SPD-Politiker rücken die Linkspartei in die Nähe der NSDAP: Implodiert die SPD in ihrer Panik geistig und moralisch?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 23.8. erschien als Dokumentation der Frankfurter Rundschau ein Beitrag des stellvertretenden Landesvorsitzenden der NRW-SPD, Dr. Karsten Rudolph, und eines Historikers aus Dortmund mit dem Titel „Jenseits der großen Dogmen – Die Politik der linken Mitte zwischen Neoliberalismus und Anti-Kapitalismus“: Zur “Quelle”
Man muss den Beitrag zumindest überfliegen, um zu begreifen, wie intellektuell flach und unfähig zur demokratischen Auseinandersetzung das Nachwuchspersonal der SPD inzwischen ist. Geradezu panisch ist der Versuch, die Linkspartei in die Nähe der NSDAP zu rücken. (AM/WL)

Wir zitieren dazu die Mail eines Nutzers der NachDenkSeiten, der uns auf den Artikel in der FR aufmerksam machte:

Zum wiederholten Male wird die Linkspartei sprachlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Zum ersten Mal habe ich das bei Helmut Markwort (Focus) erlebt, der den Begriff “nationalen Sozialismus” in einer Talkrunde (ich glaube es war bei Christiansen) verwendete und damit Otmar Schreiner in Rage versetzte.
Später habe ich den Begriff in meiner Tageszeitung nachlesen müssen. Der Redakteur Uwe Zimmer von der Neuen Westfälischen unterstellte in einem Kommentar den Ewiggestrigen, dass sie sich auf dem Weg in einen nationalen Sozialismus befänden. …
Heute lese ich nun in der FR einen Artikel, der diese sprachliche Verbindung zum Nationalsozialismus noch krasser beinhaltet. Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich bin kein Mitglied der WASG/PDS. Ich bin seit 22 Jahren Mitglied in der SPD, auch wenn die letzten Jahre sehr wehtun. Aber ich kenne einige Aktive der WASG in meinem Umfeld und es tut mir weh, wenn sie so diffamiert werden. Ich schäme mich sehr für die verbalen Ausrutscher von einigen unserer Genossen, zumal wenn sie so ausfallen wie die des Autors, des stellvertretenden Vorsitzenden der NRW-SPD und Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtages Dr. Karsten Rudolph. Aber schauen Sie doch selbst unter folgendem Link nach. (s.o.)
Ist das nicht schlimm?

Es ist schlimm.

„Wissen die Sympathisanten der so genannten Linkspartei eigentlich, dass derartige Weltbilder und ein solcher rhetorischer Stil auch einmal von der NSDAP gepflegt wurden?“ heißt es in dem schlimmen Machwerk Nachdem die SPD bei einem großen Teil ihrer Wählerschaft das Vertrauen in das Versprechen ihres Namens – eine soziale Partei zu sein, verloren hat; ist eine ihrer Nachwuchshoffnungen dabei mit historisch absurden und geschmacklosen Vergleichen ihres linken politischen Gegners, der Linkspartei, und ihrer Sympathisanten mit der NSDAP auch noch ihren moralischen Kredit zu verspielen. Wer in der politischen Auseinandersetzung derart daneben greift, tritt die Grundsätze demokratischer Auseinandersetzung mit Stiefeln.
Nun in holzschnittartigen Stichworten noch einige kommentierende Anmerkungen zum Inhalt des Beitrags in der Frankfurter Rundschau:

Es ist einer jener typischen Texte über wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen, die neuerdings vor allem von Historikern, Soziologen und Politologen verfasst werden. Wir kennen das von Paul Nolte, von Ulrich Beck (siehe dazu die Buchbesprechung von den Wolfgang Lieb in der NachDenkSeiten vom 22.8.) oder auch von Autoren um das sich selbst so nennende Netzwerk des Nachwuchses der SPD. Sie kommunizieren in einem eigenen Jargon einer fiktiven, jedenfalls völlig unpräzisen, die Wirklichkeit ausblendenden „Reform-Moderne“. Im konkreten Fall besteht der Text über weite Strecken aus beliebigen sprachlichen Versatzstücken und lauter Behauptungen ohne Belege oder Ableitungen.
Auch typisch für ähnliche Texte: Die beiden Autoren haben keine Ahnung von wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen aber eine um so festere Meinung dazu.

Zu den typischen Stereotypen gehört, den politischen Gegnern vorzuwerfen, sie würden „alten Konzepten“ anhängen, sie wollten „Nachfragepolitik durch Staatskredite“ und eine „Renaissance des Sozialstaats der siebziger Jahre“. Getreu dem Motto: Der Niedergang der Bundesrepublik begann mit Adenauer und beschleunigte sich mit Brandt, ist alles, was früher war, per se schon schlecht. Im konkreten Fall sind die Autoren zusätzlich auch noch wahlstrategisch so dumm, dass sie die besten und erfolgreichsten Zeiten ihrer eigenen Partei in den Dreck ziehen. Obwohl sie sich Historiker nennen, haben sie sich natürlich nie mit jemandem wie dem früheren Arbeitsminister Herbert Ehrenberg auseinander gesetzt, der gerade heute sehr begründet für eine Renaissance des Sozialstaates plädiert. Die Autoren können ja gegen die Sozialstaatlichkeit und die damit gemachten Erfolge der SPD sein, sie sollten dann aber Sachargumente gegen die eigene erfolgreiche Geschichte der SPD vorbringen, statt die gängigen und seit der Abwahl von Helmut Schmidt von den Neoliberalen eingeführten Stereotypen nachzubeten. Was wenden sie gegen eine Renaissance des Sozialstaates ein? Die Autoren erklären ihn – einfach so – für abgeschrieben und werfen dabei – und das als Historiker – das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes auf den Misthaufen der Geschichte.

In ihrer blinden Polemik gegen die Linkspartei übersehen sie, dass diese gerade in die politische Lücke hineinstößt, die die SPD mit ihrem Agenda-Kurs hinterlassen hat. Die SPD hat einen größeren Teil ihrer Wählerschaft, geradesozial Engagierte und gewerkschaftlich Aktive nämlich, schlicht links liegen gelassen. Ein stellvertretender Landesvorsitzender vom Schlage des Autors Karsten Rudolph wird jedenfalls mit solchen Verunglimpfungen nie fähig sein, solche Menschen wieder anzusprechen. Er hat wohl in seinem warmen Studierzimmer jeglichen Kontakt zu solchen sozialen Gruppen verloren. Die historische Niederlage seiner Partei in Nordrhein-Westfalen war dem Historiker offenbar nicht Lehre genug. Er ist ein personalisiertes Beispiel dafür, dass wenn man aus der Geschichte keine Lehren zieht, man immer wieder die gleichen Fehler macht.

Die SPD hat in den vergangenen sechs Jahren die soziale Symmetrie verschoben. Sie hat den Schwarz-Gelben das Bett bereitet. Und, anders als die Autoren vermuten, besteht mit dem Auftauchen der Linkspartei paradoxerweise die einzige Chance, den Wahlsieg von Angela Merkel, die sich schon wie Frau Thatcher gibt und z.B. mit der Flat-Tax liebäugelt, zu vermeiden. Allein schon die Ankündigung der Kandidatur der Linkspartei hat die Blickrichtung aller Parteien verändert. Alle, vor allem die SPD und die Grünen, haben noch schnell soziale Akzente nachgereicht.

Die in der FR schreibenden Historiker, können sich weder mit der neueren noch mit der jüngsten Geschichte beschäftigt haben, sonst hätten sie nicht vergessen, dass die SPD nach der Wahl von 2002 wie auch schon 1999 ihre Wahlversprechen gebrochen hat. Hat Karsten Rudolph den jeweiligen Parteiprogrammen nicht auf den Parteitagen zugestimmt? Ist er immer erst kurz nach den Wahlen zu seinen historisch neuen Erkenntnissen gelangt? Hat er seine Schwenks jemals begründet? Man kann gut verstehen, dass ihn der Vorwurf des Bruchs der Wahlversprechen peinlich trifft. Da hilft dann offenbar dem Historiker nur noch der Vorwurf des Sozialfaschismus, mit dem man jede Kritik an der SPD von Links meint totschlagen zu können, ohne sich mit dieser Kritik auseinandersetzen zu müssen.

Die Autoren sprechen von einem dritten Weg und berufen sich auf Rifkin. Nun hat Rifkin Vieles und Widersprüchliches geschrieben. Sie haben nie beschrieben, welchem der Ansätze Rifkins sie folgen wollen, nirgendwo wird erkennbar, wie ihr dritter Weg aussehen soll. Mit polemischen Etiketten für die Union auf der einen Seite und die Linkspartei auf der anderen Seite ist der angebliche Weg in der Mitte jedenfalls nicht beschrieben. Die Andeutungen, die sie zur Beschreibung machen, sind dürftig. Von der Idee der Bürgerversicherung, die sie nennen, wissen wir, dass sie nicht kommt, nicht nurweil sie nicht realisierbar ist bei der vorhandenen Bundesrats-Konstellation. Ansonsten reden sie von “nachhaltiger Sicherung der Sozialversicherungen“. Wie soll das denn gehen mit ihren Methoden – zum Beispiel mit der Pflicht zur Privatvorsorge und der weiteren Erosion des Vertrauens in die soziale Sicherung?

Noch eine schöne Wegbeschreibung haben die Autoren parat: „Runter mit den Unternehmenssteuern auf ein westliches Niveau, aber rauf mit den Steuern für die sehr gut Verdienenden – ebenfalls auf ein Niveau, das zum Beispiel demjenigen der USA entspricht“. Das ist ein toller Einfall. Die beiden Autoren wissen weder, dass die Unternehmenssteuern in Deutschland schon längst unterhalb des besagten westlichen Niveau liegen, noch haben sie im Gedächtnis behalten, dass die Bundesregierung zum 1.1.2002 den „Heuschrecken“ den steuerfreien Genuss der Riesengewinne bei Unternehmensverkäufen geschenkt und gerade erst den Spitzensteuersatz auf 42% abgesenkt hat. Jetzt soll es also wieder raufgehen. Oder denken sie wirklich nur an die Millionärssteuer, die selbst bei den Einkommensmillionären dann noch weit unterhalb der von der Bundesregierung gerade gesenkten Spitzensteuersätze läge.
Keine dieser Ideen ist irgendwo überlegt, hinterfragt, eingeordnet oder in ihrer Wirkung belegt. Der gesamte Beitrag ist ein einziges Dokument des Schwadronierens. Wenn das der Nachwuchs der SPD ist, dann gute Nacht.

Man muss die Autoren auch fragen: Wo bleibt die „gleichberechtigte Teilhabe“ beim „Fördern und Fordern“ von Hartz??

Unglaublich ist, dass sie auch noch bei solchem beliebigen Geschwafel beanspruchen, die SPD würde den Weg der „Aufklärung“ gehen.
Unglaublich ist auch die Unterstellung, es gebe ohne die Reformen eine „Leistungsverweigerung gegenüber den Leistungsträgern“. Wo leben die beiden, wer hat denn seit Rot-Grün bekommen und wem wurde genommen? Die Autoren sollten schnellstens zur FDP wechseln. Zu Westerwelle passen sie gut.

Auch ihre Polemik gegen die Rolle des Staates nach Auffassung der Linkspartei ist kurios. Sie vertrete das Maß an Staatsgläubigkeit, das die SPD und die CDU aufgegeben hätten. Diese „Staatsgläubigkeit“ war aber über 50 Jahren ein Erfolgsmodell und wo sind die Erfolge durch die seither betriebene Entstaatlichung etwa durch Privatisierung? Und was sagen sie zur „Staatsgläubigkeit“ etwa in Schweden, wo der Staat einen weitaus höheren Anteil des Sozialproduktes für öffentliche Leistungen verwendet und auch umverteilt?

Das waren gewiss einige holzschnittartig kommentierende Anmerkungen. Es wäre noch viel, viel mehr zu sagen. Aber man kann sich ja nicht ständig wiederholen. Zu lesen lohnen tut sich die Lektüre des Beitrags in der FR nur für jene, die den intellektuellen und programmatischen Niedergang einer ehemals großartigen Partei erleiden und den geistigen Tiefflug unserer selbsternannten Eliten studieren wollen.

P.S.: Der Text soll jetzt auch noch einmal in der Zeitschrift „Berliner Republik“ abgedruckt werden. Da passt er gut hin, weniger passte er in die FR.