Wer kontrolliert Abstimmung und Auszählung bei der SPD-Mitgliederbefragung? Das ist inzwischen eine öffentliche und keine reine Partei-Angelegenheit.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Von der Abstimmung hängt ab, ob und welche Regierung wir bekommen, und möglicherweise auch, ob wir auf Neuwahlen zugehen. Das betrifft alle und nicht nur SPD-Mitglieder. Deshalb müssen wir Transparenz und Kontrolle verlangen. Auch deshalb, weil diejenige, die im Ergebnis die Hauptbegünstigte oder Betroffene der Abstimmung sein wird, ein zweifelhaftes Rechtsempfinden offenbart: Andrea Nahles. Schauen Sie sich beispielhaft einmal an, wie sich Andrea Nahles bei einer wichtigen Pressekonferenz äußert. Dort traten am 13. Februar 2018 im Anschluss an den endgültigen Abschied von Martin Schulz vom Parteivorsitz der SPD-Generalsekretär Klingbeil, der gerade zum kommissarischen Parteivorsitzenden ernannte Hamburger Bürgermeister Scholz und die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles auf. Albrecht Müller.

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Kurz noch zur wichtigen Vorgeschichte:

Vorangegangen war ja kurz zuvor die Empfehlung, man kann auch von einem Deal sprechen: Martin Schulz wird Außenminister, Andrea Nahles wird von ihm, dem scheidenden Parteivorsitzenden, zur kommissarischen Parteivorsitzenden vorgeschlagen. Beides führte zu einem vehementen Protest in der Mitgliedschaft der SPD, bei Ortsvereinen, Unterbezirken und Landesverbänden.

Die Folge: Der Deal scheiterte.

Jetzt kommt der neue Versuch, der Kandidatin Andrea Nahles einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Noch bevor nach anderen und hoffentlich besseren Kandidatinnen oder Kandidaten Ausschau gehalten wird, was das Naheliegendste von der Welt wäre, ernennt der Parteivorstand Frau Nahles (einstimmig) zur Kandidatin für den Parteivorsitz.

Und dann setzt Andrea Nahles in der von Phoenix übertragenen Pressekonferenz nach.

Wir zitieren aus der Pressekonferenz, die Phoenix am 13. Februar übertragen hat. Wir zitieren die Originalaussagen von Frau Andrea Nahles und kommentieren zur Erläuterung. Man muss kein Jurist sein, um Andrea Nahles’ Rechtsverständnis mindestens als zweifelhaft zu empfinden. Hören Sie sich folgende Auszüge der Pressekonferenz an und urteilen Sie selbst, wie vertrauenswürdig diese Passagen auf Sie wirken:

Ab Minute 06:05: Sie bagatellisiert die parteiinterne Debatte um ihre Nominierung, indem sie sagt: „das scheint ja jetzt wohl immer dazuzugehören“.

Sie sagt, sie (der Parteivorstand der SPD) hätten sich entschieden, dem Parteitag ein Mitspracherecht zu geben, was den Parteivorsitz angeht. Da scheint Frau Nahles die Statuten der Partei, an deren Spitze sie am 22. April gewählt werden möchte, nicht zu kennen. Das Mitspracherecht des Parteitages gibt es nicht von des Parteivorstands Gnaden, sondern das Recht des Parteitages, die oder den Vorsitzende/n zu wählen, ist eindeutig festgelegt. Es geht dabei nicht nur um ein Mitspracherecht.

Ab Minute 10:20: Eine Journalistin fragt nach, warum A. Nahles nun nicht wie geplant kommissarische Parteivorsitzende werde, ob sie den Druck (der Parteibasis?) unterschätzt habe und ob es sich um eine Vertrauenskrise handle. Nahles, der an dieser Stelle das Dauerlächeln aus dem Gesicht stürzt, antwortet ausweichend und erklärt, dass der Fokus auf dem Koalitionsvertrag und dem Mitgliedervotum liege. Mit dieser Lösung habe man sich fruchtlose (!) Debatten erspart und könne sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung konzentrieren.

Ab Minute 11:40: …. “fand das schon recht aufgeregt”, das ist ihr Kommentar zu dem Widerstand gegen eine satzungswidrige Ernennung ihrer Person zur kommissarischen Parteivorsitzenden. Dazu meinte sie dann weiter: “haben souverän darauf reagiert”.

Ab Minute 12:20: “das Mitgliedervotum geht nicht in die Hose”

Entlarvend ist bei dieser Pressekonferenz wie bei vielen öffentlichen Äußerungen das, was nicht gesagt wird: Die Gegenkandidaturen (mindestens eine davon war zum Zeitpunkt der Pressekonferenz offiziell bekannt) wurden nicht einmal mit einem Halbsatz erwähnt. Man mag die Gegenkandidaturen ja für aussichtlos halten und die Qualität der Kandidaten und Kandidatinnen in Zweifel ziehen, der Anstand gebietet jedoch, diese mindestens zu erwähnen.

Zusammenfassend bleibt zu sagen: all die Mitglieder, die einen Brief an die Kontrollkommission der SPD geschrieben haben, um ein Verfahren, das den Statuten der SPD entspricht, einzufordern, müssen sich mit diesen Aussagen von Frau Nahles geohrfeigt fühlen. „Aufgeregt“ sind also Mitglieder, die die Statuten beachtet wissen wollen. Das Pochen auf das gültige Recht wird für eine fruchtlose Debatte gehalten. Respekt vor den Mitgliedern und deren berechtigten Anliegen würde man sicher anders ausdrücken. Und wenn Nahles auch noch ankündigt, das Mitgliedervotum werde “nicht in die Hose gehen”, kann man das für den in dieser Situation notwendigerweise auszustrahlenden Zweckoptimismus halten. Kann man. Freundlich und demokratisch ist dieser Umgang mit Andersdenkenden nicht.

Zum Schluss noch einmal die Frage:

Gibt es ein öffentliches Interesse an der Korrektheit innerparteilicher Abläufe?

Meines Erachtens prinzipiell ja und im konkreten Fall sowieso. Unter den herrschenden Umständen liegt das auch im Interesse der SPD-Mitglieder, weil die SPD-Führung offensichtlich einer Bunkermentalität verfallen ist, die alles für möglich erscheinen lässt – so auch Unregelmäßigkeiten bei der Stimmensammlung und bei der Stimmenauszählung an der bis zum 4. März stattfindenden Mitgliederbefragung. Die zuvor zitierten Passagen der Äußerungen von Andrea Nahles bei der Pressekonferenz vom 13. Februar nähren dieses Misstrauen.

SPD-Mitglieder und wir alle haben ein Interesse an der Erneuerung und nicht an der Zerstörung der SPD

Wenn alle Macht in den Händen einer Person mit der Mentalität und mangelndem demokratischen Empfinden wie bei A. Nahles konzentriert wird und wenn der jetzige Parteivorstand und seine Bunkermentalität bestätigt wird, dann wird es die Erneuerung der SPD nicht geben.

Der Weg wird weiter nach unten führen. Das deutet sich schon in der ersten Umfrage nach den in der zitierten Pressekonferenz verkündeten Personal-Entscheidungen an. Die SPD ist auf 16 % abgesunken. Bei fünf Umfragen hängt sie zwischen 16 und 19 %, also unter den 20,5 % bei der Wahl vom 24. September 2017. Selbst bei Skepsis gegenüber Umfragen ist die Tendenz ein Signal: Mit der Person Nahles an beiden Schaltstellen der SPD, im Vorsitz der Bundestagsfraktion und im Vorsitz der Partei, wird die SPD verlorenes Vertrauen nicht zurückgewinnen.

Das könnte dann gelingen, wenn wenigstens der Vorsitz der Partei von einer vertrauenswürdigen und zukunftsweisenden Person übernommen würde. Danach wäre zu suchen. Das hat der SPD-Parteivorstand bisher unterlassen. Diese SPD-Führung will bisher keinen deutschen Corbyn. Sie wird die Suche noch lernen müssen.

In dieser Situation bleibt Mitgliedern, die mit diesem aus Bunkermentalität gespeisten Starrsinn nicht einverstanden sind, nichts anderes übrig, als bei der Mitgliederbefragung mit Nein zu stimmen.

Sie haben also zwei Motive:

  1. Die Verhinderung der Machtkonzentration in den Händen einer Person, die die Erneuerung der SPD nicht schaffen wird und auch nicht schaffen will – Andrea Nahles.
  2. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Es ist anders, als die von der Parteiführung gestartete und von den Medien aus durchsichtigen Gründen unterstützte Propaganda behauptet. Eine wirklich sozialdemokratische Handschrift trägt diese Koalitionsabsprache nicht – von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Es liegt in der Hand von Andrea Nahles, dieses Nein zum Koalitionsvertrag und die gravierenden Folgen zu verhindern:

Sie muss auf die Kandidatur zur Parteivorsitzenden verzichten und auf die Arbeitsteilung mit einer zu suchenden Person setzen, die wirklich eine Erneuerung und zugleich die Rückbesinnung auf die Werte und Tugenden der Sozialdemokratie einzuleiten bereit und willens ist.

In der Not frisst der Teufel Fliegen. Das gilt im übertragenen Sinne auch hier.

P. S.: Damit Sie, liebe Leserinnen und Leser, nicht ganz ohne Vergnügen in den Arbeitsalltag entlassen werden, hier noch ein einschlägiger Link auf Christoph Sieber zum Thema.

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