Der Krieg gegen das Bargeld eskaliert

Ein Artikel von Jens Wernicke
Norbert Häring

Der Krieg gegen das Bargeld ist hervorragend international koordiniert. Weniger als eine Woche nachdem die indische Regierung über Nacht die Nutzung von 80 Prozent des Bargelds verbot, erklärte die US-Großbank Citigroup, sie werde künftig in ihren Filialen in Australien Ein- und Auszahlungen von Bargeld nicht mehr akzeptieren. „Diese Umstellung auf bargeldlose Filialen unterstreicht unser Engagement für den digitalen Zahlungsverkehr“, kommentierte Janine Copelin, Chefin für Retailbanking der Citigroup. Nur einen Tag später veröffentlichte die Schweizer Großbank UBS eine Analyse, in der sie die australische Regierung auffordert, es Indien nachzutun und die größeren Geldscheine aus dem Verkehr zu ziehen. Was erleben wir hier? Zu dieser Frage sprach Jens Wernicke mit dem Wirtschaftsjournalisten und Autor zahlreicher populärer Wirtschaftsbücher Norbert Häring, der argumentiert, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet ebneten die Eliten mehr und mehr den „Weg in die totale Kontrolle“, an dessen Ende die Bürger ihre soziale Existenz nur noch sicherstellen könnten, wenn die Zustimmung der Mächtigen hierzu besteht.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Häring, in Ihrem inzwischen sehr populären Blog sprechen Sie von einer „neuen Runde im Krieg gegen das Bargeld“. Was ist geschehen?

Die Zeitungen sind aktuell voll von Artikeln über Banken, die Geld für Bargeldauszahlungen verlangen, von Bild bis FAZ und auch in Österreich. Dabei wird um Verständnis geworben und teilweise sogar mit falschen Behauptungen operiert. Ein wichtiges Gerichtsurteil, das dieses Tun der Banken eng begrenzt, wird gar nicht erst erwähnt.

In Indien überfallen Regierung und Notenbank ihre Bürger über Nacht mit einem Verbot der Nutzung des größten Teils ihres Bargeldes und fügen der Wirtschaft damit schweren Schaden zu.

Die Notenbanken entwerfen öffentlich Pläne, Bargeld durch Förderung digitaler Bezahlverfahren zurückzudrängen und kümmern sich dabei ausdrücklich nicht darum, was die Bürger wollen.

Und die Bundesbank, die bisher zumindest verbal gegengehalten hatte, macht jetzt auch mit und sagt nichts Kritisches mehr.

Das sind alles ziemlich verschiedene Dinge und Weltgegenden. Meinen Sie wirklich, das hätte etwas miteinander zu tun?

Natürlich. Das ist Teil einer globalen Kampagne. Die Notenbanker stimmen sich über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und andere Foren intensiv international ab. Gerade hat eine Arbeitsgruppe der BIZ einen Bericht herausgebracht, in dem die Förderung digitaler Bezahlverfahren zu Lasten des Bargelds propagiert wird. Vorteile und Nachteile der Bargeldverdrängung werden nur aus Sicht der Finanzbranche behandelt. Für die Bürger sehen die Notenbanker nur Vorteile.

Die Bundesbank war in der Arbeitsgruppe gut vertreten. Raghuram Rajan, der bis vor kurzem noch Notenbankchef in Indien war, ist jetzt Vizechef der BIZ und Mitglied in der sogenannten Group of Thirty, in der sich die internationale Großbankenlobby und Notenbanker hinter verschlossenen Türen abstimmen. Letzteres gilt auch für die prominentesten Vorkämpfer der Bargeldabschaffung, wie Larry Summers, Ken Rogoff und Mario Draghi.

Sie wittern also eine internationale Verschwörung … der Finanzeliten? Welches Ziel verfolgen diese hierbei und inwiefern ist das von Interesse für Sie und mich?

Verschwörung klingt nach geheimen Plänen. Die Absichten sind aber öffentlich. Was ich zu zeigen versuche, ist lediglich, dass die Hauptakteure nicht unabhängig voneinander und zufällig auf dieses Thema gekommen sind, sondern dass es eine abgestimmte und durchdachte Kampagne gibt.

Eliten ist ein Begriff, den man nehmen kann, wenn man es nicht genauer weiß. Es lässt sich aber genauer sagen. Mitglieder der Group of Thirty, Internationaler Währungsfonds, Weltbank, EU-Kommission, von dort kommen die wichtigsten Treiber und Vollstrecker dieser Kampagne.

Für uns ist das wichtig, weil am Ende der gläserne Bürger stehen wird, der außerdem in Finanzdingen auf Gedeih und Verderb den Banken ausgeliefert ist.

Und in diesem Kontext verorten Sie sogar die Bankgebühren für Barabhebungen?

Allerdings, denn diejenigen, denen das Bargeld am lästigsten ist, sind die Geschäftsbanken, und sie arbeiten intensiv daran, ihm den Garaus zu machen. Wie man nicht zuletzt an dem schon angesprochenen Bericht aus der BIZ sehen kann, verstehen sich die Notenbanken vor allem als deren Interessenwahrer.

Wim Buiter, ehemaliges Mitglied des geldpolitischen Komitees der Bank von England und heute Chefvolkswirt der Citigroup ist dabei eine der Gallionsfiguren der Bargeldabschaffer. Die Citigroup wiederum ist seit langem zusammen mit Kreditkartenfirmen und Datenkraken wie Microsoft in Vereinigungen wie der Better-Than-Cash-Alliance aktiv, die daran arbeitet, Bargeldnutzung weltweit zurückzudrängen, angeblich zur “finanziellen Inklusion“, um also vor allem Menschen in armen Ländern ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Besser-als-Bargeld-Alliance und ihren Schwesterorganisationen ist der hohe Bargeldnutzungsgrad in Indien schon lange ein Dorn im Auge.

Diese Lobbyorganisationen der Daten- und Finanzbranche arbeiten zudem eng mit den G20 und der IWF-Schwester Weltbank zusammen.

Damit sind wir immer noch nicht bei den Gebühren für Barabhebungen.

Das, was unsere Banken aktuell machen, sind viele kleine, aber wohldosierte Schritte, an deren Ende das Bargeld verschwunden sein soll: Sie machen es kontinuierlich immer schwerer, überhaupt an Bargeld zu kommen.

Zu dem, was in Indien beschlossen wurde, gehört zudem ebenfalls, die Bargeldauszahlung eng zu begrenzen und die Leute zu zwingen, ihr mit Nutzungsverboten belegtes Bargeld bei der Bank einzuzahlen, wo man es über die engen Barauszahlungsgrenzen hinaus dann nur noch für digitales Bezahlen einsetzen kann. Bei uns machen die Banken das nur subtiler und gehen dabei langsamer vor. Die Richtung ist aber dieselbe.

Und wir sind der Frosch im Kochtopf, der gar nicht merkt, dass das Wasser immer heißer wird?

So kann man das sehen. Oder zumindest hätten die Bargeldabschaffer dies gern.

Sie sprachen von einem Gerichtsurteil, das in der Berichterstattung ignoriert werde. Welches ist das?

Im letzten Jahr hat der Bundesgerichtshof seine langjährige Rechtsprechung noch einmal bestätigt, nach welchem nur Bargeld richtiges Geld ist. Das Buchgeld der Banken ist hingegen lediglich ein Versprechen auf Auszahlung von Bargeld auf Verlangen.

Wer also Geld auf der Bank hat, der gibt der Bank einen Kredit, wenn es ein Girokonto ist, einen täglich kündbaren Kredit. Wenn man sich Bargeld auszahlen lässt, kündigt man in diesem Umfang den Kredit. Die Bank als Schuldner hat kein Recht, Geld dafür zu verlangen, dass er dem Kreditgeber sein Geld zurückgibt. Das hat der BGH klargestellt. Allerdings gilt das nur für Bargeldabhebungen im üblichen Rahmen. Wenn also eine Bank nur noch eine kostenlose Abhebung im Monat anbietet, dann ist das mit dem BGH-Urteil nicht vereinbar. Das hätte in die Berichtserstattung gehört. Aber nirgends wird die zugrundeliegende Problematik auch nur im Ansatz thematisiert. Stattdessen werden falsche Behauptungen wiedergegeben, wonach die Bargeldnutzung viel höhere Kosten verursache als die Nutzung von Bankengeld.

Wenn Bankguthaben nun aber nur ein „Versprechen“ auf Auszahlung von Bargeld ist, was bleibt dann vom Geld übrig, wenn man Bargeld abschafft?

Dann sind die Bürger mit ihrem Geld unentrinnbar dem Bankensystem ausgeliefert, ja, in diesem eingeschlossen, wenn Sie so wollen, und könnten jederzeit enteignet werden, wenn dies nötig erscheint, um eine Banken wieder liquide zu machen, die sich verzockt hat.

Die Notenbanker in der BIZ-Arbeitsgruppe bezeichnen das in ihrem Bericht übrigens uneingeschränkt als Vorteil, genauso wie die andere Folge, dass in diesem Szenario nämlich alles, was wir tun, bedingungslos aufgezeichnet und dauerhaft gespeichert würde, wenn es irgendwie mit Geldausgabe verbunden ist. Das wäre so etwas wie der heilige Gral für die NSA und alle anderen Dienste dieser Welt.

Wie ist es um den Widerstand gegen diese Entwicklungen hin zur Dystopie bestellt? Merken die Leute, was geschieht? Und was tun sie dagegen, was tun wir?

Mein Rechtsstreit um die Barzahlung des Rundfunkbeitrags bekommt extrem viel Aufmerksamkeit. Jetzt muss ich nur noch mehr von den Leuten, die sich zu Recht ganz furchtbar über den übergriffigen Staat aufregen, der ihnen eine unsoziale Kopfsteuer aufbrummt und diese als einen Beitrag tarnt, davon überzeugen, dass sie sich noch mehr über das Vorantreiben der Totalüberwachung und unbegrenzter Bankenmacht ärgern und dagegen vorgehen sollten.

Gibt es vielleicht auch etwas ganz Alltägliches, vielleicht sogar Banales, dass jeder von uns tun kann, um den Bargeldabschaffern ein wenig Sand im Getriebe zu sein?

Ja, bar bezahlen, wo immer es ohne großen Aufwand geht, vor allem auch bei allen öffentlichen Ämtern. Und heftig protestieren, wenn diese sich weigern, das staatliche Geld anzunehmen. Und den Abgeordneten der bevorzugten Partei schreiben, damit sie merken, dass das ein Thema ist.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


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Norbert Häring, geboren 1963, ist Wirtschaftsjournalist und Autor populärer Wirtschaftsbücher, zuletzt „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle“. Er schreibt für Deutschlands führende Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt und betreibt den Blog Geld und mehr. Der Bestseller „Ökonomie 2.0“, den er gemeinsam mit Olaf Storbeck schrieb, gewann den Wirtschaftsbuchpreis 2007. 2014 wurde er mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Die von ihm 2011 mitbegründete internationale Ökonomenvereinigung World Economics Association hat über 12.000 Mitglieder.