Turbo-Abi fällt durch

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Die wichtigsten Ergebnisse der 2. JAKO-O Bildungsstudie im Überblick
Im Auftrag von JAKO-O hat das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Januar 2012 bundesweit 3.000 Eltern in Deutschland mit Kindern im Alter bis zu 16 Jahren zu den Themen Bildung, Schule, Lehrer und der eigenen Erziehungsleistung sowie zu aktuellen Themen der bildungspolitischen Diskussion befragt.
Hier die wichtigsten Ergebnisse. (WL)

  • Turbo-Abi fällt durch: Die meisten Eltern sind mit der verkürzten Gymnasialzeit nicht einverstanden: 79 Prozent der Befragen sprechen sich für das neunjährige Gymnasium aus, nur 17 Prozent sind für die kürzere Variante „G8“. Am ehesten wäre das „Turbo-Abi“ annehmbar, wenn die Lehrpläne der kürzeren Lernzeit hinreichend angepasst würden – das sagen fast 59 Prozent der befragten Eltern aus.
  • Mehr Ganztagsschulen: 70 Prozent der befragten Eltern würden ihre Kinder gerne auf eine Ganztagsschule schicken, in den neuen Bundesländern sind es sogar 89 Prozent. Leider können nur insgesamt 26 Prozent der Befragten berichten, dass mindestens eines ihrer Kinder auch tatsächlich eine Ganztagsschule besucht – das Angebot ist also viel zu gering.
  • Längeres gemeinsames Lernen: Die Aufteilung der Kinder auf verschiedene weiterführende Schultypen wünscht sich die große Mehrheit der befragten Eltern (60 Prozent) erst nach sechs Schuljahren. Nur 23 Prozent sind für eine frühere Selektion nach der 4. Klasse.
  • Inklusion – Zustimmung und Skepsis: Der gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen (Inklusion) stimmen Eltern nicht vorbehaltlos zu. Wenn es um körperlich beeinträchtigte Kinder und Kinder mit Lernschwierigkeiten geht, findet der gemeinsame Unterricht große Unterstützung bei den Eltern: 89 % bzw. 72 %. Die unterrichtliche Integration von Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit Verhaltensauffälligkeiten wird dagegen nur von knapp der Hälfte (jeweils 46 Prozent) unterstützt.
  • Faire und einheitliche Bildung – gewünscht aber nicht realisiert: Die meisten Eltern halten gleiche Bildungschancen (84 Prozent) für alle Kinder und einheitliche Bedingungen in den 16 Bundesländern (74 Prozent) für die wichtigsten Ziele der Bildungspolitik in Deutschland. Verwirklicht sehen sie diese Ziele aber überhaupt nicht.
  • Lehrer – kompetente Einzelkämpfer: Mit 90 Prozent Zustimmung sind fast alle befragten Eltern von der Fachkompetenz der Lehrer überzeugt. Mindestens acht von zehn Befragten halten Lehrer zudem für gerecht und engagiert. Den Einsatz von neuen Unterrichtsmethoden erkennen dagegen nur 63 Prozent der Eltern. Weniger gut schätzen sie auch die kollegiale Zusammenarbeit der Lehrer ein. Nur 68 Prozent meinen, dass die Lehrer sich untereinander gut absprechen.
  • Eltern unter Druck: 91 Prozent der befragten Eltern fühlen sich verpflichtet, sich intensiv um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu kümmern. 60 Prozent beklagen, dass sie Dinge leisten müssten, die eigentlich Aufgabe der Schule wären.
  • Kinderfreundlichkeit: Lediglich 53 Prozent der befragten Eltern mit Schulkindern bis 16 Jahren halten Deutschland für ein kinderfreundliches Land.

Quelle: JAKO-O Bildungsstudie (hier auch alle Ergebnisse und Informationen zur 2. JAKO-O Bildungsstudie als PDF zum Download)

Bewertungen der Studie

Über die G8-Reform sagte der renommierte Bildungsforscher Klaus-Jürgen Tillmann, einer der Autoren der Studie, es sei ein “ziemlich einmaliger Fall”, dass eine bildungspolitische Reform flächendeckend eingeführt, dann aber von 80% der Eltern abgelehnt werde:

Die massive Ablehnung von G8 kann man nur als eine schallende Ohrfeige für die Bildungspolitik aller Parteien und auch für die Kultusministerkonferenz bezeichnen; das ist eine Reform, die die große Mehrheit der Eltern so nie gewollt hat und nach den Erfahrungen, die sie gemacht hat, auch nicht will.”

Der Ausbau der Ganztagsschulen hält mit dem Anstieg der Elternwünsche nicht Schritt. “In allen Bundesländern besteht eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Knapp die Hälfte der Eltern können den gewünschten Ganztagsplatz für ihr Kind nicht erhalten”, erläuterte Tillmann…

Eine Reform, die auf Anpassung der Lehrpläne und Reduzierung des Leistungsdrucks zielt, ist aus Sicht der Eltern unumgänglich

Für die repräsentative Untersuchung wurden im Januar 2012 bundesweit 3.000 Eltern mit schulpflichtigen Kindern im Alter bis zu 16 Jahren vom Sozialforschungsinstitut TNS Emnid befragt.

Anmerkung WL: Man sollte sich nochmals in Erinnerung rufen, was zum sog. „Turbo-Abitur“ geführt hat: Das Abitur nach acht Jahren (und ein 6-semstriges Universitätsstudium hatten) nur das Ziel, die Ausbildungszeiten zu verkürzen – und das noch ohne einen curricularen Plan. Die in Deutschland als zu lang angesehenen Schul- und Ausbildungszeiten wurden als „Nachteil im internationalen Wettbewerb“ hochgespielt. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit sei auch notwendig, um die demografische Entwicklung einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft aufzufangen.

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