Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Heute unter anderem zu folgenden Themen: Landtagswahlen; Der Finanzsektor blutet uns aus; Dani Rodrik – Strukturwandel als Wachstumsvernichter; Neue Notinfusion für Irlands Banken; Auch Commerzbank soll Anleger getäuscht haben; Zahlreiche Verfahren gegen Zertifikateemittenten; Schräglage in der Eurozone; Wall Streets Interesse an toxischen Papieren; Dax-Unternehmen verwöhnen Aktionäre; Frank Schirrmacher: Die neun Gemeinplätze des Atomfreunds; Dubioser Iran-Deal bringt Berlin in Erklärungsnot; Einsatz von Scharfschützen in Afghanistan; Japan und der GAU; Libyen; Britanniens Krieg und Krise: Eine Schlacht für alle Fronten; NRW: Islamfeinde als Verfassungsfeinde; Königsmörder dringend gesucht; Bessere ökonomische Bildung: problemorientiert, pluralistisch, multidisziplinär; Verkürzte Gymnasialzeit: Geraubte Jugend; das Allerletzte: Antwort vom Bund der Steuerzahler (JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Landtagswahlen
  2. Der Finanzsektor blutet uns aus
  3. Dani Rodrik – Strukturwandel als Wachstumsvernichter
  4. Neue Notinfusion für Irlands Banken
  5. Auch Commerzbank soll Anleger getäuscht haben
  6. Zahlreiche Verfahren gegen Zertifikateemittenten
  7. Schräglage in der Eurozone
  8. Wall Streets Interesse an toxischen Papieren
  9. Dax-Unternehmen verwöhnen Aktionäre
  10. Frank Schirrmacher: Die neun Gemeinplätze des Atomfreunds
  11. Dubioser Iran-Deal bringt Berlin in Erklärungsnot
  12. Einsatz von Scharfschützen in Afghanistan
  13. Japan und der GAU
  14. Libyen
  15. Britanniens Krieg und Krise: Eine Schlacht für alle Fronten
  16. NRW: Islamfeinde als Verfassungsfeinde
  17. Königsmörder dringend gesucht
  18. Bessere ökonomische Bildung: problemorientiert, pluralistisch, multidisziplinär
  19. Verkürzte Gymnasialzeit: Geraubte Jugend
  20. das Allerletzte: Antwort vom Bund der Steuerzahler

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Landtagswahlen
    1. zur Landtagswahl zwei Wahlanalysen:
      Wahlanalyse Rheinland Pfalz
      Quelle: Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff/Horst Kahrs [PDF – 246 KB]

      Wahlanalyse Baden-Württemberg
      Quelle: Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff/Horst Kahrs [PDF – 410 KB]

    2. Nach dem Triumph ist vor dem Krach
      Die S21-Gegner feierten den grün-roten Wahlsieg in Baden-Württemberg wie eine Erlösung, doch der Bau des Tiefbahnhofs ist mit der Abwahl von Stefan Mappus und der CDU keineswegs sofort erledigt. Grüne und SPD wollen eine Volksabstimmung, doch der Weg dahin ist lang. Und die Koalitionspartner werden gegeneinander Wahlkampf führen. […]
      Die Widersprüchlichkeit war an diesem Abend egal. Dass dürfte sich bald ändern. Die SPD ist grundsätzlich für Stuttgart 21. Die überwältigende Mehrheit der Grünen in Baden-Württemberg ist dagegen. Obwohl sich Kretschmann und Schmid einig sind, das Volk zu befragen, ist der erste Koalitionskrach programmiert. Denn der politische Weg zu einer Abstimmung ist lang und mühsam – während die Stimmung auf der Straße wieder an Sprengkraft gewonnen hat. […]
      SPD-Spitzenkandidat Schmid betonte derweil, es liege “nicht in den Händen” der Landespolitik, ob tatsächlich ein Baustopp erfolgen werde. Hier seien vor allem der Bund und die Bahn gefordert. […] Von einem Baustopp war nicht die Rede. Die Bahn würde sich wohl mit allen Mitteln dagegen wehren. Sie kann auf den Schlichterspruch verweisen: Darin hat Vermittler Heiner Geißler dem Unternehmen zwar einen Stresstest des neuen Bahnhofs aufgebürdet, den Bau aber grundsätzlich genehmigt. Die Grünen stimmten am Ende des Schlichtungsverfahren zu. “Es ist besser wie nix'”, schwäbelte im November 2010 der grüne Landtagsabgeordnete Werner Wölfle.
      Quelle: Süddeutsche Zeitung

      Anmerkung Jens Berger: Die Folgen des Schlichterspruchs wurden seinerzeit schon von den NachDenkSeiten thematisiert. Wer grün gewählt hat, um S-21 zu verhindern, wird sich nun vielleicht schwarz ärgern.

    3. Mappus will sich bei Brüderle persönlich bedanken
      Nach der Wahlniederlage hadert Stefan Mappus mit dem Koalitionspartner FDP. Brüderles Atombeichte hätte die schwarz-gelbe Mehrheit verhindert
      .Der abgewählte Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus (CDU), hat Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) für den Machtverlust der CDU in Stuttgart mitverantwortlich gemacht. „Manche Äußerung“ der vergangenen Tage sei „nicht so richtig hilfreich“ gewesen, sagte Mappus mit Blick auf die umstrittene Aussage Brüderles zum Schwenk in der Atompolitik der Regierung.
      Brüderle hatte den Kurswechsel vor Spitzenmanagern mit dem Wahlkampf begründet. Der Vorfall erkläre vermutlich auch, warum der Koalitionspartner FDP in Baden-Württemberg „auch noch richtig abgestürzt“ sei. Hätte sie ein knappes Prozent mehr gehabt, „hätten wir die Mehrheit“, sagte Mappus. „Wenn ich ihn treffe, werde ich mich persönlich bei ihm bedanken“, sagte Mappus nach Angaben von Teilnehmer in der CDU-Präsidiumssitzung am Montag ironisch mit Verweis auf umstrittene Brüderle-Äußerungen zur Atomenergie.
      Quelle: WELT
    4. Merkel ist der Störfall
      Japan, Japan, Japan – das soll die Ursache für die Wahlschlappe der Union in Baden-Württemberg gewesen sein. Eine alberne Ausflucht. Die richtige Antwort heißt: Merkel, Merkel, Merkel.
      Quelle: Stern
    5. Rote Karte für die Sozialdemokraten
      Trotz des desaströsen Auftretens von Union und FDP erscheint die SPD dem Wähler nicht als attraktive Alternative.
      Bei der SPD herrschte gestern Abend nach den ersten Hochrechnungen gute Stimmung. In Rheinland-Pfalz konnten die Sozialdemokraten ihre Stellung als stärkste Partei verteidigen und weiterhin den Ministerpräsidenten stellen, in Baden-Württemberg ist das Ende der schwarz-gelben Landesregierung unter Stefan Mappus absehbar, auch hier zieht die SPD in die Regierung ein, wenn auch als Juniorpartner der Grünen. Neben den Grünen sieht sich die SPD als Sieger. Alle Wahlziele seien erreicht worden, so die frohe Botschaft aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin. Doch der Jubel wirkt aufgesetzt.
      Quelle: Telepolis
    6. Kommunalwahl 2011: Trendergebnisse für Hessen
      Trendergebnis für Hessen
      Quelle: Hessischer Rundfunk

      Kommunalwahlergebnisse Frankfurt am Main
      Trendergebnis für Frankfurt am Main
      Quelle: Hessischer Rundfunk

      Kommunalwahlergebnisse Darmstadt
      Trendergebnis für Darmstadt
      Quelle: Hessischer Rundfunk

  2. Der Finanzsektor blutet uns aus
    Die Treuhänder großer Sozialvermögen, also der Pensionskassen, der Staatsfonds und verschiedenster Stiftungen, werden von den Akteuren im Finanzsektor systematisch über den Tisch gezogen, erklärt Paul Woolley vom Paul Woolley Centre for the Study of Capital Market Dysfunctionality. Wenn sie sich anders verhielten, änderte sich das Finanzsystem. […]
    Schuld sind die Banker nur zum Teil; schuld sind vor allem die ganzen Akademiker mit ihrem unhaltbaren Gerede von effizienten Märkten. Sie haben zum Beispiel nie gefragt, wieso der Finanzsektor so groß geworden ist und ob die Gesellschaft mit der enormen Größe dieser Branche gut bedient ist. Die renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute in Amerika und Europa haben in diesem Punkt versagt. Die Finanzunternehmen dagegen wurden immer schlauer darin, ihre einzigartige Stellung auszubeuten.
    Quelle: FAZ
  3. Dani Rodrik – Strukturwandel als Wachstumsvernichter
    Für viele Länder ist die Globalisierung ein zweischneidiges Schwert. Die boomenden Rohstoffbranchen haben eine begrenzte Kapazität zur Aufnahme von Arbeitskräften. Die Globalisierung verfestigt somit den Dualismus, statt zu seiner Überwindung beizutragen. […]
    Der dualistische Charakter sich entwickelnder Gesellschaften hat sich infolge der Globalisierung noch verschärft. Bestimmte Teile ihrer Volkswirtschaften wie Exportenklaven, Hochfinanz und Hypermärkte verzeichnen erhebliche Produktivitätszunahmen, indem sie Verknüpfungen zu den globalen Märkten herstellen und auf Spitzentechnologien zugreifen. Andere Sektoren hatten keine ähnlichen Möglichkeiten, und die Kluft zwischen ihnen und den “globalisierten” Sektoren verstärkt sich. […]
    In vielen anderen Teilen der Welt jedoch war in den vergangenen Jahrzehnten eine ziemlich merkwürdige und unerwünschte Entwicklung zu bemerken – ein Strukturwandel in die falsche Richtung. Auf moderne, hochproduktive Branchen entfällt dort inzwischen ein kleinerer Anteil der Erwerbsbevölkerung, während bei den informellen und anderen produktivitätsarmen Aktivitäten ein Zuwachs zu verzeichnen ist. So hat z.B. der Strukturwandel in einem typischen lateinamerikanischen oder schwarzafrikanischen Land seit etwa 1990 das Wirtschaftswachstum eher untergraben als angekurbelt. […]
    Sachgerechte politische Strategien können helfen. Eine Lehre ist, den vorzeitigen Zusammenbruch mit Importen konkurrierender Branchen, die eine erhebliche Anzahl an Menschen beschäftigen, zu vermeiden, bevor ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten in produktiveren Branchen entstanden sind. Die asiatischen Länder etwa haben in der Regel Randbereiche liberalisiert (durch Exportsubventionen oder Sonderwirtschaftszonen) und so neue Exportbranchen geschaffen, ohne dabei den anderen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Jens Berger: Was Rodrik schreibt, ist zweifelsohne korrekt. Was nützt allerdings diese Erkenntnis, wenn Weltbank und IWF Entwicklungs- und Schwellenländer zu einer vollkommenen Liberalisierung ihrer Märkte zwingen? Dies ist auch eine der Lehren, die man aus dem Aufstieg Chinas ziehen kann. Unter einer Markliberalisierung á la IWF wäre China heute womöglich immer noch ein bitterarmes Entwicklungsland. Leider sind jedoch nur sehr wenige Entwicklungsländer in der Position, eigene Industrie-, Wirtschafts- und Handelspolitik zu betreiben.

  4. Neue Notinfusion für Irlands Banken
    Ein Fass ohne Boden: Die irischen Banken dürften 18 bis 23 Milliarden Euro zusätzliches Kapital brauchen. Die Europäische Zentralbank und Dublin verhandeln bereits über ein neues Notprogramm für die Institute.
    Quelle: Der Standard
  5. Auch Commerzbank soll Anleger getäuscht haben
    Nicht nur die Deutsche Bank ist in den Ruf geraten, Anleger mit windigen Finanzprodukten über den Tisch zu ziehen. Ein Wirtschaftsanwalt aus einer namhaften Anwaltssozietät wirft der Commerzbank vor, ihn mit einem wertlos gewordenen Zertifikat betrogen zu haben. Pikant an der Sache: Nach Angaben des Juristen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, verweigerte ihm das Geldinstitut die Mithilfe, als er nach dem Totalverlust die Konstruktion des „Knock-out-Zertifikats“ entschlüsseln wollte. Er ist, weil er einer unverlangten Empfehlung seines Kundenberaters folgte, um rund 60 000 Euro ärmer und hat eine Schadensersatzklage eingereicht.
    Quelle: FAZ
  6. Zahlreiche Verfahren gegen Zertifikateemittenten
    Die Geldanlage in Zertifikaten ist weiterhin häufig Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Nach der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008, durch die Zehntausende Besitzer von Lehman-Zertifikaten Geld verloren hatten, zogen einige Hundert gegen die verkaufenden Banken wegen angeblicher Beratungsfehler vor Gericht. Aber auch jenseits der Lehman-Fälle sind immer wieder die Zertifikateemittenten selbst die Beklagten. […]
    „Wir haben Fälle quer durch die Bankenlandschaft, von der Hypo Vereinsbank, über Commerzbank und Deutsche Bank bis hin zur DZ Bank und Sal. Oppenheim“, sagt Peter Mattil, Fachanwalt für Banken- und Kapitalmarktrecht.
    Quelle: FAZ
  7. Schräglage in der Eurozone
    Irgendwas muss in der Eurozone ziemlich schiefgegangen sein. Obwohl gleich nach dem Ausbruch der Griechenlandkrise vor über einem Jahr klar war, dass auch Portugal, Irland und Spanien Krisenkandidaten waren, geschah erst mal nichts. Immer dann, wenn das nächste Land Finanzierungsprobleme bekam, gab es ein paar Notkredite. Leider gibt auch der jüngste EU-Gipfel keinen Hinweis darauf, dass sich das Krisenmanagement bessert. Es sieht im Wesentlichen nur weitere Kredite und weitere Sparzwänge vor. Die einzige Neuerung besteht aus einem Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, der allerdings keinerlei Maßnahmen enthält, die etwas an den Ursachen der Krise ändern würden – insbesondere an den Ungleichgewichten in der Eurozone. Wenn der Euro erhalten bleibt, dann wird es bestimmt nicht den jetzigen Beschlüssen über ein höheres Renteneintrittsalter, geringere Lohnzuwächse im öffentlichen Dienst oder die Bekämpfung der Schwarzarbeit zu verdanken sein.
    Quelle: taz
  8. Wall Streets Interesse an toxischen Papieren
    Noch sitzen Banken, die Fed und das Schatzamt auf toxischen Hypothekenpapieren in Milliardenhöhe. Diese und andere Innovationen der Hochfinanz an der Wall Street hatten wesentlich zur Bildung der Immobilienblase in den USA beigetragen und über ihren weltweiten Vertrieb die dramatischen Folgen des anschliessenden Platzens der Blase in die Finanzzentren rund um den Globus getragen. Nun aber sind diese Papiere bei einigen Spielern an der Wall Street wieder gefragt. So hatte AIG Anfang März der Fed eine 15,7-Mrd.-$-Kaufofferte unterbreitetet für just jene toxischen Papiere, die die Fed während der Finanzkrise von AIG (Maiden Lane II) übernommen hatte. Dem Vernehmen nach sollen auch die Credit Suisse und die britische Bank Barclays an dem Portfolio interessiert sein. Die Fed prüft derzeit ihre Optionen. Auch Goldman Sachs soll sich mit toxischen Papieren eingedeckt haben und ein entsprechendes Portfolio für über 8 Mrd. $ von der in der Wertschriftenverwahrung und Vermögensverwaltung tätigen State Street erworben haben.
    Der Einstieg in diese Papiere ist eine riskante Wette auf die Erholung des Immobilienmarktes und insbesondere den Bereich der Subprime-Hypotheken. Hedge-Funds, vor allem jene, die sich generell auf notleidende Papiere spezialisiert haben, wagen sich in das Hypotheken-Segment und hoffen, somit die Renditen ihrer Funds in die Höhe zu treiben. Als Verkäufer der toxischen Papiere treten zum Teil Banken an den Markt, die bereits Rückstellungen für entsprechende Verluste gemacht haben. Und das Treasury etwa hatte angekündigt, dass es sein während der Finanzkrise aufgebautes Portfolio aus toxischen Papieren von rund 142 Mrd. $ schrittweise in 10-Mrd.-$-Blöcken verkaufen will. Das Fed wird auch früher oder später sein 1-Bio.-$-Portfolio wieder loswerden wollen.
    Quelle: NZZ
  9. Dax-Unternehmen verwöhnen Aktionäre: Konzerne schütten 25,6 Milliarden Euro aus
    Das sind 28 Prozent mehr als für das Geschäftsjahr 2009, wie die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young berechnet haben. Ihrer Aufstellung zufolge liegt das Gesamtvolumen der Ausschüttung beinahe auf dem hohen Niveau vor der Finanz- und Wirtschaftskrise: 2007 waren 27,2 Milliarden Euro geflossen.
    Quelle: Tagesspiegel
  10. Frank Schirrmacher: Die neun Gemeinplätze des Atomfreunds
    Jahrzehnte der Atomkraft-Debatte haben die Sprache manipuliert. Die Sätze, die wir während des Moratoriums hören, sind Ablenkungsmanöver. Sie formulieren Thesen, die keine sind, und beleidigen die öffentliche Vernunft. Eine Analyse der wichtigsten Versatzstücke.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers K.F.: Leider erscheinen solche Beiträge im Feuilleton und nicht im Wirtschaftsteil.

    Anmerkung Margarete Gorges: FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher war bisher nicht als Atomkraftgegner bekannt. Um so bemerkenswerter, wie er jetzt die Argumente der Atomfreunde zerpflückt.

  11. Dubioser Iran-Deal bringt Berlin in Erklärungsnot
    Dass Deutschland als Drehscheibe für indische Milliardenzahlungen an den mit Sanktionen belegten Iran dient, bringt die Bundesregierung in Erklärungsnot. Die SPD fordert Aufklärung über den Deal. […]
    Sollte sich bestätigen, dass das indisch-iranische Ölgeschäft künftig über die Bundesbank abgewickelt wird, muss sich die Bundesregierung fragen lassen, inwieweit dies mit der von der Bundeskanzlerin und dem Außenminister Westerwelle vertretenen ‚Entmutigungsstrategie’ gegenüber dem Iran bei den Wirtschaftsbeziehungen vereinbar ist“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, Handelsblatt Online. Unter der „Entmutigungsstrategie“ verstehen die Handelsfachleute den Rat der Bundesregierung an deutsche Unternehmen, auch legale Geschäfte mit dem Mullah-Staat einzuschränken. „Auch dass die deutsch-iranische Handelsbank in Hamburg mit involviert ist, lässt hellhörig werden – steht diese doch schon seit längerem im Verdacht die Sanktionen gegen Iran zu unterlaufen“, sagte Mützenich.
    Nach Handelsblatt-Informationen aus Regierungs- und Finanzkreisen, haben das Außen- und das Wirtschaftsministerium grünes Licht für „einen dubiosen Milliardendeal“ mit dem Iran gegeben. Obwohl das Land des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad seitens der EU und der USA mit strikten Wirtschaftssanktionen belegt sei, hilft Deutschland bei dem Umgehungsgeschäft. Abgewickelt wird die Transaktion über die Deutsche Bundesbank.
    Quelle: Handelsblatt
  12. Einsatz von Scharfschützen in Afghanistan
    Die Bundeswehr setzt in Afghanistan immer mehr Scharfschützen ein. Waren es Anfang 2006 acht Scharfschützen, stieg ihre Zahl auf 54 im November 2010. Diese Angaben würden aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage hervorgehen, die der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele gestellt hat. Gegenwärtig seien 40 Scharfschützen im Einsatz, teilt der Abgeordnete am 25. März 2011 mit.
    Quelle: Bundeswehr-Monitoring
  13. Japan und der GAU
    1. Fukushima: Stabilere Helden
      In fast allen Bereichen menschlicher – und animalischer – Fähigkeiten sind inzwischen robotische Spezialleistungen verfügbar. Robotersonden erkunden das Sonnensystem. Im Bremer Standort für Robotik des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) krabbelt ein “SpaceClimber” über zerklüftete Hänge. Am 24. Februar 2011 startete an Bord eines Spaceshuttle der nach Angaben der NASA erste humanoide Roboter im Weltraum, “Robonaut 2”, der darauf trainiert werden soll, der menschlichen Besatzung zur Hand zu gehen. Im Mai 2010 hatte die japanische Regierung bekanntgegeben, man plane eine Mondbasis, die dauerhaft bewohnt werden solle, und zwar von Robotern. 2015 sollte der erste Roboter zum Mond fliegen.
      Und jetzt die Frage: Wo sind die Roboter in Fukushima? Wo sind, in einer geradezu roboterverrückten Hightech-Nation wie Japan, die Flugroboter, die in den offenliegenden Reaktorgebäuden nach der inneren Sicherheitshülle um den Reaktorkern sehen, nach den plutoniumhaltigen Brennstäben in den Abklingbecken? Die Messungen durchführen, ohne dass Menschen in Gefahr geraten? Eine amerikanische “Global Hawk”-Flugdrohne soll die desolaten Reaktorblocks in Fukushima nun überfliegen. Wo sind die Roboter, die für Mondlandschaften prädestiniert sind und sich im Gebäudeschutt der Reaktorblöcke bewähren können? Raupengeräte, Kletterroboter, fernsteuerbares schweres Gerät? Das kann doch nicht wahr sein, dass die ganze Roboterverheißung nur für Wettbewerbe und Firmenpräsentationen da ist.
      Quelle: Berliner Zeitung
    2. Japan: Apokalypse jetzt!
      Wir sollten uns schämen: Nirgends sonst wird so rücksichtslos und falsch über das Atomunglück in Japan geredet wie hier. Eine Empörung.
      Das Technische Hilfswerk zum Beispiel war ganz schnell in Japan – “trotz Strahlungsgefahr”, wie man gleich großspurig lesen durfte, denn, so sagte der THW-Präsident Broemme: “Hier schwingt schon ein bisschen Angst mit.” Dass die Deutschen dennoch kamen, wurde in japanischen Medien dankbar vermerkt. Ein blonder junger Freiwilliger aus Deutschland erklärte stolz in einem Fernsehinterview, die THW-Helfer seien professionell auf ihre Mission vorbereitet. Drei Einsätze führte das THW in Japan durch: der erste wurde wegen einer Tsunami-Warnung abgebrochen – das war unvermeidlich. Der zweite wurde abgebrochen, weil die Dunkelheit hereinbrach – da hätte auch ein rechtzeitiger Blick auf die Uhr helfen können. Und der dritte wurde abgebrochen wegen heranziehender Radioaktivität. Das war offenbarer Verfolgungswahn. Die Japaner waren höflich genug, die Deutschen danach noch kurzzeitig in der Etappe einzusetzen, um die Einsätze anderer ausländischer Teams zu koordinieren. Anschließend geleiteten die deutschen Spezialisten “einige deutsch-japanische Ehepaare” aus der Gegend um Sendai nach Tokyo. Nach sieben Tagen reiste das THW ab: Es gebe nichts mehr zu retten. Das Rettungsgerät ließ man übrigens in Japan zurück. Einen Tag später traf das türkische Hilfsteam in Japan ein. Das koreanische Team, ungefähr dreimal so groß wie das deutsche und gleichzeitig eingetroffen, verließ Japan erst am 23. März. Da hatte das THW in Deutschland bereits zwei Botschaften verbreitet: Man sei haarscharf nicht radioaktiv verseucht worden (das interessierte die deutsche Öffentlichkeit am meisten), und es sei “ein eher chaotischer Einsatz” gewesen – was natürlich nicht den Deutschen anzulasten war, sondern den Japanern, von denen Bayerns Innenminister Herrmann behauptete, “die Funktionsweise ihres Katastrophenschutzes ist offensichtlich nicht optimal.” Zu dieser Zeit hatte der japanische Katastrophenschutz gerade 400 000 Menschen unter schwierigsten Umständen zu betreuen. Ein anderer deutscher Rettungsdienst zog es vor, am Flughafen umzukehren.
      Quelle: WELT
  14. Libyen
    1. Gaddafis Neoliberaler ist nun Rebellenchef
      Von Beginn an gaben die libyschen Rebellen Rätsel auf – was dazu beitrug, dass sich die USA ihre Unterstützung relativ lange überlegten. Seit voriger Woche existiert nun eine libysche Gegenregierung, geführt von Mahmud Jibril. Bis dahin war das politische Instrument der Opposition ein Nationaler Übergangsrat, dessen Präsident Exjustizminister Mustafa Abdul Jalil und dessen “Vorsitzender der Exekutive” bereits Jibril war. Insofern ist es logisch, dass Jibril nun zum Regierungschef bestimmt wurde. […]
      Mahmud Jibril, der bereits im Ausland für den Nationalrat verhandelt hat, ist eine der wenigen libyschen Oppositionsfiguren (ausgenommen die Exillibyer), die in der freien Welt ganz gut vernetzt sind. Jibril ist 1952 in Bengasi geboren, hat in Kairo und danach in Pittsburgh in den USA studiert und dort seinen Master und sein Doktorat in “Strategischer Planung” gemacht. Etliche Jahre unterrichtete er sein Fach in Pittsburgh und schrieb dazu Bücher. Für etliche arabische Regierungen – auch die libysche – erstellte und managte er Trainingsprogramme für Führungskräfte, die sich die wirtschaftliche Öffnung ihrer Länder vorgenommen hatten. 2007 trat er vollends in die Dienste Muammar al-Gaddafis: Der Neoliberale Jibril wurde Chef des NEDB, des National Economic Development Board. Die Sanktionszeit war vorbei, die libysche Wirtschaft sollte auf Vordermann gebracht werden. Manche sagen, dass er dabei brav den Ratschlägen von US-Konsulenten folgte und damit auch die Interessen seiner amerikanischen Freunde vertrat.
      Quelle: Der Standard
    2. Frattini schlägt Exil für Ghadhafi als Ausweg aus Libyen-Krise vor
      Italien habe einen Plan und werde «sehen, ob daraus ein deutsch-italienischer Vorschlag» werden könne, sagte Frattini weiter. Frattini will den Plan am Dienstag in London vorstellen, wenn sich die Aussenminister der an der internationalen Militärkoalition gegen Ghadhafi beteiligten Länder sowie andere Staaten der Region treffen. Der Plan sieht demnach einen von der Uno überwachten Waffenstillstand vor. Zudem seien umfangreiche Kontakte mit den wichtigsten Stämmen des Landes und ein «ständiger humanitärer Korridor» geplant, an dem Italien bereits mit der Türkei arbeite.
      Quelle: NZZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn Kriegsgegner dahingehend argumentieren, dass das Bleiben Gaddafis eher hinzunehmen ist als ein Bürgerkrieg, dann sollte man den italienischen Vorschlag zumindest in Erwägung ziehen. Vielleicht sollte sich die internationale Gemeinschaft sogar einmal generell überlegen, ob es nicht realpolitisch sinnvoll wäre, Diktatoren und ihrem Anhang ein Exil zu gewähren, bevor diese mit dem Rücken zur Wand einen blutigen Bürgerkrieg entfesseln. Natürlich stehen solche Überlegungen konträr zur Absicht, Diktatoren, die gegen Menschenrechte verstoßen haben, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen.

  15. Britanniens Krieg und Krise: Eine Schlacht für alle Fronten
    Rückkehr zur Kanonenbootpolitik: Mit ihrem Bombardement von Libyen lenkt die britische Regierung von Problemen ab, die für sie weitaus gefährlicher sind als Muammar al-Gaddafi. Denn der Regierung steht eine grosse innenpolitische Auseinandersetzung um ihre Abbaupläne beim Service public bevor. Da hilft es, dass sich die Medien – insbesondere die Boulevardpresse – für eine vermeintlich gute Sache begeistern (den Schutz der Schwachen, den Kampf gegen Diktatoren) und laufend Bilder von heldenhaften Piloten zeigen, die «für die Demokratie ihr Leben riskieren». Ablenkung der Öffentlichkeit ist schon immer ein guter Kriegsgrund gewesen. Das hatte Margaret Thatcher demonstriert, als sie 1982 den Krieg um die Malvinas, die Falklandinseln, vom Zaun brach. Die damals höchst unpopuläre Premierministerin gewann kurz danach die Unterhauswahl.
    Quelle: WOZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Auch in diesem Artikel werden die Interessen britischer Energiekonzerne, die Libyens Bodenschätze ausbeuten möchten, thematisiert. Die Kritik an der kriegerischen Intervention in Libyen tut sich keinen Gefallen, wenn sie wie ein Mantra die These vor sich her trägt, dass es den Kriegswilligen um das Erdöl ginge. Festzuhalten ist, dass die Erdölkonzerne gerade mit Gaddafi glänzende Geschäfte machen konnten, der als Autokrat keinerlei Rücksicht auf die Meinung anderer nehmen musste. Wenn es in Libyen zu demokratischen Meinungsbildungsprozessen kommen sollte, werden es die Konzerne sehr viel schwerer haben, vielfältigeren Interessengruppen gerecht zu werden.

  16. NRW: Islamfeinde als Verfassungsfeinde
    Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat die Bewertung von islamfeindlichen „Pro“-Gruppierungen verschärft und damit über das Bundesland hinaus ein Signal gesetzt. Der Versuch von „Pro NRW“, „durch ein bürgerliches Gewand den Stempel der Verfassungsfeindlichkeit um jeden Preis zu vermeiden, ist gescheitert“, sagte am Montag Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) in Düsseldorf bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2010. In der umfangreichen Broschüre werden im Kapitel über den Rechtsextremismus „Pro NRW“ und der eng liierten Gruppierung „Pro Köln“ mit zusammen 350 Mitgliedern „tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ bescheinigt.
    Die größte Gefahr geht allerdings laut Jäger weiterhin vom islamistischen Terrorismus aus. Der Minister warnte vor dschihadistischer Internetpropaganda. Die Islamische Bewegung Usbekistans versuche, Jugendlichen einzutrichtern, „Schlachtfelder zu besiedeln“. 4500 ausländische Extremisten jeder Couleur halten sich in Nordrhein-Westfalen auf. – Im Bericht des Verfassungsschutzes wird zudem die über Tarnnamen laufende Werbung von Scientology bei Youtube und Facebook entlarvt.
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Verfassungsschutzbericht [PDF – 4.2 MB]
  17. Königsmörder dringend gesucht
    Westerwelle als Witzfigur: Manche in der FDP-Parteispitze lachen schallend über den Auftritt ihres Chefs nach den Wahlniederlagen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Sein “Wir haben verstanden” haben sie schon zu oft gehört. Jetzt sollen endlich Köpfe rollen – am besten auch der des großen Vorsitzenden.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  18. Bessere ökonomische Bildung: problemorientiert, pluralistisch, multidisziplinär
    Die Frage, über welches ökonomische Wissen und Können alle Menschen verfügen sollen und wie man es fördern, diagnostizieren und vielleicht auch messen kann, steht im Zentrum der wirtschaftsdidaktischen Forschung. In den Bildungsstandards der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung (DeGöB) definieren wirtschaftsdidaktische Expertinnen und Experten als wesentliches Ziel für das allgemeine Schulwesen: „Ökonomische Bildung soll Menschen zu einem mündigen Urteil, zur Selbstbestimmung und zur verantwortlichen Mitgestaltung befähigen.“ Damit grenzen sie sich deutlich ab gegen mögliche Einseitigkeiten. In den Leitzielen der DeGöB wird weiter ausgeführt: „Ökonomische Bildung wäre keine umfassende Persönlichkeitsbildung, würde sie sich nur auf die Vermittlung praktisch-wirtschaftlicher Tätigkeiten beschränken. Es geht ihr weder allein darum, zur Optimierung von Konsum- oder Anlageentscheidungen beizutragen, noch darum, spezifische Akzeptanzen zu fördern wie etwa für die freie Marktwirtschaft, die soziale Ungleichheit als Leistungsanreiz, eine bestimmte Form der Geldanlage oder aber eine bestimmte Interessenpolitik. Dies würde die kritisch-reflexive Dimension von Bildung ausblenden.“
    An diesen programmatischen wirtschaftsdidaktischen Grundsätzen müssen sich Konzeptionen ökonomischer Bildung für die Schule messen lassen. Im Oktober 2010 hat der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft (GGW), getragen von 15 großen Wirtschaftsverbänden, Bildungsstandards und Standards für die Lehrerbildung für ein neues Unterrichtsfach „Ökonomie“ an allgemeinbildenden Schulen veröffentlicht. Die Verbände hatten ihre Standards just dann in Auftrag gegeben, als die wissenschaftliche Fachgesellschaft DeGöB ihre Standards für alle Schulstufen fertig gestellt hatte.
    Warum verdient ein solches Gutachten, dessen Halbwertzeit unbekannt ist, Aufmerksamkeit? Das GGW-Gutachten ist politisch relevant, da wichtige wirtschaftliche Interessenverbände damit die Bildungspolitik beeinflussen wollen. Es ist aber auch wissenschaftlich bemerkenswert, weil es zeigt, wie eine ökonomische Bildung an Schulen aussähe, die sich dominant der Denkschemata der Ökonomik bedient. Mit Ökonomik bezeichnen wir hier stark vereinfacht den orthodoxen Mainstream der Volkswirtschaftslehre. Das Gutachten bietet also Anlass für eine fachdidaktische und eine bildungspolitische Auseinandersetzung, aber auch für eine gesellschaftliche Wertedebatte.
    Quelle: APuZ 12/2011 „Ökonomische Bildung“ [2.1 MB]
  19. Verkürzte Gymnasialzeit: Geraubte Jugend
    Die verkürzte Gymnasialzeit macht Schüler zu Sklaven eines selbstverliebten Bildungssystems. Im Grunde kann man seit der Einführung von G 8 an allen zum Abitur führenden Schulen das gleiche beobachten – die Jugendlichen werden zu Lernrobotern, denen die Freude am Leben und Erleben genommen wird. Natürlich wollte das niemand so, klar, wer bekennt sich schon als vorsätzlicher Kinderquäler. Die Kultusministerien hatten gemeint, das eine Schuljahr opfern zu müssen, damit deutsche Kinder beim Studienbeginn nicht älter als die der europäischen Nachbarn sind. Die Kultusbürokratien der Länder aber, Repräsentanten eines selbstverliebten Bildungssystems, verweigerten die notwendigen Konsequenzen aus der politischen Willensbekundung ihrer Dienstherren. Sie entrümpelten die Lehrpläne nicht etwa in angemessener Weise, sondern versuchten, das Schulbuchwissen von bislang neun fast in vollem Umfang in acht Gymnasialjahre hineinzupressen.
    Die Eltern, die jetzt für grundständige Berliner Gymnasien beim Bildungssenator die Einrichtung zusätzlicher fünfter Klassen beantragen, sind vom gestiegenen Interesse an nachgefragten Gymnasien getrieben. Sie sollten sich nicht zu sicher sein, ihren Kindern damit einen Gefallen zu tun. Gut möglich hingegen, dass sich die bislang noch nicht so beliebten Sekundarschulen, die in 13 Schuljahren zum Abitur führen, bald wachsender Beliebtheit erfreuen. Gerade unter den gerechten Bedingungen des Zentralabiturs zählt allein der Notenschnitt für die Studienberechtigung und nicht die Schule, an der er erreicht wurde. Und ob die Reifeprüfung nach zwölf Jahren oder einem mehr abgelegt wurde, fragt auch niemand nach. – G 8 in der jetzigen Form ist jedenfalls ein Beispiel dafür, dass der hochgelobte Bildungsföderalismus nicht davor feit, dass eine Reform gründlich in die Hose geht.
    Quelle: Tagesspiegel
  20. das Allerletzte: Antwort vom Bund der Steuerzahler
    Unsere Leserin U.B. schlug dem Bund der Steuerzahler vor, neben der Schulden- doch auch die Reichtumsuhr aufzustellen. Die Antwort der Lobbyorganisation kam prompt und ist so skurril, dass wir sie unseren Lesern nicht vorenthalten wollen:
    Das von Ihnen aufgeworfene Problem dürfte weltanschaulicher Natur sein, so dass wir hier ggf. nicht zu einem Konsens kommen (müssen). Deshalb nur so viel:
    Ich gehe davon aus, dass Sie andeuten wollen, es gäbe ausreichendes Privatvermögen, um die Staatsschulden zu tilgen. Natürlich wäre dies theoretisch und einmalig möglich. Die Frage ist nur, ob das langfristig der Gesellschaft nutzt. Denn solch ein konfiskatorischer Staatseingriff würde die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung massiv senken. Am Ende wären dann alle arm oder gar bankrott, wie die vielen planwirtschaftlichen Experimente gezeigt haben.
    Doch man muss gar nicht den Extremfall einer Kommandowirtschaft bemühen. OECD-Studien für marktwirtschaftliche Industriestaaten zeigen, dass eine niedrige Staatsverschuldung cet. par. für ein größeres Wirtschaftswachstum sorgt. Zudem sind Versuche, Haushaltslöcher über höhere Einnahmen zu schließen, à priori und empirisch betrachtet erfolglos. Es liegt in der Natur des politischen Prozesses, dass neue Staatsausgaben schneller erfunden als über höhere Einnahmen erarbeitet werden können…

    Anmerkung Jens Berger: Der Bund der Steuerzahler scheint noch nicht einmal zu begreifen, bei wem der Staat eigentlich verschuldet ist. Der Staat verschuldet sich ja nicht im luftleeren Raum – die Schulden des öffentlichen Sektors tauchen auf der anderen Seite als Forderungen des privaten Sektors wieder auf. Selbstverständlich könnte man diese Forderungen mit Sonderabgaben, die man dem privaten Sektor entnimmt, bedienen, ohne dass „am Ende dann alle arm oder gar bankrott“ wären. Doch bereits diese skurrile Extrembeispiel zeigt, dass man beim Bund der Steuerzahler nicht einmal die Grundproblematik der Gegenüberstellung von privaten Vermögen und staatlichen Schulden verstehen will. Dies Alles passt jedoch nahtlos in die Geschichte der neoliberalen Lobbyorganisation, die sich Bund der Steuerzahler nennt und letztlich doch nur die Interessen der Vermögenden vertritt.

    Inspiriert durch die NachDenkSeiten hat auch Arne Babenhauserheide eine sehr übersichtliche Schulden- und Vermögensuhr ins Netz gestellt.

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