Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht

Jens Berger
Ein Artikel von:

Stephan Hebel ist seit vielen Jahren Autor der Frankfurter Rundschau und hat jetzt ein Buch über Angela Merkel geschrieben. In „Mutter Blamage“ zeichnet er das Bild eines großen Betrugsmanövers der Öffentlichkeit durch die CDU-Politikerin. Bei der Entstehung der öffentlichen Meinung über „die starke Frau in Europa“ spielen auch die Journalisten eine unrühmliche Rolle. Ein Interview von Michael Voregger.

Warum schreibt man ein Buch über Angela Merkel?

Stephan Hebel: Es gibt die Fan-Bücher – also von Leuten, die gut finden was Frau Merkel macht. Es gibt Kritik von rechts von Leuten, die enttäuscht sind, dass Angela Merkel nicht das konservative, neoliberale Programm umsetzt, mit dem sie mal angetreten war. Meine Kritik kommt eher von links und sagt: Hinter der Fassade von Frau Merkel – die sehr sozial und seriös wirkt – steckt eine klare neoliberale Linie.

Die Politik der Kanzlerin erscheint ja nach außen ohne Inhalt zu sein, die eher pragmatisch auf Stimmungen reagiert. Welche Linie steckt dahinter?

Stephan Hebel: Die Linie sieht so aus, dass zum Beispiel Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende strikt abgelehnt werden, obwohl wir sie zur gerechten Verteilung der Krisenlasten bräuchten. Es werden echte gesetzliche Mindestlöhne abgelehnt, weil Frau Merkel bei allem verbalen Entgegenkommen die Wirtschaft so unbelastet lassen möchte wie möglich. Vor allem in Gerechtigkeits- und Wirtschaftsfragen sehe ich ganz deutlich, dass Frau Merkel alles andere will als den Staat – auch den Sozialstaat – zu stärken. Sie schwächt ihn, wie 20 Jahre Neoliberalismus das schon getan haben, immer weiter.

Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und dem Kern der neoliberalen Politik?

Stephan Hebel: Frau Merkel ist eine ganz spezielle Art einer genialen Selbstverkäuferin. Sie macht das nicht laut, sie macht das nicht lustig und schon gar nicht unseriös. Sie wirkt äußerst bescheiden und entgegenkommend für alle. Sie hat es geschafft, eine Rhetorik zu entwickeln, die sagt: Bist du ein bisschen sozial – habe ich was für dich, bist du Wirtschaft – habe ich auch was, bist du konservativ – habe ich auch was. Das ist ihre Rhetorik, seit sie gemerkt hat, dass sie mit dem offen neoliberalen Kurs keine großen Sprünge machen kann. Man muss sich aber die Ergebnisse der Politik anschauen. Viele Menschen haben dazu nicht so viel Zeit wie zum Beispiel die Journalisten. Da würde man sehen, dass die Lücke zwischen den hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland gewachsen ist. Frau Merkel schafft es ein rhetorische Soße darüber zu gießen, die anders schmeckt als das wirkt, was sie eigentlich tut.

Eine solche Strategie funktioniert ja nur dann, wenn sie nicht hinterfragt wird. Welche Rolle spielen hier die Journalisten und die Medien?

Stephan Hebel: Es gibt in der Politikberichterstattung vor allem aus Berlin eine Nähe zwischen Medien und Politik, die mich irritiert und die ich auch nicht verstehe. Es entstehen in diesem Kontakthof ganz bestimmte Inszenierungen, denen man sich vielleicht auch verständlicherweise nicht widersetzt, weil man ununterbrochen den Politikern sehr nahe ist. Weil man in diesen Hintergrundkreisen sitzt, wo die mal sagen was sie wirklich denken, aber es darf nicht geschrieben werden. Es haben sich Moden in diesem Kontakthof entwickelt, die ich für höchst bedenklich halte. Eine dieser Moden ist es lange Zeit gewesen ein Bild zu transportieren, dass Frau Merkel eine Modernisiererin sei und vor allem das.

Helfen diese Gespräche nicht dabei an Informationen zu kommen, die einem sonst verborgen bleiben?

Stephan Hebel: Es gibt Journalisten, die haben mir die Kritik an diesem Berliner Medienbetrieb und Politikkomplex, die ich auch in meinem Buch formuliere, sehr übel genommen. Die sagen: Ich brauche diese Nähe, um wirklich recherchieren zu können. Ich sehe das ähnlich wie bei der Homöopathie. Ich habe nichts gegen gelegentliche Hintergrundgespräche, die wird man brauchen – aber was in kleiner Dosis positiv wirken kann, wird in allzu großer Dosis zum Gift. Diese absolute Regelmäßigkeit, dass man sich jede Sitzungswoche von den Fraktionsgeschäftsführern die Welt erklären lässt, statt mal einen Gesetzentwurf zu lesen. Das hat eine Dimension angenommen, die giftig ist für die Rolle der Medien. Deren Aufgabe wäre es, aus der Distanz Politik zu betrachten und auch zu kritisieren. Es entsteht eine Nähe, die ich für problematisch halte, weil die im besten Sinne fundamental-kritische Position nicht mehr eingenommen wird.

Warum spielen in der Berichterstattung über die Euro- und die Wirtschaftskrise Erklärungen jenseits des Mainstreams kaum eine Rolle?

Stephan Hebel: Ein Journalist, der die Alternativlosigkeit von etwas akzeptiert, der hat als Journalist für meine Begriffe schon abgedankt. Tatsächlich haben Journalisten unter dem Bombardement einer bestimmten Fraktion der Wirtschaftswissenschaft und der Politik es aufgegeben darüber nachzudenken, ob es zu einem bestimmen Begriff von Wettbewerbsfähigkeit nicht eine Alternative geben kann. Wettbewerbsfähigkeit wird von Frau Merkel klassisch neoliberal buchstabiert: möglichst geringe Lohnkosten, möglichst geringe Produktionskosten, möglichst geringe Steuern, möglichst wenig Staat – was daraus geworden ist, haben wir in der Krise gesehen. Das wird noch bis heute, wider bessere Erkenntnis, als alternativlos dargestellt. Genauso ist es mit dem Reformbegriff, der ja mal so etwas bezeichnet hat wie: Allen soll es besser gehen. Heute ist der Reformbegriff vollkommen kontaminiert von den sogenannten Reformen, die die armen Leute ärmer und die reichen Leute reicher machen. Das wird als alternativlos akzeptiert – unbegreiflich für mich.

Die Wahrnehmung von Angela Merkel ist im Ausland ja eine ganz andere?

Stephan Hebel: Man kommt dem Versagen der Frau Merkel nicht auf die Schliche, wenn man die historisch absolut untragbaren Nazi-Vergleiche zieht. Aber die Wut auf die deutsche Politik, die von Frau Merkel repräsentiert wird, kann ich sehr gut verstehen. Deutschland hat als Exportnation von dieser Starkwährung Euro profitiert wie kein anderes Land in Europa. Deutschland ist jetzt dabei, dieses Profitieren auf Kosten der Bevölkerungen anderer Länder in der Krise fortzusetzen nach der Methode: Wir exportieren und die anderen müssen sich verschulden, um unsere Autos zu kaufen. Daran können alle Rettungsprogramme nichts ändern und genau das ist das Ziel dieser Politik. Dass die Leute, denen man dauernd die Löhne und Renten kürzt, darüber wütend sind, kann ich sehr gut verstehen.

Passend dazu: Angela Merkel – „Mutter Blamage“ – Eine Rezension

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