Stuttgart 21: Regierung Oettinger verheimlichte die Kostenberechnungen

Ein Artikel von Hermann Zoller

Immer deutlicher wird, dass Stuttgart 21 vor allem auch in finanzieller Hinsicht auf einem schwankenden Boden steht. Kostenrechnungen werden unterdrückt und Kosteigerungen werden verschwiegen. Von Hermann Zoller

Am 6. November 2011 bringt Spiegel Online ans Tageslicht:

Drei Wochen vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gibt es neue Zweifel an der Finanzierung des Milliardenprojekts. Bislang unbekannte Dokumente zeigen nach SPIEGEL-Informationen, dass die damalige Landesregierung schon 2009 mit höheren Kosten rechnete – Parlament und Öffentlichkeit aber nicht darüber informierte.

Nach Informationen des SPIEGEL hatten Landesbeamte aus Baden-Württemberg auf Grundlage von Bahn-Unterlagen Gesamtkosten von mindestens 4,9 Milliarden Euro kalkuliert. Für wahrscheinlicher hielten sie sogar einen Endbetrag von bis zu 6,5 Milliarden.

Das geht aus der internen Kostenrechnung und einem ausführlichen Vermerk aus dem damals zuständigen Innenministerium von Herbst 2009 hervor, der dem SPIEGEL vorliegt.

Der damalige Ministerpräsident und heutige EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) verbat sich daraufhin weitere Berechnungen: “Auf Wunsch des Herrn MP”, so heißt es in dem Vermerk, solle derzeit von einer “neuen Kostenberechnung abgesehen werden”. Entsprechende Zahlen seien “in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar”, schrieben Oettingers Beamte.

Die Mitarbeiter äußerten zudem Bedenken, die ebenfalls zu den Bahnhofsbefürwortern zählende SPD über die neuesten Berechnungen zu informieren. Es sei damit zu rechnen, “dass die SPD bei Bekanntwerden der Kostenentwicklung von dem Projekt abrücken wird”.

Wenn die Spiegel-Informationen sich bestätigen, dann müsste doch auch dem Letzten ein Licht aufgehen: Bei diesem Projekt wird so viel vertuscht und getrickst, dass es nicht zu verantworten ist, es zu bauen. Und dann regen sich die Herren und Damen der Befürworter auf, wenn das Volk „Lügenpack“ skandiert.

Gleichgültig ob Befürworter oder Kritiker von S 21: Ein solches Verhalten, wie es die dem Spiegel vorliegende Dokument ausweist, darf eigentlich von niemand, von keinem Landtagsabgeordneten und keinem anderen Politiker akzeptiert werden. Wenn nicht das Parlament und die Medien, dann müssen die Bürgerinnen und Bürger selbst auf Klarheit drängen.

Gewarnt sei allerdings davor, nur Oettinger die Schuld in die Schuhe zu schieben. Da war (und ist) ein ganzer Klüngel aus Bahnverantwortlichen, Interessengruppen und Regierung am Werk, der nach der Methode Tarnen und Täuschen versucht, ein Projekt durchzudrücken, das mit viel Geld, aber nur wenig mit Verkehrspolitik zu tun hat. Leider kann ein solcher politischer Betrug nicht juristisch verfolgt werden und so lange der Klüngel zusammen hält, hat er nicht einmal politische Konsequenzen. Den politischen Denkzettel können wohl nur die Bürgerinnen und Bürger verpassen.

Gefragt ist nun nicht zuletzt die baden-württembergische SPD-Führung, die bisher in blindem Eifer an S 21 festhält. Mit ihrer Nibelungentreue macht sie sich an den Vertuschungen und dem Betrug an den Steuerzahlern mitschuldig. Gerade auch der Juniorpartner in der baden-württembergischen Landesregierung wäre jetzt gefordert, auf Klarheit und Wahrheit zu drängen. Die SPD müsste deutlich machen, dass sie sich nicht hinter die Fichte führen lässt. Und noch etwas müsste die SPD überdenken: nämlich wie der Superminister Nils Schmid, der doch den Haushalt sanieren und eisern sparen will, mit den zu erwartenden steigenden Kosten für das Projekt Stuttgart 21 umgehen will.

Vor diesen neuen Informationen drängt sich die Frage auf, ob die Volksabstimmung nicht nur noch eine Farce ist. Wie sollte das Volk urteilen, wenn es gezielt dumm gehalten wird, ja sogar belogen wird. – Es gäbe eine Antwort: Am 27. November mit JA stimmen.

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