Darf man Begriffe benutzen, die bisher der Beschreibung der Verhältnisse in der Nazizeit vorbehalten waren?

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Robert Misik hat für einen Kommentar in der TAZ („Kollegen, ihr habt versagt!“) den Begriff „Gleichschaltung“ zur Beschreibung der Mediensituation in Deutschland benutzt. Es ist begrüßenswert, dass endlich auch ein Journalist einen passenden Begriff, der üblicherweise der Beschreibung der Verhältnisse im Deutschland der Naziherrschaft vorbehalten ist, benutzt. Normalerweise ist die Erinnerung an Nazimethoden dann, wenn man die Verhältnisse von heute beschreiben will, tabu. Man darf nicht von „Methoden wie bei Goebbels“ und eben auch nicht von „Gleichschaltung“, und im Blick auf Sarrazin und andere Politiker und Publizisten auch nicht von „Rassismus“ oder von „Volksverhetzung“ sprechen, u.a.m… Die Tabuisierung wirkt wie ein Schutz für jene die sich dergleichen Methoden bedienen. Albrecht Müller.

  1. Ohne Zweifel gibt es Unterschiede zwischen heute und damals. Aber hier gilt es eben, den Anfängen zu wehren.
    Wir sind Zeuge von Entwicklungen, die uns nicht kalt lassen können und deren korrekte Kennzeichnung nicht tabuisiert werden sollte:

    • Was wir mit unseren Medien und dem gängig gewordenen Kampagnenjournalismus erleben, ist ein Zeichen von Gleichschaltung. Übrigens nicht erst jetzt. Das ist schon seit längerem zu beobachten. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht. (Zur Gleichschaltung siehe unten unter II. mehr)
    • Die herablassende und aggressive Art des Umgangs mit anderen Völkern. Die faulen Italiener, die Pleitegriechen, usw. – wie soll man das bezeichnen? Es ist völkischer Größenwahn. Hier ein Beispiel aus einer kleinen Zusammenstellung, die einem NDS-Beitrag vom 8.5. entnommen ist.
    • Wenn wir die Methoden der Bild-Zeitung nicht deutlich kennzeichnen, dann schützt das Tabu die Stürmer-Methoden dieses Mediums und es passiert genau das, was wir am 8. Mai kritisiert haben: BILD bekommt den anerkannten Henri-Nannen-Preis, BILD wird von anderen Journalisten zitiert, als wäre es ein seriöses demokratisches Blatt und der Leiter der Berliner Redaktion dieser Zeitung, Blome, bekommt einen festen Platz in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Senders Phoenix.
    • Wenn in einer amtlichen Broschüre des Bundeswirtschaftsministeriums, wie 2005 geschehen, im Blick auf Hartz IV-Empfänger von „Abzocke“ die Rede ist, wenn es heute Usus geworden ist, den Beitrag der weniger Begabten zum Bruttoinlandsprodukt quasi als unbedeutend und das Auseinanderdriften der Einkommensverteilung gar als etwas Segensreiches darzustellen, wenn die Schwachen quasi ausgegliedert und gesellschaftlich stigmatisiert werden, dann erinnert mich das an faschistisches Denken. Welchem Geist entspringt eigentlich die Lobeshymne auf den Ausbau des Niedriglohnsektors? Ist das nur ökonomisches Zweckdenken oder steckt dahinter auch eine ganz andere Geisteshaltung?
    • Die Tabuisierung hat all jene geschützt, die Anfang der Neunzigerjahre mit Hetze und dramatisierenden Bildern von heranstürmenden „Asylanten“ Fremden- und Menschenfeindlichkeit geschürt haben.
    • Darf man einen der Grund“gedanken“ von Herrn Sarrazin Rassismus nennen? Das Tabu schützt auch seine Methoden und öffnet ihm die Tore der Talkshows.
    • Das Tabu, völkisches Denken nicht völkisches Denken nennen zu dürfen, hat auch jene geschützt, die seit einigen Jahren wieder vom „sterbenden Volk“ sprechen.
  2. Noch einige Anmerkungen zum Thema Gleichschaltung
    Dem zitierten Autoren der TAZ ist die Gleichschaltung beim Umgang mit der Finanzkrise, mit Finanzpakt und den Auflagen zum Sparen aufgefallen. Er kritisiert mit Recht den erkennbar weit verbreiteten Chauvinismus. Auf bedrückende Beispiele dafür hatte ich am 19. Juni hingewiesen: „Der Niedergang von Moral und Verstand bei unseren Meinungsführern ist beeindruckend“. Sie können den kritisierten Zustand unserer Medien fast jeden Tag beobachten.

    Gleichschaltung ist nichts Neues

    Neu ist diese Entwicklung allerdings nicht. Kennern der NachDenkSeiten wird aufgefallen sein, dass in diesem Medium schon seit langem der Begriff „Gleichschaltung“ – unter Missachtung des üblichen Denk- und Nutzungsverbotes – benutzt wird. Siehe hier die Sammlung von Beiträgen, die bei der Suche nach „Gleichschaltung“ erscheinen. Am ersten Eintrag wird sichtbar, dass es in unserer kleinen Redaktion zumindest im Blick auf das Fahnenschwenken anlässlich von Fußballereignissen einen Dissens gibt. Nach meiner Einschätzung ist auch die harmlose, aber massenhafte Nutzung von Fahnen und Nationalfarben wie mit kommunizierenden Röhren mit der Entwicklung zu schlimmeren Auswüchsen des Nationalismus verbunden. Man kann es auch deutlich ausdrücken: der Rückfall auf nationale Symbole bereitet emotional und unterschwellig auch den Weg zum Beispiel für den viel zu schnellen Gebrauch militärischer Gewalt. Klar, nicht unmittelbar.

    Die Konzentration im Medienbereich, die Kommerzialisierung der elektronischen Medien, der Ausbau der PR-Geschäfte, die krakenhafte Ausbreitung von Kampagnen der Meinungsbeeinflussung aus politischem Interesse und aus Geschäftsinteresse, die Vorherrschaft der finanziell und publizistisch Mächtigen in der Meinungsbildung und damit der politischen Entscheidungsfindung – dies alles sind keine neuen Entwicklungen. Der Mit-Herausgeber der FAZ Paul Sehte sprach 1965 davon, die Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Inzwischen sind es weniger als 200 und die Absprache darüber, welche Botschaften unters Volk müssen, ist ziemlich einfach. Eines Berlusconis mit seiner speziellen Art von Gleichschaltung bedarf es in Deutschland nicht.

    Neu, in gewisser Weise neu könnten die Massivität der Gleichschaltung und die Folge, der erkennbare Ausfall der größeren Oppositionsparteien und damit die Alternativlosigkeit sein. Das gibt es jedenfalls in dieser Form, wie wir das bei Fiskalpakt und ESM wie auch schon bei der Bankenrettung erlebt haben, noch nicht lange. Ich korrigiere mich: auch schon die Durchsetzung der Schröderschen „Reformen“ war gekennzeichnet von der Gleichrichtung nahezu aller Parteien und sehr vieler Medien und damit von angeblicher Alternativlosigkeit.

    Die Bedeutung der Public Relations

    Nach meiner Einschätzung ist die Lage durch die Entwicklung der Public Relations massiv verschärft worden. Über Kampagnen, die Public Relations Agenturen entwickeln und auf der Basis der Aufträge ihrer Auftraggeber finanzieren, spricht man nicht. Deshalb wissen wir wenig. Vermutlich weiß man auch innerhalb der Redaktionen nicht alles über die laufenden Kampagnen. Wenn man aber genau beobachtet, dann findet man eine Menge von Indizien und Beispiele:

    • Die großen Kampagnen zur Demographie und zur Privatvorsorge im Bereich von Alter, Gesundheit und Pflege sind deutlich zu erkennen.
    • Auch die massive Agitation im Vorfeld und während der militärischen Intervention von NATO einschließlich der Bundeswehr im Kosovo Krieg 1999 ist ohne intensive PR Arbeit nicht vorstellbar. Die deutschen Medien waren nahezu ausnahmslos einer Meinung. Das ist auf die tägliche Medienarbeit des deutschen Verteidigungsministers Scharping und des Pressesprechers der NATO Shea zurückzuführen, aber nicht nur. NATO und Europäische Union verfügen über viel PR-Kraft.
    • Die Entscheidung, jede Bank zu retten, einschließlich der Erfindung des Begriffs „systemrelevant“ ist ohne die massive PR Arbeit der Finanzwirtschaft nicht vorstellbar. Ich weise in diesem Zusammenhang zum wiederholten Mal auf das leider ziemlich vergessene Buch von McChesney, „Rich Media Poor Democracy“. Er hat darin das Zusammenspiel von Wallstreet und Madison Avenue (der Straße der Werbe- und PR-Agenturen) beschrieben.
    • Die Umdeutung der Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise und die massenhafte Verbreitung und wirkliche Gleichschaltung bei diesem Thema sind ohne Aktivität von PR Agenturen nicht vorstellbar. Wo man auch hinschaut und hinhört, man findet kaum ein Medium, das nicht den gleichen Jargon benutzt: ZDF, Stern, Spiegel online, ARD, Bild-Zeitung, über all das gleiche, Diese Gleichschaltung kann nicht zufällig sein. Robert Misik hat mit Recht den Begriff „Schuldenland Spanien“ aufgespießt und darauf hingewiesen, dass die Schuldenquote Spaniens mit 68 % einiges unter der Schuldenquote von Deutschland mit 81 % liegt. (Siehe dazu auch eine Folie aus einem Vortrag von mir vom April 2012):
    • Fakten spielen bei der Gleichschaltung keine Rolle. Die totale Manipulation ist bei dieser Art von Vereinheitlichung möglich, auch wenn die Wirklichkeit anders aussieht.
      Auch die Tatsache, dass wir mit der Regulierung der Finanzmärkte allenfalls stückchenweise voran kommen, ist ohne gezielte PR nicht denkbar.
    • Sowohl die Wahl des Bundespräsidenten, sein hohes Ansehen wie auch jenes der Bundeskanzlerin sind ohne massive PR Arbeit nicht denkbar.

Ergänzungen zur Differenzierung:

  1. Die gezielt betriebene und klug eingefädelte Personalpolitik der herrschenden politischen Gruppierung, konkret der CDU und CSU, bei den öffentlich-rechtlichen Medien wie auch die Kooperation mit den Eigentümern und Machern der privaten Medien hat eine helfende, große Rolle bei der Gleichschaltung gespielt.
  2. Die einzelnen Medien sind nicht homogen. Es gibt kritische Stimmen auch beim Spiegel, auch im ZDF, auch in vielen Regionalzeitungen. Das Entscheidende ist jedoch, dass zur Übermittlung der „wichtigen“ Botschaften und bei den gezielt gemachten Kampagnen der Meinungsbeeinflussung alle diese Medien auf einer Linie liegen. Die kritischen Kolleginnen und Kollegen sind sozusagen der Zierrat und die Stützen der Glaubwürdigkeit.

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