„Merkel: Wir riskieren unseren Erfolg“ = Merkels Trick

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

„Merkel: Wir riskieren unseren Erfolg“ – so lautet die Schlagzeile meiner Tageszeitung. Die Bundeskanzlerin macht sich angesichts der steigenden Neuinfektionen große Sorgen. Die Bundesregierung verschärft ihre Warnungen. Einige Menschen fragen sich, ob die Dramatisierung berechtigt ist. Die Meisten werden nicht erkennen, welche Manipulationsmethode hier angewandt wird: Methode Nr. 11 „B sagen und A meinen“. Merkel und ihre Kompagnons dramatisieren die Entwicklung – das ist die Botschaft B – und transportieren dabei die für sie und ihren nächsten Wahlerfolg wichtige Botschaft A: Wir sind erfolgreich, unsere Politik war und ist richtig. Wie denken Sie darüber? Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die SPD, die anderen Parteien und die meisten Medien merken nicht, was hier gespielt wird. Angela Merkel ist schon in ihrem früheren Beruf in der DDR eine Expertin für Kommunikation gewesen und sie hat im Kanzleramt bzw. bei den externen Zuarbeiterinnen und Zuarbeitern ausreichend Experten für Kommunikation zur Verfügung. Bewundernswert! Nicht wegen der Leistung, sondern wegen der Kompetenz bei der Anwendung von Manipulationstricks.

Zur weiteren Vertiefung füge ich hier den Text von Kapitel III. 11. aus meinem Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ an und zur weiteren Information auch die Gliederung des Buches mit allen dort untersuchten und beschriebenen 17 Methoden der Manipulation:

Auszug aus „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ Kapitel III.11.

11. B sagen und A meinen

Das eine sagen, aber das andere meinen. Diese Methode wird unentwegt angewendet. So ist der Niedergang der SPD des Öfteren mit der Behauptung begleitet worden, die SPD verkaufe sich schlecht (= B). Damit transportiert wurde die Botschaft, ihre Politik sei eigentlich gut gewesen (= A). Auf allen Ebenen der SPD spukt derweil dieses Gespenst herum: Wir sind ja gut, aber wir verkaufen uns schlecht.

Auch die Agenda 2010 wurde und wird uns immer wieder auf diese Weise nahegebracht: Bundeskanzler Schröder habe sich, seine Kanzlerschaft und seine Partei geopfert, um das Land voranzubringen (= B). Damit wird die Botschaft A transportiert, die Agenda 2010 sei notwendig gewesen und nützlich.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat Angela Merkel 2012 ermahnt, ihre Politik in der Euro-Krise besser zu erklären. Der Spiegel hat ihn wegen dieser Ermahnung kritisiert: »Mahnende Worte an die Kanzlerin. Gauck trifft Merkels schwächsten Punkt«.20 Beides, die Ermahnung durch den Bundespräsidenten wie die Kritik des Spiegel an ihm ­waren Teil der Botschaft B, mit der vermittelt werden sollte, wie grandios die Politik der Bundeskanzlerin Merkel ist (= A).

Die Methode B sagen und A meinen wurde in Kombination mit der Methode Übertreiben von der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes 1975/1976 angewandt. Wir stellten damals mithilfe von Umfragen fest, dass Bundeskanzler Schmidt nicht als besonders leistungsfähig galt. Im Herbst 1975 haben wir dann zusammen mit Kollegen aus der SPD-Zentrale nach einer Möglichkeit gesucht, diese Einschätzung zu verbessern. Das Ergebnis des Nachdenkens: Der Bundeskanzler und andere Spitzenpolitiker sollten künftig bei der Darstellung unseres Landes und ihrer Politik vom »Modell Deutschland« sprechen und zugleich den eigentlich arrogant klingenden Begriff fortschrittlich füllen: gute Nachbarschaft mit allen Völkern, ein eng geknüpftes und festes soziales Netz, ferner viele und gute Arbeitsplätze, Reformen wie das gleiche Kindergeld für alle statt der ungerechten Kindersteuerfreibeträge, ganz geringe Arbeitslosigkeit und so weiter. Das sollte das »Modell Deutschland« charakterisieren, und das tat es damals auch.

Helmut Schmidt hat diese Idee positiv aufgenommen und seine öffentlichen Äußerungen darauf abgestellt. »Modell Deutschland« war die Klammer vieler Äußerungen von Schmidt selbst und der Bundesregierung.

Es gab offensichtlich einen Disput wegen des Eindrucks »nationalistischer Überheblichkeit«, wie Helmut Schmidt notierte. Aber es sollte mit den Begriffen Versöhnung und Nachbarschaften gefüllt werden.

Das war im Vorfeld der Bundestagswahl 1976 und hat vermutlich einiges dazu beigetragen, bei knapp gewordenem Abstand zu Helmut Kohls CDU/CSU die Wahl noch einmal zu gewinnen.

In Kenntnis dieser Methode und der Erfahrung, dass sie sehr oft angewandt wird, kann man lernen, nicht auf den ersten Teil einer Aussage hereinzufallen und stattdessen besser noch einmal zu hinterfragen, was dahintersteckt.

Inhalt

I. Einführung 7
II. Das Umfeld, in dem wir versuchen, die Freiheit unserer Gedanken zu erkämpfen und zu erhalten 12
III. Methoden der Manipulation 21
1. Sprachregelung 22
2. Manipulation mithilfe von ständig gebrauchten und mit einer Bewertung versehenen Begriffen 24
3. Geschichten verkürzt erzählen 25
4. Verschweigen 29
5. Wiederholen – Steter Tropfen höhlt den Stein 34
6. Übertreiben – Es wird schon etwas hängen bleiben 36
7. Die gleiche Botschaft aus verschiedenen Ecken aussenden 38
8. Alle in der Runde sind der gleichen Meinung.
Dann muss es ja richtig sein.
40
9. Der Wippschaukeleffekt 42
10. Umfragen nutzen, um Meinung zu machen 46
11. B sagen und A meinen 48
12. NGOs gründen oder benutzen 50
13. Ein Sammelsurium von Andeutungen macht in der Summe die Halbwahrheiten zur Wahrheit 51
14. Experten helfen – zu manipulieren 53
15. Namen verknüpfen und damit Einzelne bewerten 55
16. Gezielter Einsatz von Emotionen 59
17. Konflikte nutzen und inszenieren, um Meinung zu machen 61
IV. Fälle von Meinungsmache und die dahintersteckenden Strategien 63
1. Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk. 64
2. Der demographische Wandel und der angebliche Zwang zur staatlich geförderten privaten Vorsorge 69
3. Von der Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise – ein Meisterstück der Umdeutung und Umbenennung 75
4. Wir sind Exportweltmeister 78
5. Von »Nie wieder Krieg« zum Kalten Krieg 81
6. Von der Friedenspolitik zur neuen Konfrontation in Europa 83
7. Von Reformen zu »Reformen« 93
8. Solidarität und Mitfühlen oder »Jeder ist seines Glückes Schmied« 97
9. Keynes is out. Konjunkturprogramme bringen nichts außer Schulden 100
10. Vorbereitung und Begleitung der Agenda 2010 105
11. Die Auflösung der Deutschland AG und dieverschwiegene Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne der großen Vermögen 118
12. Die Sozialdemokratisierung der Union – ein Meisterstück an Irreführung 120
13. Der gemeinsame Nenner von etablierten Medien und Politik: Gedankenlosigkeit 123
14. Die Mär von der New Economy und die Blase am Neuen Markt 125
15. Von der Diffamierung der Pleite-Griechen zu den offenen Armen der deutschen Bundeskanzlerin 128
16. Wie Spitzenkandidaten rauf- und runtergeschrieben werden 129
V. Zum Augen öffnen gehören mindestens zwei – das ist produktiv und macht mehr Spaß 133
Anmerkungen 13