Das Anti-Spiegel-Narrativ zum Angriff auf eine Geburtsklinik ist in sich nicht schlüssig

Ein Artikel von:

Das schreibt ein Leser der NachDenkSeiten nach Lektüre des NDS-Beitrags Von der Brutkastenlüge zur Geburtsklinik-Lüge??. Ich hatte die Interpretation des Anti-Spiegel der allgemein verbreiteten Erzählung vom russischen Angriff auf eine Geburtsklinik gegenübergestellt und dabei offengelassen, wer recht hat. Leser der NachDenkSeiten machen darauf aufmerksam, dass die Erzählung des Anti-Spiegel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht stimmt. Den Eindruck, dass sie stimmen könnte, erweckt zu haben, wenn auch mit zwei Fragezeichen versehen, bedaure ich. Der NDS-Leser Wolfgang Szwillus hat ausführlich recherchiert und schickte die gleich folgenden Recherchen mit einem Leserbrief. Danach folgt noch die Untersuchung eines auf Strafrecht spezialisierten Anwalts. Albrecht Müller.

Hallo Nachdenkseiten-Team,

da ja von Herrn Müller in dem Artikel darum gebeten wird, selbst zu recherchieren, hier die Ergebnisse meiner Recherche: Die Behauptungen des “Anti-Spiegels” sind nicht glaubwürdig, soweit ich das von meinem PC aus überprüfen kann. Das Ergebnis meiner Recherche ist unten zusammengefasst. Die Dateinamen, die ich an das Ende mancher Absätze gestellt habe, beziehen sich auf die Bilddateien im Anhang.

Das Anti-Spiegel-Narrativ ist, dass die Geburtsklinik von Mariupol geräumt gewesen sei, und sich dort ukrainischen Truppen des Azov-Bataillons aufgehalten hätten. Insofern müssen auch die Fotos und Videos, die zivile Opfer bei dieser Geburtsklinik zeigen, gestellt sein. Exakt dasselbe Narrativ finden wir auch in Tweets der Russischen Botschaft in London, die im gleichen Zeitraum wie der Anti-Spiegel-Artikel veröffentlicht wurden.

Die erste Behauptung ist, dass Russland bereits am 7.3. bei der UN davor gewarnt hätte, dass “die Geburtsklinik in Mariupol” geräumt und vom Azov-Bataillon besetzt wäre. Tatsächlich findet man online auch ein entsprechendes Statement Russlands vor der UN, wobei hier ganz allgemein von ukrainischen Streitkräften gesprochen wird – nicht etwa dem Azov-Bataillon.

Allerdings ist in dem russischen Statement von der Geburtsklinik Nr. 1 die Rede. Angegriffen wurde aber die Geburtsklinik Nr. 3, die knapp 8 km südwestlich von Klinik Nr. 1 liegt. Selbst wenn die ukrainische Armee Klink Nr. 1 besetzt haben mag, rechtfertigt das keineswegs die Bombardierung einer vollkommen anderen Klinik in einem anderen Teil der Stadt!

Die zweite Behauptung ist, dass “westliche Medien” gestellte Fotos/Videos von zwei vermeintlichen schwangeren Opfern des russischen Luftangriffs verbreiteten. Tatsächlich aber soll es sich um die gleiche Frau handeln, die hier lediglich als Schauspielerin in zwei verschiedenen “Kostümen” auftritt. Die Frau sei zudem als Beauty-Bloggerin auf Instagram zu finden. Auch diese Behauptung finden wir sinngemäß auch in Tweets der Russischen Botschaft.

Ich habe in die Fotos und das Video mal genauer hereingeschaut. Auch wenn es eine gewiße Ähnlichkeit der beiden Frauen gibt, würde ich doch sagen, dass es sich nicht um die gleiche Frau handelt. Manipulativ ist auch, dass der Anti-Spiegel von hochaufgelösten Bildern spricht, die wir als Leser nie zu sehen bekommen.

Es gibt zudem eine unzensierte Fassung des Videos (die ich bewußt nicht verlinke), auf dem zu erkennen ist, dass die Frau auf der Trage ziemlich furchtbare Verletzungen erlitten haben muss. Alleine das macht deutlich, dass es sich nicht um die gleiche Person handeln kann. Es gab heute auch Meldungen, dass die Frau auf der Trage inzwischen ihren Verletzungen erlegen sei.

Die Frau im gepunkteten Pyjama ist tatsächlich Beauty-Bloggerin und heißt Mariana. Inzwischen ist bekannt, dass sie zwei Tage nach dem Luftangriff eine Tochter geboren hat Ihr Aufenthalt im KH ist also vollkommen naheliegend. Die Gleichsetzung von “Influencerin” mit “Schauspielerin” finde ich auch ziemlich aus der Luft gegriffen, und dient dazu, ihre Gegenwart im KH irgendwie verdächtig zu machen.

Die dritte Behauptung ist, dass ein Youtube-Video, das kurz nach dem Angriff aufgenommen wurde zu professionell aussieht, um von Rettungskräften oder Zeugen vor Ort zu stammen. Gleiches gilt für Fotos, die in der Presse die Runde machten. Die Erklärung für das professionelle Erscheinungsbild ist ganz einfach: Die Aufnahmen stammen von einem professionellen Fotografen (Evgeny Maloletka zusammen mit Mystslav Chernov), der für die Agentur Associated Press arbeitet und auch Videomaterial liefert, wie man seiner Webseite entnehmen kann.

Wer danach sucht, findet auch verwackelte Handyvideos, wie es sich der Anti-Spiegel vorstellt. In einem Video ist ganz zum Schluss sogar Mariana kurz mit Rettungskräften zu sehen (und nicht etwa einer Filmcrew).

Der Anti-Spiegel schließt noch ein paar völlig spekulative Behauptungen an, die das Verhalten der Gefilmten als unnatürlich kritisieren. Aber es ist aufgrund eines kurzen Videoschnipsels einfach nicht möglich das Verhalten von Menschen in traumatischen Extremsituationen zu bewerten.

Fazit: Das Anti-Spiegel-Narrativ ist in sich nicht schlüssig und lässt sich mit leicht zugänglichen Online-Quellen widerlegen. Das Narrativ der MSM ist in diesem Fall in sich schlüssig und mit den öffentlich zugänglichen Quellen kompatibel.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass eine “kritische Webseite” besser aufpassen sollte, dass sie sich nicht vor den Karren einer Kriegspartei spannen lässt. Auch wenn Herr Müller sinngemäß schreibt, er stelle ja nur Fragen, ist das nicht mehr als ein winziges Feigenblatt. Schließlich erfordert die russische Behauptung (“Die Ukrainer haben Schauspieler engagiert, um zivile Opfer zu simulieren”) eine viel höhere Beweislast, als die ukrainische (“Bei der Belagerung einer Stadt wurde ein benutztes Krankenhaus getroffen”). Wenn man also beiden Behauptungen den gleichen Raum und das gleiche Gewicht einräumt, erzeugt man eine false balance, die letztlich die Realität zugunsten der russischen Version verzerrt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Szwillus

Nachbemerkung Albrecht Müller: Die Bewertung im letzten Absatz halte ich für unangemessen. Meine Unsicherheit bei der Bewertung des Vorgangs und die Fragezeichen waren kein Feigenblatt, sondern Ausdruck der Unsicherheit. Diese Unsicherheit bei der Bewertung des Vorgangs ist bei mir auch nicht beseitigt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine weitere Mail und einen Anhang zu dieser Mail, die ein mit solchen Vorgängen oft beschäftigter Strafrechtler geschickt hat. Siehe hier:

Sehr geehrter Herr Müller,

der Anregung Ihres Beitrages v. 11. März d.J. folgend habe ich einige Anmerkungen zum Vorfall bezüglich des Kinderkrankenhauses in Mariupol verfasst. Als Strafrechtler bin ich es gewohnt, mir einen ersten Überblick zu verschaffen und mittels kurzer Beschreibungen den Sachverhalt näher zu untersuchen. Oftmals übersehene „Punkte“ treten so hervor. Hier war v.a. der mehrfache Wechsel der die Bahre tragenden Personen und zahlreiche Schnitte im Video aufgefallen. Auch anderes Videomaterial wurde dabei gesichtet.

Die zu lang geratenen Anmerkungen finden sie im Anhang im Format PDF. Gerne können sie diese benutzen; vielleicht sind sie bei der weiteren Recherche nützlich.

Mit besten Grüßen
A.K.

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