Bento über Macron … Journalismus für Doofe?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Glücklich sind die, die es bislang erfolgreich geschafft haben, das Portal „Bento“ zu ignorieren. Doch das ist gar nicht so einfach, da Bento eine Tochter des SPIEGEL-Verlags ist und Bento-Content gnadenlos auf den Seiten von SPIEGEL Online unter den „normalen“ SPIEGEL-Content gemischt wird, sodass man oft erst auf den zweiten Blick die eigentliche Quelle erkennt. Bento scheut Nebensätze genau so sehr wie Inhalte und beweist, dass man sich sehr wohl vor dieser Form des modernen Journalismus fürchten muss. Die Grenzen zwischen Werbung, PR und redaktionellen Inhalten verschwimmen dabei immer mehr. Ein heute publiziertes „Portrait“ über den französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron ist ein gutes Beispiel für Alles, was bei dieser Form des Journalismus schiefläuft. Ist das Vorsatz oder schlicht Dummheit? Geht es um die Beeinflussung der Leser oder darum, auch mit Menschen Werbeeinnahmen zu generieren, denen eigentlich selbst ein SPIEGEL-Online-Text zu kompliziert ist? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer Bento nicht kennt, hat nichts verpasst. Stories über genderneutrale Emojis, Schokoladen-Pizza, unzählige als Quiz maskierte Clickbaits und immer wieder Sex, Sex und nochmals Sex. Angeblich soll Bento sich an Leser im Alter von 18 bis 30 Jahren richten. Wäre die Jugend wirklich, wie sich die Bento-Macher das vorstellen, könnte einem angst und bange werden. Aber zum Glück ist es ja nicht so. Bei Bento geht es vor allem um das Geldverdienen. Bento spricht die niederen Instinkte an und generiert damit Werbeeinnahmen. Der jüngste Service an die Werbekunden nennt sich dabei „Native Advertising“ – Werbung, die nicht von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden ist. Das widerspricht zwar jeglicher journalistischen Ethik, aber auch beim SPIEGEL kommt zuerst das Fressen und dann die Moral. So viel zum Thema Qualitätsjournalismus.

Dass Bento irgendetwas mit Qualitätsjournalismus zu tun haben könnte, ist ohnehin eine nicht haltbare Unterstellung. Bento-Sätze bestehen selten aus mehr als zehn Worten, Satzzeichen sind Mangelware und Nebensätze stehen im SPIEGEL-Kindergarten für angehende Qualitätsjournalisten auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Syntax. Bento schafft vielmehr das crazy Kunststück, sinnbefreit total krasse Words in die Texte zu beamen, um sich so bei Abiturienten Street Credibility zu verschaffen, die denken, man müsse so sprechen, um Gleichaltrige aus Nicht-Akademiker-Familien zu erreichen. Nein Max, Laura und Katharina … Ihr erzeugt auch und vor allem bei jungen Lesern mit Eurer aufgesetzten gekünstelten Hippness eigentlich nur ein größtmögliches Fremdschämen. Bento-Schreiber sind das journalistische Pendant zu Maschmeyers Klinkenputzern – sie haben keine Ahnung von der Materie, sind vereinnahmend aufdringlich und wollen Dir letzten Endes doch nur irgendwelchen Unsinn verkaufen, von dem vor allem ihr Arbeitgeber reich wird.

Wie Journalismus á la Bento funktioniert, zeigt das in der Einleitung genannte Beispiel, der Artikel „9 Dinge, die du über Emmanuel Macron wissen musst“, der paradoxerweise unter der Überschrift „Gerechtigkeit“ veröffentlicht wurde. Wieso, weshalb, warum? Muss man wohl nicht wissen. Und das Konzept, Artikel in Aufzählungsform zu präsentieren, ist streng genommen schon out, seit die Tempo in den frühen 1990ern den Bogen überspannt hat. Aber das können Max, Laura und Katharina natürlich nicht wissen, weil sie damals noch nicht einmal geboren waren.

Aber zurück zu Macron. Der wird bereits im Intro großspurig als „Frankreichs Hoffnung gegen Rechts“ angekündigt. Und das liegt ja durchaus im Trend und wird mehr oder weniger direkt auch im echten Journalismus so vorzelebriert. Gibt es denn dieses Kopf-an-Kopf-Rennen wirklich? Jein. In der Tat liegen Le Pen und Macron in den Umfragen zur ersten(!) Runde der Präsidentschaftswahlen tatsächlich beinahe Kopf an Kopf; auch wenn sogar hier Macron bereits einen leichten Vorsprung hat. In Frankreich entscheidet die erste Runde jedoch nur, wer in der zweiten Runde antreten darf. Und das werden aller Voraussicht nach eben Le Pen und Macron sein – die beiden linken Kandidaten Melanchon und Hamon liegen jeweils bei rund 13%, der angeschlagene Konservative Fillon bei 18%, während Le Pen mit 25% und Macron mit 26% das Feld anführen. Für die zweite Runde ist entscheidend, für wen sich die Wähler der beiden linken Kandidaten und die Wähler Fillons entscheiden. Und das dürfte – so viel ist klar – nur in den seltensten Fällen die rechte Madame Le Pen sein. Dementsprechend deutlich ist auch Macrons Vorsprung in den Umfragen zur zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, wo er gerade die Zwei-Drittel-Mehrheit ankratzt. Die Spannung ist also streng genommen raus, Macron ist haushoher Favorit und Frankreich braucht keine „Hoffnung gegen Rechts“, weil eine rechte Machtübernahme momentan nicht ernsthaft zur Debatte steht. Warum dann dieses Bohei? Ganz einfach: Die „Hoffnung gegen Rechts“ vereint als gemeinsames Ziel. Da schart man sich natürlich gerne hinter dem edlen Ritter und fragt nicht nach, für was Monsieur Macron eigentlich steht. Das hat auch Bento-Autorin Katharina Schmidt verinnerlicht.

In keinem ihrer neun vermeintlich wissenswerten Punkte geht es um Inhalte. Es geht um Petitessen, seine Frau, seine Art zu reden und darum, dass er angeblich „links“ und ein Mitglied der „Elite“ sei. Ei der Daus! Wie kann das denn sein? Oder besser gefragt: Wie kommt Fräulein Katharina darauf, dass Emmanuel Macron „links“ sei? Halten Sie sich fest, die Antwort ist denkbar profan: Macron selbst hat das mal gesagt. Und das reicht dann, um es bei Bento als Fakt darzustellen. Hätte die Autorin nur im Ansatz recherchiert, wäre sie auf zahlreiche Punkte (Vorsicht Inhalt!) gestoßen, die so gar nicht ins Bild eines „linken“ Politikers passen. Oder ist es etwa plausibel, dass „linke“ Politiker neoliberale Reformgesetze schreiben, sich mit den Gewerkschaften überwerfen und sogar aus der – sicher nicht wirklich linken – PS austreten, weil sie ihnen zu links ist? Das ist offensichtlicher Unsinn, der jedoch benötigt wird, um an Macrons Legende zu stricken.

Ob Bento da absichtlich mitstrickt, ist fraglich. Es ist wohl eher so, als ob der Nachwuchs beim Nachplappern die großen Vorbilder durch Eifer und Kritiklosigkeit beeindrucken will. Schließlich ist man ja bereits mit Mitte 20 für Bento zu alt oder (hoffentlich) zu klug und strebt einen Job im „echten“ Journalismus an. Und da soll papageienhaftes Nachplappern ja sehr karrierefördernd sein.

Der Macron-Artikel selbst – auch das ist so ein Bento-Phänomen, das sich durchaus auf den „echten“ Journalismus ausweiten ließe – liest sich nicht wie ein Portrait eines Politikers, sondern eher wie eine Sport-Berichterstattung.

„Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der ultrarechten Marine Le Pen und dem Shootingstar der französischen Politik: Emmanuel Macron. Seine Umfragewerte kletterten zuletzt auf 26 Prozent – und sind damit erstmals auf einer Höhe mit seiner Konkurrentin vom Front National.“

Beide Kandidaten liegen Kopf, doch was sehe ich da? Le Pen strauchelt! Nun liegt Macron mit einer Pferdelänge vorne und es geht bereits auf die Zielgerade! Wer braucht schon Inhalte? Journalismus-Wissenschaftler haben für dieses Phänomen den passenden Begriff „Horse-Race-Berichterstattung“ geprägt und diese Abart des Journalismus dafür mitverantwortlich gemacht, dass immer mehr Menschen sich nicht mehr für den traditionellen Politikjournalismus interessieren.

Das Narrativ vom smarten linken Außenseiter zieht vor allem in diesem Zusammenhang. Das die Geschichte von vorne bis hinten falsch ist, interessiert offenbar niemanden. Macron ist weder links, noch ist er ein Außenseiter. Er ist vielmehr neoliberal bis aufs Knochenmark und haushoher Favorit – nur, dass sich diese Geschichte natürlich nicht so gut verkauft.

Und was sind nun laut Bento die besonderen Highlights von Emmanuel Macron? „Er ist ein großer Merkel-Fan“ … „Und einer von Europa“. Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Wer für Merkel und Europa ist, muss(!) ja ein guter Mensch sein. Vielleicht besitzt Macron ja sogar noch ein Katzenbaby? Wohl eher nicht, sonst gäbe es für Bento ja „10 Dinge, die du über Emmanuel Macron wissen musst“. Bei so viel analytischem Tiefgang erübrigt sich freilich auch jegliche Kritik. Vielleicht sollte Bento doch lieber bei Themen bleiben, von denen der SPIEGEL-Kindergarten was versteht. Gab es heute eigentlich schon was Neues über Pornos?

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