Rundfunkgebühr vor Verfassungsgericht – Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen: Ja! Abschaffung: Nein!

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Das Bundesverfassungsgericht hat an diesem Mittwoch fast alle Klagen gegen die Ausgestaltung der Rundfunkgebühren abgeschmettert. Demnach gilt die umkämpfte pauschale Erhebung als verfassungsgemäß. Obwohl sie vom Gericht nun nicht verhandelt wurden, schwingen bei dem Thema immer auch grundsätzliche Fragen mit – etwa zur Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zum von ihm mutmaßlich nicht erfüllten gesellschaftlichen Auftrag. Diese Fragen und eine sehr berechtigte inhaltliche Kritik sollten aber nicht in die Forderung münden, das öffentlich-rechtliche Mediensystem ganz abzuschaffen. Von Tobias Riegel.

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Der Rundfunkbeitrag verstößt laut Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen nicht gegen das Grundgesetz, wie Medien berichten. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe widerrief in seinem aktuellen Urteil lediglich die Regelung für Zweitwohnungen. Die übrige Ausgestaltung des Beitrags von derzeit monatlich 17,50 Euro pro Wohnung zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei aber rechtens. Obwohl das öffentlich-rechtliche System beim Verfassungsgericht nicht prinzipiell zur Debatte stand, provoziert der Richterspruch generelle Fragen zur Existenzberechtigung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk. Deren Fundamental-Kritiker finden sich am „linken“ Rand ebenso wie in der AfD, der CSU oder in den Konzernzentralen der Privatmedien – man sollte ihnen nicht nachgeben.

Das Urteil (Az. 1 BvR 1675/16 u.a.), das die ungerechte pauschale Rundfunkgebühr pro Wohnung nun gestärkt hat, ist kritikwürdig. Hier hat das Bundesverfassungsgericht seinen Auftrag verfehlt, das bei vielen Bürgern verletzte Gerechtigkeitsgefühl wiederherzustellen. In diesem Bereich gibt es also nach wie vor begründete Motivationen, gegen das konkrete Bezahlmodell zu protestieren. Mutmaßlich wird das Urteil die Gemüter nicht beruhigen.

Auch kann man mit Recht sehr viel inhaltliche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland üben. Wer vom Ausland unterstützte islamistische Kämpfer über Jahre als syrische „Rebellen” bezeichnet, oder ganz offen den Regime-Change in der Ukraine 2014 unterstützt wie ARD, ZDF und Deutschlandfunk, hat seine Seriosität vorerst verspielt – diese Redakteure können sich auch nicht mit „Fehlern, die eben unterlaufen“, rechtfertigen. Hier wurden mutmaßlich langfristige Kampagnen gefahren. Auch die häufigen Positionierungen gegen den Wagenknecht-Flügel der Linkspartei, ein scheinbar starker transatlantischer Einfluss und eine unangebrachte mutmaßliche Regierungsnähe widersprechen dem Programmauftrag.

Abschaffung der Öffentlich-Rechtlichen verbessert nicht die Medienlandschaft

Mit einer Abschaffung oder Schwächung des öffentlich-rechtlichen Systems würden diese Kritikpunkte aber nicht abgestellt. Denn fallen die Öffentlich-Rechtlichen weg, dominieren private Medienkonzerne wie Bertelsmann und Springer – und diese Konzernmedien haben sich bei den oben erwähnten Themen ebensowenig mit journalistischem Ruhm bekleckert wie ARD, ZDF und Deutschlandfunk.

Dazu kommt, dass Bürger die Vorgänge innerhalb der Privatmedien kaum beeinflussen können. Im Vergleich dazu haben wenigstens in der Theorie die Gremien von ARD, ZDF und Deutschlandfunk einen demokratischen Auftrag. Wenigstens in der Theorie kann man sich mit Beschwerden an sie wenden, man kann sich statt auf den zahnlosen Presserat auf konkrete Gesetzestexte berufen. Diese Vorstöße werden fast immer abgeblockt, das ist frustrierend – bei Privatmedien gibt es aber nicht einmal die theoretische Möglichkeit, wie etwa im „Neuen Deutschland“ zu lesen war:

„Wer außerhalb des Springer-Konzerns hat eigentlich den Herausgeber der »Bild«-Gruppe, Kai Diekmann, mitbestimmt? Wer könnte ihn wieder abberufen? Diese Fragen sind dann berechtigt, wenn Boulevard-Chefs nicht mehr nur berichten, sondern sich mutmaßlich zum politisch-moralischen Korrektiv und etwa zum Sturz eines Bundespräsidenten berufen fühlen. Die Antwort ist bekannt: Die Bürger (auch die Nicht-»Bild«-Leser) müssen das höchst wirkungsvolle politische Sendungsbewusstsein des Springer-Personals ertragen, ohne auf diese Meinungsbildung demokratisch Einfluss nehmen zu können. So kann ein von der Minderheit der »Bild«-Käufer und potenten Anzeigenkunden finanziertes Produkt die Politik für eine von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossene Mehrheit verändern. Dieses Recht steht potenziell auch allen anderen Privatmedien zu – wodurch eigentlich Meinungsvielfalt entstehen soll. Die Gremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio sind dagegen leidlich demokratisch legitimiert.“

Tendenzfreiheit und der Kampf gegen eine neoliberale große Koalition der Privatmedien

Zu all dem kommt die erheblich weiter gefasste Tendenzfreiheit für Privatmedien. Dass man als Mitarbeiter des Springer-Konzerns automatisch ein Bekenntnis zur transatlantischen Freundschaft ablegt, ist bekannt. Das wäre in dieser Offenheit bei öffentlich-rechtlichen Sendern immerhin nicht möglich. Das bedeutet keineswegs, dass ARD, ZDF und Deutschlandfunk nicht mutmaßlich von transatlantischen Strukturen durchdrungen wären.

Und nicht zuletzt muss man an die Zukunft denken: Möglicherweise können die jetzt von Neoliberalen besetzten und unverblümt instrumentalisierten Strukturen des öffentlichen Rundfunks eines Tages von einer fortschrittlichen Regierung genutzt werden – die hat dann immerhin begrenzte publizistische Möglichkeiten gegen die Propaganda einer wirtschaftsliberalen großen Koalition aus Privatmedien. Aber: Ob man sich auch dann noch über zu viel „Regierungsnähe“ beschweren wird? Generell: Die Vergangenheit und die Geschichte des Neoliberalismus zeigt, dass die Gesellschaft einmal privatisierte Bereiche nur sehr mühevoll zurückerobern kann. Darum darf sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht aus der Hand geben.

Das bedeutet nicht, dass sich die das Programm finanzierenden Bürger mit dem kläglichen aktuellen Zustand der Inhalte von ARD, ZDF und Deutschlandfunk abfinden sollten. Man sollte aber bei dem berechtigten Protest aufpassen, dass man sich nicht von privaten Medienkonzernen instrumentalisieren lässt und im Überschwang wichtige Kontrollmöglichkeiten aus der Hand gibt. So müsste das Fazit zum Zustand der öffentlich-rechtlichen Sender lauten: Ändern? Ja! Abschaffen? Nein!