NachDenkSeiten-Gesprächskreise: „Raus aus der virtuellen Einsamkeit“

Anette Sorg
Ein Artikel von Anette Sorg
Thilo Haase

Im Gespräch zwischen Anette Sorg, der Ansprechpartnerin für die NDS-Gesprächskreise, und Thilo Haase, dem Koordinator des Charlottenburger Gesprächskreises in Berlin erfahren Sie, warum die Gesprächskreise über die Lektüre der Nachdenkseiten hinaus wichtig sein können, und Sie erfahren, welche positiven Gefühle es auslösen kann, Teil der Nachdenkseiten-Gemeinschaft zu sein. Zitat einer Teilnehmerin: „Damit ich nicht alleine zu Hause vor dem Computer an der Welt verzweifele, brauche ich echte Kommunikation mit anderen Menschen. Ich will raus aus der virtuellen Einsamkeit.“ – Thilo Haase informiert über die Arbeitsweise des Charlottenburger Gesprächskreises und gibt auch Tipps für jene, die einen Gesprächskreis zu initiieren erwägen. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In der Übersicht zu den gemeldeten Gesprächskreisen sind zwischenzeitlich weit über 100 Gesprächskreise deutschlandweit und sogar im Ausland aufgelistet. Quantitativ eine Erfolgsgeschichte. Thilo Haase lässt vermuten, dass es auch qualitativ eine Erfolgsgeschichte sein könnte. Nutzen Sie seine Erfahrungen.

Wenn das Interview die Verantwortlichen und Gesprächsteilnehmer anderer NachDenkSeiten-Gesprächskreise dazu veranlassen könnte, von ihren Erfahrungen zu berichten [email protected], würde uns das freuen. Wir sind gespannt.

Nun hier das Interview von Anette Sorg mit Thilo Haase:

Anette Sorg (AS): Herr Haase, Sie sind ein “alter Hase”, was die NDS-Gesprächskreise angeht. Wann hatten Sie die Idee, einen solchen Gesprächskreis ins Leben zu rufen? Was war der Auslöser? Und wie lange gibt es Ihren Gesprächskreis schon?

Thilo Haase (TH): Im April 2009 las ich den Aufruf auf den NachDenkSeiten, sich als Ansprechpartner für einen Gesprächskreis zu melden, wenn man es sich zutraut. Am gleichen Tag schrieb ich spontan eine Nachricht an [email protected] und stellte mich als Koordinator für Berlin Charlottenburg zur Verfügung. Keine zwei Tage später rief mich der damalige Gesprächskreis-Koordinator Volker Bahl zurück. Und als im Mai 2009 erstmalig die Liste der regionalen Gesprächskreise veröffentlicht wurde, war ich mit dabei.

AS: Wie lange dauerte es von dem Wunsch bis zu einem ersten Treffen? Welche Hürden galt es zu überwinden?

TH: Am Tag der Veröffentlichung der Gesprächskreise, bekam ich gleich den ersten Anruf von einem Interessenten. Ich ließ mir seine Mail-Adresse und Telefonnummer geben und versprach mich zu melden, wenn eine dritte Person dazu stößt. Da das in der gleichen Woche geschah, mussten wir nur noch zu dritt einen Termin und Ort für das erste Treffen abstimmen. Am 13. Mai 2009 – keinen Monat nach dem Aufruf, gut eine Woche nach Veröffentlichung der ersten Gesprächskreise – trafen wir uns zu unserem ersten NachDenkSeiten-Gesprächskreis in Charlottenburg.

AS: Wo finden ihre Treffen statt?

TH: Um die Schwelle für einen offenen Gesprächskreis möglichst niedrig zu legen, treffen wir uns in einer öffentlichen Gaststätte. Andere Räume, seien sie privat, von Gewerkschaften, Kirchen, Parteien oder anderen Organisationen, könnten von einigen Interessierten als Hürde empfunden werden. Aus Dresden habe ich erfahren, dass dort auch Treffen in einer öffentlichen Bibliothek stattfinden. Da ist die Hemmschwelle mal rein zu schnuppern, auch wenn man mittellos ist, noch tiefer gelegt. Dafür muss man sich an Öffnungszeiten halten.

AS: Wie viele Interessierte kamen zu den ersten Treffen? Und in welchem Rhythmus finden Ihre Treffen statt?

TH: Anfangs waren wir drei bis maximal fünf Personen, die sich einmal im Monat getroffen haben. Es wurde aber bald klar, dass uns die Zeit zwischen den Treffen zu lang war. So haben wir gemeinsam beschlossen, zu Beginn 2010 auf einen 14-Tage-Rhythmus zu wechseln. Mittlerweile treffen wir uns an jedem „ungeraden“ also am 1., 3. und falls vorhanden 5. Dienstag im Monat.

AS: Wurden die Teilnehmenden mit der Zeit mehr?

TH: Ja, auch wenn es in der ersten Zeit nicht danach aussah. Aber mit jeder redaktionellen Erwähnung der Gesprächskreise auf den NachDenkSeiten meldeten sich zwei bis fünf neue Interessierte bei mir. Die kommen dann erst mal auf den Mail-Verteiler für die Einladungen. Und wenn es passt, kommen sie ein erstes Mal zu einem Treffen. Das kann gleich zum nächsten Termin sein, oder auch erst in zwei Jahren. Hauptsache ist, dass der Kontakt auf diese Weise bestehen bleibt. Mittlerweile kommen im Schnitt 16 bis 26 Frauen und Männer, im Alter von Mitte 20 bis Anfang 80, mit unterschiedlichster Sozialisierung und Wurzeln, von Wertkonservativ bis Linksaußen, Suchende oder Menschen mit einem festen Weltbild. Da eine bestimmte Anzahl recht beständig und viele sporadisch kommen, ist die Zusammensetzung fast jedes Mal verschieden.

Etwa zwei Mal im Jahr frage ich in großer Runde die Motivation der Teilnehmenden ab, warum sie zu unserem Gesprächskreis kommen. Denn die Erwartungen und Wünsche der Menschen zu erfahren ist wichtig, damit die Gruppe weiterbestehen und sich entwickeln kann. Als ich diese Frage das erste Mal stellte, kam von einer Teilnehmerin als Antwort: „Damit ich nicht alleine zu Hause vor dem Computer an der Welt verzweifele, brauche ich echte Kommunikation mit anderen Menschen. Ich will raus aus der virtuellen Einsamkeit!“
Auch dadurch wurde mir klar, wie wichtig der persönliche Austausch auf gleicher Augenhöhe ist. Ein Gegenbeispiel habe ich aus einem anderen Gesprächskreis erfahren, in dem ausschließlich intensiv inhaltlich gearbeitet wurde. Auch mit sehr produktiven Ergebnissen; Analysen und Veröffentlichungen von Artikeln und Stellungnahmen. Nach den Treffen gingen die Teilnehmenden erschöpft nach Hause. Bis keiner mehr kam. Nach etwa anderthalb Jahren gab es den Gesprächkreis nicht mehr. Deshalb achte ich darauf, dass vor oder nach der inhaltlichen Diskussion auch Zeit für den persönlichen Austausch bleibt.

AS: Gab es auch “Durststrecken”? Also Phasen, während der Sie ans Aufhören dachten?

TH: Ja, es gab persönliche Durststrecken. In der Zeit als ich beruflich selbständig tätig war, wo Verantwortung für das monatliche Einkommen etlicher Mitarbeiter auf meinen Schultern lastete, wenn ich mich mit vollem Kopf und ausgelaugt zu den Treffen schleppen musste und auf Dauer nicht mehr als vier Teilnehmer zusammenkamen. Oder in der Zeit von Arbeitslosigkeit und Bezug von Harz IV, wo ich mit einem Glas Tee, oder günstiger Wasser, über den Abend kam. Doch jetzt kommt das Erstaunliche: Auch in den persönlich schwierigen Zeiten wurde meine innere Energie auf diesen Treffen, statt abgesaugt, immer wieder aufgeladen! Oder in den Worten einer anderen Teilnehmerin: „Ich bin zwar einige Zeit nicht zu den Treffen gekommen. Aber ich musste merkten, dass mir etwas fehlt.“

AS: Welche Themen besprechen Sie jeweils? Wer sucht diese aus? Wird darüber abgestimmt, über was diskutiert wird?

TH: Themenvorschläge kommen immer aus der Gruppe, meistens mehr Vorschläge als Zeit zum besprechen ist. Erfahrungsgemäß sind nämlich nicht mehr als zwei Themen pro Abend zu schaffen. Vorschläge und interessante Links kommen vorab und werden spätestens mit der Einladungsmail an alle verschickt. Zu Beginn unserer Treffen wird erst von stattgefundenen Aktionen oder besuchten Veranstaltungen berichtet. Danach wird reihum gefragt, welches Thema am stärksten bewegt und besprochen werden sollte. So können es auch aktuelle Themen auf die Agenda des Abends schaffen, die vorab nicht in der Einladung standen. Das Ergebnis fällt meistens eindeutig aus.

Auch Erfahrungen aus anderen Ländern bereichern unsere Runde. Innenansichten aus Griechenland, Russland, Iran, Portugal, Frankreich, Südamerika oder den USA aus erster Hand, authentisch, direkt und von Medien ungefiltert zu erhalten, ist ein wirklich großes Geschenk. Es sind praktisch Auslandskorrespondenten aus den eigenen Reihen, die intensiv befragt und sehr geschätzt werden.

Mit bestimmten Themen setzen wir uns auch vertieft auseinander. So hatten wir schon Veranstaltungen, z.B. in der Wilma 163 über Genossenschaften, über das Buch von John Hilary “The Poverty of Capitalism”, das einige von uns davor auf deutsch zusammengefasst hatten, zu den Büchern “Krisenkapitalismus und EU-Verfall” von Heinz-Josef Bontrup, “Der Sieg des Kapitals” von Ulrike Herrmann und vier Treffen zu “Der globale Minotaurus” von Yanis Varoufakis. Für die Zukunft steht noch “Das Ende der Megamaschine” von Fabian Scheidler auf unserem Programm.

Es gibt aber auch Veranstaltungen mit interessanten Gästen. Begonnen hat es mit einer Lesung von Malte Heynen zu seinem damals erschienenen Buch “Der Raubzug der Banken”, mit anschließender Diskussion, an der knapp 40 Interessierte teilnahmen. Rückblickend war dies ein wichtiger Schritt in der Entwicklung unseres Gesprächskreises. Es folgten im Laufe der Zeit Vorträge und Diskussionen mit Uli Gellermann, Reiner Braun, Elsa Rassbach, Gaby Weber, Ernst Wolff, Dirk Ehnts und Peter Wahl. Ein besonderer Höhepunkt war unsere Veranstaltung mit dem ehemaligen CIA-Analysten Ray McGovern.

AS: Gibt es auch Aktionen über diese Treffen hinaus? Verabreden Sie sich beispielsweise zu anderen Veranstaltungen oder Demonstrationen?

TH: Ja, es besteht immer die Möglichkeit gemeinsam zu Veranstaltungen oder Demonstrationen zu gehen. So waren wir zu fünft auf einer Diskussionsveranstaltung mit Jörg Asmussen und Sven Giegold, um den Verantwortlichen kritische Fragen zu stellen. Auch zu Vorträgen von Sahra Wagenknecht oder zu den Demonstrationen für Snowden/Manning, UmFairTeilen und für Frieden (am 13.12.2014) oder Solidarität mit dem griechischen Aufbruch (am 14.3.2015) musste niemand allein hin. Am 10.10.2015 waren wir zusammen mit über 250.000 anderen Teilnehmern unter unserem Nachdenkseiten-Transparent auf der “STOP TTIP CETA” Demonstration. Und auch zur großen Aktion der Friedensbewegung vom 10. bis 12. Juni 2016 in Ramstein waren Mitglieder unseres Gesprächskreises gemeinsam nach Kaiserslautern gefahren und dort unter anderem an der Menschenkette beteiligt.

AS: Hatten Sie anfangs MitstreiterInnen? Haben Sie heute welche, die Ihnen organisatorisch zur Seite stehen?

TH: Ja, von Anfang an wurde ich aus unserer Gruppe mit interessanten Informationen versorgt, die ich, schon aus Zeitgründen, alleine nie gefunden hätte. Knappe Zusammenfassungen davon, mit weiterführenden Links oder Anhängen, können dann gut als Einstieg in ein Thema mit der Einladung an alle versendet werden. Und auch das Schreiben und Versenden der Einladungen kann jederzeit von jemand anderem übernommen werden. Das ist für mich eine große Entlastung: zu wissen, dass im Notfall jemand aus der Gruppe „als Backup“ einspringt.
Zudem wird ab einer gewissen Teilnehmerzahl eine moderate Gesprächsführung wichtig, damit alle Teilnehmenden die gleiche Möglichkeit und Zeit bekommen, sich zu äußern. Sonst zerfällt die große Runde in viele Einzelgrüppchen. In diese Moderatoren-Rolle bin ich im Laufe der Zeit, mit dem Größer-Werden der Gruppe, hineingewachsen. Doch bei Bedarf kann diese Rolle auch jederzeit von anderen Teilnehmenden übernommen werden.

AS: Wie funktioniert der Informationsaustausch zwischen den Gesprächskreis-Teilnehmern? Alles per Mail? Gibt es dabei etwas zu beachten?

TH: Außerhalb unserer Treffen geschieht das größtenteils per Mail. Dafür gibt es zwei Listen oder Mail-Verteiler. Bei einem Erstkontakt mit neuen Interessenten ist es die einzige Frage, die ich stelle: „Sind Sie damit einverstanden, auf unserer offenen Mail-Liste zu stehen? Dann können Sie außer den Einladungen und Themen auch weiterführende Informationen von den Teilnehmenden erhalten. Oder wollen Sie auf die Bcc-Liste, über die nur die Einladungen verschickt werden?“ Das ist einerseits aus Datenschutzgründen wichtig. Andererseits sichert der offene Verteiler die Kommunikation untereinander, und das unabhängig von mir. Sollte ich also morgen unter dem Bus landen, mein Computer aufgeben oder ich einfach nur längere Zeit im Urlaub sein, kann der Gesprächskreis ohne Unterbrechung weiterbestehen. Basis ist dann einfach die letzte Einladung des offenen Verteilers.
Von den Gruppenmitgliedern muss bei der Nutzung, zum Beispiel der Weiterleitung einer Einladung an weitere potentiell Interessierte, nur beachtet werden, dass diese Mail-Adressen nicht mit gesendet werden. Und als zweites, dass der aktuelle Verteiler genutzt wird. Damit im Zweifel nicht jemand angeschrieben wird, der sich in der Zwischenzeit abgemeldet hat.

AS: Wie viel Zeit wenden Sie für die Organisation/Leitung des Charlottenburger Gesprächskreises auf? Entstehen Ihnen Kosten?

TH: Außerhalb unserer Treffen benötige ich im Normalfall die meiste Zeit für das Zusammenstellen und Schreiben der Einladung. Inklusive Lesen von Zusendungen und Sichtung angegebener Quellen kann der Aufwand unterschiedlich groß ausfallen.
Wir treffen uns in einem öffentlichen Restaurant, wo keine Raummiete für uns anfällt. Bei im Schnitt 16 bis 26 Teilnehmenden wird genug konsumiert, dass die Rechnung auch für den Wirt aufgeht. Anders ist dies in einigen Lokalitäten, wenn man einen separat abgetrennten Raum nutzen möchte. Dies kann in den Fällen nötig werden, wenn ein Referent zu Gast ist und man den potentiellen Schallpegel anderer Gäste ausschließen will. Solche separaten Räume wurden nach dem neuen Nichtraucherschutzgesetz in den meisten Berliner Gaststätten aber in Raucherzimmer umfunktioniert und sind somit rar gesät. Wenn wir also für einen besonderen Gast andere Räumlichkeiten anmieten, muss der Hut rumgehen. Und wenn das nicht ausreicht, kommt der Rest von mir. Ebenso, wenn Jemand vergisst, seine Zeche zu zahlen. Ein gutes Verhältnis zum Wirt ist wichtig. Falls dies vorkommt, lege ich es natürlich aus. Aber das ist relativ selten und das Risiko somit sehr überschaubar.

AS: Wie haben Sie auf sich aufmerksam gemacht? Wie werben Sie aktuell für Ihre Treffen?

TH: Anfangs lebten wir ausschließlich von redaktionellen Erwähnungen auf den NachDenkSeiten, mittlerweile über unseren Einladungs-Mailverteiler, fallweise durch Veranstaltungen zu denen weitere Personenkreise eingeladen werden, bis hin zu Aufklebern und Infozetteln, und zum Schluss die extrem wichtige, unbezahlbare „Mundpropaganda“ – begeisterte Teilnehmer bringen einfach Neue mit.

AS: Vermissen Sie einen Austausch mit anderen Gesprächskreis-Leitenden?

TH: Ein Austausch kann unglaublich wichtige Impulse geben. Ich durfte das erleben. Glücklicherweise konnte ich an den Dresdner Frühjahrsgesprächen 2011 mit Wolfgang Lieb, 2012 mit Albrecht Müller und 2013 mit Rudolf Hickel teilnehmen. Dort war der direkte Austausch möglich und es konnten persönliche Kontakte zu anderen Gesprächskreisen geknüpft werden. Beispielsweise habe ich dort aus Schleswig-Holstein erfahren, welche anderen Hürden es in ländlichen Regionen zu meistern gilt. Sich über die verschiedenen Möglichkeiten auszutauschen, wie mit auftretenden Schwierigkeiten umgegangen werden kann, ist extrem hilfreich. So kann man auch auf Lösungen kommen, die außerhalb des eigenen Horizonts liegen.

AS: Können Sie anderen NDS-LeserInnen, die sich mit der Idee tragen, ebenfalls einen Gesprächskreis zu gründen, ein paar Tipps geben? Gibt es etwas, das man unbedingt beachten sollte, etwas, das man auf keinen Fall falsch machen sollte und etwas, das Sie als elementar betrachten?

TH: Als Voraussetzung ist wichtig, mit anderen Menschen in einen echten Austausch kommen zu wollen. Wer also nicht hauptsächlich mit seiner Sicht der Welt andere „beglücken“ will, sondern auch aufmerksam zuhören kann, ist genau richtig.
Wenn dann noch innere Klarheit besteht, dass die eigenen Vorstellungen und Wünsche nicht unbedingt mit denen der anderen übereinstimmen werden, ist auch noch bestens vor Enttäuschungen gewappnet.

Für eine neue Gründung ist es wahrscheinlich am einfachsten, zuerst einen anderen Gesprächskreis zu besuchen. Dann kann man für den eigenen neuen Gesprächskreis die Dinge übernehmen, die man selbst gut findet und weglassen was einen dort stört. Organisatorisch muss nur ein passender Raum mit niedriger Hemmschwelle gefunden werden. Für eine anfangs überschaubare Gruppe sollte das keine große Hürde sein. Und wer vorher bei einem Gesprächskreis in der Umgebung war und dort das neue Vorhaben kommuniziert, kann unter Umständen auch von dort Unterstützung bekommen. Jedenfalls ist es bei uns so. Ein im Nachbarbezirk neu gegründeter Gesprächskreis trifft sich an einem anderen Wochentag als wir, so gibt es einige von uns, die nun ebenfalls zu dem neuen Gesprächskreis gehen. Und dort selbst erstelltes Werbematerial für die NachDenkSeiten wird auch aus unserer Gruppe gerne genommen und weiter verteilt.

Später wird der Aufbau und die Pflege ihres Info-Verteilers wichtig. Technisch ist das so einfach, wie das Adressbuch in ihrem Mailprogramm. Doch wie können sie neue Menschen für ihren Gesprächskreis interessieren? Dies kann auf verschiedene Weise erreicht werden. Eine davon stelle ich gerne vor:

Wenn bereits eine kleine Gruppe als Gesprächskreis besteht, können sie diese in Verbindung mit gezielter Werbung für eine passende Veranstaltung deutlich vergrößern. Dies könnte zum Beispiel die Lesung eines Autors mit anschließender Diskussion sein, zu einem Thema, das zu den NachDenkSeiten passt. Zu dieser Veranstaltung wird dann gezielt von ihnen per Mail eingeladen, zum Beispiel die örtlichen Ableger und Jugendgruppen von NGO’s wie Attac, Amnesty International, Freidenker, BUND, Parteien, Gewerkschaftsgruppierungen, Kirchen, Vereinen, sozialen und anderen Verbänden in ihrem Einzugsbereich. In der Mail mit der Einladung bitten sie den Empfänger darum, diese Nachricht an die entsprechenden Personen weiter zu leiten, die das Thema der Veranstaltung eventuell interessieren könnte. Wenn der Einladungstext freundlich und klar genug formuliert ist, wird dieser Bitte in der Regel entsprochen. Und mit etwas Glück kommen aktive, engagierte und interessierte Menschen aus Ihrer Umgebung durch diese Veranstaltung erstmalig zu ihrem Gesprächskreis. Zur Begrüßung stellen sie nicht nur den Gast-Referenten, sondern auch sich und ihren Gesprächskreis kurz vor. Und erwähnen auch die Möglichkeit, bei Gefallen an dieser oder ähnlichen Veranstaltungen, sich anschließend für Einladungen in eine Liste einzutragen. Hierfür haben sie mehrere Blätter zum Eintrag von Name und Mailadresse vorbereitet. Sie oder jemand aus ihrer Gruppe sollte nach der Veranstaltung die Besucher, die gehen wollen, jeweils ansprechen und an das Eintragen in ihre Liste erinnern, falls ihnen der Abend gefallen hat. Dies kann der Beginn ihrer “Bcc-Liste” für Einladungen zu ihrem wachsenden Gesprächskreis sein. In Zukunft liegt es dann nur noch an möglichst aussagekräftigen Einladungen zu ihrem Gesprächskreis.

AS: Können Sie von schönen, bereichernden Erlebnissen rund um “Ihren” Gesprächskreis berichten? Was veranlasst Sie, weiter zu machen? Wo holen Sie die Kraft dafür her?

TH: Als besondere Erlebnisse fallen mir die Demonstrationen ein, an denen wir mit unserem NachDenkSeiten-Banner teilgenommen haben. Das Gefühl geballter Sympathie und Dankbarkeit für das Bestehen der NachDenkSeiten, das von anderen Demonstranten stellvertretend für die NachDenkSeiten-Macher uns entgegengebracht wurde, ist unbeschreiblich! Spontane Umarmungen inklusive. Noch drei Tage später fühlte es sich so erhebend an, wie zwei Zentimeter über dem Boden zu schweben.

Es ist wunderbar, so viele Menschen persönlich kennen lernen zu dürfen, die sich auf ihre ganz eigene, unterschiedliche Art und Weise in ihrem jeweiligen Umfeld um Aufklärung und eine bessere Welt bemühen. Es ist ein Geschenk, an den Erfahrungen und dem Wissen dieser Menschen teilzuhaben. Und es ist das subjektive Empfinden einer positiven Energie, die durch Austausch und Diskussion auf gleicher Augenhöhe fließt. Dazu ist es nicht nötig, immer einer Meinung zu sein, sondern nur die gegenseitige Achtung. Der Weg einer persönlichen Entwicklung, die ich durch und gemeinsam mit anderen mache, bereitet mir einfach Freude. Die Kraft dafür kommt also aus der Gruppe selbst.

AS: Zum Abschluss: Welche Unterstützung wünschen Sie sich von den “Machern” der NDS? Was könnten wir tun, um Sie und andere Gesprächskreisleitende zu unterstützen? Wie wünschen Sie sich beispielsweise die Präsenz der Gesprächskreise auf den NDS? Sollen regelmäßige Treffen beworben werden oder nur außergewöhnliche Veranstaltungen z.B. mit geladenen Referenten?

TH: Ich kann mir vorstellen, dass mehr Menschen spontan zu einem regulären Treffen kommen würden, wenn hinter den Adressen der Gesprächskreis-Koordinatoren auch Ort, Datum und Zeit der nächsten Treffen stehen oder verlinkt wären. So könnte ich zum Beispiel im Urlaub oder während einer Dienstreise schnell sehen, ob ich dort gerade einen Gesprächskreis besuchen kann. Dagegen steht der Aufwand, diese Daten immer aktuell zu halten, damit keine Enttäuschungen entstehen. Vielleicht könnten die lokalen Gesprächskreis-Koordinatoren beschränkten Zugang für „Ihre“ Unterseite bekommen, um diese dann aktuell zu pflegen? Unsere Termine stehen schon zu Anfang für das ganze Jahr fest, in seltenen Fällen wird mal das Restaurant gewechselt. Wenn besondere Themen oder Referenten geplant sind, müsste dies relativ kurzfristig einzustellen sein. Ob dieser zeitliche und finanzielle Aufwand für Programmierung und Rechteverwaltung leistbar und gewünscht ist, müssen natürlich die NachDenkSeiten-Macher entscheiden.

Aber wenn besondere Veranstaltungen der Gesprächskreise auf den NachDenkSeiten beworben würden, wäre dies eine wirklich große Hilfe. Denn es ist traurig und enttäuschend, wenn zu einer Veranstaltung, die größeren organisatorischen und manchmal auch finanziellen Aufwand bedeutet, zum Beispiel mit einem interessanten Gast als Referenten und Diskussionspartner, zu wenig Menschen kommen. Als wir am 6. Juni 2016 die Filmbühne für unsere Veranstaltung mit dem ehemaligen CIA-Analysten Ray McGovern gemietet hatten, tat es mir um jeden leer bleibenden Stuhl leid. Es war ein wirklich unvergesslicher Abend! Aber mit einem Hinweis auf den NachDenkSeiten wäre der Saal sicher deutlich voller geworden.
Die größte Unterstützung bleiben aber nach wie vor redaktionelle Veröffentlichungen auf den NachDenkSeiten, die auf die Existenz der Gesprächskreise hinweisen. Wenn das drei bis vier Mal im Jahr geschehen würde, hätten bestimmt viele Gesprächskreise einen deutlich größeren Zulauf. Auf vielen Demonstrationen mit unserem NDS-Banner konnte ich erfahren, dass von den vielen Menschen, die dort die NachDenkSeiten kennen und schätzen, deutlich weniger als die Hälfte überhaupt von den „analogen“ Gesprächskreisen mit echten Menschen in Ihrer Umgebung wissen. Da sind noch Wachstumspotentiale der Gegenöffentlichkeit ungenutzt.

AS: Vielen Dank für Ihr Engagement, Herr Haase und für diesen interessanten Einblick. Ihre Anregungen werden wir diskutieren und das, was möglich ist, umsetzen.

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