vier Ausländer. Insgesamt haben weniger als zehn Prozent der Spitzenmanager wie der Milliardäre ihr Studium im Ausland absolviert.

Die Wirtschaftseliten sind ganz überwiegend national, allerdings mit großen Unterschieden zwischen den Ländern. In den großen Staaten wie den USA, Russland, China oder Indien liegen die Prozentsätze noch weit niedriger, in einzelnen Ländern wie Großbritannien, Australien oder den Niederlanden höher. Wirklich international ist nur das Topmanagement der großen Schweizer Konzerne.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen nationalen, transnationalen und globalen Eliten?

Nationale Eliten verdanken ihre Stellung nationalen Eliterekrutierungssystemen und sie agieren auf der Grundlage nationaler Machtpositionen. Bei transnationalen Eliten müsste in beiderlei Hinsicht der nationale Rahmen überschritten werden und sie müssten zumindest für mehrere Staaten einheitlich rekrutiert werden und agieren. Selbst in der EU, die noch am ehesten als Beispiel dafür taugen würde, ist das nur sehr beschränkt der Fall. So werden die EU-Kommissare aus den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten rekrutiert, für jedes Land ein Kommissar. Sie durchlaufen zuvor die nationalen Elitebildungswege. Bei den Generaldirektoren der Kommissionen ist es etwas anders. Sie werden nicht einfach nach Länderproporz rekrutiert. Dennoch ist es nur eine Minderheit unter ihnen, die ihre Karriere zum größten Teil in EU-Institutionen durchlaufen hat. Die große Mehrheit kommt aus höheren Positionen der nationalen Bürokratien. Bei globalen Eliten müsste die Ausbildung und Rekrutierung weltweit erfolgen. Das ist nirgendwo der Fall.

Das heißt allerdings nicht, dass es keine länderübergreifenden handlungsfähigen Organisationen gibt. Die NATO ist eine solche Organisation. Sie gibt es allerdings schon seit Jahrzehnten, schon zu Zeiten, als noch niemand von einer globalen Elite oder Klasse sprach. Hier spielen einfach der Ost-West-Gegensatz und das militärisch absolut dominierende Gewicht der USA die entscheidende Rolle. Außerdem zeigt die aktuelle Annäherung zwischen Russland und der Türkei, dass selbst die NATO inzwischen anfällig für nationale Sonderinteressen ist.

Wie rekrutieren sich diese Kreise? Ich meine: Wenn ich mich nur genug anstrenge und mein Leben lang hart arbeite – steige ich dann in derlei Zirkel „auf“?

Die Rekrutierung der Eliten variiert von Bereich zu Bereich und von Land zu Land. Am sozial exklusivsten ist stets die Wirtschaftselite, am sozial offensten ist von den wichtigen Eliten in der Regel die politische.

Was die Wirtschaftselite angeht, so stammen ihre Mitglieder fast überall mehrheitlich aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien. Der Prozentsatz schwankt allerdings stark, je nach Land. So ist die französische Wirtschaftselite mit 90 Prozent Bürger- und Großbürgerkindern die exklusivste, gefolgt von denen in Deutschland, Großbritannien und Spanien mit 80 Prozent. In den USA sind es noch drei Viertel und in Italien zwei Drittel. In den skandinavischen Ländern und in Österreich dominieren dagegen die sozialen Aufsteiger, wenn auch nur knapp.

Daran kann man ersehen, dass auch in dieser Hinsicht nationale Rekrutierungssysteme entscheidend sind. Die soziale Herkunft bleibt aber überall ein wesentlicher Faktor. In den großen westlichen Staaten ist er sogar ausschlaggebend, wenn es um die Besetzung von Positionen im Topmanagement geht.

Wie wirkt sich eine Internationalisierung der Wirtschaftselite auf die Kontakte zur politischen Elite aus?

Die Auswirkungen kann man derzeit in zwei Ländern gut beobachten, die einen besonders hohen Anteil an ausländischen Spitzenmanagern haben. Das sind die Schweiz mit einem Ausländeranteil von drei Vierteln und Großbritannien mit einem Anteil von immerhin noch einem Drittel.

In beiden Ländern haben sich die Verbindungen zwischen wirtschaftlicher und politischer Elite deutlich gelockert. Das hat für die Wirtschaftselite unvorhergesehene negative Folgen. In der Schweiz hat sie die immer strikteren Zuzugsbeschränkungen für ausländische Arbeitskräfte nicht verhindern können, in Großbritannien sogar den Brexit hinnehmen müssen. Früher hätten die Kontakte zu den konservativen Parteien ausgereicht, um solche Entwicklungen zu stoppen. Dass die mächtigen Finanzkonzerne der City of London und andere multinational tätige britische Unternehmen nicht mehr in der Lage waren, die konservative Partei mehrheitlich auf ihren EU-freundlichen Kurs zu bringen, zeigt, wie schwierig das Verhältnis zwischen wirtschaftlicher und politischer Elite inzwischen ist. Es fehlt durch die tiefgreifende Internationalisierung der Wirtschaftselite das verbindende Band.

Noch vor gut 20 Jahren hatte über ein Viertel der 100 wichtigsten Spitzenmanager in Großbritannien eine der neun renommiertesten Privatschulen des Landes besucht, allein elf die bekannteste unter ihnen, Eton. Gleichzeitig hatte von den Mitgliedern der Thatcher-Regierung über ein Viertel ebenfalls Eton absolviert. Der Besuch von Oxford und Cambridge war sogar für eine klare Mehrheit obligatorisch. So etwas schaffte Gemeinsamkeiten. Das ist heute vorbei. Wie eingeschränkt die Macht einer vergleichsweise stark internationalisierten Wirtschaftselite tatsächlich ist, demonstriert der Brexit deutlich.


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Was bedeuten die Ergebnisse Ihrer Analyse für linke Bewegungen und Parteien?

Sie zeigen, dass die Handlungsspielräume auf nationaler Ebene viel größer sind, als es das jahrelange Gerede von der Übermacht der globalen Wirtschaftselite und der daraus resultierenden Alternativlosigkeit der herrschenden Politik vermuten lässt.

Das gilt besonders für das Problem der Besteuerung von Großkonzernen und Reichen. So wohnen von über 300 US-Bürgern unter den 1.000 reichsten Menschen der Welt nur drei im Ausland. Von den 67 Deutschen sind es dagegen 19. Der wesentliche Grund dafür ist ganz einfach: Die USA besteuern alle US-Bürger nach den US-Steuersätzen, egal, wo diese leben. Wenn sie andernorts weniger Steuern zahlen, müssen sie den Differenzbetrag eben an die USA abliefern. Geben sie die Staatsbürgerschaft ab, fällt eine sogenannte Exit-Tax von gut 20 Prozent auf das gesamte Vermögen an. So etwas könnte auch die Bundesrepublik machen. Dann würde die Anzahl der in der Schweiz residierenden deutschen Milliardäre und Multimillionäre mit Sicherheit drastisch sinken.

Bei den Unternehmen ist es komplizierter. Sie können natürlich Investitionen in ein anderes Land verlagern. Bei den Zentralen der Unternehmen ist das aber sehr viel schwieriger. Es hat schon einen Grund, dass die Verlagerung von Firmensitzen so gut wie immer nur juristisch erfolgt, nicht aber tatsächlich.

So sind alle britischen und US-Konzerne, die wie Allergan oder Seagate ihren offiziellen Sitz in Irland haben, mit ihren Hauptquartieren nicht wirklich dorthin gezogen. Sie sind in Großbritannien und den USA geblieben. Der wesentliche Grund dafür ist, dass sie in regionale oder nationale Netzwerke eingebunden sind, die sie nicht einfach ohne große Einbußen an Qualität und Leistungsfähigkeit aufgeben können.

Und Apple spart zwar Steuern über seine Niederlassung in Irland, das Headquarter mit allen entscheidenden Abteilungen ist aber im Silicon Valley. Das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften dort, die Kontakte zu Stanford und Berkeley, die informellen Netzwerke etc. lassen sich eben nicht nach Irland transferieren.

Ähnliches gilt auch für deutsche Autokonzerne und den deutschen Maschinenbau. Für Unternehmen, die wie die russischen oder chinesischen enger an den Staat beziehungsweise an die Märkte bzw. Rohstoffe in einem Land gebunden sind, trifft das noch stärker zu. Außerdem ist auch das Topmanagement oft nicht bereit, den eigenen Arbeits- und Wohnort in ein fremdes Land zu verlegen. Eine rein juristische Verlagerung aus steuerlichen Gründen aber kann die Politik mit Gesetzen verhindern oder zumindest sehr erschweren. Das zeigt beispielsweise der gescheiterte Versuch des weltweit agierenden Pharma-Konzerns Pfizer, seinen Firmensitz nach Irland zu verlagern, um pro Jahr ca. zwei Milliarden Dollar Steuern zu sparen. Neue Gesetze in den USA haben dieses Vorhaben gestoppt.

Das bedeutet…?

Es bedeutet, dass linke Initiativen auf nationaler Ebene erfolgversprechender sind als vielfach angenommen. Das gilt nicht nur für die Steuerpolitik, sondern selbst für transnationale Projekte wie TTIP und CETA. TTIP wird vermutlich scheitern, aber nicht wegen eines breiten koordinierten Widerstands auf gesamteuropäischer Ebene, sondern wegen des großen Widerstands in einigen Ländern wie Deutschland und Österreich. Und bei CETA haben die Gegner vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt zumindest einen Teilerfolg erzielt. Gleichzeitig hat das Parlament der belgischen Region Wallonie das Abkommen abgelehnt, was die eigentlich zustimmungsbereite belgische Regierung nicht einfach übergehen kann. All das ist nur deshalb ein wesentliches Hindernis für die Verabschiedung, weil die Entscheidung letztlich von den nationalen Parlamenten abgesegnet werden muss und nicht allein von der EU-Kommission und der EU-Bürokratie getroffen werden kann. Solcher Widerstand auf nationaler Ebene lässt sich, das ist die positive Botschaft für alle linken Kräfte, ungleich leichter organisieren als gesamteuropäischer oder gar globaler. Gäbe es tatsächlich eine globale Wirtschaftselite, müsste man zwingend auch global agieren.

Das bedeutet jetzt aber nicht, dass man die Kräfte nicht übernational vernetzen sollte. Das Beispiel Griechenland hat gezeigt, dass nationale Bewegungen unter bestimmten Bedingungen – ein kleines Land mit sehr hoher Auslandsverschuldung – keine Chancen haben, sondern auf Unterstützung in den Ländern angewiesen sind, die aufgrund der hohen Verschuldung in einem solchen Fall am längeren Hebel sitzen. Auch in diesem Fall wäre allerdings eine massive politische Unterstützung aus Deutschland vermutlich ausreichend gewesen. Denn die deutsche Regierung war letztlich ausschlaggebend für den harten Kurs gegenüber Griechenland. Übernationale Vernetzungen und Bewegungen sind somit zwar wichtig, für eine erfolgreiche linke Politik in vielen Fällen, vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik, aber nicht zwingend erforderlich.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Michael Hartmann, Jahrgang 1952, war von 1999-2014 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Eliten-, Management- und Hochschulforschung im internationalen Vergleich. Im Jahr 2002 erhielt er den Thyssen-Preis für den besten sozialwissenschaftlichen Aufsatz des Jahres, 2010 den Thyssen-Preis für den zweitbesten sozialwissenschaftlichen Aufsatz des Jahres und 2008 den Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie. Wichtige Buchveröffentlichungen: Der Mythos von den Leistungseliten (2002); Elitesoziologie (2004); Eliten und Macht in Europa (2007); Soziale Ungleichheit – Kein Thema für die Eliten? (2013); Die globale Wirtschaftselite (2016).


Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.