Wie will die SPD-Spitze Mehrheiten gewinnen? Dümmer als mit der Kritik an Wagenknecht gehts nimmer.

Wie will die SPD-Spitze Mehrheiten gewinnen? Dümmer als mit der Kritik an Wagenknecht gehts nimmer.

Wie will die SPD-Spitze Mehrheiten gewinnen? Dümmer als mit der Kritik an Wagenknecht gehts nimmer.

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Weil das Nachtreten einiger prominenter Vertreter der SPD zugleich ein Signal dafür ist, dass dort jegliche strategische Einsicht fehlt und deshalb die Chance für eine politische Wende weg von der Führung durch die CDU/CSU immer mehr schwindet, muss noch einmal auf die Reaktion zum Rückzug von Sahra Wagenknecht eingegangen werden. Mit Wagenknecht an der Spitze eines rotrotgrünen Bündnisses hätte es wenigstens eine kleine Chance gegeben, potentielle Nachfolger von Angela Merkel zu schlagen. Jetzt sieht es düster aus. Und jene, die das Mobbing betrieben haben, verstehen das nicht einmal. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Johannes Kahrs, der Chef der Seeheimer, hat sich spottend und zufrieden geäußert. Der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Stegner – angeblich ein Linker in der SPD – sagte, eine personelle Neuorientierung an der Fraktionsspitze der Linkspartei könnte mögliche Bündnisse diesseits der Union erleichtern. Diese Option sei mit Wagenknecht stets theoretischer Natur gewesen, so Stegner gegenüber der Deutschen Presseagentur. Stegner untermauert damit einmal mehr den Eindruck, dass man an der SPD-Spitze unfähig ist zum strategischen Denken und auch unfähig zum Rechnen und stattdessen vollgepumpt mit Vorurteilen.

Schauen wir die neuesten Umfragen zu einer potentiellen Bundestagswahl an:

Quelle: wahlrecht.de

Die SPD liegt mit 15-18 % der Zweitstimmen durchgehend unter dem, was sie 2017 als Wahlergebnis erreicht hatte – 20,5 %; das war schon ein verheerendes Ergebnis, unter der Hälfte dessen, was der Kanzlerkandidat Schröder vor gut 20 Jahren erreicht hat und weit unter der Hälfte dessen, was sie maximal mit 45,8 % erzielte.

Zusammengezählt erreichen SPD, Grüne und Linke nach der neuesten Umfrage vom 14. März 45 %; bei den drei vorletzten Umfragen, also jenen vom 9. und 12.3.2019 waren es 42 bzw. 41,5 Prozentpunkte. Damit ist keine Koalition mehr zu schmieden; rein rechnerisch reicht es nicht. Hinzu kommt, dass die Linkspartei nach dem Rausdrängen von Sahra Wagenknecht vermutlich weiter verlieren wird.

Jene in der SPD-Spitze, die sich über den Abschied von Sahra Wagenknecht freuen, haben offenbar die strategische Notwendigkeit nicht verstanden oder nicht eingesehen, dass es zu einem guten Wahlergebnis und zur Regierungsfähigkeit eines breiten, pluralen Auftritts bedarf.

Das war immer so. Die besten Ergebnisse hat die SPD dann erzielt, wenn sie mit Repräsentanten eines breiten Programms auftrat: mit Schmidt und Brandt; mit Brandt, Schmidt, Wehner und Vogel; mit Schröder und Lafontaine zum Beispiel 1998. Damals habe ich in einer Publikation mit dem Titel “Von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie” beschrieben und belegt, dass das Ergebnis am Wahltag auch dem Umstand zu verdanken war, dass neben das eher konservative Profil des super gestylten Aufsteigers Gerhard Schröder auch noch das linke Profil von Oskar Lafontaine trat. Für das potentielle Bündnis von Rot-Rot-Grün gilt die Notwendigkeit eines breiten Auftritts, also die Notwendigkeit von Pluralität im Rahmen eines insgesamt fortschrittlichen Bündnisses ebenfalls. Anders haben Volksparteien keine Chance und anders haben auch Bündnisse keine Chance.

Mit der Verabschiedung bzw. dem Abschied von Sahra Wagenknecht ist ein wichtiger Teil des linken Lagers verlorengegangen. Das linke Lager wird insgesamt profilloser. Eine klare Position gegen leichtfertige militärische Einsätze außerhalb des NATO-Bereichs, eine rationale und auch an den Bedürfnissen der Schwächeren im eigenen Land orientierte Haltung in der Flüchtlingsfrage und die sachlich und fachlich notwendige und richtige Kritik an der Finanzwirtschaft fällt weitgehend aus. Das gilt auch für die Verteilungsfrage. Auch dort haben Wagenknecht und ihre Gruppe ein klares Profil.

Sahra Wagenknecht war wie Oskar Lafontaine für die SPD auch deshalb ein provokatives Ärgernis, weil sie die Personifizierung des verlorenen bzw. abgestoßenen SPD-Profils waren und sind.

Zum Beispiel: Die SPD hat die Tatsache, dass Wagenknecht und Lafontaine den Afghanistan-Einsatz kritisierten, immer wieder als Vorwand dafür hergenommen, dass mit diesen beiden Politikern eine Koalition nicht möglich sei. So zu argumentieren, war immer komisch. Denn die beiden vertraten das, was der SPD Jahre und Jahrzehnte lang hoch und heilig war: Ihre Friedenspolitik. Wagenknecht und Lafontaine erinnerten die SPD-Führung schon dadurch, also ohne ein einziges Wort gesagt zu haben, an den von der SPD-Spitze begangenen Verrat an Willy Brandt. Die Gruppe um Wagenknecht und Lafontaine erinnerte daran, wie sehr sich die SPD entgegen ihrer ursprünglichen Programmatik der CDU/CSU und den USA und der NATO an den Hals geworfen hat.

Es wäre immer wichtig gewesen, diesen Flügel der Linkspartei und im Übrigen auch die verbliebenen Sozialdemokraten in der SPD, die ähnlich denken wie Wagenknecht und Lafontaine, in eine potentielle Koalition mit aufzunehmen. Das wäre nicht nur wählerwirksam, es wäre auch in der Sache wichtig, damit die SPD es irgendwann noch einmal schafft, sich ein gutes und d. h. über weite Strecken ihr altes politisches Profil zurückzuholen.

Weil die SPD ihr erfolgreiches politisches Profil wie auch jene Personen, die daran erinnerten, missachtete und verabscheute, hat sie die zum Regierungswechsel möglichen Chancen in den vergangenen zehn Jahren ausgeschlagen, jedenfalls verpasst. 2013 gab es eine Chance, zumindest rechnerisch eine rot-rot-grüne Koalition abzuschließen. Die SPD-Führung hat das nicht einmal erwogen. Und jetzt kommen von dort Töne, mit dem Abschied von Wagenknecht sei eine solche Koalition vielleicht wieder möglich. Das ist ein bodenlos dummes Geschwätz.

Die SPD hätte 2013 tun müssen, was ihr inzwischen dämmert: sich von der Agenda 2010 verabschieden. Sie hätte tun müssen, was heute dringend notwendig ist: die Befreiung aus den Fängen der USA und der NATO und die Abkehr von militärischen Interventionen als Politik-Ersatz.

Zu Ihrer Information soll noch kurz nachgetragen werden, wie die neuesten Umfragen zur Europawahl aussehen. Siehe hier:

Quelle: wahlrecht.de

SPD, Grüne und Linke zusammen kommen bei den letzten beiden Umfragen gerademal auf 42 bzw. 44 Prozentpunkte.

Bei den Landtagswahl-Umfragen sieht es nicht besser aus. Siehe hier.

In Bayern steht die SPD nach diesen letzten Umfragen bei 6 %. Sind die SPD-Spitzen noch fähig, dies und die anderen Ergebnisse als Signal zu begreifen? Wenn sie das begreifen würden, dann müssten sie aufhören, einer potentiellen Stütze eines möglichen Erfolges von Rot-Rot-Grün nachzutreten. Ohne Sahra Wagenknecht ist ein solches Bündnis so weit weg von einer Realisierungschance, dass Politikern wie Kahrs und Stegner die Polemik im Halse steckenbleiben müsste. Aber dazu wäre ein bisschen Einsicht in die Notwendigkeiten erfolgreicher politischer Strategien gefordert.

Außerdem wäre es an der Zeit, dass sich derartige Spitzenpolitiker der SPD mit der sehr viel wahrscheinlicheren Zukunftskonstellation beschäftigen: Schwarz-Grün. Ein solches Bündnis hätte nach den oben abgebildeten neuesten zwei Umfrageergebnissen immerhin 48 %. Käme die FDP noch hinzu, dann wären es satte 58 bzw. 56 %.

Mit diesen sehr wahrscheinlichen Möglichkeiten sollten sich die SPD-Spitzen beschäftigen, jedenfalls wäre das dringlicher und produktiver als Häme und falsche Analysen zum Abgang von Wagenknecht.