Beck macht einen Treppenwitz – und keiner lacht

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der SPD-Vorsitzende hält die Leistungsträger für eine der wichtigen Zielgruppen der SPD. Klingt ja prima und wird entsprechend freundlich kommentiert. Aber eigentlich ist das ein Witz, denn die so genannten Leistungsträger, rund 25 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, sind von Rot-grün mit Zustimmung des jetzigen Koalitionspartners Union vor zwei Jahren kräftig rassiert worden. Mit Hartz IV. Neben den davon betroffenen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger hat Hartz IV eine „wichtige“ Funktion bei den (noch) Arbeitenden. Ihnen wurde das Vertrauen in das Funktionieren der Arbeitslosenversicherung geraubt. Zerstört. Sie wurden damit von einem Tag auf den andern der vermehrten Angst vor Arbeitslosigkeit aus- und unter Druck ihre Arbeitgeber gesetzt. Diese Folge von Hartz IV wird häufig nicht beachtet.

Ich muss dazu eine Geschichte erzählen: Vor zwei Jahren, im August 2004, als Hartz IV gerade beschlossen war und dagegen demonstriert wurde, rief mich eine befreundete Journalistin an. Sie ist im Beckschen Sinne eine typische Leistungsträgerin. Sie hatte nach Abitur und einer einjährigen Zusatzausbildung mit 19 Jahren begonnen zu arbeiten und zum Zeitpunkt ihres Anrufs gerade 36 Jahre ununterbrochen gearbeitet und Beiträge zu den Sozialversicherungen einschließlich der Arbeitslosenversicherung gezahlt. Weil Sie mich aus einer Zeit kannte, in der ich für sozialdemokratisch geführte Regierungen tätig war, beschimpfte sie mich: Es sei unerhört, dass die SPD sie jetzt des Schutzes der Arbeitslosenversicherung beraube. Wenn ihr Arbeitgeber ihr betriebsbedingt kündige, falle sie trotz ihrer langen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach einem Jahr in die Rolle einer AlGII-Bezieherin – mit allen Konsequenzen. Die Arbeitgeber würden diese Verunsicherung auch ohne Kündigung nutzen und den Druck auf die Arbeitnehmer erhöhen.
Mit Hartz IV ist den so genannten Leistungsträgern in der Tat der Teppich unter den Füßen weggezogen worden. Dass diese Folge von Hartz IV in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle spielt, zeigt, wie unkritisch und auch unsachlich die öffentliche Debatte in Deutschland geführt wird. Darauf spekuliert offenbar auch der SPD-Vorsitzende. Denn eigentlich müssten ihm seine Treppenwitze im Halse stecken bleiben.
So sehen es übrigens auch viele Leser der NachDenkSeiten.