Helmut Kohls Würdigung des 20. Juli

Ein Artikel von:

Von Dr. Johannes Posth, Kiew, Abdruck in FAZ Nr. 177 vom 2. August 2004, Seite 6

Bei der Würdigung des Attentats auf Hitler und der daran Beteiligten in der FAZ vom 9.07.04 in der Rubrik „Zeitgeschehen“ folgt Helmut Kohl im Wesentlichen üblichen und bekannten Mustern und Aussagen.

Unbehagen löst der Artikel allerdings aus zwei Gründen aus, der eine eine inhaltliche Unzulänglichkeit, der andere die Person des Autors betreffend.

Die fragende Feststellung, daß es – anders als z.B. in Frankreich – nach dem 8.05.45 „um die Überlebenden des deutschen Widerstandes gegen Hitler lange still geblieben“ sei, ist mit dem Hinweis auf „schwere Niederlagen für das eigene Vaterland“ hier und Befreiung vom „fremden Usurpator“ durch die Resistance dort nur unvollständig und unzureichend erklärt; sie entspricht nicht der inzwischen gewonnenen Erkenntnis über den Grad der tiefen und über 1945 hinaus nachwirkenden Verstrickung des überwiegenden Teiles aller Schichten der deutschen Bevölkerung in die Vergehen und Verbrechen jener Zeit, die der eigentliche Grund für diese Zurückhaltung oder besser Unfähigkeit war, sich mit den Widerständlern und dem Attentat zu identifizieren. Dieser Umstand ist daher zugleich auch wiederum ein Beleg für jene Verwicklung.

Die nach dem Ende des Krieges vorhandene und bis in unsere Tage andauernde fehlende Bereitschaft großer Teile oder sogar der Mehrheit der Deutschen, den auch für die Alliierten mit großen Opfern verbunden Einsatz ihrer Soldaten gegen die deutsche Gewaltherrschaft als Befreiung zu verstehen und zu empfinden, spricht für die Intensität dieser Befindlichkeit. Noch am 8.05.1985, also 40 Jahre nach Kriegsende, verließen im Deutschen Bundestag die Abgeordneten einer Partei der Fraktion, der auch Kohl angehörte, den Saal, als der damalige Bundespräsident von Weizsäcker in einer Gedenk-Rede das Wort „Befreiung“ in den Mund nahm. Das deutsche Volk war in seiner Mehrheit leider nicht eindeutig gegen Hitler, sondern hat zu lange Zeit nicht nur weggeschaut und geschehen lassen, sondern leider auch – und nicht nur aus Zwang – mitgetan, wie wir heute wissen. Von erstaunlichen und sehr rühmlichen, aber letztlich isolierten Ausnahmen abgesehen. Deshalb war der 20. Juli 1944 ein „Widerstand ohne Volk“ (Historiker H.Mommsen). Diese Erkenntnis blendet der Historiker Kohl in seiner Darstellung aus, indem er – wie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten aufgrund der noch lange vorherrschenden Verdrängung üblich – Hitler brandmarkt, aber das dazugehörende verantwortungslose, unmenschliche Verhalten oder konkrete Mittun der Menschen in der zivilen Gesellschaft und als Soldaten, ohne das die millionenfachen Untaten und Verbrechen in und außerhalb Deutschlands nicht stattgefunden hätten, und die daraus herrührende Mitverantwortung und Schuld zu erwähnen unterläßt. Die inzwischen mögliche und notwendige Klarheit, was die Mithaftung der Menschen im damaligen Deutschland angeht, lässt Kohl leider vermissen. Seine Hinweise auf „die Versuche der Machthaber, mit Verführung und Gewalt den Geist und das Gewissen gleichzuschalten“ und die „finstere Zeit“ sind allzu allgemein, diffus und unnötig wie unangemessen abstrakt. Der Artikel entspricht insoweit nicht mehr dem heutigen Stand der Aufklärung über die Geschehnisse in Deutschland zwischen 1933 und 1945 und deren Ursachen, um die sich gerade die FAZ durch vielfältige Veröffentlichungen nachhaltig verdient gemacht hat.

Daß Helmut Kohl in der großen deutschen Tageszeitung FAZ prominenter Raum für seine Darstellung eröffnet worden ist, stimmt aber eher aus einem anderen Grunde bedenklich. Die großen Verdienste Kohls als Bundeskanzler etwa um die Organisation der unseren europäischen Nachbarn verträglichen Wiedervereinigung oder um die einheitliche europäische Währung, die in die Geschichte eingehen werden, stehen außer Frage. Aber Kohl verstößt doch bis heute gegen nicht irgendein, sondern gegen das für unser demokratisches Staatswesen wesentliche und bedeutsame „Gesetz über die politischen Parteien“, dessen nach den vorangegangenen „Parteispendenaffären“ präzisierte Spendenregelung er selbst als Bundeskanzler unterzeichnet hatte, indem er Spender Geldbeträge in Millionenhöhe für seine Partei, die er erhalten hat, nicht benennt, wie es das Gesetz vorsieht. Das ist doch kein Kavaliersdelikt, sondern eher ein noch immer andauernder Rechtsbruch. Wenn heute zurecht vermehrt Verfall der Maßstäbe und des Anstands sowie Verlust der Werte in Wirtschaft und Politik beklagt und mehr Demut angemahnt werden, darf man fragen: Gibt es keinen unbescholteneren Politiker, dem man für eine Würdigung des 20. Juli 1944 den Vortritt vor Kohl hätte lassen können? Nach der Lektüre des Artikels bleiben ein Unbehagen und ein fader Nachgeschmack.

Dr. Johannes Posth, Kiew